Gerichte müssen keine Atomuhr haben

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 22.11.2012

 

Die verlängerte Berufungsbegründungsfrist endete mit Ablauf des 14.02.2012. Der entsprechende mit Fax übermittelte achtseitige Schriftsatz erhielt vom Fax-Gerät des Gerichts des Aufdruck „ 15/02 2012 MI 00.00“.

 

Das OLG stellt fest, dass der Schriftsatz vor Beginn des Folgetages 00.00 Uhr hätte eingegangen sein müssen und damit – weil zwischen 24.00 Uhr und 00.00 Uhr keine, auch keine logische Sekunde existiert – vor Ablauf von 23.59 Uhr. Das aber bedeutet, dass das Empfangsgerät des Gerichts als Empfangszeit 23.59 Uhr hätte angeben müssen. Ein Eingang nach diesem Zeitpunkt, auch ein Eingang um 00.00 Uhr des Folgetags, wahrt die Frist nicht.

 

Wiedereinsetzung gewährt der Senat nicht. Spekulationen, ob das Faxgeät des Gerichts die falsche Zeit angezeigt haben könnte, erteilt der Senat eine Absage:

 

Allein die theoretische Möglichkeit, dass das Faxempfangsgerät des Gerichts nicht die physikalisch exakte Zeit angezeigt haben könnte, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Insbesondere besteht auch keine Verpflichtung des Gerichts zur Gewährleistung einer physikalisch exakten Empfangszeit sowie deren Dokumentierung.

An der Bewertung, dass ein Telefax nicht als fristwahrend eingegangen anzusehen ist, wenn seine letzte Seite mit der Unterschrift des Verfassers den Aufdruck 00 Uhr 00 des auf den Fristablauf folgenden Tages zeigt, ändert der Umstand nichts, dass bei einem Telefaxgerät, dessen Systemzeit – wie hier – manuell eingestellt ist, die Zeitangabe nicht der exakten physikalischen Zeit entsprechen muss und typischerweise auch nicht entsprechen wird, sondern von dieser um einige Sekunden abweichen kann. Nicht auf diese physikalisch exakte Zeit stellen indes die gesetzlichen Fristvorschriften ab, sondern auf die Zeiterfassung der jeweiligen Eingangsstelle. Das liegt auf der Hand etwa für Gerichtsbriefkästen, gilt aber auch für elektronische Geräte, bei denen eine Erfassung der Eingangszeit nach Maßgabe der physikalischen Zeit (etwa mittels einer entsprechend geeichten Funkuhr) an sich bei dem jetzigen Stand der Technik möglich sein dürfte, wenn sie auch gerade bei Telefaxempfangsgeräten dem allgemeinen Stand der Technik (zumindest noch) nicht entspricht. Es gibt jedenfalls keine gesetzliche Verpflichtung der Stellen, bei denen Schriftsätze fristwahrend eingereicht werden können, sicherzustellen, dass die Eingangszeit physikalisch exakt dokumentiert wird, und es kann erst recht nicht in Betracht kommen, dort, wo dies nicht geschieht, dem Absender die daraus folgende mögliche Ungenauigkeit der Zeiterfassung zu Gute zu halten.

OLG Nürnberg v. 30.05.12 - 12 U 2453/11

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

19 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Widerspruch!

 

Der Fristablauf ist durch ein objektives Ereignis definiert, nämlich der physikalisch exakten Uhrzeit und gerade nicht durch die im konkreten Empfangsgerät des Gerichts einprogrammierte Uhrzeit, eine Fundstelle für diese Rechtsauffassung gibt das Gericht gerade nicht an.

 

Der Unsinn der obergerichtlichen Rechtsauffassung wird deutlich, wenn sämtliche einprogrammierten Zeiten sämtlicher Telefax-Empfangsgeräte des Gerichts miteinander verglichen werden. Soll es vom Zufall abhängig sein, ob eine Frist gewahrt wird, nur weil statt der Faxnummer der Geschäftsstelle für Zivilsachen die des Familiengerichtes angewählt wurde?

 

Machen wir doch einen Uhrenvergleich. Meine Armbanduhr zeigt 09:10, mein Handy 09:09, mein Telefon 09:10 Uhr.

 

 

3

Könnte der Berufungsführer nachweisen, dass die Uhr im Gerichtsfax 2 Minuten vorgegangen ist, wäre sein Fax um 23.58 Uhr eingegangen. Die Frist wäre eingehalten.

Diesen Nachweis kann er aber nicht führen.

