Basiswissen Strafrecht AT: Beendeter und unbeendeter Versuch bei Tötungsdelikten

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.11.2012
Rechtsgebiete: BGHVersuchStrafrechtVerkehrsrecht1|7197 Aufrufe

Manchmal kann man BGH-Entscheidungen wie ein Lehrbuch lesen:

Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktritts-horizont (BGH, Urteil vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes er-forderlich oder zumindest ausreichend ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem er für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; BGH, Beschluss vom 21. März 2001 - 3 StR 535/00) oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Be-schluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 - 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, un-beendeter 25). Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fort-bestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dieser ändert (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146).

 

BGH, Urteil vom 1.12.2011 - 3 StR 337/11 -

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1 Kommentar

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Schwierige Materie. Erst heute mußte ich mich wieder von einem Strafrichter belehren lassen, daß ein Ladendiebstahl bereits dann vollendet  und kein Rücktritt vom Versuch mehr möglich sei, wenn der Angeklagte die Ware in die Hosentasche stecke, damit eine Gewahrsamsenklave begründe, sich dann jedoch besinnt und die Sache freiwillig wieder zurück ins Regal stellt. Vielmehr sei das ein vollendeter Diebstahl, das freiwillige Rückstellen der Ware ins Regal lediglich eine Schadenswiedergutmachung.

 

Da sowohl der Staatsanwalt als auch der Strafrichter meinen bescheidenen Hinweis auf § 24 StGB mit wildem Augenrollen kommentierten, muß ich wohl davon ausgehen, daß ich mit meiner Rechtskenntnis und meinem Rechtsgefühl wieder einmal falsch lag.

 

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