Sollen Ghostwriter bestraft werden?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 21.09.2012

Mitten in der Ferienzeit hat sich der Deutsche Hochschulverband (DHV) mit einem Gesetzesvorschlag zu Wort gemeldet. Als Reaktion auf die zu Guttenberg-Affäre und die dadurch ausgelösten Diskussionen über wissenschaftliche Standards will der DHV unter der Überschrift  „Wissenschaftsbetrug“ folgende Tatbestände in das StGB einfügen:Link siehe hier:

(1) Wer eine Qualifikationsarbeit, die der Erlangung eines akademischen Grades oder eines akademischen Titels dient, für einen Dritten verfasst, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 

(2) Wer eine Qualifikationsarbeit im Sinne von Abs. 1, die von einem Dritten ganz oder teilweise verfasst wurde, als eigene ausgibt, ohne deren Urheber zu sein, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 

Es ist zu begrüßen, wenn kriminalpolitische Vorschläge gleich konkretisiert werden, denn das erleichtert die Kritik. Und  wenn man sich im Einzelnen mit diesem Gesetzentwurf auseinandersetzt, wird gleich deutlich, wie schwierig es ist, den Sachverhalt Ghostwriting überhaupt angemessen strafrechtlich zu erfassen und dies im Wortlaut zu formulieren.

 

1. Die Überschrift ist zumindest irreführend: Es geht gar nicht um das Vermögensdelikt „Betrug“, keine Vermögensverschiebung oder –schädigung, nicht einmal die ökonomische Bereicherung ist Merkmal des vorgeschlagenen Tatbestands.

 

2. Warum heißt es „für einen „Dritten“? Es müsste wohl heißen „für einen anderen“ (entspr. in Absatz 2 „von einem anderen“).

 

3. In Absatz 1 bleibt unklar, worin genau die strafbare Tathandlung des Ghostwriters liegen soll – mit Folgen für die Fragen des Versuchsbeginns und der Vollendung. Beim „Verfassen“ der Arbeit „dient“ diese ja noch nicht zugleich zur Qualifikation. Offenbar ist also neben dem Verfassen (ohnehin ein längerer Zeitraum) noch ein weiterer Akt erforderlich, womit dann die Arbeit zur Qualifikationsarbeit wird. Man könnte daran denken, dass dies das Einreichen/die Abgabe der Arbeit ist. Dies geschieht aber durch den „anderen“. Beim Verfassen der Arbeit und für den Verfasser liegt der Zeitpunkt in weitgehend unbestimmter Zukunft. Um den Tatbestand effektiv zu machen, müsste er als Absichtsdelikt ausgestaltet werden, also etwa (ähnlich § 267 StGB) mit „ wer zur Täuschung …“ formulieren. Aber dann ist das „Verfassen“ als Tathandlung viel zu unbestimmt und weit: Eine Vollendung schon nach dem ersten Satz (Kapitel/Teil) anzunehmen, erschiene absurd streng. Zudem sind kommerzielle Betreiber solcher „Institute“ auch meist nicht identisch mit den einzelnen gegen Honorar arbeitenden „Verfassern“, erstere würden straffrei bleiben, während etwa unentgeltlich arbeitende Ghostwriter (Ehepartner, Freunde) strafbar wären. Das entspricht kaum der eigentlichen Absicht des DHV.

 

4. In Absatz 2 gibt der Wortlaut vor, schon die fremdgeschriebene Arbeit müsse eine Qualifikationsarbeit sein. Gemeint ist wohl, dass die fremdgeschriebene Arbeit „als eigene Qualifikationsarbeit“ eingereicht oder abgegeben wird.

 

5. In Absatz 2 wird die Verwendung fremder Texte doppelt angeführt („von einem Dritten ganz oder teilweise verfasst wurde“ sowie „ohne deren Urheber zu sein“). Beide Formulierungen sind für sich fragwürdig und sind jedenfalls teilweise redundant.
Was ist, wenn es mehrere (Fremd-)Verfasser gibt, der Tatbestand setzt schließlich genau „einen“ Dritten voraus? Welche Fälle sind gemeint, in denen jemand Urheber von Werken ist, die andere zur Gänze oder zum Teil geschrieben haben?

 

6. Grammatikalisch bezieht sich das Wort „Urheber“ in Abs. 2 nur auf die „Qualifikationsarbeit“, nicht auf deren ganz oder teilweise von Dritten verfassten Inhalt. Aber man kann durchaus „Urheber“ einer (Gesamt-)arbeit sein, in der sich neben eigenen auch von anderen geschriebene Textteile befinden. Es fehlt im Gesetzesvorschlag an irgendeinem Maßstab dafür, ab wann (bei teilweiser Übernahme fremdgeschriebener Texte) die Urheberschaft entfällt.

