"Es können ja auch Dritte gefahren sein..."

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 23.10.2012
Rechtsgebiete: OLG HammStrafrechtVerkehrsrecht1|3586 Aufrufe

Betroffene, die in der Einlassung nur in den Raum stellen, dass auch Dritte gefahren sein könnten, dürfen nicht damit rechnen, dass diesen Ausführungen lang und breit nachgegangen wird, wenn das Gericht ansonsten von der Täterschaft überzeugt ist:

 

Soweit der Betroffene nunmehr nachträglich noch eine Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, ist – unabhängig von der Verfristung dieser Rüge – anzumerken, dass sich das Amtsgericht mit der Einlassung des Betroffenen, dass auch Dritte gefahren sein könnten, auseinandergesetzt hat. Einer breiten Auseinandersetzung mit dieser – angesichts der Dürftigkeit der Einlassung des Betroffenen hierzu – rein hypothetischen Möglichkeit bedurfte es nach §§ 261 StPO, 71 Abs. 1 OWiG nicht (vgl. nur: BGH Beschl. v. 09.10.2002 – 2 StR 297/02). Nach den – für den Senat maßgeblichen – Feststellungen im angefochtenen Urteil wurde eine konkrete Möglichkeit der Nutzung des Fahrzeugs des Betroffenen durch Dritte zum Tatzeitpunkt (etwa Entwendung des Fahrzeugs, andere Familienmitglieder) nicht behauptet. Der lediglich als „in Betracht kommend“ dargestellte Sohn des Betroffenen wurde vom Amtsgericht als Fahrer ausgeschlossen.

 

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss v. 13.9.2012 - III-1 RBs 128/12

 

 

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Im deutschen Strafrecht gilt der Grundsatz, daß es nicht reicht. wenn man (als Staatsanwalt oder Richter) den Angeklagten für den Täter hält, sondern daß es erforderlich ist, daß Staatsanwaltschaft und Gericht dem Angeklagten die Tat auch nachweisen (also beweisen) können.

Wenn nicht bewiesen werden kann, daß der Angeklagte der Straftäter ist, wird normalerweise "in dubio pro reo" freigesprochen.

Diese Verfahrensweise verlangen Urteile des Bundesverfassungsgericht, und auch europarechtliche Normen und Urteile sprechen dafür.

Rechtstheoretisch sollte Ordnungswidrigkeitenrecht ebenso verfahren werden wie im Strafrecht - in der Rechtspraxis zeigt sich allerdings, daß im Ordnungswidrigkeitenrecht die Gerichte oft relativ schnell bei der Hand sind, etwa bei einer Geschwindigkeitüberschreitung schlicht und einfach aufgrund eines Autokennzeichens von der Täterschaft  des Halters überzeigt zu sein, wenn der Halter nicht einen anderen fahrer benennt.

Hätte der Fahrer nicht nur eine Geschwindigkeitsüberschreitung (Ordnungswidrigkeit) begangen, sondern absichtlich jemanden überfahren und getötet (Staftatbestand des Mord oder Totschlag), dann hätte er zweifellos das Recht zu schweigen, und bräuchte keinen potentiellen alternativen Fahrer zu benennen, sondern würde "in dubio pro reo" freigesprochen, und das Gericht könnte sich nicht einfach bloß aufgrund des Kennzeichens von der Täterschaft des Halters überzeugt geben.

Insoweit werden also bei Verurteilungen wegen Straftaten und bei Verurteilungen wegen Ordnungswidrigkeiten in der Rechtspraxis verschiedene Maßstäbe angelegt, obwohl an den Universitäten den Jurastudenten gelehrt wird, das die wesentlichen Grundsätze des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts auch für Ordnungswidrigkeiten und das Ordnungswidrigkeitenrecht gelten würden.

Zumindest für Jemanden, der frisch von der Uni kommt und sich mit Ordnungswidrigkeitenrecht nur selten beschäftigt, bleiben Zweifel an der Herleitung und Konsequenz und Plausibilität und Richtigkeit und Überzeugungskraft  und Koheränz mancher Owi-Urteile.

Vielleicht setzten die Owi-Gerichte manchmal auch schlicht und darauf, daß die Betroffenen es "schon gewesen sein werden", und daß die Betroffenen wegen einer bloßen Owi nicht bis zum Bundesverfassungsgericht oder gar bis zum europäischen (Menschenrechts-)Gerichtshof gehen?

Ich habe die Erfahrung gemacht, daß, wenn man unter ausführlichem Verweis auf europäisches Recht und unter ausführlichem Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zum Recht des Beschuldigten zu Schweigen, und zum Grundsatz "in dubio pro reo"), entschlossen und engagiert und glaubwürdig agressiv und hartnäckig genug verteidigt, meistens zumindest eine Verfahrenseinstellung erreicht.

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