Zirkumzision - wie soll das Gesetz aussehen? (mit Update 20.07.)

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 15.07.2012

Im Verlaufe der intensiven Debatte um das Kölner Beschneidungs-Urteil (zB hier im Beck-Blog) haben sich nun die Bundesregierung und mehrere andere im Bundestag vertretene Parteien der Auffassung angeschlossen, man müsse den Konflikt durch ein Gesetz lösen. Aber wie kann dies geschehen?

Eine erste Frage ist, ob es sich dabei um ein Verbots- oder um ein Erlaubnisgesetz handeln wird.

Geht man von der hier vertretenen Meinung aus, dass die religiös motivierte Beschneidung immer schon (wie auch alle medizinisch indizierten Operationen) eine tatbestandsmäßige Körperverletzung darstellte, dann beruhte die bisherige Straffreiheit auf einem gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund - strukturell ähnlich dem früher angenommenen Züchtigungsrecht der Lehrer. Dieser Rechtfertigungsgrund ist nun durch die (weitgehend unbeachtet gebliebenen) Fachdiskussionen von Ärzten und Juristen und  durch das Aufsehen erregende Urteil des LG Köln in Frage gestellt worden. Eine gesetzliche Klärung erscheint also für den Rechtsfrieden notwendig, auch wenn man der Ansicht ist, dass Gewohnheitsrecht ebenso verschwinden kann wie es entstanden ist, eben durch entgegenstehende Gewohnheit.

Eine gesetzliche Regelung kann versuchen, die voherige Rechtfertigung durch (religiös motivierte) Einwilligung der Sorgeberechtigten wieder zu etablieren bzw. zu bestätigen. Insofern wäre die gesetzliche Regelung eine "Erlaubnis". Die meisten Politiker, die sich geäußert haben, tendieren genau dazu: Sie wollen den (bzw. bestimmten)  Religionsgemeinschaften zugestehen, dass sie dieses bisher weitgehend akzeptierte Ritual weiter strafrechtlich unbehelligt durchführen können.

Allerdings wird dies nicht geschehen können, ohne zugleich die Grenzen der Erlaubnis aufzuzeigen, d. h. in anderer Beziehung wird das Gesetz auch Verbote enthalten müssen. Und in diesen Details stecken erhebliche Probleme!

Denkbar (und teilweise notwendig) erscheinen:

- Altersbegrenzungen (Mindest- bzw. Höchstalter),

- die Beschränkung auf Ärzte mit chirurgischer Erfahrung

- Vorschrift einer (Voll-)Narkose

- Beschränkungen auf bestimmte Religionsgemeinschaften

- Beschränkung auf bestimmte anerkannte/etablierte/vergleichsweise risikoarme Rituale

- Beschränkung auf ein bestimmtes Geschlecht

- Verpflichtung von (Ärzten in) öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zur Durchführung

- Haftungsregelungen für Fälle, in denen sich ein Schadensrisiko trotz lege artis durchgeführter Zirkumzision verwirklicht (Haftungsfonds der Religionsgesellschaften?)

Ein solches Gesetz wie auch eine Reihe der (denkbaren) Beschränkungen und  impliziten Verbote werfen ganz grundlegende Probleme auf, die die meisten Politiker noch nicht fokussiert haben:

Zwar wird bisher schon breit diskutiert, dass aus Gründen der Religionsfreiheit eine gewisse Beschränkung der körperlichen Unversehrtheit von Kindern hinzunehmen sei - jedoch wird man bei Komplikationsraten von immerhin im einstelligen Prozentbereich (also 1 bis 10 pro hundert!) sich durchaus fragen, ob und inwieweit der Staat seine Schutzpflicht gegenüber Kindern vernachlässigen darf (zur Diskussion vgl. etwa den Artikel in der FR). Jedenfalls kann nur derjenige, der die Augen vor der Realität verschließt, den Eingriff verharmlosen (ein Beispiel dafür sind die Stellungnahmen prominenter Grünen-Politiker).

Die anderen genannten Beschränkungen werfen z.T. gravierende Gleichheitsproblematiken auf, sobald etwa noch nicht am Konflikt beteiligte Religionsgemeinschaften ihre eigenen möglicherweise körperverletzenden Rituale gesetzlich erlaubt haben wollen.

Auch die systematischen Fragen sind bisher nicht beantwortet. Einige FDP-Politiker wollen die Beschneidung im neuen Patientenrechtegesetz verankern, m. E. keine besonders gute Idee: Denn das Recht, seine Kinder beschneiden zu lassen, ist bzw. wäre eben kein Patientenrecht.

Eher schon gehört die Beschneidung in das Familienrecht, also in das Umfeld des § 1631 BGB; bei der Beschneidung aufgrund religiöser Erzeihung handelt es sich um einen Teil der Personensorge. Außerdem kommt eine bereichsspezifische Regelung im RelKErzG (Gesetz über die religiöse Kindererziehung) in Betracht.

Ein anderer Vorschlag wäre es, die Beschneidung - wie die Abtreibung - als rechtswidrige Körperverletzung eingestuft zu belassen, aber unter bestimmten Voraussetzungen lediglich einen gesetzlichen Strafausschluss zu regeln. Ein solcher Strafausschluss müsste in das  StGB eingefügt werden.

Könnte die schwedische Regelung Vorbild sein (hier ein taz-Artikel dazu)?

Ganz gleich wie und was genau geregelt wird, am Ende wird wohl ohnehin das BVerfG zu entscheiden haben, ob der Gesetzgeber im neuen Gesetz die Abwägung der verschiedenen Interessen richtig vorgenommen hat.

Die nächsten Wochen und Monate dürften immerhin spannend sein: Selten kann man gesetzliche Regeln im Entstehungsprozess so intensiv verfolgen, selten gibt es  ist eine so große gesellschaftliche Debatte.

UPDATE 20.07.2012:

Wortlaut der Resolution des Bundestages vom 19.07.2012:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
im Herbst 2012 unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten
Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der
Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf
vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung
von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist.

Auszug aus der Begründung:

"Die rechtliche Einordnung der Beschneidung muss so schnell und so gründlich
wie möglich geklärt werden. Der Deutsche Bundestag hält eine gesetzliche
Klarstellung für geboten, die insbesondere unseren jüdischen und muslimischen
Mitbürgerinnen und Mitbürgern ermöglicht, ihren Glauben frei auszuüben. Eine
Präjudizwirkung für andere körperliche Eingriffe aus religiösen Gründen darf
sich hieraus nicht ergeben.

Zudem hält der Deutsche Bundestag die Beschneidung männlicher Kinder, die
weltweit sozial akzeptiert wird, für nicht vergleichbar mit nachhaltig
schädlichen und sittenwidrigen Eingriffen in die körperliche Integrität von
Kindern und Jugendlichen wie etwa die weibliche Genitalverstümmlung, die
der Deutsche Bundestag verurteilt."

 

Wortlaut der Petition der Deutschen Kinderhilfe, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, MOGIS e.V. (Verband Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs), des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, Prof. Dr. Matthias Franz und zahlreicher Einzelpersonen vom 20.07.2012:

"Der Deutsche Bundestag möge beschließen, zunächst für zwei Jahre keine gesetzlichen Schritte zur Legitimation der Beschneidung von Jungen in Deutschland zu ergreifen.

Weiterhin möge der Deutsche Bundestag die Einsetzung eines Runden Tisches von Religionsvertretern, muslimischen und jüdischen Befürwortern und Gegnern der Beschneidung, Psychologen, Psychoanalytiker, Kinderärzten, Kinderchirurgen, Kinderschützern und Vertretern der Jugendhilfe sowie weiterer Experten beschließen, um das Thema Beschneidung in Deutschland wissenschaftlich fundiert zu diskutieren und eine Strategie zu erarbeiten, welche alle Interessen, vor allem aber die Belange des Kindeswohls, berücksichtigt."

Auszug aus der Begründung:

(...)

Doch gelten beide Rechte trotz ihres Verfassungsranges nicht vorbehaltlos und müssen sich der Abwägung mit anderen Grundrechten stellen. Hier gilt es die bisher im Diskurs vollständig vernachlässigten Belange der Kinder, rechtlich normiert in Art. 2 GG, Art. 6 II 2 GG und Art. 19 I und Art. 24 III der UN- Kinderrechtskonvention, zu berücksichtigen.

(...)

Die Petenten sehen die Gefahr, dass sachfremde Erwägungen immer stärker in die Argumentation einfließen und es der Politik unmöglich machen, eine Güterabwägung im Interesse des Kindeswohls auch nur ansatzweise zuzulassen. Vorsicht geboten ist ebenso bei der Vereinheitlichung des muslimischen und jüdischen Glaubens, gibt doch auch hier ein breitgefächertes Meinungsbild zum Thema kindliche Beschneidung.

Als notwendig und lohnenswert für alle Interessengruppen empfinden die Petenten daher einen sachlichen, verantwortungsvollen und umfassenden Dialog aller Akteure als Alternative zu einem übereilten politischen Aktionismus. Eine breite Debatte ist in Anbetracht der Bedeutung der betroffenen fundamentalen Rechte und Güter unabdingbar und muss von der Politik zugelassen werden.

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525 Kommentare

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Manchmal frage ich mich , weshalb die Beschneidung nicht eine Art sexueller Mißbrauch sein könnte.

Was haben Beschneider am Penis von Kindern zu suchen ?

 

 

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Die jüdische Presseagentur Hagalil schrieb:

 

 

 Das Tabu des Kindermißbrauchs durch Beschneidung

Am Gebot der Beschneidung halten jedoch fast alle Juden fest, und das ist das größte Tabu des sexuellen Kindermißbrauchs im Judentum. Das Beschneidungsgebot ist im Judentum so tief tabuisiert, daß weder darüber gesprochen, noch es kritisiert wird.

 

http://www.hagalil.com/bet-debora/journal/tabu.htm

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Enttäuscht von den Behörden schrieb:

Am Gebot der Beschneidung halten jedoch fast alle Juden fest, und das ist das größte Tabu des sexuellen Kindermißbrauchs im Judentum. Das Beschneidungsgebot ist im Judentum so tief tabuisiert, daß weder darüber gesprochen, noch es kritisiert wird.

Ohne jetzt tiefer in die Thematik einzugehen, Moses, ein nicht unbedeutender Stammvater, war nicht beschnitten, ebenso Theodor Herzls Sohn. 

Die Beschneidung faßten die Autoren der Bibel "wesentlich häufiger als Metapher denn als körperliche Tatsache auf" (Gollaher, S 25) . "So beschneidet nun eure Herzen... " (5. Mose 10,16) "Und der Herr ... wird dein Herz beschneiden ..." (5. Mose, 30,6).

 

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Sehr geehrter Herr Müller, liebe Forumsteilnehmer,

vielen Dank für Ihre engagierte Begleitung dieser nicht sehr einfachen Diskussion! Hängt doch die Haltung zu dieser Frage oftmals sehr von der persönlichen Einstellung zur Religion (oder bestimmten Religionen) ab. Eine manchmal ideologische Tendenz zur Säkularität inklusive.

Auch ich habe mich in den letzten Wochen intensiv mit der Beschneidungsfrage auseinander gesetzt. Handelt es sich doch um eine klassische Grundrechtskollision, die nach den Grundsätzen der "praktischen Konkordanz" gelöst werden sollte. Hier hat m.E. das LG Köln sehr holzschnittartig argumentiert, indem es Religionsfreiheit und körperliche Unverletzlichkeit nur "abgewogen" und die Schutzpflichtenproblematik (inkl. Ulitima-Ratio-Prinzip des Strafrechts) nahezu unberücksichtigt gelassen hat. Praktische Konkordanz ist eben gerade nicht eine bloße Abwägung des einen zu Lasten des anderen Grundrechts, kein "ganz-oder-gar-nicht". Mit ihrem Optimierungsgebot grundrechtlicher Freiheit findet man eben zu den häufig sehr differenzierten Lösungen, die das BVerfG erarbeitet (z.B. zu § 218ff. StGB). Oder jedenfalls zu differenzierenderen Lösungen wie die des LG Köln. Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dass die Entscheidung h.M. in der Rechtsprechung wird, zumal die gleiche holzschnittartige Abwägung zu einem anderen Ergebnis führen könnte (so wie auch in der Vorinstanz).

Was nunmehr das Gesetz anbelangt:

Eine Sonderregelung zur Beschneidung befindet sich im gleichen Spannungsfeld, wie die Entscheidung des LG Köln. Die Frage bleibt verfassungsrechtlich die selbe. Egal wie sich der Gesetzgeber verhält, es können immer Grundrechte verletzt sein. Tut er nichts, verletzen die Strafgerichte evtl. Art. 4 Abs. 1,2 GG. Privilegiert er die Beschneidung, verletzt er evtl. Art. 2 Abs. 2 des Kindes. Sie haben es ja schon angedeutet, das BVerfG wäre so oder so früher oder später Endstation.

Ich bevorzuge deshalb eine abschließende gerichtliche Entscheidung und kein neues Gesetz, auch wenn ich für die betroffenen Religionsangehörigen das Problem der Rechtsunsicherheit sehe. Aber die generelle Problemlage haben Sie ja ebenfalls schon angedeutet: Sonst müssten immer mehr besondere Ausnahmefälle gesetztlich geregelt werden. Doch in einer Vielzahl von Fällen obliegt es den Gerichten, o.g. grundrechtlichen Ausgleich im Rahmen der normalen juristischen Auslegung vorzunehmen. Gerade hier bietet sich ggf. die verfassungskonforme Auslegung an. Ich traue auch einer juristischen "Schwarmintelligenz" aus Praktikern und Rechtswissenschaftlern manchmal mehr zu, als einem aktionistischen Gesetzgeber, der in den letzten 20 Jahren eine Flut unnützer, unnötiger Vorschriften produziert hat, die die Akteure in den Gesetzgebungsorganen oftmals selbst nicht verstehen konnten...

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Wie schon angedeutet, stellt sich im Hinblick auf Art. 3 GG die Frage, welche Verstümmelungen/Körpermodifikationen durch die Schaffung einer Sondervorschrift für die Zirkumzision noch erlaubt werden.
Die Klitorisvorhautreduktion wird sich dann kaum verhindern lassen.

Spannend ist die Folge für Skarifizierungen, wie sie bei einigen afrikanischen Völkern üblich sind.

 

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Straf- und Verfassungsrecht in Österreich sind vergleichbar mit  Deutschland. Deshalb scheint von Interesse, was die österreichische Politik zur Diskussion in ihrem Nachbarland sagt. In diesem Artikel erfährt man mehr. (Auszüge:)

Christian Manquet, Abteilungsleiter für Strafrecht im Ministerium, hatte im Ö1-Morgenjournal erläutert, "dass von einer Straflosigkeit ausgegangen wird", die Lage von der Literatur aber nicht eindeutig beurteilt werde. Der Tatbestand der Körperverletzung könne durch eine Beschneidung grundsätzlich erfüllt werden, deswegen sei man aber nicht zwingend strafbar.

Bei Einwilligung eines Erwachsenen gebe es nämlich kein Problem. Ein solches könne entstehen, wenn jemand vertretungsweise für einen "Einwilligungsunfähigen" zustimmt - wie etwa Eltern bei einem Neugeborenen. In der strafrechtlichen Literatur sehe man das unbedenklich, in der zivilrechtlichen durchaus kritisch, weil eben eine Körperverletzung stattfinde und die Religionsfreiheit der Eltern der Unversehrtheit des Kindes gegenüberstehe, so Manquet.