 

7. In Abs.1 (aktives Ghostwriting) wird nur das Verfassen einer gesamten Arbeit, in Abs.2 (passives Ghostwriting) auch das teilweise Verwenden fremdgeschriebener Texte bestraft. Diese Inkongruenz macht darauf aufmerksam, dass in Absatz 1 offenbar nur das Verfassen einer gesamten Arbeit bestraft wird, nicht aber das Ghostwriting einzelner Kapitel oder Abschnitte einer solchen Arbeit. Jeder „erwischte“ Ghostwriter könnte sich mit der Behauptung, er habe nur eine Teilarbeit verfasst bzw. verfassen wollen, von der Strafbarkeitsdrohung befreien. Ist das wohl beabsichtigt?

 

8. Da in Absatz 2 von einem Zusammenwirken mit dem Täter aus Abs.1 nicht die Rede ist, bezieht der Wortlaut hier auch „Plagiate“ ein, d. h. die Verwendung fremder Arbeiten unter Verletzung des Urheberrechts. Es ist fraglich, ob die Einbeziehung solcher Plagiate überhaupt gewollt ist. Laut der Pressemitteilung des DHV geht es nur darum, das (kommerzielle) Ghostwriting zu verhindern. Wäre aber die Einbeziehung von Plagiaten gewollt, dann wäre dies höchst unvollkommen verwirklicht: Nach dem Wortlaut würde es nämlich nicht genügen, irgendeinen fremden Text als eigene Qualifikationsarbeit einzureichen, vielmehr müsste schon der Ausgangstext eine Qualifikationsarbeit sein.

 

Mein Fazit:

Jedenfalls mit dieser Formulierung wird es nicht gelingen, Ghostwriting als Straftatbestand einzuführen. Dogmatisch eher möglich wäre es, demjenigen Strafe anzudrohen, der sich mit fremden Federn qualifiziert, und ggf. den Ghostwriter als Gehilfen zu erfassen.

 

Aber praktisch besteht das entscheidende Problem darin, Ghostwriting überhaupt zu entdecken. Daran ändert ein Straftatbestand erst einmal nichts. Da hier kein Urheber als Opfer gegen die Verwendung seines Werkes protestiert, ist die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung ungleich geringer als bei Plagiaten. Wird jedoch Ghostwriting im Einzelfall entdeckt, so meine Meinung, dann genügen die drohenden Folgen (Entzug des Grades/Titels ggf. Kündigung) durchaus zur Ahndung. Ob darüber hinaus  noch eine Geldstrafe abschreckend wirkt, halte ich für fraglich.

 

Der DHV wird allerdings argumentieren, man wolle mit einem solchen Straftatbestand jedenfalls die mittlerweile recht frech auftretenden „Berater“ und „Rechercheure“ in die Schranken weisen, sprich: in den Schatten vertreiben. Aber sollte man dafür die Symbolik des Strafrechts bemühen?

 

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9 Kommentare

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Wenn man schon das so explizit bei der Doktorarbeit bzw. Diplomarbeit regeln möchte, müsste man konsequenterweise auch die Nichtnennung von (zumeist jungen) Autoren in Fachbeiträgen unter Strafe stellen (!). Das ist nämlich ein genauso großes Unrecht, was ja vor allem an den deutschen Lehrstühlen leidlich stattfindet. Denn das fällt für mich genauso unter das Schlagwort "Wissenschaftsbetrug".

 

Wenn schon Ehrlichkeit in der Wissenschaft, dann aber bitte nicht nur auf die Abschlussarbeiten fallen.

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... und irgendwann landen wir bei:

 

"Wer die Leistung eines anderen und dessen Einwilligung als eigene ausgibt, wird mit Freiheitsstrafe [...] bestraft."

 

Eine wunderbare Generalklausel für ganz viele Dinge. Und leider konsequent. Meines Erachtens nach sollten Plagiate und deren Folgen primär im Bereich des Hochschul- und Titelrechts - z.B. durch zwingenden Entzug und einer Sperre für eine erneute Promotion oder deren Anerkennung - geregelt werden. Weitere Folgen sind schon mangels Schaden bei den "belogenen" Personen oder der Allgemeinheit kaum zu begründen.

M. E. geht die Pönalisierung von Ghostwriting im akademischen Bereich in die Irre. Wie Sie berechtigterweise schreiben, gibt es nicht nur Schwierigkeiten, einen entsprechenden Tatbestand passgenau zu formulieren; auch ist Ghostwriting kaum aufzuklären und gerichtsfest nachzuweisen. Von der zusätzlichen Belastung der Justiz einmal ganz abgesehen; sollen demnächst Staatsanwälte wissenschaftliche Forschungsarbeiten durchforsten?