Auf die theoretische Möglichkeit, dass die Fax-Uhr vorgegangen sein könnte, kann es nicht ankommen.

@ RA Munzinger: und wie soll dann noch festgestellt werden, ob die Frist gewahrt wurde oder nicht? Soll immer 1 Minute draufgerechnet werden? 5? 10? Vielleicht sollte der RA, der ja verpflichtet ist, den für seinen Mandanten sichersten Weg zu wählen, einfach nicht um "5 vor zwölf" das Fax einlegen, sondern eine halbe Stunde vorher.

3

@ #3:

Diese Vorgehensweise hilft auch dann nicht weiter, wenn z. B. die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit vergessen wird. Das kommt häufiger vor, als man denkt.

Ich stimme dem Koll. Munzinger zu. Hier hat es sich das OLG zu leicht gemacht und die gesetzliche Regelung, z. B. in § 188 Abs. 1 BGB, verkannt. Der Fristablauf kann nicht von Willkür, Luschigkeit oder sonstigen Faktoren abhängen.

4

Natürlich kommt es auf die physikalisch exakte Zeit an. Aber die Fristeinhaltung nach physikalisch exakter Empfangszeit war eben nicht nachzuweisen. Indiz für das Fristversäumnis war die Uhr des Faxgeräts. Der Beweis, dass die Frist dennoch gewahrt war, ist dem Antragsteller nicht gelungen, ebenso wenig der Nachweis, dass die Uhr des Faxgeräts erheblich abwich von der physikalisch exakten Zeit (z.B. vergessene Zeitumstellung Winter/Sommerzeit). Und daher zutreffend die Entscheidung:

Allein die theoretische Möglichkeit, dass das Faxempfangsgerät des Gerichts nicht die physikalisch exakte Zeit angezeigt haben könnte, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Henning Ernst Müller schrieb:

Natürlich kommt es auf die physikalisch exakte Zeit an. Aber die Fristeinhaltung nach physikalisch exakter Empfangszeit war eben nicht nachzuweisen. Indiz für das Fristversäumnis war die Uhr des Faxgeräts. Der Beweis, dass die Frist dennoch gewahrt war, ist dem Antragsteller nicht gelungen, ebenso wenig der Nachweis, dass die Uhr des Faxgeräts erheblich abwich von der physikalisch exakten Zeit (z.B. vergessene Zeitumstellung Winter/Sommerzeit). Und daher zutreffend die Entscheidung:

Spannend wäre es geworden, wenn der Berufungsführer das Sendeprotokoll seines Faxgerätes mit der Uhrzeit 23.58 Uhr hätte vorlegen können

Der Empfang eines Fax mit mehreren Seiten dauert doch einige Zeit. Gibt ein Faxgerät als Empfangszeit den Beginn des Faxempfangs an oder erst das Ende der Faxübermittlung? Wenn das Fax um 0.00 Uhr zuende übermittelt war, ist der wohl größte Teil des Faxes vor 0.00 Uhr eingegangen, die Entscheidung des OLG wäre dann wohl doch falsch.

2

@Jürgen Würfel:

 

Es kommt auf den vollständigen Schriftsatz (OLG: "letzte Seite mit der Unterschrift des Verfassers") an. Ich kann auch nicht fristgerecht die erste Seite im Briefkasten einwerfen und die anderen 30 in den nächsten Tagen jeweils nach Fertigstellung nachreichen.

3

Das Beste, was die Rechtsprechung hierzu zu bieten hat findet sich in VII ZB 8/03 (BGH vom 24.07.2003):

 

"c) Ob ein Schriftsatz binnen einer bestimmten Frist eingegangen ist, richtet sich danach, ob er vor Beginn desjenigen Tages eingeht, der dem Fristende folgt. Dieser Tag beginnt um 00:00 Uhr. Maßgeblich ist die gesetzliche Zeit, denn im amtlichen und geschäftlichen Verkehr werden Datum und Uhrzeit nach der gesetzlichen Zeit verwendet. Die gesetzliche Zeit ist die mitteleuropäische Zeit. Diese wird von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt dargestellt und verwaltet, vgl. §§ 1 und 2 des Gesetzes über die Zeitbestimmung (ZeitG) vom 25. Juli 1978 (BGBl I S. 1110, ber. S. 1262).

d) Die Beklagte hat zu beweisen, daß die Berufung rechtzeitig begründet worden ist. Das Berufungsgericht hat von Amts wegen alle entscheidungserheblichen Umstände, wie sie sich aus dem Akteninhalt ergeben, zu prüfen (BGH, Urteil vom 14. März 2001 - XII ZR 51/99, ZIP 2001, 718, 719). Dem genügt die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts nicht. Es würdigt den Umstand, daß die Telekom in ihrer Abrechnung das Ende des Sendevorgangs mit 23:58 Uhr angegeben hat, nur unvollständig.