(...) Anders als in Deutschland sehe man auch keinen Anlassfall für Änderungen gegeben. In der ÖVP ist man naturgemäß ähnlicher Meinung: "Rituelle minimal invasive Beschneidung von Buben" seien "aufgrund der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit erlaubt", so der Neo-Justizsprecher Michael Ikrath. "Derartige Eingriffe sind laut Justizexperten auch strafrechtlich unproblematisch."

(...) BZÖ-Justizsprecher Gerald Grosz findet die ganze Diskussion angesichts echter Probleme wie der Wirtschaftskrise "wirklich dumm". Er sieht ebenfalls keinen Bedarf für Änderungen. Es sei wichtig, dass Religionen ihre Traditionen, die im Einklang mit der Verfassung und den Menschenrechten stünden, auch ausleben könnten. Die Beschneidung bei Buben - für Grosz nichts anderes als das Heranführen der Kinder an die Religion der Eltern - zu verbieten fände er "absolut sinnlos" und es zudem "brandgefährlich", wenn sich Politik in Religion einmische oder umgekehrt.

Meine Einschätzung: Vor dem Urteil des LG Köln hätten deutsche Politiker das genau so beantwortet.

 

Henning Ernst Müller schrieb:
Straf- und Verfassungsrecht in Österreich sind vergleichbar mit  Deutschland.

Das stimmt nur sehr bedingt: In Österreich gibt es, anders als in Deutschland, nicht eine Bundesverfassung, sondern mehrere Verfassungsgesetze. In denen sind jedoch keine Grundrechte festgeschrieben *), sondern es wurde die Europäische Menschenrechtskonvention in die Verfassung übernommen. Mehr dazu hier: http://www.parlament.gv.at/PERK/VERF/BVG/

Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist in dieser ausdrücklichen Formulierung eine Besonderheit des deutschen Grundgesetzes!

Im Strafrecht ist seit dem Strafrechtsänderungsgesetz von 2001 die Genitalverstümmelung auch bei Erwachsenen verboten, § 90 öStGB mit dem neu hinzugefügten Abs. 3 lautet seither:

Einwilligung des Verletzten

§ 90. (1) Eine Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit ist nicht rechtswidrig, wenn der Verletzte oder Gefährdete in sie einwilligt und die Verletzung oder Gefährdung als solche nicht gegen die guten Sitten verstößt.

(2) Die von einem Arzt an einer Person mit deren Einwilligung vorgenommene Sterilisation ist nicht rechtswidrig, wenn entweder die Person bereits das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat oder der Eingriff aus anderen Gründen nicht gegen die guten Sitten verstößt.

(3) In eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen, kann nicht eingewilligt werden.

Ob der Gesetzgeber damit ausschließlich Frauen gemeint hat, müsste man noch in den Parlamentsunterlagen nachforschen**) - die Formulierung ist jedenfalls geschlechtsneutral und trifft sachlich ohne jeden Zweifel auf die Zirkumzision zu.

Darum irren auch die Politiker, die behaupten

"Rituelle minimal invasive Beschneidung von Buben" seien "aufgrund der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit erlaubt"

weil es sich eben nicht um einen "minimal invasiven" Eingriff handelt.

Und von der Haider-"Partei" habe ich nichts anderes als eine völlig substanzlose Einlassung erwartet ...

(...) BZÖ-Justizsprecher Gerald Grosz findet die ganze Diskussion angesichts echter Probleme wie der Wirtschaftskrise "wirklich dumm".

Wirklich dumm ist dagegen, den Unterschied nicht zu erkennen: das Geld ist nicht weg, es hat nur jemand anders (von dem man es eventuell zurückholen kann). Die erogene Zone der Vorhaut ist aber unwiderruflich weg ...

Henning Ernst Müller schrieb:
Meine Einschätzung: Vor dem Urteil des LG Köln hätten deutsche Politiker das genau so beantwortet.
Logisch - beim Strampeln um Macht und Einfluss kann man aktuelle juristische Fachdebatten nicht auch noch auf dem Schirm haben ... umso rauher das Aufwachen aus dem "Traditionstiefschlaf".

Bemerkenswert übrigens, dass selbst die Leserkommentare eines stockkatholischen Mediums wie der "Presse" das Kölner Urteil in überwältigender Mehrheit gutheißen und Österreich ist tatsächlich in einem Punkt vergleichbar mit Deutschland: auch dort sind 46 Prozent für ein Verbot der Beschneidung.

*) Edit: es gibt im Staatsgrundgesetz von 1867 und dem Bundesverfassungsgesetz niedergeschriebene Grundrechte.

**) Edit 2: Im Bericht des Rechtsausschusses heißt es: "Wenngleich schon derzeit unter den Tatbestand qualifizierter Körperverletzungselikte subsumierbar, soll weiters – einer Entschließung des Nationalrats Rechnung tragend – ausdrücklich klargestellt werden, dass die (weibliche) Genitalverstümmelung ungeachtet einer allfälligen Einwilligung der betroffenen Person verpönt ist." Eine weitere Festlegung konnte ich nicht finden - fraglich, ob das ausreicht?.

„Beschneidung“ (Neugeborene männlichen Geschlechts)

"eine medizinisch-prophylaktisch motivierte Zirkumzision wird von keiner Ärzteorganisation der Welt empfohlen und widerspricht krass jeder ärztlichen Ethik".

Diese hier vertretene, ausschließlich subjektive Einschätzung verkennt nicht nur die Realität, weil  wahrscheinlich nur weltanschaulich basiertes, vor allem aber als im groben Widerspruch zur Wissenschaft stehendes Postulat zu kritisieren ist. Man könnte meinen, dieser Autor war Mitverfasser der m.E. einseitig argumentierenden Düsseldorfer Richter, die menschliche Lebenswirklichkeit auf ein juristisches Konstrukt reduzieren und damit den aktuellen Wissensstand medizinischer Wissenschaften geradezu sträflich ignorieren.

Damit rechtfertigt zugleich, zum hier fast ausschließlich juristischen Diskurs den Sachstand der Medizin zu beleuchten, wenn auch im Blog nur sehr verkürzt. Deshalb muss der Beobachter leider der Versuchung widerstehen, rechtliche Aspekte weiter zu diskutieren.

Bekannt ist die allgemein bekannte Zurückhaltung zu öffentlichen Ratschlägen, ein ‚Phänomen’ das Mediziner aus bekannten Gründen z.B. auch mit Juristen teilen.

Eine groteske Gespensterdiskussion über „Verstümmelung“ (aus Wikipedia ???) u.ä.  sekundärer Postulate ist nicht nur sachfremd, sondern durchaus auch verantwortungslos, weil damit von Fehlhaltungen gezeichnete Ängste belebt werden.

Aber Gespenstern begegnet man in der aufgeklärten Gesellschaft nicht mit mittelalterlichem Inventar. Übergeordnete Prinzipien sind das Mittel der Wahl, was im ARD-Nachtstudio von Heiner Geißler [FN 1] quasi generalpräventiv in ganz anderem Zusammenhang herausgestellt wurde. Sich auf Aristoteles berufend meinte er, Politik ist Bemühen und Aufgabe, das geordnete Zusammenleben zu organisieren. Das führe zu Kant mit seinem „philosophischen“ Ansatz der a priori Erkenntnis, wonach wir im Besitz gewisser Erkenntnis auf Basis der Wissenschaft sind. Dabei müsse sich aus Erfahrung bestätigen, was richtig oder falsch sei. Und ich betone, damit ist  nicht Unfehlbarkeit gemeint, sondern das,was über 200 Jahre später die Frankfurter Schule als „reflektierte Reflexion“ formulierte. Insofern ist auch Sybille Krämers [FN 1] Appell „Mittel zur Erkenntnis ist nicht nur das Wissen, sondern vor allem der Zweifel“, hilfreich.

Wenn sich etwas in ständiger Überprüfung immer wieder bestätigt, kann sich dann Politik berechtigt, wie im Anlassfall durch die Judikative, dagegen stellen? Im Bundestag steht die Diskussion unter dem Aspekt des außenpolitischen Schadens aus weltanschaulichen Gründen. Medizinische Aspekte scheinen dabei uninteressant.

Im Gegensatz zur eingangs zitierten Behauptung, wird der in Rede stehende medizinisch durchaus vielschichtige Problembereich tatsächlich „immer noch kontrovers diskutiert“. Besonders, wenn es um konkrete Maßnahmen wie z. B. Gesundheitsprophylaxe, geht. Zugleich ist hier in den Grundaussagen quer durch involvierte medizinische Disziplinen eine sonst eher seltene Einigkeit zu beobachten.

Im Detail: Eine Beschneidung als Verstümmelung zu bezeichnen überzeugt nicht, denn sie ist faktisch eine in vielen Fällen angezeigte kosmetische Korrektur und aus konkreter Erfahrung eine der Volksgesundheit dienende Prophylaxe, vergleichbar mit der sich aus Erfahrung bestätigenden Impfpflicht. Das juristische „Axiom“, jeder ärztliche Eingriff stellt eine Körperverletzung dar, sollte im Sinne der juristischen Wissenschaft korrekt und nicht oberflächlich diskutiert werden. Dazu gehört der gesamte medizinwissenschaftliche Kontext, wonach eben die „Körperverletzung“ die ultima Ratio zur Lebensrettung und Aufrechterhaltung der Gesundheit individuell wie kollektiv zweifelsfrei notwendig werden kann.

Obwohl hinsichtlich individueller Probleme mit „dem Stückchen Haut“ das „Schweigen der Männer“ als statistisch signifikante, aber eben nur zudeckende Konfliktlösung quasi zur ultima Ratio stilisiert wird, wissen wir längst, dass es hier viel weniger um juristische oder weltanschauliche Fragen, als vielmehr um Volksgesundheit schlechthin geht. Mit dem Begriff Volksgesundheit habe ich aus historischen Gründen gewisse Probleme, aber es geht in der Tat um das, was man als gesundes Leben der Bevölkerung in jedweder Hinsicht versteht.

Nicht nur ich erinnere mich an gruppendynamische Sitzungen und Einzelgespräche im Rahmen von Partnerschaftsberatung - Beziehungsprobleme im Bereich der Sexualität wurden meist erst nach längerer Vertrauen aufbauender Zeit ausgesprochen - am spätesten und viel seltener, wenn überhaupt, soweit es um Probleme der Männer ging. Auf Fragen über evtl. ärztliche Beratung folgte nicht selten „darüber“ habe(n) ich/wir nicht gesprochen“. So „offen“ wie uns die (seuxualisierte?) Medienwelt glauben lässt, sind wir offenbar noch immer nicht, sowohl Patienten/Klienten wie Ärzte.

Zur ärztlichen und medizinischen „Verortung“ ein Blick, statt ins Gesetz, in die Fachliteratur, z. B. Pathologie,

„Pathogenese Plattenepithelkarzinom:

- dem häufigsten Genitalkrebs der Frauen unter 50 Jahren … aber bei jüdischen Frauen  (bessere Sexualhygiene der Männer wegen Beschneidung) sehr viel seltener“ [Pathologie, S 878]

- „… es tritt bei Frauen, deren Männer beschnitten sind, praktisch nicht auf und findet sich gehäuft in Bevölkerungsschichten mit niederem Sozialstatus. … Dies lässt vermuten, daß Smegma-Inhaltsstoffe tumorigene Kofaktoren sind“ [Pathologie, S. 366]

- „Jedes Peniskarzinom hat seine eigne ‚Geschichte’. Meist ist dem Patienten eine chronisch-rezidivierende Balanoposthitis im Rahmen einer Phimose lange Zeit bekannt gewesen. Für eine derartige Reiztheorie spricht das seltene Vorkommen von Peniskarzinomen bei Völkern mit ritueller Vorhautbeschneidung. In Lateinamerika macht es bis zu 10% aller Karzinome aus“. [Pathologie, S. 923]

Die Auswirkungen „durch Smegma-Ansammlung mangels genügender Hygiene“ betreffen sowohl Männer und die Frauen infolge Geschlechtsverkehr. Dieser Ansatz findet sich sowohl in der Urologie, Dermatologie und Gynäkologie. Selbst im Notarzt-Leitfaden sind daraus resultierende interventionsbedürftige Folgen Gegenstand von Diagnostik und Therapie. Ebenso der Befund bei Innere Medizin, Zytologie, Onkologie - kurz und prägnant die Chirurgie: „Penis- und Portiokarzinom infolge Smegma-Irritation“.  Das Leitsymptom Entzündungen des Genitale (m/w) weist unter anderem ebenfalls auf diese Thematik.

Die dazu vor Jahren entstandene öffentliche Diskussion „Beschneidung als Gesundheitsprophylaxe“, um die Totalresektionen am inneren von ‚Krebs’ befallenen Genital der Frauen unnötig werden zu lassen, wurde im öffentlichen Bewusstsein wieder verdrängt durch die „Männersache Prostata“.

In der Fachliteratur, deren Zitierung im Detail hier nicht Gegenstand sein kann, besteht in den genannten medizinischen Disziplinen relativ seltene Einigkeit über Entstehung, Ursache und Folgen. Natürlich sind in klinischen Standardleitfäden seltenst Prophylaxe, sondern die ärztlichem Standards für Behandlung eines Zustandes meist das Thema. Im übrigen besteht für Vorsorge und Prophylaxe weitere spezifische Literatur.

Aber schon allein explizite Hinweise auf objektivierte Erfahrungen, signalisieren, was im Kontext medizinischer Auffassungen steht:

Nach ausführlichen Hinweisen über Smegma und seine schädlichen Zersetzungsprodukte heißt es „Vielen Fällen von Peniskarzinom geht eine jahrelange Phimose voraus. … durch Vergleich internationaler Statistiken, nach denen Juden, die 8 Tage nach der Geburt beschnitten wurden, nur in seltenen Fällen an Peniskarzinomen erkrankten …. Bemerkenswert … Peniskarzinom bei Mohammedanern, die in der Präpubertät beschnitten werden, häufiger ist, als bei den Juden, aber seltener als bei Unbeschnittenen. In … Weltliteratur sind nur sehr wenige Fälle von Peniskarzinom nach Neugeborenenbeschneidung beschrieben worden.

Die rituelle Beschneidung stellt somit ein unfreiwilliges Massenexperiment zur Krebsprophylaxe dar.

Auch bei den Ehefrauen der Beschnittenen wird mit wesentlich geringerer Häufigkeit ein Collumkarzinom beobachtet…. sehr seltenes Vorkommen bei [zölibatär lebenden] Nonnen … So stellt die frühzeitige Zirkumzision eine doppelte Karzinomprophylaxe dar.

Die neuerdings propagierte Säuglingsbeschneidung ist daher eine medizinisch wohl begründete Maßnahme“ [Männerheilkunde (1980), S. 167]. Wissenschaftlich ist diese Einschätzung auch heute unverändert, was sich aus der WHO-Arbeit bestätigt.

Sachfrage und Anlassfall zeigen, dass man von anderen Ethnien zum ureigensten Vorteil selbst dann noch lernen kann, wenn man sich keinesfalls deren anderen Weltanschauungen, Rituale und Gebräuche zu eigen machen will. Es ist aber zu fordern, dass politisches Handeln nicht primär weltanschaulich begründet ist. Politik hat wissenschaftlichen Erkenntnissen und damit eng verbundene konkrete und solche Erkenntnisse bestätigende Erfahrungen zur Basis und zum Anlass ihres Handelns zu machen. Somit entfällt der vermeintliche notwendige Spagat zwischen Religion, Weltanschauung und Ethnie oder gar außenpolitisch begründeten Sorgen, die mit dem unheilvollen Teil deutscher Geschichte stark verbunden sind.

