THC-Fahrt: Dem kontrollierenden Polizeibeamten fiel lediglich ein starkes Lidflattern und eine fehlende Pupillenreaktion auf.

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.01.2013
Rechtsgebiete: THCStrafrechtVerkehrsrecht|7760 Aufrufe

Ist die Drogenfahrt noch OWi oder schon § 316 StGB? Die Frage ist leicht zu beantworten, wenn keinerlei Verhaltensbesonderheiten beim Betroffenen festzustellen sind (dann: § 24a StVG). Wenn aber Besonderheiten da sind und auch noch eine hohe Konzentration im Blut wird es schwierig. Reichen die Verhaltensbesonderheiten aus, um drogenbedingte Ausfallerscheinungen annehmen zu können? Genau dazu verhält sich die nachfolgende Entscheidung:

 

 

I.

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss vom 14.05.2012, durch den ihm vom Amtsgericht Waldshut-
Tiengen wegen des im Strafbefehl vom
selben Tag erhobenen Vorwurfs, am 18.02.2012 auf der Sch.-Straße in W.-t. unter dem Einfluss von THC und Amphetamin ein Kraftfahrzeug geführt und sich hierdurch wegen „fahrlässigen Berauschtseins im Straßenverkehr“ strafbar gemacht zu haben, gemäß § 111 a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen und die Beschlagnahme seines Führerscheins angeordnet worden ist, ist zulässig und begründet. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen liegen keine dringenden Gründe für die Annahme vor, dass der Angeklagte in der verfahrensbeendenden gerichtlichen Entscheidung aufgrund des ihm zur Last gelegten Verhaltens wegen einer Straftat nach § 316 Abs. 1 und 2 StGB (die gemäß § 260 Abs. 4 S. 2 StPO entsprechend der gesetzlichen Überschrift dieser Norm als „fahrlässige Trunkenheit im Verkehr“ bezeichnet werden sollte, auch wenn die dem Angeklagten zur Last gelegte Fahruntüchtigkeit - entgegen der Tatbestandsbeschreibung im Strafbefehl - nicht auf vorangegangenen Alkoholgenuss, sondern auf den Konsum von Drogen zurückzuführen sein soll) verurteilt werden wird. Die Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 und 3 StVG, derentwegen gegen den Verurteilten durch - offenbar rechtskräftigen - Bußgeldbescheid der Stadt Waldshut-
Tiengen vom
26.04.2012 - Az.: ... - wegen derselben Tat bereits eine Geldbuße von 500 € und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden ist, rechtfertigt keine Maßnahme nach § 111 a StPO. Daher ist der angefochtene Beschluss rechtswidrig und folglich aufzuheben.

Aufgrund der toxikologischen Untersuchung der dem Angeklagten am 18.02.2012 um 20.36 Uhr entnommenen Blutprobe besteht zwar der dringende Verdacht, dass der Angeklagte kurz vor der Fahrt auf der Sch.-Straße in T. in Richtung L., bei der er am Steuer seines Pkw der Marke Mitsubishi (amtl. Kennz.: ...) um 19.05 Uhr in eine polizeiliche Verkehrskontrolle geriet, erhebliche Mengen an Amphetamin und Cannabisprodukten eingenommen hat. Dies allein begründet jedoch noch nicht den Verdacht, dass er bei dieser Fahrt aufgrund der berauschenden Wirkungen der konsumierten Drogen im Sinne des § 316 StGB fahruntüchtig war.

