BGH gegen LG Bremen: Urteilsgründe im Fall des tödlichen Brechmitteleinsatzes veröffentlicht

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 18.07.2012

Der Fall hat uns im Beck-Blog schon mehrere Male beschäftigt (hier und hier). Mehrmals hatte auch der BGH schon damit zu tun. Das LG Bremen will nämlich den Polizeiarzt, der hier den Tod eines verdächtigen Drogenhändlers in Polizeigewahrsam verursachte, offenbar keinesfalls dafür zur Verantwortung ziehen.

Anders der BGH. Herr Patzak hat schon vorigen Monat vom Urteil berichtet; jetzt sind die Urteilsgründe veröffentlicht. Ich muss sagen, dass ich noch nie  ein Revisionsurteil gelesen habe, welches das zu prüfende Urteil einer Strafkammer derart in der Luft zerrissen hat. Dem 5. Senat ist zu danken für die klaren Worte:

Die Beweiswürdigung und die Subsumtion des Landgerichts offenbaren durchgreifende Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 18. Septem-ber 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402 mwN). Dabei ist wegen offensichtlicher Verletzung der Bindungswirkung und rechtlich unzulänglicher Ausschöpfung des festgestellten Sachverhalts nicht nur – was die Nebenklägerin nicht rügen könnte (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) – eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung unterblieben, sondern es liegen auch Rechtsfehler bezogen auf die Prüfung einer fahrlässigen Verursachung der Todesfolge vor.

Das ganze Urteil ist lesenswert. Die Strafkammer hatte neun(!) Sachverständige bemüht, um ein multifaktorielles Geschehen zu belegen, das (angeblich) für den angeklagten Arzt unvorhersehbar gewesen sei. Dabei war es nach Einsatz des Notarztes klar, dass die Voraussetzunegn des § 81 a StPO nicht mehr vorlagen, egal welche genauen gesundheitlichen Probleme des Opfers dessen  Gefährdung begründeten. Nochmal aus dem Urteil:

Darauf kommt es nicht an. Maßgebend ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, ob bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage aus der Sicht ex ante bei Fortsetzung der Exkorporation mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Nachteile zu erwarten waren

(...)

Das Landgericht hat es insoweit unterlassen, aus seiner entsprechenden zutreffenden eigenen Bewertung (UA S. 101) die gebotenen zwingenden Folgerungen auf die klare Rechtswidrigkeit der Eingriffsfortsetzung zu ziehen.

(...)

Und dass der Angeklagte dies erkannte, ist belegt dadurch, das er selbst den Notarzt bat, dabeizubleiben, während er seine Maßnahme fortsetzte:

Das nach nochmaliger Befüllung des Magens mit Wasser gewaltsame Öffnen des Mundes unter größerem Kraftaufwand und das mechanische Auslösen des Brechreizes mittels Pinzette und Spatels sind offensichtlich unverhältnismäßig, verletzen die Menschenwürde und sind demgemäß auch rückblickend schlechterdings nicht nach § 81a StPO zu rechtfertigen

(Nebenbei: Eben dies hätten auch die beteiligten Polizeibeamten erkennen können - und wären demgemäß ggf. wegen Beihilfe zu verfolgen gewesen)

Zu § 227 StGB heißt es:

Entgegen der Auffassung der Schwurgerichtskammer ergeben die durch sie getroffenen Feststellungen ohne Weiteres die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB.

(...)

An diesen Grundsätzen gemessen steht die Vorhersehbarkeit des Todeseintritts auch auf der Basis des durch das Landgericht als todesursächlich unterstellten multifaktoriellen Geschehens nicht in Frage. Zwar konnte der Herzschaden im Zeitpunkt der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten ohne eingehende körperliche Untersuchung nicht diagnostiziert werden. Ebenso nimmt die Schwurgerichtskammer nachvollziehbar an, dass die Einzelheiten des tödlichen Ablaufs nicht absehbar gewesen sind. Das ist jedoch auch nicht erforderlich; denn die – nicht durch den Sachverständigen, sondern in wertender Betrachtung durch den Richter zu beurteilende – Vorhersehbarkeit muss sich nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs, mithin auch nicht auf die konkrete Todesursache erstrecken.

Genauso lernen es die Studenten in der Vorlesung.

Zur hier in den Kommentaren schon diskutierten Frage der nun zuständigen Kammer (in Bremen ist offenar keine mehr übrig) heißt es am Ende:

Die Regelung in § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO ermöglicht dem Senat im Falle des Landgerichts Bremen keine Zurückverweisung an ein anderes Gericht. Der Senat weist ausdrück-lich auf den Fortbestand der Bindung an die gesamte rechtliche Beurteilung in seinem ersten Urteil hin (§ 358 Abs. 1 StPO) und auch auf die Ausführun-gen in dieser Entscheidung zur Rechtsfolge (BGHSt 55, 121, 138).

Offenbar ist es dem Senat arg, diese Sache erneut nach Bremen zurückgeben zu müssen.

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5 Kommentare

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Nur so aus Neugier: wie lange kann das Bremer Gericht das rechtsfehlerhaft-Freisprech-"Spielchen" denn weitertreiben? Ad infinitum?

Bemerkenswert ist, daß die Bremer Staatsanwaltschaft sich nicht nur weigert, Anklage gegen die Polizisten zu erheben (wie vom BGH im ersten Urteil mehr oder weniger gefordert), sondern hier auch gegen den zweiten Freispruch keine Revision eingelegt hat. Dies tat nur die Nebenklage.

Schon im ersten Revisionsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft nicht die Revision eingelegt, entgegen ihrer "Gewohnheit" bei Freisprüchen.

Mir kommt da eine Parallele aus Schleswig-Holstein in den Sinn, wo der Innenminister vor einem Jahr brieflich gegen die Verurteilung eines Polizisten wegen übermäßigen Gewalteinsatzes protestierte. In der Berufungsinstanz wurde der Polizist dann auch freigesprochen.

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Eine Anmerkung noch zum Urteil LG Bremen: Man sollte bei solchen unverständlichen Entscheidungen auch im Blick haben, dass § 263 Abs. 1 StPO eine Rolle gespielt haben könnte.

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Ich bin kein Strafrechtler, aber grenzt das Verhalten der Bremer Richter nicht bereits an den Tatbestand der Rechtsbeugung?

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