FN 1: Sonntag, 20. Mai 2012, 0.55 Uhr nachtstudio mit Volker PanzerGäste: Manfred Geier, Literaturwissenschaftler; Heiner Geißler, Publizist ("Sapere aude!“), Bundesminister a. D.; Sybille Krämer, Philosophin;

Litera:

Heite, H.-J., H. Wokalek: Männerheilkunde – Andrologie Lehrbuch der Krankheiten und Funktionsstörungen der männlichen Genitale, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart / New York, 1980

Schäfer, U. N., Hans Eckhart Schaefer: Allgemeine und spezielle Pathologie, Limitierte Sonderausgabe (4. Auflage), Thieme Stuttgart /New York, 2001;

Hinsichtlich der im Text erwähnten Klinikleitfäden von Thieme, Fischer (Ulm),  Fischer-Urban u.a. ist ganz allgemein auf das Internet zu verweisen.

Der ausführliche Wikipedia-Artikel im Internet enthält einerseits gute Infos, nicht frei von ungenauen Formulierungen, gleichzeitig aber diesen Infos widersprechende Wertungen durch den Autor, was auch im Register „Diskussion“ neben mangelnder Belegstellen zum Ausdruck kommt.

Um jedwedes Missverständnis zu vermeiden: Es geht ausschließlich um Personen männlichen Geschlechts, „grobe Verstümmelung“ ist die nicht auf enger medizinischer Indikationsstellung beruhende Beschneidung von Personen weiblichen Geschlechts.

Eine Interessante Meinung.

http://www.ftd.de/politik/deutschland/:bundestags-resolution-warum-karlsruhe-die-beschneidung-regeln-sollte/70065271.html 

 

Besinnt man sich auf die Gewaltenteilung, ist die Frage der Beschneidung keine für die Politik, sondern eine für das Bundesverfassungsgericht. Das ist die Instanz, die Grundrechte abwägt, deren Spielraum, aber auch die Grenzen auslotet. Und die Frage, ob ein Kind aus religiösen Gründen eine Operation über sich ergehen lassen muss, ist der klassischste aller Grundrechtsfälle. Es muss abgewogen werden zwischen der Religionsfreiheit und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, denn auch das ist ein Grundrecht. Schon jetzt ist klar, dass eine solche Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichts die juristischen Lehrbücher füllen würde, egal wie sie ausfiele.     Gerade was diese Gewaltenteilung angeht, steuert der Rechtsstaat auf eine Krise zu. Symptomatisch dafür ist auch der aktuelle Diskurs über die angebliche Europafeindlichkeit der Karlsruher Verfassungsrichter. Deren Urteile werden in der Politik zunehmend als Einmischung empfunden.  

 

 

 

 

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Sehr geehrter Herr Dähne,

Sie schreiben:

Eine Sonderregelung zur Beschneidung befindet sich im gleichen Spannungsfeld, wie die Entscheidung des LG Köln. Die Frage bleibt verfassungsrechtlich dieselbe. Egal wie sich der Gesetzgeber verhält, es können immer Grundrechte verletzt sein. Tut er nichts, verletzen die Strafgerichte evtl. Art. 4 Abs. 1,2 GG. Privilegiert er die Beschneidung, verletzt er evtl. Art. 2 Abs. 2 des Kindes. Sie haben es ja schon angedeutet, das BVerfG wäre so oder so früher oder später Endstation. Ich bevorzuge deshalb eine abschließende gerichtliche Entscheidung und kein neues Gesetz, auch wenn ich für die betroffenen Religionsangehörigen das Problem der Rechtsunsicherheit sehe.

Ihr Vertrauen in die Rechtsprechung ehrt Sie, aber ich kann dem nicht zustimmen.

Erstens können Gerichte immer nur über den konkreten Fall richten, wobei jeweils offen bleibt, wie weit ein gerichtliches Verbot bzw. eine gerichtliche Erlaubnis in anderen Fällen reichen würde.

Zweitens ist eben diese Frage bislang gesetzlich nicht präzise geregelt. Wenn man - wie ich - davon ausgeht, dass die bisher unbeanstandeten Beschneidungen gewohnheitsrechtlich gerechtfertigt waren, dann fehlt es gerade in einer Situation, in der die das "Recht begründende Gewohnheit" zunehmend in Frage gestellt wird, an dem Maßstab, den das Gericht für seine Entscheidung braucht.

Drittens halte ich nichts davon, das Bundesverfassungsgericht die Arbeit des Gesetzgebers machen zu lassen. Der Bundestag wird gewählt, die Richter des BVerfG sind nur über Umwege demokratisch legitimiert. Es ist besser, wenn das BVerfG ein Gesetz (in seiner Anwendung) überprüft, als wenn es selbst "Recht schöpft". Gerade in Fragen der Religion hat das BVerfG auch zutreffend schon einmal die alleinige Verantwortung abgelehnt und den Gesetzgeber zur Regelung aufgefordert (Kopftuchdebatte).

Ich denke, die Gesetzgebung ist der richtige Weg, auch wenn ich hinsichtlich der Schnelligkeit des Vorpreschens einiger Politiker und hinsichtlich des sich jetzt abzeichnenden Ergebnisses skeptisch bin, ob das Gesetz meine persönliche Meinung trifft. Aber: So ist Demokratie.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrte/r Enttäuscht von den Behörden,

dem Artikel aus der FTD, den Sie zitieren, stimme ich überhaupt nicht zu (siehe schon meine Argumente oben). Sehr viele Gesetze greifen in Grundrechte ein. Die in der FTD vertretene Position, das Gericht, nicht aber der Gesetzgeber solle/dürfe Grundrechte abwägen, ist ein völliges Missverständnis unserer demokratischen Verfassung und der Funktion der Gewaltenteilung. Das BVerfG selbst hat schon gelegentlich angemahnt, es sei kein Ersatzgesetzgeber.  Dass nach Gerichtsentscheidungen, die eine Maßnahme für verfassungswidrig erklären, weil eine gesetzliche Grundlage fehlt oder ungenügend ist,  der Gesetzgeber tätig wird, ist doch keine Missachtung der Gewaltenteilung, sondern gerade deren Beachtung. Ebenso wenig widerspricht es der Gewaltenteilung, wenn ein Gesetz verabschiedet wird, nachdem die Judikative einen Eingriff für rechtswidrig erklärt hat.

Natürlich soll und wird das BVerfG ggf. auch ein Beschneidungsgesetz überprüfen, aber die Vorlage sollte schon der Gesetzgeber machen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Hans Werth,

vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme und die medizinischen Quellenhinweise.

Eben solche Darlegungen prophylaktisch positiver Wirkungen der Beschneidung einerseits, negativer Wirkungen andererseits (auch dafür finden sich viele medizinische Quellen, insbes. zur Häufigkeit und Schwere von Komplikationen), haben mich zu der Auffassung gebracht, dass hinsichtlich der Schädlichkeit/Nützlichkeit medizinisch ein "Unentschieden"  besteht. Das ändert nichts daran, dass die Praxis der Beschneidung tatbestandsmäßig eine Körperverletzung darstellt. Aber ich halte es für eine Praxis, für die der Gesetzgeber  eine ausdrückliche Erlaubnis der Einwilligung regeln "darf", solange die Beschneidung nicht eindeutig schädlich ist. Natürlich ist das Ergebnis einer verfassungsrechtlichen Überprüfung dann abhängig von der genauen Fassung einer solchen Erlaubnis und ihren Beschränkungen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Mein Name,

vielen Dank für Ihre Ausführungen zur österreichischen Rechtslage. In der Tat scheint es mit der von Ihnen zitierten Norm in Österreich sogar naheliegender als in Deutschland, eine Zirkumzision als verboten zu betrachten. So wird auch Österreich um die Debatte wohl nicht herumkommen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Ein Blick über den Tellerrand:

Henning Ernst Müller schrieb:
(19.07.) So wird auch Österreich um die Debatte wohl nicht herumkommen.
Und tatsächlich beginnt sie, wenn auch unter irreführender Überschrift:

Auf Zuruf der FP legt Landeschef Wallner (VP) den Vorarlberger Ärzten nahe, keine Beschneidung aus religiösen Gründen durchzuführen.

Entsprechungen:

Landeschef/Landeshauptmann -> Ministerpräsident

(Ö)VP -> CDU/CSU, SP(Ö) -> SPD

FP (Freiheitliche) -> keine direkte Entsprechung, ehemalige politische Heimat Haiders, am ehesten noch mit den "Republikanern" (REP) vergleichbar

In der Tat gibt es in den österreichischen Verfassungsgesetzen (Staatsgrundgesetz, Bundesverfassungsgesetz) und der ebenfalls direkt geltenden EMRK kein ausdrückliches Recht auf körperliche Unversehrtheit, dafür aber einen § 90 (3) ÖStGB, der klarstellt:

In eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen, kann nicht eingewilligt werden.

Es muss also nicht einmal eine Beeinträchtigung erwiesen sein, die "Eignung" reicht völlig!

Anderseits gibt es neben dem Recht auf freie Religionsausübung als österreichische Spezialität seit 1890 auch ein "Israelitengesetz" (eig.: Gesetz betreffend die Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft), das u.a. in § 9 (4) bestimmt:

Die Israelitische Religionsgesellschaft und ihre Mitglieder sind berechtigt, Kinder und Jugendliche auch außerhalb der Schule durch alle traditionellen Bräuche zu führen und entsprechend den religiösen Geboten zu erziehen.

Angesichts dieser Unterschiede (kein ausdrückliches Recht auf körperliche Unversehrtheit, keine Unantastbarkeit der Menschenwürde, Recht zur Ausübung traditioneller israelitischer Bräuche) kann es durchaus sein, dass das österreichische Verfassungsgericht die Brit Mila für zulässig hält, das deutsche BVerfG aber nicht.

Wie es in Österreich aber für die muslimische Beschneidung ausginge, darüber kann nur spekuliert werden.

Ergänzung: ein lesenswerter Kommentar von Andrea Roedig aus psychoanalytischer Sicht bzw. warum diese Debatte vor 20 Jahren noch nicht möglich gewesen wäre. Auszug:

In seinem Roman Die Beschneidung beschreibt der ungarische Schriftsteller György Dalos einen kleinen pummeligen jüdischen Jungen, dessen Zirkumzision versehentlich verzögert wurde. Mit der Unterstützung seiner Großmutter gelingt es ihm, zu retten, was zu retten ist. Dieser individuelle Sieg über den Ritus macht ihn nicht zum Mann, sondern zum Menschen. Bei allem Respekt für religiöse Sitten: Das klingt nach einer sympathischen Alternative.

Edit: zwei weitere lesenswerte Beiträge aus dem Nachbarland

Religionsfreiheit oder Kindesmisshandlung? Gastkolumne von  Kurt Kotrschal (Die Presse) - Auszug:

Nichts gegen Beschneidung, wenn sie an mündigen Erwachsenen unter Schmerzausschaltung durchgeführt wird, aber alles gegen üble Kindesmisshandlung im Namen der Religion.
Die frühkindliche Beschneidung entspricht als kulturelles Merkmal einem von Richard Dawkins so genannten „Mem“, wandelbar analog zur genetischen Mutation und Selektion. In dieser Anpassungsfähigkeit menschlicher kultureller Merkmale liegt einer der Unterschiede zur Traditionsbildung bei anderen Tieren.

Beschneidung - Nur ein Lapperl? - Michael Krasser, Leserkommentar (Der Standard) - Auszug:

Bizarr erscheint in diesem Zusammenhang auch der Einwand des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD), der das Urteil des Kölner Landesgerichtes als einen "eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht" bewertet.
Das Recht zur Selbstbestimmung also, das man dazu verwendet, um den eigenen Kindern das Recht auf die körperliche Unversehrtheit, ein Recht das im deutschen Grundgesetz verankert ist, nehmen zu können. Wer sich für so etwas eine Rechtfertigung zurechtbiegen kann, muss schon einige Übung in kreativem Denken haben.
Im Grunde entlarvt der Einwand aber den so gerne verheimlichten Anspruch konservativer religiöser Fanatiker, egal welcher Konfession: jenen nach Konformität und der totalen Unterwürfigkeit der Gläubigen. Führen sie es sich einmal vor Augen: Wenn sie jemandem einreden können, seine eigenen Kinder zu verstümmeln - was können sie ihm dann nicht noch abverlangen?

P.S.: den Link zum George-Carlin-Video über Keime und das Immunsystem anklicken, es lohnt sich! (genau wie dieses hier über Gott und Religion)

Eine Meinung, die das Religiöse als das höchste Gut fast darstellt.

 

Die Richter in Köln hätten jedenfalls nicht politisch motiviert oder gar antisemitisch orientiert gehandelt, ist Professor Martin Hochhuth überzeugt. Als einer der führenden Rechtswissenschaftler in Deutschland lehrt er an der Universität Freiburg und hat das Urteil genau studiert. Beim Lesen der Urteilsbegründung erkenne er aber eine "modernistische Religionsferne". Viel schwerer aber wiege, dass das Urteil aus juristischen Gründen völlig falsch abgefasst sei. "Die Richter haben die Verfassung nicht ordentlich gelesen". Das deutsche Grundgesetz schütze den Glauben. Was der für Juden und Muslime bedeute, sei nicht wirklich erfasst worden. Dazu aber sei das Gericht verpflichtet gewesen. 

Nach Ansicht von Martin Hochhuth wurden im Kölner Urteil die geschützte Religionsfreiheit und das Elternrecht nicht richtig beachtet. "Die Religionsfreiheit ist in Deutschland eines der wenigen Rechte, die überhaupt nicht eingeschränkt werden können. Der Schutz rangiert ganz weit oben".  

 

Diese Meinung führtdazu,  dass Religionsgemeinschaften ( destuktive Kulte und Sekten ), die Menschen schädigen, nie verboten wurden und nur durch den Verfassungschutz überwacht werden und nur eine Aufklärung stattfindet, die den Hineingeborenen in der Kindheit nicht hilft.

 

In diesem Zusammenhang finde ich die Anzeige gegen den Papst wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gem Art 7 ISrGH-Statut  interessant, die aber wohl nicht erfolgreich sein wird, wie andere Juristen vermuten.

 

http://www.kanzlei-sailer.de/papst-strafanzeige-2011.pdf 

 

 

 

 

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Enttäuscht von den Behörden schrieb:
Nach Ansicht von Martin Hochhuth wurden im Kölner Urteil die geschützte Religionsfreiheit und das Elternrecht nicht richtig beachtet. "Die Religionsfreiheit ist in Deutschland eines der wenigen Rechte, die überhaupt nicht eingeschränkt werden können. Der Schutz rangiert ganz weit oben".
hier die Quelle: Urteil zur Beschneidung - juristischer Pfusch? (www.dw.de)

Man sollte bei Äußerungen Hochhuths berücksichtigen, dass er nicht nur Juraprofessor ist, sondern auch Koordinator des "AK Christen in der SPD" in Freiburg.

Mich wundert, dass Hochhuth Art. 2 (1) GG nie erwähnt. Was jemand glaubt oder glauben darf, wird freilich nicht eingeschränkt. Aber freie Religionsausübung hat ihre Grenzen dort, wo andere unverhältnismäßig geschädigt werden - siehe z.B. die Rechtsprechung zur Häufigkeit und Lautstärke von Glockengeläut (ebenfalls eine jahrhundertealte Tradition). Niemand darf z.B. stündlich minutenlang läuten und sich dabei auf die ungestörte Religionsausübung berufen, wenn er die TA Lärm nicht einhält.

