Strafzumessung beim Heranwachsenden: "Tat- und schuldangemessen" reicht dem BGH nicht

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.07.2012

Es ist schon erstaunlich, wie leicht sich Fehler in die Strafzumessungserwägungen von Tatrichtern einschleichen. Manchmal mag es freilich auch einfach an ungenauen Darstellungen im schriftlichen Urteil liegen. Hier jedenfalls mal ein "schönes" Beispiel einer Jugendkammer, die wohl bei der Strafzumessung der Jugendstrafe nicht den Erziehungsgedanken genutzt hat, sondern eher vom Tatunrecht geschrieben haben muss:

 

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Schuldspruch ist allerdings dahingehend neu zu fassen, dass der Angeklagte wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt ist. Das Landgericht hat wegen der Verwendung der beiden Schreck-schusspistolen und des Messers für die Drohungen zutreffend den Qualifikati-onstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB i.V.m. §§ 253 Abs. 1, 255 StGB als verwirklicht angesehen. Diese Qualifikation muss in der nach § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO erforderlichen rechtlichen Bezeichnung der Straftat im Urteilstenor zum Ausdruck kommen (BGH NStZ 2010, 101).
Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit 20 Jahre und fünf Monate alten Angeklagten gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewendet und wegen schädlicher Neigungen und Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe für er-forderlich gehalten. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Durchgreifende Bedenken bestehen jedoch gegen die Erwägungen, mit denen die Jugendkammer die Höhe der verhängten Jugendstrafe begründet hat. Die Höhe der Jugendstrafe bemisst sich, auch wenn sie wegen der Schwe-re der Schuld verhängt wird, gemäß § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieheri-schen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juli 1995 - 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10; Eisenberg, JGG, 15. Aufl., § 18 Rn. 13, 20 ff.). Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht.
Die Urteilsgründe stellen im Wesentlichen auf das in der Tat zum Ausdruck gekommene Unrecht ab und teilen Zumessungserwägungen mit, die auch im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich sind. Sie erwähnen lediglich am Ende der Strafzumessungserwägungen den Erziehungsgedanken eher formelhaft. Den noch bestehenden Erziehungsbedarf des Angeklagten substantiiert die Jugendkammer unter Hinweis auf seine strafrechtlichen Vorbelastungen, ohne die Folgen der Verbüßung der verhängten Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten näher abzuwägen. Insbesondere stellt die Jugendkammer nicht dar, warum trotz der festgestellten positiven Entwicklungsansätze (UA S. 7, 27) dem vorrangigen Erziehungsgedanken nur durch Verbüßung einer derart langen Jugendstrafe Rechnung getragen werden kann.
Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. 

 

BGH, Beschluss vom 15.5.2012 - 2 StR 54/12

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1 Kommentar

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Mich wundert vielmehr, daß die zuständigen Oberlandesgerichte dies oftmals ohne weiteres durchgehen lassen. Die meisten Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende beginnen ja beim Amtsgericht und finden spätestens beim OLG ihr Ende. Ich habe schon so manche Sprungrevision mit dieser Beanstandung eingelegt und stolz auf die ständige BGH-Rechtsprechung verwiesen. Zurück kommt regelmäßig ein § 349 Abs. 2 Beschluß, auch wenn die Strafzumessungserwägungen kein Wort zum Erziehungsgedanken erhalten. Beim BGH geht diese Rüge immer durch. Das verstehe wer will. Mit einer einheitlichen Rechtsprechung hat das jedenfalls nichts zu tun.

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