Sind eigentlich 4-5 Stunden Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung ausreichend?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.12.2012

Die Entscheidungen zur Akteneinsicht reißen nicht ab. Das AG Hamm hatte dem Verteidiger 4-5 Stunden Akteneinsicht gewährt in die Bedienungsanleitung. Das reichte dem Verteidiger aber nicht. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das verurteilende Urteil war erfolglos. Insbesondere reichten die Ausführungen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge nicht aus:

 

 

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil die das Amtsgericht die Möglichkeit auf Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung durch die Verteidigung auf 4-5 Stunden begrenzt habe, was eine angemessene Verteidigung verhindert habe. Auch sei die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung - wegen der Gefahr von Nachahmungseffekten bei Anträgen auf Einsicht in die Bedienungsanleitung - zuzulassen. Zur Begründung des Rechtsbeschwerdeantrages wird – neben der Sachrüge - eine Verfahrensrüge der Verletzung des § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG erhoben. Dazu wird ausgeführt, dass die Verteidigerin mit Telefax vom 19.03.2012 die Übersendung der Bedienungsanleitung zur Einsichtnahme beantragt habe. Mit Schreiben vom 17.04.2012 habe der Richter mitgeteilt, dass die Bedienungsanleitung jederzeit im Gericht, auch am Terminstag vor der Terminsstunde eingesehen werden könne. Das Schreiben sei am 19.04.2012 bei der Verteidigerin eingegangen. Der Termin habe am 20.04.2012 um 12 Uhr stattgefunden. Er sei für die Verteidigerin von einem Unterbevollmächtigten wahrgenommen worden. Dieser habe um 11.25 Uhr Einsicht in die mehr 100 Seiten umfassende Bedienungsanleitung erhalten. Der Unterbevollmächtigte habe im Termin eine Unterbrechung und Neuterminierung beantragt. Gleichwohl habe der Richter zunächst den Messbeamten als Zeugen vernommen. Danach habe er beschlossen, die Verhandlung zu unterbrechen und um 15.50 Uhr fortzusetzen. Der Unterbevollmächtigte erhielt die Bedienungsanleitung zur Mitnahme in seine Kanzlei. Um 15.50 Uhr sei die Verhandlung fortgesetzt worden, ein Aussetzungs- und Verlegungsantrag sei abschlägig beschieden worden. In der kurzen Zeit der Einsichtnahme sei das Studium der Bedienungsanleitung und Erarbeitung eines Verteidigungskonzepts nicht möglich gewesen, wodurch das rechtliche Gehör verletzt worden sei. Mangels Kenntnis von der Bedienungsanleitung habe die Verteidigung An­gaben des Messbeamten zur Messung nicht auf deren Ordnungsgemäßheit überprüfen können.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war zu verwerfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1, 4 Satz 3 OWiG).

1.
Es ist – anders als der Betroffene meint – nicht geboten, das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist mit einer Verfahrensrüge geltend zu machen. Ist die Verfahrensrüge nicht in der nach § 344 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG gebotenen Weise erhoben, ist der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Versagung des rechtlichen Gehörs kommt nicht in Betracht, um nur die Nachprüfung des Urteils unter diesem Gesichtspunkt zu ermöglichen. Vielmehr ist bereits im Zulassungsverfahren zu prüfen, ob das rechtliche Gehör verletzt ist (BVerfG NJW 1992, 2811). Hierzu Muss das Rechtsbeschwerdegericht schon im Zulassungsverfahren die erforderlichen Feststellungen treffen. Das bedeutet, dass der Betroffene mit seiner Rüge substantiiert darlegen muss, was er im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte (vgl. u.a. OLG Hamm NStZ-RR 1999, 23). Denn nur dann ist das Rechtsbeschwerdegericht in der Lage zu prüfen, ob die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht und dem Betroffenen tatsächlich rechtliches Gehör verwehrt worden ist. Dies ist hier nicht geschehen. Auch wenn der Verteidigung der Zeitraum der durch das Amtsgericht gewährten Akteneinsicht für einen Erkenntnisgewinn zu gering ge­wesen sein sollte, so hätte sie sich zur Begründung der Rechtsbeschwerde erneut um Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung bemühen können und aufgrund der so gewonnenen Erkenntnisse konkret darlegen müssen, was sie beim Amtsgericht vorgetragen hätte, wenn dort eine längerfristige Akteneinsicht gewährt worden wäre (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 03.09.2012 – 3 RBs 235/12 – juris). Dafür, dass dies geschehen ist, ist nichts ersichtlich. Weiter wird auch nichts dazu vorgetragen, warum eine Akteneinsicht am Tag vor dem Termin oder am Terminstag nicht schon früher als um 11.25 Uhr möglich und – unter Hinzurechnung der weiteren tatsächlich gewährten Zeiträume der Einsichtnahme – ausreichend gewesen sein sollte.

2.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, wenn sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen würden (Göhler, OWiG, 16. Aufl. § 80 Rdn. 4). Dies ist hier nicht der Fall. Soweit die Sachrüge erhoben wird, ist diese Gefahr offensichtlich nicht gegeben. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft verwiesen. Soweit die Verfahrensrüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung erhoben wird, ist diese Rüge nicht in der nach § 344 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG gebotenen Form erhoben worden (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1983, 270 m.w.N.). Eine unzulässige Beschränkung liegt nicht schon dann vor, wenn die Beschränkung (nur) generell geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen. § 338 Nr. 8 StPO ist nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht. Wird eine Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt durch Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht gerügt, ist daher ein substantiierter Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten. Sollte eine solche konkrete Bezeichnung wesentlichen vorenthaltenen Aktenmaterials dem Verteidiger nicht möglich sein, weil ihm die Akten, in die er Einsicht nehmen will, verschlossen geblieben sind, so muss er sich – damit die Ausnahme von der an sich nach § 344 Abs. 2 StPO bestehenden Vortragspflicht gerechtfertigt und belegt wird – jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun (BGH NStZ 2010, 530, 531; OLG Hamm, Beschl. v. 03.09.2012 – 3 RBs 235/12 – juris). Dies alles ist hier nicht geschehen.

3.
Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts wird vom Betroffenen selbst nicht erhoben und ist auch sonst nicht ersichtlich. Soweit es um die Frage der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung geht, würde eine Zulassung auch hier an der Nichterfüllung der Begründungsanforderungen an die Verfahrensrüge des § 338 Nr. 8 StPO scheitern (s.o.).

 

 

OLG Hamm, Beschluss vom 14.11.2012 - III-1 RBs 105/12

 

 

Ausführlich zur Akteneinsicht: Krumm, Verkehrsordnungswidrigkeiten, Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen - Verfahren, Rn. 59 ff.

 

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