Es gibt also sehr wohl bereits bestehende Schranken der freien Religionsausübung, die wegen Art. 2 (1) GG auch verfassungsgemäß sind.

Gleiche Maßstäbe an andere verletzte Rechtsgüter als die Nachtruhe anzulegen, z.B. an das Recht auf körperliche Unversehrtheit, ist nicht vermessen, sondern im Gegenteil geboten.

(Dazu noch folgendes Fundstück, betreffend die freie Religionsausübung: Israel will Muezzin-Rufe per Lautsprecher verbieten - auch Glockengeläut soll verboten werden - tagesschau.de)

In Deutschland ist Körperverletzung ein Antragsdelikt, wenn kein öffentliches Interesse besteht. Ich vermute, dass schon auf diesem Wege das Thema aus den Gerichten herausgehalten werden wird, weil die "Opfer" in den meisten Fällen keine Anzeige gegen ihre Eltern (die ja zumindest als Anstifter oder Beihelfer mit angeklagt werden müssten) stellen werden.

Zumindest wenn es nicht zu Komplikationen kommt, werden die Staatsanwälte vermutlich das öffentliche Interesse in der Regel verneinen (schon allein weil ihnen sonst ganz schnell irgendeine Boulevardzeitung ein "Judenverfolger"-Schild anbappen wird).

 

Egal wie die Regelung aussieht, das BVerfG wird sich damit beschäftigen - was nicht zuletzt daran liegen wird, dass das Gesetz vermutlich ein handwerklich schlecht gemachter Schnellschuss wird.

 

Das BVerfG ist aber nicht das Allheilmittel. Es ist längst nicht sicher, dass es, wenn es damit befasst wird, tatsächlich eine eindeutige Entscheidung trifft, sondern es kann sein, dass es einen Korridor für mögliche Gesetzgebungen zwischen Verbot und Erlaubnis für manche Eingriffe aufzeigt.

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@ #14 Hans Werth: das Geschwurbel hätten Sie sich sparen können ...

- Penis- und Zervixkarzinom haben ihre weltweit geringste Inzidenz in Finnland, wo nahezu kein Mann beschnitten ist. Alleine das lässt die Hypothese von der "schädlichen" Vorhaut in sich zusammenfallen, andere Faktoren sind offensichtlich entscheidend.

- selbst Phimosen lassen sich heute in einer Vielzahl der Fälle mit chirurgischer Weitung der Vorhaut kurieren, die Zirumzision ist nur ultima ratio - einfach mal weiter oben schauen, das finden Sie die Behandlungsleitlinien. Vielleicht auch mal ein Anlass, in Veröffentlichungen reinzuschauen, die nicht älter als 30 Jahre sind?

- bei einer Inzidenz von weniger als 1 pro 100.000 und einer Heilungschance von 70 bis 90% bei früh erkanntem Peniskarzinom wären Vorsorgeuntersuchungen weitaus effizienter und weniger invasiv als Massenzirumzision (deren Nutzen nicht erwiesen ist, s. Finnland). Angesichts der Tatsache, dass jedes Jahr mehrere Kinder in den USA an den Folgen von Beschneidung sterben und die Rate schwerwiegender Komplikationen ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist, ist eine prophylaktische Beschneidung insgesamt schädlicher (und teurer) für die "Volksgesundheit" als z.B. das Angebot von Krebsfrüherkennung und Sexualaufklärung in der Schule.

- und schließlich: mit Formulierungen wie "übergeordnete Prinzipien" und "Volksgesundheit" schwingen Sie sich zum Besserwisser für alle auf. Folgt man Ihrer Argumentation, müsste man allen kleinen Mädchen die Brustdrüsen amputieren, denn die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs ist über zehnmal so hoch wie ein Zervixkarzinom und über hundertfünfzig Mal so hoch wie für Peniskrebs. Hier gäbe es viel größeres Potential zur Vorbeugung im Sinne Ihrer "Volksgesundheit". Ach, das wäre grundrechtswidrig? Na sowas ...

Ratio zwischen Recht und Religion - Ein Plädoyer für eine sachliche und inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Kölner Urteil in der Süddeutschen Zeitung

Auszüge:

Dass es hier zu Konflikten kommen muss, liegt auf der Hand. Dies zeigt schon der lange und mühsame Weg, den unsere Gesellschaft zurücklegen musste, bis sich die jetzt vorherrschende Vorstellung von den individuellen Rechten des Menschen durchsetzen konnte. Natürlich haben auch viele Gläubige für mehr Menschlichkeit gekämpft und tun es immer noch. Aber es waren nicht zuletzt die religiösen Gruppen in Europa, namentlich die christlichen Kirchen, die lange Widerstand geleistet haben gegen die Vorstellung, jeder Mensch sei von Natur aus frei und selbständig. Daran erinnert noch heute die Position, die die katholische Kirche etwa zur sexuellen Selbstbestimmung und den Rechten von Homosexuellen einnimmt. (...)

Religionen befinden sich aber weder in einem rechtsfreien noch in einem rechtfertigungsfreien Raum. Sie können Gott als höchste Instanz betrachten. Sie können überzeugt davon sein, seine Worte und Gebote aus Heiligen Büchern und aus dem Mund ihrer Propheten genau zu kennen. Trotzdem - oder gerade deshalb - müssen sie in unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft Kritik aushalten und ihr Weltbild hinterfragen lassen wie jeder andere. (...)

Zu den großen Errungenschaften unserer Gesellschaft gehört die Freiheit der Religion, die leider noch viel zu häufig verteidigt werden muss. Zu den großen Errungenschaften gehört aber auch der Anspruch, dass jeder einzelne Mensch Respekt verdient, ungeachtet des Geschlechts, der Herkunft, der Religion, des Berufs. Das gilt für den Hartz-IV-Empfänger, den Asylbewerber, den Obdachlosen. Und das gilt uneingeschränkt auch für jedes Kind.

Deshalb bleibt selbst nach der möglichen Einführung eines neuen Gesetzes die Frage bestehen:  Darf dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit und Religionsfreiheit ausgehebelt werden durch eine religiöse Vorschrift aus dem vierten Jahrtausend vor unserer Zeit oder andere uralte Traditionen? Auch religiöse Menschen sollten bereit sein, darüber eine offene, ehrliche, faire und vor allem nachdenkliche Auseinandersetzung zu führen.

 

Sehr geehrter Herr Müller,

für Ihre schnelle Antwort besten Dank. Dennoch erlauben Sie mir bitte den Hinweis, ich habe keineswegs gegen gesetzliche Regelung, sonder gegen primär weltanschauliche Motive oder Begründungen argumentiert. Bereits anderweitig im Blog zutreffend wird generelle gesetzliche Regelung angestrebt. Und über Ihre Zeilen hinausgehend, darf ich sagen: Sachgerecht durchgeführt ist die Beschneidung beim Säugling, ich sags mal vorsichtig, „eher“ minimalinvasiv. Medizinwissenschaftlich fehlt es an belastbaren Gegenargumenten. Medizin-epidemiologisch besteht weltweit unstrittige Datenlage. Offen bleibt, ob bisher unbekannte ätiologische Faktoren zu beachten wären.

Verwunderlich, dass bislang geräuschlos Tonsillektomien (Gaumenmandeln entfernen) bei Kindern & Jugendlichen erfolgen; dass fragwürdige „Beseitigung“ per Laser von oberflächlichen Hautveränderungen erfolgen; dass manche Zahnbehandlungen sich nur scheinbar am Wohl des Kindes orientieren. Gaumenmandel-OPs nicht selten mehr prophylaktisch anstelle strenger Indikation, können - wie mir selbst als 11-jährigem widerfahren - postoperativ vital bedrohlich werden, also durchaus hochriskant sein, wenn z.B. differenzierte wiederholte Blutbildkontrolle oder notwendige Sedierungen zur Vermeidung psychischer Unruhe fehlen. Unkritisch „aufgenötigtes Brillentragen“, ja selbst korrektive Eingriffe, sind nicht immer ausschließlich zum Wohl des Kindes.

Ich verwies ausschließlich auf in wichtigen internationalen Organisationen anerkannte deutsch/engl. Literatur. Vergleichbar konsistente Fachliteratur und in der Lehrmedizin anerkannte Standpunkte fand ich weder bei Gegnern, schon gar nicht bei „Verstümmelungstheoretikern“ o.ä., die auf Tagungen etc. als Einzelpersonen solitär bleiben. Ich will nicht wissen, wie viel Erziehungs-Berechtigte fragwürdige alltägliche Gewalt gegenüber Kindern ausüben, aber in Klinik und Praxen „überpotent“ quasi als Beschützer agieren. Dazu gehören auch Negationen z.B. gegenüber der Frage, ob Eltern selbst konsequente Kariesprophylaxe betreiben, denn sie sind ja durchaus sinnvollerweise Vorkoster bei Kindern, von zuwendungsorientierten Küsschen ganz zu schweigen. Die orale Strukturbiologie der Eltern ist nur allzu oft gegen das Wohl der Kindes. Sie „erahnen“, dass dies nur Beispiele aus der Kette von Gesundheitsfragen sind. Dies alles zeigt, wir wissen einerseits ziemlich viel, aber wir wollen meistens nichts davon wissen, es sei denn, die Färbung erregt die Gemüter …

Im übrigen Anerkennung für diesen Blog.

Beste Grüße Hans Werth

Beckwert schrieb:
Sachgerecht durchgeführt ist die Beschneidung beim Säugling, ich sags mal vorsichtig, „eher“ minimalinvasiv.
Dann wundert es mich, dass es bisher nur veröffentlichte Videos einer Säuglingsbeschneidung gibt, bei denen der Neugeborene zu schreien beginnt. Falls Sie eines finden, bei dem eine Vollnarkose und Lokalanästhesie angewendet wird (wie in den Behandlungsleitlinien vorgeschrieben), können Sie den Link gerne posten.

Beckwert schrieb:
Medizinwissenschaftlich fehlt es an belastbaren Gegenargumenten.
Es wäre zu wünschen, wenn Sie sich Ihrerseits an Fakten halten und nicht weltanschaulich argumentieren. Es gibt genügend Beiträge zur Traumaforschung bei Säuglingen, die eine Beeinträchtigung nachweisen. Von Vor diesem Hintergrund kann die Bezeichnung "minimalinvasiv" nur als Fiktion bezeichnet werden.

Beckwert schrieb:
Verwunderlich, dass bislang geräuschlos Tonsillektomien (Gaumenmandeln entfernen) bei Kindern & Jugendlichen erfolgen ......  Gaumenmandel-OPs nicht selten mehr prophylaktisch anstelle strenger Indikation, können - wie mir selbst als 11-jährigem widerfahren
lassen Sie mich raten: das ist über 40 Jahre her. Mittlerweile wird schon lange nicht mehr rein prophylaktisch opereiert, sondern nur bei chronischer Entzündung (siehe z.B. http://www.aerzteblatt.de/archiv/62624: "Die Indikation sollte streng gestellt werden, da lebensbedrohliche Komplikationen jederzeit auftreten können.").

Ich kann Ihnen nur nochmals empfehlen: a) aktuelle Literatur zur Hand zu nehmen und b) bei Erwägungen zur Prophylaxe die Schwere des Eingriffs und die Nebenwirkungen der Vorbeugemaßnahmen zu berücksichtigen (nach Ihrer Logik müssten Sie ja angesichts der schlechten Zahnputzmoral für ein vorbeugendes Entfernen aller Zähne aus dem Mund sein) und c) nachlesen, wie die deutschen Fachgesellschaften wie die für Kinderchirurgie und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte die Zirkumzision und das Urteil bewerten:

http://www.dgkch.de/index.php/presse/189-pressemitteilung-juli-2012

http://www.kinderaerzte-im-netz.de/bvkj/aktuelles1/show.php3?id=4277&nod...

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/entschliessungsantrag-angenommen-bundestag-fuer-beschneidungen-11825800.html

 

Der Bundestag hat am Donnerstag in seiner Sondersitzung zu den Finanzhilfen einem Entschließungsantrag von CDU/CSU, SPD und FDP zur rechtlichen Regelung der Beschneidungen von minderjährigen Jungen mit großer Mehrheit zugestimmt. In dem Entschließungsantrag fordert der Bundestag die Bundesregierung auf, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der unter Berücksichtigung der Rechtsgüter Kindeswohl, körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit sowie des Rechts der Eltern auf Erziehung sicherstellt, dass medizinisch fachgerechte Beschneidungen von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig sind.

Enthaltungen und Gegenstimmen gab es in allen Fraktionen. Die Fraktion der Linkspartei stimme als einzige mehrheitlich gegen den Antrag; die Grünen-Fraktion mit knapper Mehrheit dafür.

 

Stimmt das ?

Das Fettgedruckte wundert mich sehr.

 

Zwar sind Entschließungsanträge des Bundestages grundsätzlich nicht rechtsverbindlich, dennoch wollten die einbringenden Fraktionen CDU/CSU, FDP und SPD ein politisches Signal an die jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften sowie an die Ärzteschaft aussenden, dass Beschneidungen bis zum Inkrafttreten eines entsprechenden Gesetzes straffrei bleiben.

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Ein Leser hat hier behauptet:

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/entschliessungsantrag-angenommen-bundestag-fuer-beschneidungen-11825800.html

 

Beschneidung ist Verfassungswidrig

Das Abschneiden der Vorhaut ist eine Körperverletzung, und § 223 StGB macht es grundsätzlich zur Pflicht eines jeden Staatsbürgers, seinem Mitmenschen keine Körperverletzung zuzufügen. Davon gibt es Ausnahmen (etwa für Fälle der Notwehr), aber die Religionsfreiheit begründet keine. Das stellt Art. 140 GG ausdrücklich klar. Denn zum „Bestandteil dieses Grundgesetzes“ macht er den Artikel 136 der deutschen Verfassung vom 11.8.1919, und dessen Absatz 1 bestimmt: „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“ Damit erübrigt sich die heute diskutierte "Abwägung" von Grundrechten; die Beschneidung ist verfassungswidrig.

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Die Resolution Drucksache 17/ 10331

Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger

Jungen

 

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/103/1710331.pdf

 

Was versteht man unter: "Was dem Wohle des Kinde dient" ?

 Wo liegen die Grenzen der staatlichen  Rechtsordnung ?

 

Bei Beschneidungen von Minderjährigen dürfen Eltern an Stelle ihrer Kinder diese Einwilligung erteilen, soweit diese demWohl des Kindes dient. Der Inhalt des Kindeswohls wird im Regelfall von den Eltern bestimmt, die dabei ihrerseits die Grenzen der staatlichen Rechtsordnung zu beachten haben.

 

4

Was mich wundert:

Auch die Grünen hatten im Vorfeld Bedenken gegen die geplante Resolution angemeldet. Der fraktionsübergreifende Antrag wurde deshalb am Donnerstagnachmittag nur von CDU/CSU, SPD und FDP eingebracht. Die Grünen würden die Erklärung - anders als geplant - nicht als Gesamtfraktion unterstützen, hieß es. Fraktionschefin Renate Künast begründete dies mit der fehlenden Zeit für ausgiebige Beratungen. "Wir finden, dass dieses Hauruckverfahren der Koalition nicht angemessen ist." (Quelle)

Gerade Frau Künast hatte doch relativ schnell (nach meinem Eindruck als erste Politikerin) genau die Position als "Grüne"  öffentlich vertreten, die nun in der Resolution steht. Jetzt zu behaupten, das Hauruckverfahren passe ihr nicht, klingt wie ein Zurückrudern.

