Gerechtigkeit als Ware? – Morgen entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die "Absprachen im Strafprozess"

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 18.03.2013

Nachdem sich gerade noch der Strafverteidigertag in der Arbeitsgruppe „Wer dealt, sündigt nicht“ mit den Absprachen im Strafprozess beschäftigt hatte (dazu ein aktueller Bericht von Helene Bubrowski in der FAZ vom 16.3.2013 S. 10), ist es morgen nun soweit. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wird sein Urteil zur Zulässigkeit von „Absprachen im Strafprozess“ verkünden.

Das Wesen der Verständigung liegt in der Formalisierung bei der forensischen Wahrheitssuche. Im Strafverfahren ist das Tatgeschehen, der historische Sachverhalt, den Verfahrensbeteiligten "nicht unmittelbar" zugänglich, sondern muss erst aus anderen Tatsachen erschlossen werden. Bei der Wahrheitsermittlung im Sinne einer Rekonstruktion des Geschehenen geht es nicht nur um Beobachten und Abbilden, sondern auch um Verhandeln und Abstimmen. Die Wahrheitssuche ist also ein verletzlicher Prozess, der durch Förmlichkeiten geschützt ist (näher dazu Hassemer Festschrift für Volk, 2009, S. 217 ff). Die Entwicklung vom Informellen – bis zur gesetzlichen Regelung in § 257c StPO ging es der Praxis darum, sich vom formellen Recht gewisse "Erleichterungen" zu verschaffen – zur nunmehr vorgenommenen gesetzlichen Formulierung ist deshalb bemerkenswert, weil sie eindrucksvoll belegt, dass das Wesen der Informalität im Strafprozessrecht gerade darin besteht, die Formen und die Ergebnisse des Verhandelns bis hin zur Abstimmung aus den Fesseln des formellen Rechts zu befreien. Ist das Bedürfnis nach Informalität erst einmal anerkannt (vgl. BGHSt 43, 195, 202), dann bahnt es sich seinen Weg bis zu den Mindestanforderungen, die wiederum in den informellen Teil vorverlagert werden (Fischer NStZ 2007, 71, 75). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht wie auch jüngst beim Strafverteidigertag ist deutlich geworden, dass sich in der Praxis weder Richter noch Strafverteidiger an die gesetzliche Regelung halten.

Der Gesetzgeber kann die Verständigung im Strafverfahren regeln und womöglich sogar in der Weise, wie es geschehen ist. Wie das Bundesverfassungsgericht sicherstellen will, dass einfaches Recht künftig eingehalten wird, darauf bin ich gespannt.

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13 Kommentare

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Karlsruhe (dpa) - Das Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Regelung zum sogenannten Deal im Strafprozess grundsätzlich gebilligt. Allerdings müssten sich Richter und Staatsanwälte bei solchen Absprachen stärker an Recht und Gesetz halten. Bislang bestehe ein «erhebliches Vollzugsdefizit».

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Es ist ja schon bezeichnend für den  Missbrauch der "richterlichen Unabhängigkeit" und die Ernsthaftigkeit des Diensteides, wenn das BVerfG verbeamtete Staatsdiener zur Einhaltung von Art. 20 (3) GG auffordern muss.

Strafprozesse verlieren an Bedeutung - Kommentar von Heribert Prantl in der SZ

Die Zukunft des Strafverfahrens ist keine gute. Das grundsätzliche "Ja" des Bundesverfassungsgerichts zur Dealerei in Strafprozessen wird zu einer Art Ablasshandel: (Teil-)Geständnis gegen milde Strafe. Dabei wird nicht mehr unbedingt die Wahrheit gesucht. Sondern gefeilscht, gekungelt und gepokert - vor der Verhandlung.
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Der Deal ist am geltenden Recht vorbei vor etwa 30 Jahren in der Praxis entwickelt worden; dann wurde er legalisiert und ausgeweitet. Jetzt wurde er mit den höchstrichterlichen Weihen und Mahnungen versehen. Es ist dies eine epochale Umwälzung des Rechtssystems: Die (mit einer Belohnung versehene) Zustimmung des Angeklagten zum Urteil erhält nun im postmodernen Strafprozess eine Bedeutung, wie sie einst im Inquisitionsprozess das (notfalls erzwungene) Geständnis hatte.

Der bisherige Strafprozess, in dessen Mittelpunkt die Aufklärung der Tat stand, verliert an Bedeutung. Und der Glaube an das Recht verliert seine Kraft.