Ich meine, die Wissenschaft muss sich selbst helfen:

Im Bereich der Promotionen hilft eine Verminderung der Anzahl und - damit einhergehend - eine Verbesserung der Betreuung. Wenn der Betreuer/die Betreuerin den Arbeitsprozess kontinuierlich begleitet und regelmäßig mit dem Doktoranden die Zwischenergebnisse erörtert, dürfte das Risiko des Ghostwriting (und übrigens auch der Plagiate) erheblich sinken.  Dies kann man erreichen, wenn nur noch diejenigen als Doktoranden angenommen werden, die für eine wissenschaftliche Karriere oder wissenschaftsnahe Berufsfelder ernsthaft in Frage kommen.

 

Bei Bachelor-/Master- bzw. Diplomarbeiten dürfe eine intensive Betreuung aus Kapazitätsgründen regelmäßig ausscheiden. Hier müsste man daran denken, das Gewicht der Arbeiten bei der Bestimmung der jeweiligen Examens(gesamt)note möglichst gering zu halten.

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Grundsätzlich finde ich es richtig! Es soll ja das wissen zeigen, dass man sich selber anerlangt hat. Ich würde nicht gerne zu einem Arzt gehen, der seine Arbeit hat für sich schreiben lassen.

@Egon Krenz,

wegen eines Werbe-Links habe ich Ihren Kommentar gelöscht. Ich möchte ihn aber dennoch beantworten, weshalb ich ihn hier nochmal ohne Link poste:

Egon Krenz schrieb am 2.10.2012:

Ghostwriter sind juristisch schwierig zu belangen. Hierzu bedarf es keiner besonderen juristischen Vorkenntnisse. Im Ergebniss würde dieses neue Gesetz, träte es in Kraft, bedeuten, dass man allen verbieten müsste, sich mit jedweden Themen, die gelehrt werden, wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Es müsste also das Verfassen von wissenschaftlichen Texten im Allgemeinen verboten werden. Dies ist wohl absurd. Jede Arbeit stellt das geistige Eigentum des Verfassers dar und jeder Autor kann mit seinem geistigen Eigentum tun und lassen, was er will, sicher, es gibt gewisse Grenzen, die, das was hier diskutiert wird, nicht berühren. Warum sollte es dem Verfasser verboten sein, seine Gedanken gegen Geld anderen zur Verfügung stellen?

Ja, warum sollte es verboten sein? Weil es (aus Sicht des Wissenschaftssystems) strafwürdig ist,  eine vorgeblich persönliche und unvertretbare Leistung für einen anderen zu produzieren, die dessen wissenschaftliche Qualifikation belegen soll. Das ist ähnlich dem Doping im Sport - ausgezeichnet soll werden die sportliche Leistung des Athleten, nicht die Leistung seines Doping-Mittels. Natürlich gibt es hier Für und Wider (ja auch bei der gelegentlich angedachten Strafbarkeit des Doping), aber dass es ein "Unrecht" ist, das (potentiell) auch strafwürdig sein kann, scheint mir kaum fraglich: Letztlich werden über akademische Qualifikationen Jobs und Existenzen vergeben, und dies sollte nach akad. Leistung, nicht nach größerem Geldbeutel und Skrupellosigkeit geschehen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Endlich! Justiz greift bei falschen Doktortiteln durch!

Haus- und Bürodurchsuchung wegen eines ironischen Blogeintrags

"... am Amtsgericht Lübeck nahm man alles offenbar und ziemlich unreflektiert todernst. Und man überzog nicht nur allgemein den Bogen, sondern vor allem deswegen, weil auch die Büroräume durchsucht wurden, die bei der Journalistin als Redaktionsräume gelten müssen und unter besonderem Schutz stehen."

Da haben ja unsere falsche-Federn-Politiker ein Riesenglück gehabt, dass sie nicht im Amtsgerichtsbezirk Lübeck gewohnt haben, sonst wären sie sie noch in Handschellen vorgeführt worden ...

Vielleicht würde das Ghostwriting dadurch reduziert werden, dass der akademische Nachwuchs fair und mit Perspektive bezahlt würde? Selbst die Max-Planck-Gesellschaft (Wissenschaftsgeschichte) findet es üblich, Arbeitsverträge für Wissenschaftler auf ein Jahr zu befristen. Und chinesisch sollen sie auch sprechen.
Kopfschüttelnd,
der Berliner Ghostwriter

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