 

Über Frau Künast habe ich vorhin auch gestaunt ... vermutlich haben sich die ersten fachkundig gemacht, was sie da regeln sollen und wie "einfach" die in der Resolution angesprochenen Rechte unter einen Hut zu bringen sind.

Nachdem die Totschlag-Argumente ("seit dem Holocaust", "Leben nicht möglich" u.ä.) abgefeuert sind und der Rauch sich allmählich verzieht, trauen sich auch Redaktionen wieder, ausgewogene und kritische Kommentare auszustrahlen:

Sonia Mikich in den Tagesthemen

"Kindeswohl - gewogen und für leicht befunden (...) wer hat eigentlich die Deutungsmacht bei Diskussionen um Religion? (...) Wie definiere ich Religionsfreiheit? Als Möglichkeit, sich für eine Glaubensrichtung zu entscheiden oder eben nicht, Rituale zu pflegen oder eben nicht (...) diese Entscheidungsfreiheit können kleine Jungen oder Säuglinge eben nicht wahrnehmen und auch nicht Eltern oder Stellvertreter in ihrem Namen (...) Glauben bewährt sich am mündigen Menschen, und dem wünsche ich gutes Abwägen eines Rituals aus grauer Geschichte."

Ein Gesetzgeber kann also jedes Gesetz entwerfen und verabschieden, wenn er dafür die Mehrheit hat.

Zum Glück können dann in unserem Staat noch die Gerichte zur Prüfung beauftragt werden.

 

Es könnte also sein, dass der Gesetzgeber ein Gesetz verabschiedet, dass die medizinisch nicht erforderliche Beschneidung von Jungen, trotz Körperverletzung und der Gefahr von schweren Komplikationen wie auch Tod erlaubt, weil der Gesetzgeber eine Beschneidung als Wohl des Kindes definiert, dass die Eltern einfach bestimmen dürfen.

Müßten der Gesetzgeber oder Gerichte nicht einmal Definieren was eigenlich Religonsfreiheit bedeutet. Für mich gehört dazu , dass Babys und Kinder, wenn Eltern einfach bestimmen, dass beschnitten werden muß, gar nicht die Wahl haben ihre Religion auszusuchen, weil sie die anderen Religionen nicht kennen oder die Beschneidung ablehnen können und Hilfe bekommen von Behörden gegen ihre Eltern vorgehen zu können wenn diese sie einfach haben beschneiden lassen.  

Es ist auch bislang noch nie jemand auf die Idee gekommen oder es war noch auf keinem juristischen Prüfstand,  dass Drohungen und Angstmachen von Eltern und anderer Erwachsener gegenüber Kindern mit der fiktiven Figur eines Teufels oder der fiktiven Hölle oder eines mit Datum definierten Weltunterganges oder einer fiktiven Endzeit oder nicht zu den wenigen Auserwählten gehören zu dürfen durch einen strafenden fiktiven Gott, dass solche Dinge nicht dem Wohl des Kindes dienen und Kinder psychisch krankmachen können.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4

Religionsfreiheit darf niemals über das Recht der körperlichen Unversehrtheit des anderen stehen. Aus diesem Grund darf es kein Gesetz geben das die verstümmelung von Jungen legalesiert. Und das eine Beschneidung nicht die sexualität des Kindes beeinflusst ist eine Lüge wie unter anderem auch eine neue Studie aus Dänemark gezeigt hat.

3

Zum "Zurückrudern" einiger Grünen-Politiker findet sich eine Erklärung am Anfang der Rede von Volker Beck (youtube-Link). Offenbar wurde die Eindeutigkeit und das Vorpreschen der beiden Spitzenpolitiker Beck und Künast in dieser Frage nicht von der Fraktion geteilt - wohl auch nicht von der Basis. Es besteht das Bedürfnis nach längerer Diskussion.

Der Philosoph Spaemann betont, dass das Recht der Eltern, über »Pflege und Erziehung der Kinder« zu bestimmen (Art. 6 Abs. 2 GG), vom »Wohl des Kindes« begrenzt wird (§ 1627 BGB). Das Kind ohne gesundheitliche Notwendigkeit körperlich zu verletzen ist natürlich gerade gegen sein Wohl gerichtet. Hier beruft sich nun mancher darauf, dass die Beschneidung für das Kind zum Ausgleich der körperlichen Schädigung die seelischen und sozialen Vorteile der religiösen Integration mit sich bringe. Aber diese Integration ist nicht anzuerkennen als Förderung des Kindeswohls und darum auch untauglich, den Beschneidungsakt zu rechtfertigen. Man sieht das schon daran, dass das Familiengericht niemals die Nichtintegration als »Gefährdung des Kindeswohls« bewerten und niemals die Taufe oder die Beschneidung des Kindes zur Pflicht machen würde. 

 

Weiter schreibt die Zeit:

Was die Religionsfreiheit betrifft, so stellt der Artikel 140 des Grundgesetzes klar, dass »Rechte und Pflichten ... durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt« werden. Das bedeutet: Die Ausübung unserer Religion erlaubt uns auch nicht den kleinsten Eingriff in fremde Rechte und entbindet uns von keiner Rechtspflicht. Darum begeht das Delikt der unterlassenen Hilfeleistung, wer fromm seinen Rosenkranz weiterbetet, obwohl ein Unglücksfall seine Hilfe erforderlich macht. 

 

 

http://www.zeit.de/2012/29/Beschneidungsdebatte 

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Richterbund verlangt Änderung des Strafrechts

 

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/streit-um-beschneidung-richterbund-verlangt-aenderung-des-strafrechts-a-845433.html 

 

Deutschlands Richter schalten sich in die Debatte um die Beschneidung von Jungen ein. Sie fordern eine "konkrete Ausnahmeregelung" im Strafrecht - und rasche Rechtssicherheit für die Betroffenen. Scharfe Kritik an der Position des Bundestags kommt vom Bund der Kriminalbeamten. 

 

In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte der DRB-Vorsitzende Christoph Frank: "Vordringlich ist eine strafrechtliche Neuregelung, damit Wertungswidersprüche ausgeräumt werden und Rechtssicherheit bei Betroffenen, Strafverfolgungsbehörden und Gerichten hergestellt wird." 

Man müsse jetzt prüfen, unter welchen Bedingungen im Strafrecht eine "konkrete Ausnahmeregelung" für die Beschneidung von Jungen, insbesondere aus religiösen Gründen, geschaffen werden könne. Die Verabschiedung einer gesetzlichen Neuregelung sollte auch bei sorgfältiger Abwägung des Schutzes der widerstreitenden Rechtsgüter im Herbst möglich sein, betonte er. 

 

Der Bund der Kriminalbeamten (BDK) kritisierte die Resolution dagegen scharf. "Unsere Verfassung kann nicht durch ein einfaches Gesetz beschränkt werden, so wie es der Bundestag gerade panisch versucht", sagte BDK-Chef André Schulz der Zeitung. Die Freiheit der Religionsausübung der Eltern werde durch das "viel schwerer wiegende Recht des Kindes auf körperliche Selbstbestimmung" begrenzt. 

 



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Süß, ich werde mal bei einer nächsten Polizeikontrolle oder dann anschließend vor Gericht auf all meinen von der Verfassung festgeschriebenen Grundrechten bestehen. Ein Gesetz (StGB, StPO, PolG, ...) kann sie ja nicht beschränken:

"Der Bund der Kriminalbeamten (BDK) kritisierte die Resolution dagegen scharf. "Unsere Verfassung kann nicht durch ein einfaches Gesetz beschränkt werden, so wie es der Bundestag gerade panisch versucht", sagte BDK-Chef André Schulz der Zeitung"

MannMannMann, die Leute sollten doch vom Fach sein :-(

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Kurze Stellungnahme zu den oben zitierten Äußerungen:

In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte der DRB-Vorsitzende Christoph Frank: "Vordringlich ist eine strafrechtliche Neuregelung, damit Wertungswidersprüche ausgeräumt werden und Rechtssicherheit bei Betroffenen, Strafverfolgungsbehörden und Gerichten hergestellt wird."

Wenn Herr Frank tatsächlich  meint,  eine spezifisch strafrechtliche Regelung sei erforderlich, ist das so nicht zutreffend. Ein Erlaubnistatbestand muss nicht im Strafrecht geregelt sein. Im Gegenteil gibt es sehr viele Rechtfertigungsgründe, die aus anderen Gesetzen in das Strafrecht hineinwirken, z.B. das Polizeirecht. Systematisch wäre es bei bereichsspezifischen Rechtfertigungen (und hier soll es ja um einen sehr engen Bereich gehen) sogar merkwürdig, wenn diese direkt  im StGB geregelt würden. Anders wäre es freilich, wenn nur eine Ausnahme im Bereich der Schuld bzw. bloße Straffreiheit geregelt werden sollte. Dies würde ich zwar begrüßen, aber danach sieht es im Moment nicht aus. Aber wer weiß, wie sich die Diskussion bis zum Herbst noch entwickelt.

"Unsere Verfassung kann nicht durch ein einfaches Gesetz beschränkt werden, so wie es der Bundestag gerade panisch versucht", sagte BDK-Chef André Schulz der Zeitung"

Wie Herr/Frau Fischi schon schreibt: In unserer Rechtsordnung ist es selbstverständlich möglich, dass Grundrechte durch Gesetze beschränkt werden bzw. dass Gesetze näher ausführen, wie verschiedene Grundrechte in bestimmten Situationen sich zueinander verhalten. Es wäre aber auch die Rückfrage an den Kriminalbeamten erlaubt, wie es denn möglich ist, dass (nach seiner Ansicht) jährlich tausendfach Körper- und Grundrechtsverletzungen an den Augen der Polizei vorbei begangen werden konnten, ohne dass die Polizei Anlass sah einzugreifen. 

http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/72365/2292342/bdk-bundestagspetition-mit-forderung-nach-moratorium-und-einrichtung-eines-runden-tisches-als 

 

 Die Deutsche Kinderhilfe, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, MOGIS e.V. (Verband Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs), der Bund Deutscher Kriminalbeamter, Prof. Dr. Matthias Franz und zahlreiche Einzelpersonen werden heute als Reaktion auf die gestrige Resolution des Deutschen Bundestages zur Beschneidung von Kindern eine Petition mit dem Ziel einreichen, eine Versachlichung der Debatte um die Beschneidung zu erreichen und die Politik dazu zu bewegen, eine Abwägung der Kindesinteressen überhaupt zuzulassen.

Die Petenten fordern die Bundestagsparteien auf, den gestern eingeschlagenen Weg, der keinen fachlichen und gesellschaftlichen Diskurs zulässt, wieder zu verlassen.  

 

Am Ende die Petition.

4

Folgendes habe ich jetzt auch als Update in den Beitrag eingefügt:

Wortlaut der Resolution des Bundestages vom 19.07.2012:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
im Herbst 2012 unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten
Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der
Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf
vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung
von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist.

Auszug aus der Begründung:

"Die rechtliche Einordnung der Beschneidung muss so schnell und so gründlich
wie möglich geklärt werden. Der Deutsche Bundestag hält eine gesetzliche
Klarstellung für geboten, die insbesondere unseren jüdischen und muslimischen
Mitbürgerinnen und Mitbürgern ermöglicht, ihren Glauben frei auszuüben. Eine
Präjudizwirkung für andere körperliche Eingriffe aus religiösen Gründen darf
sich hieraus nicht ergeben.

Zudem hält der Deutsche Bundestag die Beschneidung männlicher Kinder, die
weltweit sozial akzeptiert wird, für nicht vergleichbar mit nachhaltig
schädlichen und sittenwidrigen Eingriffen in die körperliche Integrität von
Kindern und Jugendlichen wie etwa die weibliche Genitalverstümmlung, die
der Deutsche Bundestag verurteilt."

 

Wortlaut der Petition der Deutschen Kinderhilfe, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, MOGIS e.V. (Verband Betroffener sexuellen Kindesmissbrauchs), des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, Prof. Dr. Matthias Franz und zahlreicher Einzelpersonen vom 20.07.2012:

"Der Deutsche Bundestag möge beschließen, zunächst für zwei Jahre keine gesetzlichen Schritte zur Legitimation der Beschneidung von Jungen in Deutschland zu ergreifen.

Weiterhin möge der Deutsche Bundestag die Einsetzung eines Runden Tisches von Religionsvertretern, muslimischen und jüdischen Befürwortern und Gegnern der Beschneidung, Psychologen, Psychoanalytiker, Kinderärzten, Kinderchirurgen, Kinderschützern und Vertretern der Jugendhilfe sowie weiterer Experten beschließen, um das Thema Beschneidung in Deutschland wissenschaftlich fundiert zu diskutieren und eine Strategie zu erarbeiten, welche alle Interessen, vor allem aber die Belange des Kindeswohls, berücksichtigt."

Auszug aus der Begründung:

(...)

Doch gelten beide Rechte trotz ihres Verfassungsranges nicht vorbehaltlos und müssen sich der Abwägung mit anderen Grundrechten stellen. Hier gilt es die bisher im Diskurs vollständig vernachlässigten Belange der Kinder, rechtlich normiert in Art. 2 GG, Art. 6 II 2 GG und Art. 19 I und Art. 24 III der UN- Kinderrechtskonvention, zu berücksichtigen.

(...)

Die Petenten sehen die Gefahr, dass sachfremde Erwägungen immer stärker in die Argumentation einfließen und es der Politik unmöglich machen, eine Güterabwägung im Interesse des Kindeswohls auch nur ansatzweise zuzulassen. Vorsicht geboten ist ebenso bei der Vereinheitlichung des muslimischen und jüdischen Glaubens, gibt doch auch hier ein breitgefächertes Meinungsbild zum Thema kindliche Beschneidung.

Als notwendig und lohnenswert für alle Interessengruppen empfinden die Petenten daher einen sachlichen, verantwortungsvollen und umfassenden Dialog aller Akteure als Alternative zu einem übereilten politischen Aktionismus. Eine breite Debatte ist in Anbetracht der Bedeutung der betroffenen fundamentalen Rechte und Güter unabdingbar und muss von der Politik zugelassen werden.

 

 

Ob ein runder Tisch Lösungen erarbeiten kann, bezweifel ich, wenn sture Religionsvertreter keinen Millimeter von ihren Forderungen abrücken.

 

Gut ist es, wenn in ganz Europa das Thema überall auf den Tisch kommt, denn eine Nation, die einen Krieg anfing und Millionen Juden vernichtet hat, nicht mehr als Antisemitisch bezeichnet werden kann. 

 

Wenn man allerdings die Arbeit der runden Tische bezüglich sexueller Gewalt und ehemaliger Heimkinder betrachtet, sind viele Probleme nicht gelöst und die Ergebnisse für viele nicht befriedigend und wegen Verjährung nicht mehr aufarbeitbar.

 

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Enttäuscht von den Behörden schrieb:
Ob ein runder Tisch Lösungen erarbeiten kann, bezweifel ich, wenn sture Religionsvertreter keinen Millimeter von ihren Forderungen abrücken.
Es besteht aber die Chance, dass sich solche Vertreter selbst entlarven als das, was sie sind: religiöse Extremisten.