Als Verfechter einer strengen Gesetzesbindung der Justiz (vgl. z.B. JurBüro 2000,124; AuR 2011,409) kann ich zunächst dem BVerfG insoweit zustimmen, als es die drei Strafurteile aufgehoben hat, weil die Gerichte sich nicht streng an die gesetzlichen Vorgaben gehalten haben.  Es spricht jedoch einiges dafür, dass § 257 c StPO wegen der dort ausdrücklich zugelassenen Verknüpfung zwischen Geständnisbereitschaft und Strafmaßzusage entgegen dem BVerfG doch verfassungswidrig ist.

Rechtsanwalt Dr. Thomas Wedel, Oberasbach

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Gab es denn schon jemals eine auch für Laien deutlicher erkennbare Ohrfeige vom BVerfG für die "Justizpraktiker"?

Blamage für die Justiz (spiegel.de)

Dass sich im Strafverfahren das Gericht, die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte nebst seinen Verteidigern darauf verständigen, für ein Geständnis einen vorher avisierten Strafrabatt einzuräumen, ist aus Sicht der Verfassungsrichter zwar nicht ideal, mit Blick auf die hohe Belastung der Justiz aber vertretbar, solange es in einem gewissen Rahmen bleibt.
Und diesen Rahmen hat der Gesetzgeber, das haben die Verfassungsrichter nun betont, durchaus sinnvoll gesetzt. Allein: Die Justiz hielt sich oftmals gar nicht daran, sondern schuf sich ihre eigenen Regeln, ja, dealte munter und ohne Rücksicht auf rechtliche Verluste am Gesetz vorbei.
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Dass informell illegal ist, hätte dabei eigentlich schon vorher jedem klar sein müssen: Da die Ausübung hoheitlicher Gewalt einer "strikten Bindung" an Gesetz und Recht unterliegt, stellten die Verfassungsrichter fast schon sarkastisch fest, "bedurfte die Absicht des Gesetzgebers, nur solche Verständigungen zuzulassen, die sich innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens bewegen, keiner weiteren ausdrücklichen Hervorhebung".
Auch dass diese Vorschriften immer wieder als "praxisuntauglich" kritisiert worden seien, um ihre Umgehung zu rechtfertigen, ändere daran nichts. Nach dem Grundgesetz sei es nun einmal so, betonten die Verfassungsrichter erkennbar schmallippig, dass "das Recht die Praxis bestimmt und nicht die Praxis das Recht".

Diese Entscheidung ist eine Schande nicht nur für die Amtgerichtsmauschler, sondern auch für den BGH (Bananenrepubliksgerichtshof?), der diese verfassungswidrig zustande gekommenen Verurteilungen durchgewunken hat.

Entscheidungen unsere obersten Gerichte "contra legem" sind auch ausserhalb des Strafrechts gar nicht so selten. Diesbezüglich kann z.B. verwiesen werden auf meine sehr kritischen Entscheidungsbesprechungen JurBüro 2000,124 (BVerfG zu § 58 GKG), AuR 2011,409 (BAG zu § 14 TzBfG) und JurBüro 2012,76 (BGH, 1,5-Geschäftsgebühr,Toleranzspielraum)

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Jedem Strafrechtspraktiker war es bekannt, was das BVerfG jetzt uns allen ins Stammbuch schreibt: Beim "Handel mit der Gerechtigkeit" hält sich die Praxis vielfach nicht an die eindeutigen gesetzlichen Vorgaben! "Erhebliche Vollzugsdefizite" bemängelt die Pressemitteilung des Gerichts gleich im ersten Satz. Dieser bittere Befund sollte alle Strafrechtspraktiker zum Nachdenken bringen! Berufsethos ist ein großes Wort, aber leider scheint dieser Wert (den man sich nicht kaufen kann, sondern erarbeiten muss) bei einigen in Vergessenheit geraten zu sein.

 

Die Praxis umging schon früher vielfach die höchstrichterlichen Vorgaben und nahm später auch die gesetzliche Regelung vielfach nicht ernst, obwohl die Strafrichter seither mit einer Strafanzeige wegen Rechtsbeugung rechnen müssen, wenn sie nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten (mir ist allerdings kein solches Verfahren bekannt geworden).

 

Trotz der mahnenden Worte aus Karlsruhe befürchte ich, dass nach kurzer Zeit wiederum einige der unter tatsächlichen wie eingebildeten Zwängen stehenden Praktiker in gewohnter Weise "dealen" wie bisher und dabei grundlegende Prinzipien unseres Strafprozesses negieren. 

