BGH: Dem Alkoholiker bitte nicht zu schnell die Abstinenz glauben!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.11.2012
Rechtsgebiete: UnterbringungBGHStrafrechtVerkehrsrecht|2868 Aufrufe

§ 64 StGB ("Unterbringung in einer entziehungsanstalt") wird gerne von Tatrichtern übersehen (oder zumindest voreilig zur Seite geschoben). Wohl auch hier - das LG hatte dem Angeklagten entgegen der Ansicht des Sachverständigen seine Abstinenz abgenommen und sah so konsequenterweise von § 64 StGB ab:

 

Das Landgericht begründet die Nichtanordnung der Maßregel damit, dass der alkoholabhängige Angeklagte „nach seinen eigenen Bekundungen seit Dezember 2010 keinen Alkohol mehr“ trinke (UA S. 4), weswegen „of-fensichtlich“ kein Hang im Sinne der Vorschrift und keine Gefährlichkeit mehr bestehe (UA S. 50 f.). Demgegenüber hält der von der Schwurgerichtskam-mer vernommene psychiatrische Sachverständige die Unterbringung für angezeigt. Dass die Angaben des Angeklagten zur Alkoholabstinenz zuträfen, sei unwahrscheinlich. Es bestehe weiterhin die Gefahr, dass dieser unter Alkohol ähnlich schwere Straftaten wie die verfahrensgegenständliche begehe (UA S. 50).
Die Nichtanordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Schwurgerichtskammer legt ihrer vom Gutachten des Sachverständigen abweichenden Entscheidung in der Sache die bloße Vermutung zugrunde, der auch nach ihrer Auffassung weiterhin alkoholabhängige Angeklagte sei dauerhaft abstinent. Damit ist den insoweit bestehenden Darlegungserfordernissen namentlich in Bezug auf hinreichende eigene gerichtliche Sach-kunde (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2008 – 2 StR 391/08, NStZ-RR 2009, 11; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 244 Rn. 73, jeweils mwN) offensichtlich nicht genügt. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

 

 

BGH, Beschluss vom 11.10.2012 - 5 StR 446/12 

 

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