Auch in einem normalen Gesetzgebungsverfahren werden Experten gehört bzw. Fachgesellschaften um Stellungnahme gebeten - interessant wäre zu erfahren, wer diese auswählt. Denn wer die "Experten" bestimmt, der bestimmt auch das Ergebnis ...

Das derzeitige Hauptproblem ist m.E., dass die am lautesten verkündeten Extrempositionen zur Zeit die Debatte bestimmen und die Politiker sich davon beeindrucken lassen, während 55% der Deutschen nicht glauben, dass ein Beschneidungsverbot dem Ansehen Deutschlands in der Welt schadet.

Die schweigende Mehrheit  und die aus Medizin und Religion stammenden Gegener der Beschneidung sollten sich schleunigst schlagkräftig organisieren und Medienmacht verschaffen, um nicht gegen die substanzlosen Totschlagargumente, die sich aber gut als Schlagzeile machen, unterzugehen.

Denn daher weht der Wind: Mithilfe von Spendengeldern aus Europa, den USA und Israel soll ein Fonds Lobbyisten und Anwälte finanzieren, um gegen das Kölner Beschneidungsurteil vorzugehen (FTD vom 12. Juli). (Originalmeldung auf Behadrey Haredim). Und gegen 10 Millionen Euro muss man erst mal ankommen - da reicht nicht alleine das "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" ...

 

Ich habe igendwie befürchtet, dass unser Parlament alles in die Wege leitet, um nur nicht von der "bösen Nazikeule" erwischt zu werden. Vielleicht aber auch handelt es sich dabei nicht um einen Akt vom Volke destilierter Verantwortung, sondern nur um den billigen politischen Versuch die Aufgabe einer echten sachlichen Abwägung an das Bundesverfassungsgericht abzuschieben, um am Ende sagen zu können "Wir waren das aber nicht". Das was das Deutsche Reich einst getan hat, ist in dieser Sache genauso belanglos wie die menschenrechtlichen Verfehlungen die Israel aktuell begeht. Es geht darum eine Lösung für die Bundesrepublik Deutschland zu finden, die die Rechte der Eltern mit den Rechten der Kinder vergleicht und die Grenze genau dort festlegt, wo am meisten Rechte bestehen und am wenigsten verloren gehen (praktische Konkordanz der Grundrechte).

 

Insbesondere der Schaden muss dabei im Auge behalten werden. Und der Schaden den die Eltern nehmen, wenn sie auf dieses barbarische Ritual verzichten lässt sich durch Toleranz ihrer Glaubensschwestern und -brüder ansatzlos wett machen. Am Ende würde also die Frage stehen: "Darf man vom Islam und dem Judentum Toleranz erwarten?"

 

Ich meine jedenfalls ja, das darf man.

 

Um beim Thema zu bleiben, ich halte die Reaktion des Parlamentes für vorschnell, unreflektiert und daher falsch. Meines erachtens sollte entweder in den §1631 BGB oder §223 aufgenommen werden, dass die Zirkumzission an Kindern und Jugendliche aus anderen als medizinischen Gründen auch strafbar ist.

 

lg

Herr Beck macht es sich sehr bequem und nimmt die Bälle auf, die ihm der Interviewer der "Zeit" (oder besser: Stichwortgeber) zuspielt.

Zuerst werden die Extremisten ausführlich erwähnt und dann, dass es noch andere gibt - aber auf deren Argumente wird nicht eingegangen. Grundrechte der Kinder? Spielen keine Rolle. Dass "möglichst ohne Schmerzen" so wachsweich formuliert ist, dass es auch die orthodoxe Brit Mila ohne Betäubung erlaubt? Egal.

So macht man es sich zu einfach!

Hier geht es nicht um atheistischen Fundamentalismus, sondern um Grundrechtsfundamentalismus, und auf den kann, ja muss man stolz sein! Wenn Grundrechte kein Fundament mehr dieses Staates sind, sondern religiöse oder andere Traditionen Vorrang haben, dann ist das der erste Schritt in die Barbarei.

Mein Name schrieb:

Herr Beck macht es sich sehr bequem und nimmt die Bälle auf, die ihm der Interviewer der "Zeit" (oder besser: Stichwortgeber) zuspielt.

Der Ehemann der Interviewerin meint Islamophobie ...

[http://blog.zeit.de/joerglau/2012/07/17/islamophobie-und-antisemitismus-... . Herr Beck konnte es sich aussuchen ...

Welche Zeitschrift informiert und manipuliert nicht ? Erschreckend was sich aktuell abspielt.

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Dabei könnte jeder Bürger dieses Staates gegen ein Gesetz oder Verordnung vor dem Verwaltungsgericht Klage einreichen,auch wen er nicht Betroffener ist,im Bezug auf die Verletzung des Artikel 2 Abs.2 des GG.

 

Da haben einige Politiker und Rechtsexperten wohl geschlafen!

Die Klage wird eingereicht mit der Begründung der Verletzung der UN Kinderkonvention.

Angeführt die Artikel 19 Abs.1+2 und Artikel 24 Abs.3

Nach Artikel 25 des GG.

Völkerrechtsverträge stehen über die Gesetzgebung.

Nach Artikel 100 Abs.2 muß das Verwaltungsgericht diese Frage ,der Verletzung der UN Kinderkonvention sofort dem BVerfG zur Klärung einreichen.

 

Damit tritt das ein,was eigentlich von den Politikern verhindert werden soll,das BVErfG muß sich der Angelegenheit annehmen,ob Deutschland gegen die UN Kinderkonvention verstößt!!!

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Sehr geehrter Herr Richter,

Sie schreiben:

 

Dabei könnte jeder Bürger dieses Staates gegen ein Gesetz oder Verordnung vor dem Verwaltungsgericht Klage einreichen,auch wen er nicht Betroffener ist,im Bezug auf die Verletzung des Artikel 2 Abs.2 des GG.

Das ist nicht richtig. Eine Klagebefugnis haben regelmäßig nur die unmittelbar  Betroffenen, nicht "jeder Bürger dieses Staates".

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Herr Richter,

Sie schreiben:

 

Dabei könnte jeder Bürger dieses Staates gegen ein Gesetz oder Verordnung vor dem Verwaltungsgericht Klage einreichen,auch wen er nicht Betroffener ist,im Bezug auf die Verletzung des Artikel 2 Abs.2 des GG.

Das ist nicht richtig. Eine Klagebefugnis haben regelmäßig nur die unmittelbar  Betroffenen, nicht "jeder Bürger dieses Staates".

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Ernsr Müller !

Wie Sie sehen,sind das einige Artikel aus dem GG..

 

Artikel 17

Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.

 

Artikel 25

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

 

Artikel 100

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

 

Bei einem Gesetz oder Verordnung,gegen die UN Kinderkonvention,mit den Artikeln 19 oder 24

steht mir kein Recht zu dagegen vorzugehen,weil die Gerichtsordnung des Verwaltungsgericht mir das als Nichtbeteiligter verbietet?

 

Darf ich meine Bedenken dem UN Gerichtshof vortragen?

Da ja der Artikel 25 GG.von der Gesetzgebung in Deutschland ausgehebelt wird?

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Ist dies aber nicht gerade in derartigen Fällen problematisch, dass hierbei nur die Betroffenen klagen können insofern diese durch Ihre Eltern vertreten werden und gerade im Judentum vor dem 8. Tag keine Möglichkeit haben einen derartigen Grundrechtsverstoß zu verhindern? Das Kind hätte also erst ex post die Möglichkeit einen bereits begangenen Grundrechtsverstoß zu rügen.

Ebenso sehe ich es problematisch das die Einwilligung der Eltern in einen derartigen operativen Eingriff nicht auf die freie Willensbildung der Eltern abzustellen ist und aus diesem Grunde auch nicht durch das Grundrecht auf Erziehung gedeckt ist. Die Entscheidung ob der Knabe beschnitten wird ist eher ein Resultat der Religion welches durch Zwang den Eltern auferlegt wird. Somit greift hier die Religion in die Erziehung der Eltern ein und die Eltern entscheiden sich aus Zwang für einen derartigen Eingriff. Anzumerken hierbei ist das dieser Zwang (also die Entscheidung) in keinem zeitlichen Zusammenhang zum Eingriff steht, denn die Religionsgemeinschaften haben diesen Zwang vor vielen tauschend Jahren entwickelt, der Eingriff erfolgt aber in der Gegenwart. Dabei konnte es aus Seiten der Religionsgemeinschaften keine Rücksicht auf Menschenrechte bzw. das Grundgesetz geben das es noch nicht existiert hat. Auf der anderen Seite nimmt das GG aber Rücksicht auf Religionen da diese bereits existierten.

Ich finde es für unsere fortschrittliche Gesellschaft beschämend das wir uns darüber streiten einen religiös motivierten Eingriff an Kleinkindern vorzunehmen. Diese Kinder haben keine Möglichkeit vor dem Eingriff rechtlich dagegen vorzugehen da ihre Vertreter (Eltern) in diesem Falle ihre Gegner sind. Aber man sieht wieder einmal das die Trennung von Staat und Kirche in unserem System nicht funktioniert. Sollte ein Gesetz verabschiedet werden welches es bestimmten Religionsgemeinschaften erlaubt die Kinder zu beschneiden so ist dies denjenigen verwehrt die nicht gläubig sind und somit ein Verstoß gegen die negative Religionsausübung. Ich finde ein derartiges Gesetz welches Religionen privilegiert ist unakzeptabel.

Durch Religionen wurde in den tausenden von Jahren so viel Unrecht getan, dass zumindest jetzt die Zeit ist das unsere Verfassung über allem steht. Wenn nicht dann sehe ich schwarze Zeiten auf uns zu kommen.

Ebenso verstehe ich nicht was die Beschneidung mit der Religionsausübung der Eltern zu tun hat. Es ist ein Zeichen des Kindes und die Eltern können auch ohne diesen Eingriff ihre Religion ausüben. Es sollte jedoch legitim sein das gewisse Teile einer Religion verfassungswidrig sein dürfen sofern in das Hoheitsgebiet (Körper) "unbeteiligter" eingreift.

Viele Grüße
Sepp

Der Vorschlag des online-Satire-Magazins Der Postillon:
http://www.der-postillon.com/2012/07/ratgeber-alles-was-sie-uber-die.html.

Leider treffen die Autoren ein paar wunde Punkte der Diskussion.

"
§ 223 StGB bisher:

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Zusatz, um weiterhin die Straffreiheit nach einer Beschneidung zu garantieren (Absatz (3) und (4) mit freundlicher Genehmigung von überschaubare Relevanz):

(3) Hat der Täter ein Körperteil des Opfers abgetrennt, bleibt die Tat straffrei, vorausgesetzt, es handelt sich dabei um die Vorhaut des Opfers, vorausgesetzt, diese wurde auf Bitten des Vormundes des Opfers abgetrennt, vorausgesetzt, das Opfer verfügt über einen Penis, vorausgesetzt, das Opfer ist ein Kind, vorausgesetzt, dass der Vormund seine innere Überzeugung versichert, die Tat sei nach den Anforderungen seines unsichtbaren Freundes zwingend geboten oder nach den Mitgliedschaftsvoraussetzungen eines Vereins, in den dieses Kind nach dem Willen des Vormundes aufgenommen werden soll, unverzichtbar, vorausgesetzt, dieser Verein dient der Verehrung von Entitäten, die nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht existieren können.

(3a) Die Tat bleibt ebenfalls in allen Fällen straffrei, in denen die Bundesregierung feststellt, dass eine Bestrafung der Tat das Risiko in sich trägt, einen Image-Schaden für Deutschland nach sich zu ziehen oder uns zur Komiker-Nation zu machen.

(3b) Die Tat darf nicht durchgeführt werden, wenn der betroffene männliche Säugling eindeutig und ausdrücklich dagegen widerspricht.

"

 

Vielleicht trägt dies wenigstens zur Erheiterung der Diskutanten bei.

 

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Sehr geehrter Herr Richter,

zwischen materiellem Recht und Prozessrecht ist zu unterscheiden. Auch wenn jemand (bzw.eine Behörde) rechtswidrig handelt, bedeutet das nicht, das jeder andere dagegen vor Gericht ziehen kann. Nur wer selbst in seinen Rechten betroffen ist bzw. sein könnte, hat ein Rechtsschutzbedürfnis bzw. eien Klagebefugnis.  Ich weiß, dass es etwas kompliziert ist, das ist ja auch der Grund dafür, dass die Studenten so viele Semester Jura studieren müssen ;-).

Art. 17 GG begründet das Petitionsrecht. D.h. Sie können sich mit Ihrem Anliegen an Behörden und Volksvertretungen wenden. Art. 17 GG begründet aber keinen Rechtsweg und keine Klagebefugnis.

Art. 25 GG bindet alle, die mit dem Völkerrecht zu tun haben. Aber Art. 25 GG begründet keinen Rechtsweg und keine Klagebefugnis für diejenigen, die meinen, ein anderer würde sich nicht ans Völkerrecht halten.

Art. 100 GG besagt, dass ein Gericht, das mit der Frage der Anwendbarkeit vo Völkerrecht befasst ist, dies dem BVerfG vorlegen muss. Voraussetzung ist aber, dass übehaupt ein Rechtsstreit gegeben ist. Art. 100 GG besagt nicht, dass irgendein Bürger eine Sache vor das BVerfG oder einen Internatioanlen Gerichtshof bringen kann, auch wenn er selbst nicht betroffen ist.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

 

 

 

 

Lieber Herr Professor Müller,

Sie hatten geschrieben, dass (ich zitiere sinngemäß und hoffentlich zutreffend, da ich den Kommentar nicht mehr finde), die Anweisung des Jüdischen Krankenhauses Berlin an seine Ärzte, vorerst keine religiös motivierten Beschneidungen mehr durchzuführen, die moralische Position der jüdischen Gemeinschaft dahingehend schwäche, dass eine zwingende religiöse Vorschrift möglicherweise doch nicht so zwingend sein könne, wenn sie so einfach aufgeben werde, bzw. dass ein Eintreten für seine Religion evtl. auch beinhalten sollte, in einer unklaren Rechtslage eine Anzeige und eine nachfolgende Anklage zu riskieren.

Hierzu möchte ich folgendes zu bedenken geben. Erstens sich am Jüdischen Krankenhaus nicht nur jüdische Ärzte beschäftigt, sondern auch konfessionslose bzw. Angehörige anderer Religionen. Es ist diesen Ärzten nicht unterschiedslos abzuverlangen, das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung einzugehen, dies gebietet schon die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Allerdings stimme ich Ihnen insofern zu, dass das Eintreten für den eigenen Glauben auch Risiken beinhalten kann. Es ist ja nicht so, dass dies der erste Versuch wäre, die jüdische Knabenbeschneidung für unrecht zu erklären bzw. von Staats wegen zu verbieten. Schon der Seleuzidenkönig Antiochus IV. versuchte das. Unter anderem daraus erwuchs der Makkabäeraufstand, an den heute das Chanukka-Fest erinnert. Später versuchte der römische Kaiser Hadrian dasselbe. Auch in der Sowjetunion war die religiöse Beschneidung zeitweise verboten. In allen diesen Fällen haben Juden sich diesen Versuchen teilweise unter Einsatz (und Aufgabe) ihres Lebens widersetzt.

