Wer in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, lebt nicht getrennt

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 21.11.2012
Rechtsgebiete: Familienrecht6|8602 Aufrufe

Die Ehefrau hatte zu ihrem Verfahrenskostenhilfeantrag zum Scheidungsantrag vorgetragen, ihr Ehemann sei zum 15.10.2011 aus der Ehewohnung ausgezogen, vorher habe man innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt gelebt.

 

Dies wollten ihr AG und KG jedoch nicht glauben, denn der Bescheid über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende wurde erst mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2011 dahingehend umgestellt, dass die Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller lediglich noch die beiden gemeinsamen Kinder der Ehegatten umfasst und nicht mehr, wie offenbar bis dahin, auch den Ehemann.

Wenn die Antragstellerin nun, wie dies offenbar bis zum Auszug des Antragsgegner aus der Ehewohnung zum 15. Oktober 2011 der Fall war, Leistungen auch für den Antragsgegner entgegengenommen hat oder den Antragsgegner dem Jobcenter gegenüber als zu ihrer Bedarfsgemeinschaft gehörend bezeichnet, dann kann sie nicht gleichzeitig von ihm getrennt gelebt haben; dies auch dann nicht, wenn das - angebliche - Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung erfolgt sein soll. Denn der sozialrechtliche Begriff des Getrenntlebens nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II deckt sich mit der zivilrechtlichen Begrifflichkeit gemäß § 1567 Abs. 1 BGB. Der sozialrechtliche Ausdruck der Bedarfsgemeinschaft bezeichnet nichts anderes als das gemeinsame Wirtschaften „aus einem Topf“; nämlich das Bestehen eines gemeinsamen, einheitlichen Haushalts- und Wirtschaftsbereichs beider Ehegatten und schließt damit ein Getrenntleben denknotwendig aus.

 

KG vom 02.05.12 - 17 WF 108/12

 

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6 Kommentare

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Und was machen diese 15 Tage familienrechtlich für einen Unterschied, dass man sich bis zum KG darum streiten kann?

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So wie ich das verstehe, liegt es am Verfahrenskostenhilfeantra. Da können - anscheinend - auch ein paar wenige Tage entscheidend sein. Das macht wohl weniger familienrechtlich, als kostenrechtlich einen großen Unterschied. 

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Wer geschieden werden will, muss im Normalfall mind1 Jahr getrennt leben. So lange man in Bedarfsgemeinschaft lebt, fängt das Trennungsjahr nicht an.

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Das Urteil birgt ja wohl den Ansatz einer Köpenikiade.

Weil das SGBII ein Getrenntleben in der Wohnung nicht abbilden kann, findet es familienrechtlich nicht statt. Weil familienrechtliche Entscheidungen nicht getroffen sind, können SGBII-Entscheide für die zukünftigen beiden Teil-Familien nicht ergehen....

Wenn ich das richtig verstehe, dann meinen die Richter die bürokratische Etikettierung einer Familie als Bedarfsgemeinschaft sei also stärker als der (gegenseitig) erklärte Trennungswille der Ehepartner.

Bei Bedürftigkeit ist ein Getrenntleben in der Wohnung unmöglich gemacht, weil eine sozialrechtliche Vermutungregelung bei in einer Wohnung befindlichen Menschen mit gemeinsamen Kindern eine (Zwangs-)Bedarfsgemeinschaft konstruiert.

Die "Zwangsbedarfsgemeinschaftisierung" hat dann wohl logischerweise auch die Folge, dass z.B. über VKH bei einer Wohnungszuweisung nicht entschieden werden kann, solange beide Eltern nicht Bescheide über zwei getrennte zeitweise Bedarfsgemeinschaften erhalten haben, da zu dem Zeitpunkt meist nicht über die zukünftigen Betreuungsanteile der Kinder entschieden ist.

Es ergibt sich auch, dass ein Vater niemals ausziehen darf, bevor er einen Bescheid über eine zeitweilige Bedarfsgemeinschaft mit seinen Kindern in der Hand hat, bzw. eine Zusicherung für einer Wohnung mit genügend Kinderzimmern. Ansonsten würde die sozialrechtlich bürokratische Entscheidung zum Präjudiz für alle familienrechtlichen Folgen. Die Sozialbürokratie wird dann zum Vor-Richter des Familienrichters.

Richtig spannend wird es, wenn ein (gerade bei Vater-Kind-Bedarfsgemeinschaften oftmals falscher) SGBII-Bescheid später wieder vom Sozialgericht aufgehoben wird, auf den sich eine solche familiengerichtliche Entscheidung gestützt hat. Was passiert dann?

 

@Michael Stiefel: "Wenn ich das richtig verstehe, dann meinen die Richter die bürokratische Etikettierung einer Familie als Bedarfsgemeinschaft sei also stärker als der (gegenseitig) erklärte Trennungswille der Ehepartner."

Treffende Analyse. Überhaupt ist für mich fraglich, ob die Vermutungsregelung, die zu einer "Bedarfsgemeinschaft" führt, verfassungsrechtlich haltbar ist. Eigentlich ist sie der (kriminelle, weil offenbar verfassungswidrige)  Versuch, die allgemeinen Regeln der einfachen Gesetze und des GG aus fiskalischen Erwägungen heraus auszuhebeln.

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