Mangels entgegenstehender Feststellungen ist davon auszugehen, daß die Zeitangabe der Telekom auf ihrer Kundenabrechnung sich aus einer Zeitermittlung ergibt, die unter regelmäßiger Abgleichung mit einem amtlichen Zeitnormal erfolgt. Die Telekom ist nach § 5 Nr. 1 der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV) vom 11. Dezember 1997 (BGBl. I 2910), geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung vom 14. April 1999 (BGBl. I 705), verpflichtet, bei der Abrechnung die Dauer zeitabhängig tarifierter Verbindungen von Telekommunikationsleistungen für die Öffentlichkeit unter regelmäßiger Abgleichung mit einem amtlichen Zeitnormal zu ermitteln. Diese Voraussetzungen für die Abrechnung sind durch ein Qualitätssicherungssystem sicherzustellen oder einmal jährlich durch vereidigte, öffentliche bestellte Sachverständige oder vergleichbare Stellen überprüfen zu lassen, § 5 Nr. 3 TKV."

Da schimpf Mal noch jemand über die gute alte Telekom und wohl dem, der einen Einzelverbindungsnachweis hat ;-)

1. Wer als Anwalt so doof ist, gegen Mitternacht, Minuten vor Fristablauf, noch etwas zu faxen, ist irgendwie selber Schuld. Rechtsprechung zu entsprechenden fehlgeschlagenen Versuchen gibt es zu Hauf. Ich pflege fristgebundene Schriftsätze nicht kurz vor Fristablauf einzureichen (Ausnahme Rechtsmittel in Strafsachen, die darf man zur Verhinderung eines "taktischen" Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft schon mal am letzten Tag der Frist nach 18.00 Uhr faxen).

 

2. Bei der Akteneinsicht staune ich immer, wie sehr doch die Empfangszeiten der gerichtlichen Faxgeräte von meinen Sendeprotokollen abweichen. Da geht es nicht um Sekunden oder eine Minute, sondern gerne auch einmal um drei bis sieben Minuten, wenn nicht gar die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit vergessen worden ist. Und mein Faxgerät wird wöchentlich auf die exakte Uhrzeit hin kontrolliert.

 

3. Aber natürlich war es letztlich Aufgabe des Anwalts Anhaltspunkte dafür zu liefern, daß die Uhr des Gerichtsfaxgerätes falsch ging. Die Vorlage des eigenen Sendeprotokolls und die anwaltliche, ggf. eidesstattliche Versicherung, daß der Sendevorgang vor Mitternacht abgeschlossen war, hätte vermutlich ein anderes Ergebnis bewirkt.

 

Bei zurückgewiesenen Anträgen auf Wiedereinsetzung war zumeist gleich zweimal anwaltliche Blödheit im Spiel. Zeit die Haftpflichtversicherung anzurufen und die Mütze tiefer zu ziehen, wenn einem der (Ex-) Mandant auf der Straße begegnet.

 

 

4

Warum hat der Rechtsanwalt nicht jede einzelne Seite unterschrieben? Dann wären diese Seiten fristgerecht eingegangen und damit insgesamt der Rechtsbehelf fristgerecht eingereicht worden. Dass die nachfolgenden Seiten zu spät eingegangen sind, dürfte dann unschädlich sein, da dies nur im Rahmen des verspäteten Vorbringens zu prüfen wäre. Dies wird man aber bei den paar Sekunden nicht annehmen können.

3

Die Sache wäre viel einfacher zu lösen, das Fax wird einfach in umgekehrter Reihenfolge geschickt. Das sollte man vor allem machen, wenn es zeitlich eng werden kann.

 

 

0

Wenn ein Gericht Wert darauf legt, dass ein Fax auch wirklich auf die Sekunde genau pünktlich eintrifft und sich diesbezüglich auf bestimmte Behauptungen festlegt, so sollte es auch in der Lage, diese Uhrzeit korrekt festzustellen.

Ansonsten hat es eben entsprechende Toleranzen zu akzeptieren.

 

Wenn die Polizei die Behauptung aufstellt, dass man zu schnell gefahren sei, darf man ja wohl auch erwarten, dass die Geschwindigkeit korrekt gemessen wurde und nicht nur grob geschätzt.

Und wenn doch, müssen eben die möglichen Messfehler abgezogen werden.