Mit dieser geschichtlichen Verfolgung ist die Situation infolge des Kölner Urteils zwar der Schwere nach nicht zu vergleichen. Für einen Mohel, also einen Beschneider, wie Rabbi David Goldberg http://www.boston.com/news/world/europe/2012/07/22/german-circumcision-debate-them-fears/JUhnOQnN8vuxP4x40d8h8M/story.html käme es so oder so nicht in Frage, etwas zu ändern. Ich denke, mit diesem Gegenbeispiel ist Ihr Einwand wenn nicht entkräftet, so doch in Frage gestellt.

Mit freundlichen Grüßen

E. Seidel

 

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Sehr geehrter Herr Seidel,

vielen Dank für Ihren Diskussionsbeitrag. In der Tat fand ich es "merkwürdig", wenn einerseits behauptet wird, es handele sich um ein Gebot Gottes, das unbedingt einzuhalten sei (ansonsten sei kein jüdisches Leben in Deutschland mehr möglich), andererseits die Praxis sofort aufgegeben wird nach diesem Kölner Urteil, das 1. den Arzt freigesprochen hat, 2. keine Verbindlichkeit für die Berliner Staatsanwaltschaft hat, 3. diejenigen, die die Beschneidung trotzdem wünschen, möglicherweise in die Hände von nicht medizinischen Institutionen treibt.

Ich wollte aber keineswegs den Ärzten "abverlangen", dass sie das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung eingehen. Es handelte sich in diesem Punkt weniger um einen rechtlichen Einwand, als um einen Einwand gegen die verbal m. E. teilweise überzogene Reaktion auf das Urteil, das meines Erachtens juristisch gut vertretbar ist.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Mir ist ziemlich unbegreiflich, wie das Recht der Eltern dem Kind eine Religion aufzuzwingen auch noch das Recht umfassen soll das Kind zu verstümmeln.

 

Meine Frage in dem Zusammenhang ist, inwiefern Söhne ihre Eltern wegen Anstiftung oder Beihilfe, evtl. gemeinsam begangener gefährlicher Körperverletzung später belangen können. Wann beginnt die Verjährung zu laufen?

 

Eine andere Überlegung: In unserer modernen Gesellschaft geben ja viele Kinder den Glauben der Eltern auf. In einer Gesellschaft, in der 99% der Kinder der Kirche ihrer Eltern treu bleiben kann man wohl argumentieren, dass die Eltern nur vorwegnehmen, was der Nachwuchs später nicht nur selbst tun würde, sondern worüber er dankbar sein wird, wenn es bereits getan ist. Für mich ist dennoch fraglich, inwiefern der eine, der sich anders als die Mehrheit der 99 verhalten wird, nicht den prophylaktischen Schutz erwarten können sollte. Was, wenn 50% der Kinder später der Religion - zumindest in ihrer orthodoxen Strenge - den Rücken kehren wird? Was bei 10%? Wo liegt die Grenze?

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Stefan W. schrieb:
Eine andere Überlegung: In unserer modernen Gesellschaft geben ja viele Kinder den Glauben der Eltern auf. In einer Gesellschaft, in der 99% der Kinder der Kirche ihrer Eltern treu bleiben kann man wohl argumentieren, dass die Eltern nur vorwegnehmen, was der Nachwuchs später nicht nur selbst tun würde, sondern worüber er dankbar sein wird, wenn es bereits getan ist. Für mich ist dennoch fraglich, inwiefern der eine, der sich anders als die Mehrheit der 99 verhalten wird, nicht den prophylaktischen Schutz erwarten können sollte. Was, wenn 50% der Kinder später der Religion - zumindest in ihrer orthodoxen Strenge - den Rücken kehren wird? Was bei 10%? Wo liegt die Grenze?
Diese Erwägungen sind mMn nicht maßgeblich. Es gibt ausdrücklich kein Recht für Kinder auf negative Religionsfreiheit in der familiären Erziehung (die Schule ist etwas anderes, siehe Kruzifix-Urteil), bis zum 14. bzw. 12. Lebensjahr können die Eltern darüber bestimmen, in welchem Glauben das Kind erzogen wird (§1, §5 und §§6 KerzG). Auch wenn man als aufgeklärter, denkender Mensch im säkularen Europa darüber den Kopf schütteln mag: der Gesetzgeber erachtet es förderlich für das Wohl des Kindes, wenn es die gleiche Glaubens"heimat" hat wie die der Eltern, ganz gleich wie extremistisch oder abwegig der Glaube sein mag.

Die - momentan noch hinter dem Pulverdampf der Totschlagargumente kaum sichtbaren - zentralen (juristischen) Fragen sind meines Erachtens:

1. ist es für die Abwägung bezüglich des Kindeswohls überhaupt relevant, wie "zentral" und "wichtig" die Beschneidung als religiöse Zeremonie ist bzw. behauptet wird? Beantwortet man diese Frage mit Ja, entspräche dies einer "Inhaltskontrolle" des Glaubens bzw. der ausgeübten Religion. Ob dies überhaupt im Rahmen der verfassungsmäßig garantierten Glaubensfreiheit zulässig ist,  ist aber sehr fraglich.

1. a) Ja, der Staat/Gesetzgeber/das BVerfG soll berücksichtigen, ob das Ritual eine zentrale Bedeutung hat. Zulässigkeit fraglich (s.o.), erwägt werden muss dann, ob die behauptete Bedeutung für das Kind maßgeblich ist (eher fraglich: die Beschneidung ist nicht konstituierend für die Religionszugehörigkeit, eine Nichtbeschneidung behindert in keinster Weise die weitere religiöse Erziehung - alleine in Israel werden jährlich weit über 1000 jüdische Säuglinge nicht beschnitten*) ) oder für die Eltern (ziemlich sicher). Wenn vor allem für die Eltern maßgeblich, dann ist vor allem angesichts der späteren Religionsmündigkeit des Kindes zu berücksichtigen, wie schwer der Ritus in ein sonstiges Grundrecht des Kindes eingreift und ob der Eingriff reversibel ist. Das ist bei der Zirkumzision nicht der Fall.

1. b) Nein, der Staat/Gesetzgeber/das BVerfG muss bei allen traditionellen und religiösen Riten unabhängig von der religions- bzw. weltanschauungsinternen Wichtigkeit dafür sorgen, dass kollidierende Grundrechte des Kindes geschützt werden und die Religionsausübung so stattfindet, dass das Kindeswohl insgesamt gewahrt bleibt.

2. Einordnung zu anderen Amputationen im Genitalbereich wie die weibliche Genitalverstümmelung (FGM). Hier kam von den Beschneidungsbefürwortern das Argument, die FGM verletze - anders als die Zirkumzision - zusätzlich die Menschenwürde der Mädchen (u.a. weil es um die "Kontrolle der weiblichen Sexualität" gehe). Dies kann leicht entkräftet werden: a) gibt es Formen der FGM, die das sexuelle Empfinden der Frau kaum beeinträchtigen, da sie weniger erogenes Gewebe entfernen als bei der Zirkumzision, b) wird die FGM von Frauen aus dem entsprechenden Kulturkreis nicht unbedingt als Diskriminierung oder sexuelle Verstümmelung empfunden und Männer fordern auch nicht die Beschneidung der Mädchen bzw. Frauen und c) kann das Vorgehen bei der Brit Mila (Festbinden auf ein Brett, gewaltsames Wegziehen der kurz nach der Geburt naturgemäß noch mit der Eichel zu derem Schutz (!) verklebten Vorhaut und das Abschneiden ohne Betäubung) nach den heutigen Maßstäben nicht als menschenwürdig bezeichnet werden. Zudem gibt es zahlreiche erwachsene beschnittene Männer, die die Entmündigung über die Entscheidung der Zirkumzision durch ihre Eltern als massive Verletzung ihrer Menschenwürde betrachten. Des Weiteren fällt auf, wie frappierend die Versprechungen an die Kinder bei muslimischen Beschneidungen denen ähneln, die Mädchen vor ihrer Genitalverstümmelung gemacht werden: "heute ist dein großer Tag"/"heut wirst du zum Mann / zur Frau" sowie das Beschenken zu diesem Anlass (und welches Kind sagt schon nein zu etwas, was es nicht wissen oder beurteilen kann, wenn aber dafür von den Eltern Geschenke versprochen werden?).

3. unnötige Kriminalisierung vs. Freibrief der Straflosigkeit. Das Strafrecht soll immer nur ultima ratio zur Wahrung der Grundrechte sein, allerdings darf der Gesetzgeber einen Tatbestand nicht gegen das Rechtsempfinden der Bevölkerung generell straffrei stellen (so das BVferG zur Abtreibung bzw. Verfassungswidrigkeit der reinen Fristenlösung). Beispiel Schweden: dort wurde 2001 die nicht medizinisch notwendige Beschneidung in den ersten zwei Monaten straffrei gestellt, wenn sie durch einen Arzt oder einen durch das Gesundheitsamt anerkannten Praktiker und unter Betäubung erfolgt. Ziel des Gesetzes war es, nach mehreren Todesfällen die Sicherheit der Zirumzisionspraxis zu erhöhen. Obwohl die meisten Mohels zertifiziert wurden (die allerdings nur ca. 50 Beschneidungen pro Jahr durchführen), fanden 4-5 Jahre später von 3000 Zirkumzisionen 2000 außerhalb der gesetzlich zugelassenen Umstände statt (auch, weil viele Krankenhäuser den Eingriff nicht vornahmen). So kam das schwedische Gesundheitsamt zu dem Ergebnis, dass das Gesetz seinem Zweck nicht gerecht würde, es aber dennoch in Kraft bleiben solle.

Man kann jedoch begründet annehmen, dass es in Deutschland genügend Ärzte gibt, die religiöse Beschneidungen vornehmen können und die Dunkelziffer der nicht fachmännischen Beschneidungen gering wäre. Unklar ist jedoch, ob und wie die traditionelle jüdische Brit Mila den Anforderungen einer menschenwürdigen und medzinisch einwandfreien Behandlung gerecht werden will bzw. kann. Bisher wurde jedenfalls von keinem in Deutschland tätigen Mohel in den Medien erwähnt, dass beim Säugling überhaupt eine Betäubung stattfindet.

Angesichts dessen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die generelle oder befristete Straffreiheit der Abtreibung unterstützt und das BVferG dennoch eine Strafbewehrtheit und Beratungspflicht fordert, um das gefährdete Grundrecht des Fötus zu schützen, kann eine Straffreiheit der Beschneidung angesichts des in Deutschland mehrheitlich befürworteten Verbots einer Säuglings- und Kinderzirkumzision nicht als ausreichend angesehen werden, um das Recht auf körperliche Unversehrtheit zu schützen und dem Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung gerecht zu werden.

 

*) Nimmt man eine Quote an Beschneidungsverweigerern von 3% (Online-Abstimmung: 3,2%) unter den sich als säkular bezeichnenden (46%) Juden in Israel (75% der Bevölkerung) an, kommt man bei einer Geburtenrate von 18 pro 1000 Einwohner auf ca. 1400 unbeschnittene jüdische Säuglinge pro Jahr.

Von einer zu schnellen Gesetzeslösung riet der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, ab. Eine Legalisierung sei zwar grundsätzlich nötig, um nach dem Kölner Urteil Rechtssicherheit zu schaffen. Im Nachrichtenmagazin „Focus“ machte Papier jedoch deutlich: „Ein solches Gesetz ist nicht auf die Schnelle zu machen.“   http://www.focus.de/politik/deutschland/gesundheit-leutheusser-daempft-hoffnung-auf-schnelle-beschneidungs-regeln_aid_785441.html   Leider wird die obige Notwendigkeit einer Legalisierung nicht begründet, außer mit Rechtssicherheit. Bezieht sich Rechtssicherheit nur auf das Strafrecht oder auch auf das Zivilrecht ?    Herrscht nicht auch Rechtsicherheit , wenn die Beschneidung verboten wird, weil sie Körperverletzung ist  ?   Ich denke erwachsene Kinder können auch nach Legalisierung trotzdem ihre Eltern oder den Beschneider, egal  wer es ist  oder den Staat  verklagen, wenn sie Schäden davon tragen, denn  bei Komplikationsraten von immerhin im einstelligen Prozentbereich (also 1 bis 10 pro hundert!)  fragt man sich , ob und inwieweit  Schutzpflichtpflichten  gegenüber Kindern vernachlässigen worden sind ?        
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Religionsfreiheit kann kein Freibrief für Gewalt sein“

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-11827590.html

In der Beschneidungsdebatte appellieren auf FAZ.NET mehr als 140 Mediziner und Juristen an Bundesregierung und Bundestag, die Kinder stärker zu schützen.

 

Der volle Brief im Wortlaut.

 

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Bundesminister, sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,

Sie werden in den kommenden Wochen intensiv über eine gesetzliche Regelung zur Beschneidung von Jungen diskutieren. Diese Debatte hat in der Öffentlichkeit schon begonnen. Sie wird jedoch zunehmend von unwissenschaftlichen Momenten bestimmt. Es wird gefordert, jetzt schnell Rechtssicherheit herzustellen. Doch dieses wichtige Thema darf nicht eilfertig entsorgt werden. Wir setzen uns ein für eine Versachlichung der Diskussion. Kernpunkt ist die Abwägung der Grundrechte auf Religionsfreiheit von Erwachsenen mit dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung sowie die Achtung seiner Würde.

In diesem Zusammenhang kann die Religionsfreiheit kein Freibrief zur Anwendung von (sexueller) Gewalt gegenüber nicht einwilligungsfähigen Jungen sein. Dies ist für die Zufügung jeglicher Gewalt im Genitalbereich von Mädchen national und international schon lange Konsens. Hinsichtlich der Durchführung medizinisch nicht notwendiger irreversibler Genitalbeschneidungen von Jungen, verbunden mit hohem Risiko für bleibende genitale Beschädigungen und seelische und sexuelle Beeinträchtigungen, muss die öffentliche Debatte und Wahrnehmung offensichtlich noch weiterentwickelt werden.

Zusammenfassend kann man aus ärztlicher Sicht eindeutig sagen, dass es keine medizinischen Gründe für die Entfernung einer gesunden Vorhaut bei einem gesunden, nicht einwilligungsfähigen kleinen Jungen gibt. Sämtliche angeführten medizinisch-prophylaktischen Gründe (zum Beispiel Prävention sexuell übertragbarer Infektionen) lassen sich - wenn vom Betroffenen gewünscht - durch eine Beschneidung in einwilligungsfähigem Alter realisieren. Die Beschneidung ist auch nicht etwa mit dem Eingriff einer Impfung gleichzusetzen, da es bei einer Impfung um die dem Kind direkt zu Gute kommende Minderung von Gesundheitsrisiken geht.

Es herrscht eine bemerkenswerte Verleugnungshaltung und Empathieverweigerung gegenüber den kleinen Jungen, denen durch die genitale Beschneidung erhebliches Leid zugefügt wird. Dieses Leid ist mittlerweile in empirischen Studien ausreichend belegt. Mit religiösen Traditionen oder dem Recht auf Religionsausübung lässt sich dies nicht widerspruchsfrei begründen, zumal die Entwicklung der Kinderrechte in den letzten 300 Jahren in diesem Bereich nicht nur exklusiv den Mädchen zu Gute kommen kann. Denn das wäre mit dem Gleichheitsgrundsatz kaum zu vereinbaren.