 

Sehr geehrter Herr Dipl. Kfm. Sobottka,

Ihre Frage, warum es ausnahmsweise bei Verständigungen anders sein sollte, kann ich nur mit dem in den Urteilsgründen (dort Rn. 121) formulierten Beobachtungsauftrag beantworten, dass der Gesetzgeber künftig die Absprachenpraxis überwachen und ggf. geeignete Maßnahmen treffen müsse.

Jedoch befürchte ich: Mit einem solchen Beobachtungsauftrag ist den Auswüchsen nicht beizukommen.

 

Mit besten Grüssen

Bernd von Heintschel-Heinegg

 

Ja, ist alles ganz schlimm.

 

Schön immerhin, dass hier von "Justizpraktikern" geredet wird. Der Ehrlichkeit halber sollte man nämlich erwähnen, dass 100% der "Rechtsgespräche" in deutschen Gerichtssälen von Verteidigern ausgehen.

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Ja, ist alles ganz schlimm.

Schön immerhin, dass hier von "Justizpraktikern" geredet wird. Der Ehrlichkeit halber sollte man nämlich erwähnen, dass 100% der "Rechtsgespräche" in deutschen Gerichtssälen von Verteidigern ausgehen.

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Sehr interessant ist auch, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Deal-Urteil auch zu der Problematik, wie Gesetze auszulegen sind, grundsätzlich geäußert hat: Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, komme insbesondere den Gesetzesmaterialien eine erhebliche Indizwirkung zu. Die kurz zuvor vom Bundesverfassungsgericht wieder einmal verwendete Formel vom objektivierten Willen des Gesetzgebers stellt also wohl nur eine Reminiszenz an seine frühere ständige Rechtsprechung dar. (Zur Bedenklichkeit der Verwendung dieser Formel vgl. z.B. Wedel, MDR 1990,786 sowie JurBüro 2009,119) Das Bundesverfassungsgericht stützt dann auch seine Entscheidung, wonach § 257c StPO (noch) verfassungsgemäß ist, maßgeblich auf das aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Regelungskonzept des Gesetzgebers. Auch der BGH hat übrigens erst kürzlich wieder in einer Entscheidung zu § 850k ZPO auf die maßgebliche Bedeutung der Gesetzesmaterialien bei der Gesetzesauslegung ausdrücklich hingewiesen.

Rechtsanwalt Dr. Thomas Wedel, Oberasbach

 

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Dr. Thomas Wedel schrieb:

Sehr interessant ist auch, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Deal-Urteil auch zu der Problematik, wie Gesetze auszulegen sind, grundsätzlich geäußert hat: Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, komme insbesondere den Gesetzesmaterialien eine erhebliche Indizwirkung zu. Die kurz zuvor vom Bundesverfassungsgericht wieder einmal verwendete Formel vom objektivierten Willen des Gesetzgebers stellt also wohl nur eine Reminiszenz an seine frühere ständige Rechtsprechung dar. (Zur Bedenklichkeit der Verwendung dieser Formel vgl. z.B. Wedel, MDR 1990,786 sowie JurBüro 2009,119) Das Bundesverfassungsgericht stützt dann auch seine Entscheidung, wonach § 257c StPO (noch) verfassungsgemäß ist, maßgeblich auf das aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Regelungskonzept des Gesetzgebers. Auch der BGH hat übrigens erst kürzlich wieder in einer Entscheidung zu § 850k ZPO auf die maßgebliche Bedeutung der Gesetzesmaterialien bei der Gesetzesauslegung ausdrücklich hingewiesen.

Danke für den Hinweis, auch den auf das Urteil des XI. Zivilsenats zu § 850k ZPO (http://dejure.org/2012,34289: "die Gesetzesmaterialien, die - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - bei der Auslegung maßgeblich zu berücksichtigen sind").

Renitent ist der I. Zivilsenat, jedenfalls wenn das Ergebnis ihm nicht in den Kram paßt: http://dejure.org/2012,21003 ("Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der darin zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgeblich. Nicht entscheidend ist demgegenüber die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung")
Ausführlich dazu: http://blog.delegibus.com/2012/08/12/in-sachen-bundesgerichtshof-parlame...

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Hallo Herr Garcia, Ihre Analyse der Entscheidung des 1.Zivilsenats des BGH ist sehr überzeugend. Ich plädiere schon seit 25 Jahren in vielen Veröffentlichungen für einen hohen Stellenwert des aus den Gesetzesmaterialien erkennbaren Willens des Gesetzgebers bei der Gesetzesauslegung. (siehe www.ra-dr-wedel.de) Ich finde übrigens auch  dejure.org  super !

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