EGMR stärkt Religionsfreiheit am Arbeitsplatz

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 18.01.2013

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat das Recht christlicher Angestellter anerkannt, am Arbeitsplatz eine Kette mit einem Kreuz sichtbar zu tragen. Für bestimmte Berufsgruppen gibt es jedoch Einschränkungen, etwa für Krankenschwestern in der Klinik oder im Pflegebereich. Das geht aus einem neuen Urteil des Gerichtshofs hervor (vom 15.1.2013 Az. 48420/10, 59842/10, 51671/10 und 36516/10 in englischer Sprache). Die Klage richtete sich gegen Großbritannien. Im Fall einer Angestellten der Fluggesellschaft British Airways (Nadia Eweida) stellten die Richter eine Verletzung ihrer Religionsfreiheit fest. Sie sprachen der 61-jährigen Mitarbeiterin des Bodenpersonals eine Entschädigung von 2000 Euro zu. Die in Art. 9 EMRK gewährleistete Religionsfreiheit sei - so die Straßburger Richter - ein essentieller Bestandteil der Identität von Gläubigen und eine der Grundlagen pluralistischer, demokratischer Gesellschaften. Umfasst sei nicht nur das Recht, einen Glauben zu haben und zu wechseln, sondern auch das Recht, die eigene Religion öffentlich zu bekennen und auszuüben. Dieses Recht gelte grundsätzlich auch am Arbeitsplatz. Nicht verletzt wurde nach Einschätzung des Gerichtshofes hingegen die Religionsfreiheit einer Krankenschwester (Shirley Chaplin). Weil sie alte Menschen pflege, sei der Schutz der Gesundheit der Patienten vorrangig ebenso wie die Sicherheit im Krankenhaus, befand der EGMR. Die Patienten könnten sich bei unbedachten Bewegungen an der Kette verletzen. Das Recht, „religiöse Symbole am Arbeitsplatz zu tragen, sei durch die Menschenrechtskonvention geschützt, allerdings müssen dabei die Rechte anderer berücksichtigt werden“, heißt es in dem Urteil. Die Bedeutung dieser Rechtsprechung für das deutsche Recht hält sich in Grenzen, judizierte doch das BAG bislang ebenfalls auf dieser Linie. Zu erinnern ist insbesondere an das Urteil des BAG vom 10.10.2002 (NZA 2003, 483) zur Kündigung einer Verkäuferin wegen Tragens eines - islamischen – Kopftuchs. In der Gewichtung der Rechtspositionen betonte das Urteil damals die Position des Arbeitnehmers. Seine Grundrechte setzen sich in dem entschiedenen Fall gegenüber der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers letztlich durch. Zugleich beließ das Urteil aber Möglichkeiten für abweichende Bewertungen von Fällen, bei denen besondere Umstände für eine Einschränkung der Religionsfreiheit sprechen. 

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