Denn Wirkstoffgrenzen, die - wie beim Konsum von Alkohol eine Blutalkoholkonzentration von 1,1‰ - eine absolute Fahruntüchtigkeit belegen, hat die Rechtsprechung für die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nach dem Konsum von Amphetamin und Cannabis bislang nicht festgelegt (vgl. zuletzt wieder BGH, B. v. 21.12.2011 - 4 StR 477/11 -). Vielmehr ist die Fahruntüchtigkeit anhand einer umfassenden Würdigung sämtlicher Beweisanzeichen konkret festzustellen. Dabei muss die sichere Feststellung getroffen werden, dass zur Tatzeit eine aktuelle Rauschmittelwirkung vorlag, wobei die Anforderungen an Art und Ausmaß hierfür sprechender Ausfallerscheinungen umso geringer sind, je höher die festgestellte Wirkstoffkonzentration ist. Es bedarf jedoch regelmäßig außer einem positiven Blut-Wirkstoffbefund weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, um eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit festzustellen. Dabei müssen sich die rauschmittelbedingten Ausfallerscheinungen zwar nicht unbedingt in Fahrfehlern ausgewirkt haben, sondern können sich auch aus dem Zustand und dem Verhalten des Fahrzeugführers bei einer Kontrolle ergeben. Dies setzt aber Auffälligkeiten voraus, die sich unmittelbar auf eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit beziehen, etwa schwerwiegende Einschränkungen der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit, mangelnde Ansprechbarkeit, die Unfähigkeit zu koordinierter Bewegung oder eine extrem verlangsamte Reaktion (vgl. BGHSt 44, 219 und die weiteren Rechtsprechnungsnachweise bei Fischer, StGB, 59. Aufl., § 316 Rdnr. 39 f.). Allgemeine Merkmale eines Drogenkonsums wie gerötete Augen, erweiterte Pupillen, verwaschene Aussprache oder eine verlangsamte Motorik reichen hierfür hingegen in der Regel nicht aus.

Vorliegend hat der Angeklagte bei seiner ärztlichen Untersuchung vor der Blutentnahme überhaupt keine Ausfallerscheinungen gezeigt. Hierauf weist der Verteidiger in der Beschwerdebegründung zutreffend hin. Fahrfehler wurden ebenfalls nicht festgestellt. Dem kontrollierenden Polizeibeamten fiel lediglich ein starkes Lidflattern und eine fehlende Pupillenreaktion auf. Beides stellt jedoch keinen ausreichenden Beleg für eine drogenbedingte Fahruntüchtigkeit dar (vgl. BGHSt 44, 219; OLG Saarbrücken, B. v. 28.10.2010 - Ss 104/2010 -). Zumindest lässt sich ohne sachverständige Bewertung des Zustands des Angeklagten hieraus kein tragfähiger Schluss auf die fehlende Fahrtüchtigkeit des Angeklagten ziehen.

Dringende Gründe für die Annahme, dass der Angeklagte wegen einer Straftat nach § 316 StGB verurteilt werden wird, bestehen nach derzeitigem Sachstand daher nicht. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Tat vom 18.02.2012 durch den - von der Staatsanwaltschaft bei Stellung ihres Strafbefehlsantrags offenbar völlig außer Betracht gelassenen - Bußgeldbescheid der Stadt Waldshut-
Tiengen vom 26.04.2012 zutreffend lediglich
als Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 und 3 StVG geahndet worden ist. Dass es in der verfahrensbeendenden Entscheidung, die das Amtsgericht Waldshut-
Tiengen auf den vom
Angeklagten gegen den Strafbefehl vom 14.05.2012 eingelegten Einspruch zu treffen haben wird, stattdessen zur Anordnung einer Maßregel nach § 69 StGB kommen wird, ist hingegen unwahrscheinlich. Dann ist die angefochtene vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten nach § 111 a Abs. 1 S. 1 StPO jedoch ebenso unzulässig wie die damit nach § 111 a Abs. 3 StPO kraft Gesetzes verbundene Beschlagnahme seines Führerscheins.

Der Führerschein des Angeklagten ist zwar auch aufgrund des im Bußgeldbescheid vom 26.04.2012 gegen ihn verhängten einmonatigen Fahrverbots in amtliche Verwahrung zu nehmen. Da hierfür jedoch nicht die Strafjustiz zuständig ist und umstritten ist, ob die Verbotsfrist auch mit der Verwahrung durch eine unzuständige Behörde zu laufen beginnt (bejahend Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 31), wird der Angeklagte zu entscheiden haben, ob sein Führerschein an die Bußgeldbehörde übersandt werden soll oder er von seinem Wahlrecht nach § 25 Abs. 2 a StVG Gebrauch machen will. Ferner wird zu prüfen sein, ob die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 25 Abs. 6 S. 1 StVG auf das Fahrverbot anzurechnen ist.

 

LG Waldshut-
Tiengen:
Beschluss vom 04.12.2012 - 4 Qs 12/12 BeckRS 2012, 24665

 

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