Vorhergehendes Leiharbeitsverhältnis wird nicht auf Probezeit angerechnet

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 10.06.2013

Die ordentliche Kündigung eines Arbeitgebers bedarf erst dann einer sozialen Rechtfertigung (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn das Arbeitsverhältnis mehr als sechs Monate bestanden hat (§ 1 Abs. 1 KSchG). In den ersten sechs Monaten (der gesetzlichen Warte- oder Probezeit) darf sie zwar nicht gegen gesetzliche Verbote wie § 138 BGB oder § 1 AGG verstoßen, ist aber nicht an die strengeren Voraussetzungen des allgemeinen Kündigungsschutzes geknüpft.

Die bislang herrschende Auffassung interpretiert den Gesetzestext des § 1 Abs. 1 KSchG ("... gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen länger als sechs Monate bestanden hat ...") dahingehend, dass die Beschäftigung als Leiharbeitnehmer nicht ausreicht. Denn sie begründet - wenn der Verleiher eine Erlaubnis hat - ein Arbeitsverhältnis nur mit dem Verleiher, nicht aber mit dem Entleiher. Konsequenz dieser Auffassung ist, dass ein vom Entleiher als Stammkraft übernommener bisheriger Zeitarbeitnehmer nochmals eine gesetzliche "Probezeit" von sechs Monaten durchlaufen muss, auch wenn er schon längere Zeit in dem Betrieb eingesetzt war.

Diese Auffassung bestätigt jetzt das LAG Niedersachsen (Urt. vom 05.04.2013 - 12 Sa 50/13, BeckRS 2013, 68972):

"1. Mit der Formulierung "dessen Arbeitsverhältnis" knüpft § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG an die Dauer der Bindung mit dem jeweiligen Vertragsarbeitgeber an. Die Zusammenrechnung mehrerer Arbeitsverhältnisse, zwischen denen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, kommt nur in Betracht, wenn diese Arbeitsverhältnisse mit demselben Vertragsarbeitgeber bestanden haben.

2. Selbst wenn ein Leiharbeitnehmer zuvor mehrere Monate im Entleiherunternehmen auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt worden ist, auf dem er auch im Rahmen einer Anschlussbeschäftigung direkt beim Entleiher tätig wird, handelt es sich nicht um ein einheitliches sondern um zwei aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern. Folge ist, dass die sechsmonatige Wartefrist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG neu zu laufen beginnt." (Leitsätze des Gerichts)

Es überrascht ein wenig, dass die Begründung mit keinem Wort auf das Urteil des BAG vom 24.01.2013 - 2 AZR 140/12, APNews 2013, 71, eingeht, auch wenn dieses Urteil bislang nur als Pressemitteilung und nicht im Volltext vorliegt. Die Entscheidung des BAG betrifft die Betriebsgröße nach § 23 KSchG, bei der Leiharbeitnehmer mitzuzählen sein können. Sie könnte Anlass geben, auch mit Blick auf § 1 Abs. 1 KSchG die bisherigen Argumente neu zu überdenken.

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4 Kommentare

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Es heißt ja auch "in demselben Betrieb oder Unternehmen". Die bisherige Rechtsprechung hat das auf "in demselben Unternehmen" verkürzt.

@ "Mein Name": Ihren Einwand verstehe ich nicht. Hingegen teile ich die Überasschung von Prof. Dr. Rolfs, ausgelöst dadurch, dass das LAG Niedersachsen die BAG-Entscheidung vom 24.01.2013 unerwähnt lässt.

 

Prof. Dr. Rolfs hatte hier: http://blog.beck.de/2013/01/03/ausblick-2013-z-hlen-leiharbeitnehmer-zur... bereits auf das sich damals abzeichnende Urteils des BAG vom 24.01.2013 - 2 AZR 140/12 - hingewiesen, das er auch vorliegend erwähnt.

 

Ich hatte damals darauf hingewiesen, dass in § 23 KSchG nur vom "Betrieb" und dagegen vom "Unternehmen" gerade nicht die Rede ist. Man könnte also argumentieren: Der Gesetzgeber müsste erst einmal Arbeitnehmer nicht desselben Betriebes und wenigstens desselben Unternehmens unter § 23 KSchG fassen, bevor man sich überlegt, ob auch solche Arbeitnehmer mitzählen, die weder Arbeitnehmer des betreffenden Entleiher-Betriebes noch des betreffenden Entleiher-Unternehmens sind. Wie wir im Ergebnis seit dem 24.01.2013, nicht aber in der Begründung wissen, macht das laut BAG für das Mitzählen der Leiharbeitnehmer bei § 23 KSchG jedoch nichts aus. Das kann man m. E. damit begründen, dass der Leihnarbeitnehmer eben auch in diesem "Betrieb" arbeitet, auch wenn formal mit ihm kein Arbeitsverhältnis besteht. Dann kommt es für den Leiharbeitnehmer auf den in § 23 KSchG gar nicht vorkommenen Unternehmensbegriff nicht an.

 

Mit ähnlicher Überlegung kann man auch an § 1 KSchG herangehen. Dort ist zwar anders als bei § 23 KSchG vom "Unternehmen" die Rede. Wenn es aber für den Einsatz des Leihnarbeitnehmers darauf ankommt, ob dieser zum "Betrieb" des Entleihers gehört, so spielt es weder bei § 1 KSchG noch bei § 23 KschG eine Rolle, was der hiervon zu unterscheidende Unernehmensbegriff besagt.

 

 

Christian.Rolfs schrieb:

Es überrascht ein wenig, dass die Begründung mit keinem Wort auf das Urteil des BAG vom 24.01.2013 - 2 AZR 140/12, APNews 2013, 71, eingeht, auch wenn dieses Urteil bislang nur als Pressemitteilung und nicht im Volltext vorliegt. Die Entscheidung des BAG betrifft die Betriebsgröße nach § 23 KSchG, bei der Leiharbeitnehmer mitzuzählen sein können. Sie könnte Anlass geben, auch mit Blick auf § 1 Abs. 1 KSchG die bisherigen Argumente neu zu überdenken.

Das Urteil des BAG stellt auf die Gesamtzahl der Arbeitsplätze im Betrieb ab und stellt dabei fest dass es egal ist, wie der in der Planung festgelegte Arbeitsplatz besetzt wird, ob mit einem Leiharbeitnehmer oder einem fest angestellten.

Die Person des Leiharbeitnehmers ist dabei egal, der kann im Extremfall täglich wechseln, solange der Arbeitsplatz in der betrieblichen Planung fest mit einkalkuliert ist, also der Betrieb diesen Arbeitsplatz besetzt haben will.

Letztlich wollte das BAG verhindern, dass Arbeitgeber zwar mehr ein 10 Mitarbeiter brauchen und nutzen, aber durch Leiharbeitnehmer das KSchG umgehen können.

Im § 1 KSchG geht es hingegen um das individuelle Arbeitsverhältnis und die Frage, ob dieser spezielle Arbeitnehmer bei diesem Arbeitgeber beschäftigt war. Und da sehe ich kein besonderes Bedürfnis, den Arbeitnehmer zu schützen.

Nebenbei:

Das Wort "Probezeit" in der Überschrift halte ich für nicht passend, meines Wissens werden die 6 Monate üblicherweise mit "Wartezeit" bezeichnet.

5

@Gast

Ja, im Fachjargon heißt die Sechs-Monats-Frist "Wartezeit". Da der BeckBlog aber auch von vielen juristischen Laien gelesen wird, habe ich mich in der Überschrift für die umgangssprachliche "Probezeit" entschieden.

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