Anbau von Cannabispflanzen auf einem frei zugänglichen Waldgrundstück – wer ist Besitzer?

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 19.02.2013

Das OLG Celle hat sich mit der Frage beschäftigt, ob jemand, der Cannabispflanzen auf einem frei zugänglichen Waldgrundstück anbaut (67 Pflanzen mit einem THC-Gehalt von 28,49 Gramm), wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestraft werden kann.

In dem zu entscheidenden Fall ging es um Angeklagte, die  auf einem abgelegenen, nicht unmittelbar einsehbaren Waldstück eine Marihuana-Outdoor-Plantage errichteten, um davon ihren Eigenkonsum decken zu können.  Die Angeklagten gossen und düngten die Pflanzen, umzäunten die Fläche zum Schutz vor Verbiss mit einem Wildzaun aus Draht und häuften einen Wall aus Zweigen und Geäst an. Ferner schützten sie die Pflanzen durch Krempen und Gift vor Mäusen.

Das OLG Celle nahm in seinem Beschluss vom 21.01.2013, 32 Ss 160/12 (BeckRS 2013, 02864) einen Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge an und begründete dies wie folgt:

„Besitzen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus, die darauf gerichtet sind, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf das Betäubungsmittel zu erhalten (st. Rspr., BGH NStZ-RR 2008, 54; BGH NStZ-RR 2008, 212; BGH NJW 1978, 1696;BGH, NStZ-RR 1998, 148). Für die Einstufung als Besitz kommt es weder auf die Eigentumsverhältnisse an noch darauf, ob der Täter die Betäubungsmittel unmittelbar in seiner Herrschaftsgewalt hat oder sie an irgendeiner Stelle verwahrt, zu der er sicheren Zugang hat, so dass er ohne Schwierigkeit darüber verfügen kann (BGH NJW 1978, 1696). Danach ist es entgegen der ausgeführten Sachrüge für die Beurteilung als Besitz unerheblich, ob die Angeklagten Dritte von der Herrschaft über die in freier Natur angebauten Betäubungsmittel ausgeschlossen hatten. Es reicht aus, dass die Angeklagten selbst jederzeit ungehinderten Zugang hatten. Dies war hier schon deswegen der Fall, weil sie überlegenes Wissen zur Belegenheit der Plantage hatten, die nach den Feststellungen des Amtsgerichts an versteckter Stelle in einem Waldgebiet lag. Die Manifestation des Herrschaftswillens an der Waldfläche als „Inbesitznahme“ ergibt sich hier neben der Aussaat von Pflanzen zu Eigenen Zwecken auch - worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat - durch die faktische Einfriedung der Anbaufläche mit einem Zaun und einem natürlichen Wall. Dass diese Maßnahme nach den Feststellungen der Abwehr von Wild und nicht von Menschen diente, ändert nichts daran, dass die Angeklagten hierdurch die Grundfläche und die darauf befindlichen Pflanzen nach ihrem Willen schützen wollten. Darin kommt eine für die Begründung eines tatsächlichen Herrschaftswillens ausreichende Ausübung der Sachgewalt zum Ausdruck.“

Für alle, die den Tatbestand des unerlaubten Anbaus vermissen: § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zählt nur das Handeltreiben, Herstellen, Abgeben und Besitzen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf. Die Begehungsweisen des Erwerbs und des Anbaus gehen in diesem Fall im Besitz auf (Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Auflage, § 29a Rn. 43, 178).

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3 Kommentare

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Oha, da lehnt sich das Gericht meines Erachtens nach aus dem Fenster.  "Besitz" zu definieren als "jederzeit ungehindert Zugang" zu haben ist eine gelinde gesagt interessante Interpretation.

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b_i_d schrieb:

Oha, da lehnt sich das Gericht meines Erachtens nach aus dem Fenster.  "Besitz" zu definieren als "jederzeit ungehindert Zugang" zu haben ist eine gelinde gesagt interessante Interpretation.

Naja, ein bisschen mehr kommt nach Ansicht des OLG Celle schon hinzu. Zusammen mit dem Umstand, dass die Angeklagten das Cannabis selbst versteckt angepflanzt und das Beet eingefriedet haben, kann man meiner Meinung nach schon von einem (gelockerten) Gewahrsam und damit Besitz iSd § 29a BtMG sprechen. Anders sähe es vermutlich aus, wenn jemand ein wildes Cannabisbeet im Wald entdeckt (in Deutschland wohl eher ungewöhnlich, aber kommt tatsächlich vor: in Frankfurt gab es mal einen Fall, in dem im Saatgut für einen öffentlichen Grünstreifen irrtümlich auch Hanfsamen enthalten waren). Aus dem bloßen Wissen und dem ungehinderten Zugang könnte man wohl keinen Gewahrsam ableiten (fehlende Manifestation des Herrschaftswillens).