Natürlich müssen in der laufenden Diskussion auch die Bedürfnisse, Befürchtungen und Traditionen der beteiligten religiösen Gruppen Berücksichtigung finden. Hier muss auch wechselseitiges Verständnis gefördert werden. Der schwerwiegende Vorwurf jedoch - unter assoziativem Verweis auf den Holocaust - durch ein Verbot der rituellen Jungenbeschneidung würde „jüdisches Leben in Deutschland“ unmöglich werden, ist für Vertreter des Kinderschutzgedankens nicht hinnehmbar. Es geht vielmehr darum, auch jüdisches und islamisches Leben im Rahmen der deutschen Rechtsordnung zu schützen. Als Kinder der Aufklärung müssen wir endlich die Augen aufmachen: Man tut Kindern nicht weh!

Das haben mittlerweile auch engagierte Gegner der Ritualbeschneidung wie Jonathan Enosch in Israel erkannt. Bei ihnen stieß das Kölner Urteil auf deutliche Zustimmung.

 

Herr Nadeem Elyas, ehemaliger Vorsitzender des Zentralrates der Muslime, hält beispielsweise den Zeitpunkt aus Sicht des Islam für variabel, eine besonders wichtige Aussage, da die Beschneidung im Alter von 4-6 Jahren aus entwicklungspsychologischer Sicht besonders gravierende psychotraumatische Wirkungen entfalten kann. In diesem Alter erfolgt die Konsolidierung der sexuellen Identität unter dem empathischen Schutz der Eltern. Warum sollte man nicht warten, bis der Betroffene einsichtig zustimmen kann?

 

Wir Unterzeichnenden bitten Sie als Gesetzgeber deshalb darum, auch den Kinderschutzgedanken und die Bedürfnisse der betroffenen Kinder zur Grundlage Ihrer Entscheidungsfindung zu machen. Wir werben dafür, dass Sie sich in dieser Angelegenheit eindeutig auf der Seite des Kindes positionieren, die Debatte auf wissenschaftlicher und rechtlicher Grundlage führen und Erkenntnisse der Hirn- und Präventionsforschung berücksichtigen. Um eine ausgewogene Lösung zu finden, sollten Sie sich Zeit nehmen für eine Diskussion, die alle Aspekte berücksichtigt. Das Thema Beschneidung ist zu sensibel für politische Schnellschüsse.

Düsseldorf, den 21.7.2012
Professor Dr. med. Matthias Franz, Universität Düsseldorf

Die Mitunterzeichner

•Prof. Dr. Dr. Dieter Adam, München

• Prof. Dr. med. Heiko Alfke, EBIR, Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Klinikum Lüdenscheid

• Prof. Dr. med. Hartmut Amft, Professor für Sozialmedizin i. R., Zollikon, Schweiz

• Christian Bahls, Diplom Mathematiker, 1. Vorsitzender MOGiS e.V. - Eine Stimme der Vernunft (Verband von Opfern sexualisierter Gewalt im Kindesalter)

• Dr. Jan Bartussek, Neurowissenschaftler, ETH Zürich, Schweiz

• Hening Bettermann, Schularzt i.R., Oslo

• Dr. jur Peter Bezler, Rechtsanwalt

• Rechtsanwalt Alexander Bier, LL.M., Königswinter

• Dr. rer. nat. Andreas Beck, Berlin

• Dr. med. Wolfgang Bensch, FA für Orthopädie, Isny im Allgäu

• Jens Böhmer, Queen Silvia Children’s Hospital, Sahlgrenska University, Gothenburg/Sweden

• Dr. med. Joachim Börner, Lohne

• Dr. med. Hans-Werner Bouman

• Priv. Doz. Dr. med. Karl Heinz Brisch, München

• Dr. Klaus-Peter Bruckmooser, Anästhesist, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken, Wiesbaden

• Dr. med. onk. Maraijke-Helga Claar, Keszthely-Kertváros, Ungarn

• Dr. Cornelius Courts, Institut für Rechtsmedizin, Funktionsbereich Forensische Genetik, Universitätsklinikum Bonn

• Dr. phil. Dipl.-Psych. Frank Roland Deister, Psychol. Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Frankfurt

• Andreas Dieckmann

• Dr. med. Ralph Dietrich, Chirurg, München

• Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Georg Dietz, Kinderchirurgische Klinik, Dr. von Haunersches Kinderspital, Klinikum der Ludwig Maximilians Universität München

• W. Dittrich, Dipl.-Psych. (i.R.), Düsseldorf

• Adem Dolas, Neurologie, Universitätsklinikum Düsseldorf

• Dr. phil. Hans-Jörg Ehni, Stellv. Direktor Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Tübingen

• Dr. med. Alexander Ehnis, Facharzt für Dermatologie und Venerologie, Lampertheim

• Rechtsanwalt Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe

• Dr. Gerhard Engelmayer, Vorsitzender Freidenkerbund Österreich

• Martin Erbe, Arzt, Saarlouis

• Dr. med. Holger C. Erne, München

• Rechtsanwalt Bernhard J. Fassbender, Lehrbeauftragter für Wirtschaftsrecht an der DIPLOMA-Fachhochschule Nordhessen

• Prof. Dr. med. Thomas J. Feuerstein, Arzt für Pharmakologie und Toxikologie, Arzt für Neurologie und Psychiatrie

• Herwig Fischer, Richter i.R., Salzhemmendorf

• Helmut Fink, Nürnberg, Vorsitzender des Humanistischen Verbandes HVD Bayern

• Andrea Frank, Ärztin, Weiterbildungsassistentin in der Allgemeinmedizin, München

• Prof. Dr. Matthias Franz, Klinisches Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universität Düsseldorf

• Prof. Dr. Berthold Franzen, Studiengangsleiter Ingenieur-Informatik, Institut für Technik und Informatik, Fachbereich Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik, Technische Hochschule Mittelhessen

• Dr. Dieter Freundlieb

• Manfred Galland, Facharzt für Neurologie u. Psychiatrie –Psychotherapie, Horb a. N.

• Gabriele Gawlich, Zweite Vorsitzende MOGiS e. V.

• Priv.-Doz. Mag. Dr. Georg Göbel, Biostatistiker, Medizinische Universität Innsbruck, Österreich

• Prof. Dr. Hartmut Göbel, Facharzt für Neurologie, Spezielle Schmerztherapie, Psychotherapie, Schmerzklinik Kiel

• Dr. med. Sebastian Goß, Assistenzarzt (Anästhesie), Köln

• Dipl. Psych. Gesa Groh, Klinikum der Universität München, Dr. von Haunersches Kinderspital

• Prof. Dr. iur. Bernhard Hardtung, Universität Rostoc

• Dr. Norbert Hartkamp, Facharzt für Psychosomatik, Psychoanalytiker, Praxis für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Solingen

• Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Juergen Henke, Neuss

• Rechtsanwalt Kristof Henrich, Frankfurt am Main

• Dr. Martina Herpich, Lauf

• Dr. med. Manfred Herpich, Berlin

• Prof. (em.) Dr. Rolf Dietrich Herzberg, Ruhr-Univerität Bochum

• Dr. med. Mathias Hirsch, Facharzt Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse, Düsseldorf

• Ass. iur. Andreas Hofmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter , Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Bayreuth

• Prof. Dr. Walter Hollstein, Berlin/Basel

• Dr. med. Werner-Paul Hürzeler, Stein

• Stefanie Immler, Dr. von Haunersches Kinderspital München

• Dr. Ludwig Janus, Heidelberg

• Prof. Dr. Klaus Junker, Institut für Klassische Archäologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

• Dr. Dr. Joachim Kahl, Philosoph, Marburg

• Dr. jur. Heinz Kammeier, Münster

• Dr. med. Thomas Kanthak, Urologisches Facharztzentrum Wetzlar

• Ingo-Wolf Kittel, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Philosophische und Psychotherapeutische Praxis, Augsburg

• Prof. Dr. med. Johannes Klein, Zentrum Endokrine Medizin, Lübeck

• Dr. med. Mathias Klemme, LMU München, Klinikum Großhadern, Neonatologie, Facharzt für Kinderheilkunde

• Dr. rer. nat. Wolfgang Klosterhalfen, Prof. für Medizinische Psychologie (nicht mehr aktiv)

• Dr. Wolfgang Köbele, Anger

• Professor Georgy Koentges, PhD, Laboratory of Systems Biomedicine and Evolution, School of Life Sciences, University of Warwick, Coventry, UK

• Dr. Bruno Köhler, Vorstandsvorsitzender MaNNdat e.V. - Geschlechterpolitische Initiative

• Ralf Konnopke, Diplom Sozialpädagoge/Sozialarbeiter(FH), Systemischer Therapeut und Familientherapeut(DGSF), Traumapädagogik und Traumazentrierte Fachberatung (DeGPT)

• Dr. med. Sebastian Kramberg, Denkendorf

• Hartmut Krauss, Sozialwissenschaftler, Gesellschaft für wissenschaftliche Aufklärung und Menschenrechte (GAM)

• Dr. rer. pol. Andreas Kraußer, MANNdat e.V.

• Dr. rer. nat biol. Uwe Kullnick, Neurophysiologe

• Walid Laschin, M.A.

• Dipl.-Ing. Wolfgang Lau-Bomert, Kassel

• Dr. med. Hanjo Lehmann, Berlin

• Dirk W. Lehmann, Arzt für Anästhesiologie, Köln

• Prof. Dr. med. Klaus Lieberz, Mannheim

• Dipl.info. Dipl. pol. Jürgen Liminski, Publizist, Moderator beim Deutschlandfunk, GF des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl, Familie e.v.

• Dr.med. Gottfried Lobeck, Dresden

• Prof. Dr. Jürgen Marenbach, Psychoanalytiker, Düsseldorf

• Dipl.-Volkswirt Udo von Massenbach, President American German Business Club Berlin e.V.

• Dr. Grischa Merkel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und strafrechtliche Nebengebiete, Juristische Fakultät, Universität Rostock

• Dr. Christopher Michaelsen, Senior Lecturer, Faculty of Law, University of New South Wales, Sydney NSW 2052, Australia

• Dr. Sabine Müller, Charité - Universitätsmedizin Berlin

• Prof. Dr. rer. nat. Dietrich O. Müller, Berlin

• Dr. Eva Neumann, Diplom-Psychologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Medizinische Fakultät, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

• Prof. Dr. Ing. Dietrich Neumann, Architekturhistoriker, Brown University, Providence, RI USA

• Dr. med. Gregor Nietgen, Augenarzt, Ulm

• Eerke Pannenborg, LL.M., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht der Universität Osnabrück

• Prof. Dr. med. Mechthild Papousek, im Ruhestand, ehemals Leiterin der Forschungs- und Beratungsstelle „Frühentwicklung und Kommunikation“ am Institut für Soziale Pädiatrie, LMU München

• Dipl. Phil. Helena Piprek, Kooperationspartnerin der Europäischen Kommission, Projektpartnerin für das Europäische Parlament, HUB Humboldt-Universität zu Berlin , Beeidigte Urkundenübersetzerin für die polnische Sprache, Hamburg

• Dr. med. Christine Pirschel, Augenärztin, Salzwedel

• Dr. med. Dirk Pirschel, HNO-Arzt , Salzwedel

• Prof. Dr. med. Martin Pfohl, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Diabetologie und Endokrinologie, Mitglied der Ethikkommission der Ärztekammer Nordrhein, Evangelisches Krankenhaus BETHESDA zu Duisburg GmbH, Akad. Lehrkrankenhaus der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

• Tom Philipp, Mitglied des Vorstandes B’90/GRÜNE Kreisverband Minden-Lübbecke

• Diplom-Psychologe Winfried Pohl, Tübingen

• Dr. Peter J. Preusse, Zahnarzt, Marburg

• Prof. Dr. Holm Putzke, Universität Passau

• Dr. med. Dr. med. dent. Johannes Reichwein, Biebertal

• Dr. med. Brigitte Reuther, FÄ Allgemeinmedizin, Bad Waldsee

• Jörg Richert, Geschäftsführung KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not e.V.

• Dr. Rainer Rosenzweig, Nürnberg

• Prof. Dr. iur. Dieter Rössner, Universitätsprofessor i. R., Institut für Kriminalwissenschaften der Philipps-Universität Marburg

• Dr. med. Elisabeth Rowe, Berlin

• Dr. Michel Royeck, Neurowissenschaftler, Uniklinik Bonn

• Dr. med. Heino Rutner, Chirurg, Chefarzt i.R., Schlüchtern

• Dr. med. Robert Sarhatlic-Voegtle, Freiburg

• Viktor Sarrazin

• Rechtsanwalt Georg Schepper, Bielefeld

• Prof. Dr. med. Wolfram Scheurlen, Leitender Chefarzt der Cnopf´schen Kinderklinik, Nürnberg

• Dipl.-Soz. Robert Schlack, Robert Koch-Institut, Berlin; Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung

• Dr. med. Armin M. Schmidt, Mülheim/Ruhr

• Dr. Christoph Schmid-Tannwald, Assistent des Instituts für klinische Radiologie an der LMU München

• Dr. phil. Michael Schmidt-Salomon, Philosoph, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung

• Dr. Norbert M. Schmitz, Verlagslektor, Duisburg

• Dr. Ansgar Schneider, Max-Planck-Institut für Mathematik, Bonn

• Dipl.-Psych. Elisabeth Schneider-Reinsch, Psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie), Wiesbaden

• Priv.-Doz. Dr. Eberhard Schröder, Universität Potsdam, Department Psychologie

• Prof. Dr. med. Ulrich Schultz-Venrath, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik EVK Bergisch Gladbach, Kooperationsklinik der Universität Witten/Herdecke

• Julia Schulz, M.A., Universität Leipzig

• Dr. med. Richard Schütte, Remagen

• Guy Sinden, www.beschneidung-von-jungen.de

• Dr. Robert Söll, Chefarzt Anästhesie, Krankenhaus Tirschenreuth

• Prof. Dr. Maximilian Stehr, Ludwig-Maximilians-Universität München

• Grit Stottok, Richterin am Landgericht Ansbach

• Prof. Dr. Peter Their, Department of Cognitive Neurology, Hertie Institute of Clinical Brain Research, Tübingen

• Rechtsanwalt Rainer Thesen, Nürnberg

• Dr. med. Andreas E. Urban, FECTS (Kinderchirurg, Kinderherzchirurg), ehem. Direktor des Deutschen Kinder-Herzzentrums Sankt August

• Karin Vogelpohl, Dipl.-Pädagogin, Hintergrund-Verlag Osnabrück

• Dr. Bernd Vowinkel

• Barbara Wagner und Dr. med. Horst Wagner, Kinderarzt im Ruhestand, Bremen

• Dr. phil. Thomas Wanninger, Oldenburg

• Ulrich Weiskopf, Richter am Amtsgericht Butzbach ( Hessen)

• Dr. jur. Manfred Weitz, LL.M., Düsseldorf

• Rechtsanwalt J. Weitzmann, Hamburg

• Prof. Dr. med. Claus Werning, Frechen

• Prof. Dr. Matthias Wjst, Technische Universität München und Helmholtz Zentrum München

• Dr. Bernd Woitsch, Dr. von Haunersches Kinderspital, München

• Dr. iur. Uwe Zenske, Rechtsanwalt, Falkenfels

• Dr. Alexandra Zinck, Philosophie, The Hebrew University of Jerusalem

• Dipl. Psych. PP Thore Zuber, Furth im Wald

 

Der Erstunterzeichner des offenen Briefs, Professor Matthias Franz, lädt alle Mediziner, Juristen, Ärzte, Psychologen, Wissenschaftler und Verbände dazu ein, den Brief mitzuzeichnen. Dies ist möglich durch eine Mail an die Adresse: Matthias.Franz@uni-duesseldorf.de

 
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