So etwas ist überall sonst eine Selbstverständlichkeit.

Nur die Justiz genehmigt sich selbst wieder Ausnahmen von dieser Regel.

Im übrigen muss sich heute auch niemand mehr eine eigene Atomuhr in den Keller stellen, um eine auf die Sekunde genaue und vor Allem richtige Uhrzeit festzustellen.

Dabei sei auch noch auf den Unterschied zwischen Anzeigegenauigkeit und Messgenauigkeit hingewiesen.

Es nützt eben nichts, wenn man einen Wert zwar digital auf die 10. Nachkommastelle genau anzeigt aber noch nichtmal bis zur 3. Vorkommastelle die Richigkeit der Messung sicherstellen kann.

5

Röwer schrieb:

Wenn ein Gericht Wert darauf legt, dass ein Fax auch wirklich auf die Sekunde genau pünktlich eintrifft und sich diesbezüglich auf bestimmte Behauptungen festlegt, so sollte es auch in der Lage, diese Uhrzeit korrekt festzustellen.

Ansonsten hat es eben entsprechende Toleranzen zu akzeptieren.

Wie soll das im Zivilprozess funktionieren? Sollen die Toleranzen zu Gunsten des Rechtsmittelführers oder des Rechtsmittelgegners akzeptiert werden? Das Gericht ist nur Schiedsrichter, ob die Parteien die Regeln einhalten! Großzügigkeiten gegenüber einer Partei verbieten sich daher.

4

Ist es zuviel vom Gericht verlangt, einfach mal zu prüfen, ob und wie weit die Zeit des fraglichen Faxgeräts von der amtlichen Zeit abweicht und bei einer Abweichung diese dann einzuberechnen? Das wäre zwar auch nicht 100% eindeutig, aber eben auch keine reine Spekulation, sondern eine plausible Näherung und allemal befriedigender als das einfache "ist eben so!" Wenn die Stellen, bei denen Schriftsätze fristwahrend eingereicht werden können, nicht verpflichtet sind, die Fristeinhaltung auch im nachhinein so exakt wie möglich festzustellen, stimmt irgendetwas im System nicht. Das sollte allerdings in beiden Richtungen gelten, so dass auch ein Rechtsmittel mit Faxaufdruck 23.59 Uhr verspätet sein kann, wenn das Faxgerät "nachgeht".

5

@Rasmus

Gut.

Wenn man über Zeiträume im Minutenbereich redet, sollte das eigentlich kein Problem sein.

Ansonsten bleibt dann eben nur die (einfache) Möglichkeit, auf die Uhrzeit zu achten.

Technisch oder manuell.

 

4

Mag sein, dass es daran liegt, dass ich in der Wirtschaft arbeite, aber für derartige Erbsenzählerei um Sekunden hab ich keinerlei Verständnis! Ehrlich gesagt, würde man wegen so einem Verhalten eher ausgelacht oder gefeuert! Wenn die Frist eingehalten worden sein könnte, muss man auch mal fünwe gerade ein lassen.

 

 

 

4

Sehr geehrter Herr Gast,

ich glaube Sie übersehen dabei etwas: Zivilrechtsstreitigkeiten werden gerade sehr häufig zwischen  Unternehmen geführt. Wenn Sie für eine Firma einen solchen Rechtsstreit führten und sagten: Der Gegner hat zwar die Rechtsmittel-Frist nicht eingehalten, aber es ist schon in Ordnung, dass das Gericht da mal Fünfe gerade sein lässt und das Rechtsmittel trotzdem zulässt, denn die Verzögerung  kostet uns ja nur 20.000 Euro. Was würde Ihr Chef wohl dazu sagen?

Sehr geehrter Röwer,

nicht das Gericht ist beweispflichtig, sondern die Parteien. In diesem Fall die Partei, die die Frist einhalten muss. Wenn der Antragsteller beweisen kann, dass die Uhr des Empfängerfaxgeräts vorgegangen ist, ist ja alles klar.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

@Prof Müller

Wir reden hier über Sekunden, über Faxe, die unbeobachtet und unbearbeitet des Nachts auf einem Schreibtisch landen. Nicht über Stunden oder Tage. Ein solches Fax löst keine Verzögerungen aus. Und hier ist es sogar unklar, ob es pünktlich eintraf, oder nicht. Und ich denke, dass zwar ein Unternehmensanwalt mit allen Mitteln kämpfen sollte, das Gericht jedoch die Sache selber und nicht die Genauigkeit von Uhren in den Fordergrund stellen sollte...

4

Kommentar hinzufügen