Was mich aber irritiert, ist, dass das Gericht mit hohem argumentativen Aufwand versucht, eine qualifizierte Verbrechensstrafbarkeit (!) zu begründen, obwohl die beiden Angeklagten ausschließlich eine Vorbereitungshandlung für einen straflosen Eigenkonsum begangen haben. Das AG hat schließlich festgestellt, dass es ihnen nur um die Selbstversorgung ging, z.T. sogar aus medizinischen Gründen. Dies hat das OLG auch nicht in Frage gestellt. Nach Sinn und Zweck sowie der Systematik des BtMG sind dies Umstände, die eindeutig zugunsten der Angeklagten sprechen (s. etwa §§ 29 Abs. 5, 31a BtMG). Andere Gerichte wie z.B. das OLG Stuttgart in NStZ 2002, 154 bemühen sich deshalb, ähnlich gelagerte Fälle wie die sog. Einkaufsgemeinschaft durch teleologische Reduktion aus der Verbrechensstrafbarkeit des § 29a BtMG auszuscheiden. Dieselben Gründe sprechen mE auch für eine Übertragung dieser Grundsätze auf die Anbaugemeinschaft.

Nun mag man einwenden, dass eine nur teilweise Zurechnung des Besitzes im hiesigen Fall wegen der großen Menge nichts an der Strafbarkeit nach § 29a BtMG ändern würde. Das ist richtig, liegt mE aber an der mit Sinn und Zweck des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (besondere potenzierte Gefährlichkeit der nicht geringen Menge; "Sogwirkung" auf andere Konsumenten) schwerlich zu vereinbarenden Addition rauschuntauglicher Teile des Cannabis, um eine "nicht geringe Menge" zu erreichen. Im Sachverhalt fehlt leider die Angabe der Bruttomenge, aber einmal angenommen, dass jede der 67 Pflanzen ca. 50 Gramm rauchfähiges Marihuana abgeworfen hat (was extrem niedrig angesetzt ist, denn laut Internet kann eine einzige Pflanze bis zu 500/600 Gramm produzieren), dann hätte man eine Bruttomenge von ca. 3,3 kg, was bei 28,5 Gramm Wirkstoff eine durchschnittliche Quote von deutlich weniger als 1% THC wäre. Mit solchem Cannabis kann man gar keinen Rausch erzielen, wie ein rechtsmedizinisches Gutachten belegt, das in einem Verfahren vor dem LG Mainz eingeholt wurde und mir vorliegt. Solches Cannabis wäre wohl in etwa mit alkoholfreiem Bier zu vergleichen, das auch eine geringe Menge Alkohol enthält, aber trotzdem keinen Rausch hervorrufen kann. Auch wenn das BtMG nach h.M. grundsätzlich rauschuntaugliches Marihuana erfasst, erschließt sich mir nicht, warum man auf diese Weise zusätzlich eine qualifizierte Verbrechensstrafbarkeit herleitet. Evtl. werde ich mich deshalb demnächst an anderer Stelle mit dieser Frage befassen.

Die Angeklagten können sich glücklich schätzen, dass sie sich zu zweit und nicht zu dritt zum Cannabisanbau zusammengeschlossen haben, denn dann wäre trotz ausschließlicher Eigenverbrauchsabsicht nach Ansicht des LG Augsburg (Urteil v. 11.07.2011 - 1 KLs 303 Js 127958/10) und des 1. Strafsenats des BGH (Beschl. v. 12.01.2012 - 1 StR 559/11) bandenmäßiger Anbau von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a BtMG mit einer Mindeststrafe von 5 (!) Jahren Freiheitsstrafe einschlägig...

 

Bemerkenswert ist im hiesigen Fall auch, dass das AG aaO folgenden Sachverhalt:

AG Lueneburg schrieb:

"Nachdem die Angeklagten am 19. August 2011 eine Überwachungskamera, die die Polizei auf der Plantage installiert hatte, entdeckt hatten, bekamen sie Panik, weil sie befürchteten, durch aufgezeichnete Bilder entdeckt zu werden. Sie verluden die Kiste, in der die Kamera befestigt war, auf ein Fahrrad, um sie dauerhaft verschwinden zu lassen. Sie wurden jedoch noch während des Abtransportes aus dem Waldstück festgenommen."

als Diebstahl würdigt. Diese Feststellungen tragen nicht die Zueignungsabsicht (Aneignung??) der Angeklagten. Aber dank § 154 StPO konnte das OLG hierzu schweigen.

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