Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht: Zur Empfehlung der Kommission

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 30.07.2013

Endlich komme ich dazu, mir die am 11. Juni 2013 veröffentlichte Empfehlung der Europäischen Kommission zu "gemeinsamen Grundsätzen für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten" vorzunehmen. Das Dokument ist auf den Internetseiten der GD Wettbewerb und der GD SANCO veröffentlicht. Ich hatte in der Vergangenheit im Beck-Blog und im CMS-Blog ja immer wieder über die Absichten und Bestrebungen der EU im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes im Kartellrecht berichtet (vgl. nur hier mit weiteren Verweisen).

Die Empfehlung richtet sich auf ein sogenanntes "horizontales" Instrument, also gerade nicht auf eine sektorspezifische Regelung für das Kartellrecht, wie sie der GD Wettbewerb in der Vergangenheit vorschwebte. Dementsprechend allgemein sind die Ausführungen in der Empfehlung gehalten.

Insgesamt kann man zusammenfassend und gleichzeitig natürlich etwas verkürzt sagen, dass es sich um eine Empfehlung gegen den kollektiven Rechtsschutz handelt. "Instrumente", die den mit der Empfehlung ausgesprochenen Anforderungen entsprechen, sind nicht attraktiv und praktikabel (vgl. näher zu Fragen des kollektiven Rechtsschutzes im Kartellrecht: mein gleichnamiger Beitrag in Möschel/Bien (Hrsg.), „Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?“, S. 71 ff., Nomos, Baden-Baden 2010). Sie werden von den Berechtigten nicht genutzt werden. Das ist aber vielleicht auch gut so.

Mir sind ein paar Punkte bei der Lektüre aufgefallen, die erwähnenswert sind:

  1. Die Europäische Kommission überlässt das Spielfeld nicht endgültig den Mitgliedstaaten. Wie sich aus Erwägungsgrund 26 der Empfehlung ergibt, soll sie in vier Jahren überprüfen, ob nicht doch noch gesetzliche Maßgaben auf EU-Ebene erforderlich sind.
  2. Die Empfehlung versteht unter einem "Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes" auch ein "rechtliches Verfahren, mit dem zwei oder mehr als zwei natürliche oder juristische Personen, die geltend machen, bei einem Massenschadensereignis geschädigt worden zu sein, gemeinsam [….] Schadensersatz verlangen können" (Tz. 3). Hierunter fallen dann wohl auch Streitgenossen (?). Eine Abtretungslösung à la CDC fällt aber wohl nicht hierunter (?).
  3. Sollen Verbände tätig werden, müssen diese sehr hohe Voraussetzungen erfüllen. Tz. 4 der Empfehlung sieht ein Gemeinnützigkeitskriterium vor. Man fragt sich unwillkürlich, inwieweit die Erhebung einer kartellrechtlichen Stellvertreterklage gemeinnützig sein kann. Handelt es sich um einen Widerspruch in sich?
  4. Tz. 14 ff. machen Vorgaben für die Finanzierung von kollektiven Klagen. Die Vorgaben sind strenger als für Individualklagen. So soll die Klagepartei nach Tz. 14 dem Gericht am Anfang des Verfahrens die Herkunft der Mittel offen legen müssen, mit denen die Klage finanziert wird. Für Individualklagen gibt es – im deutschen Recht – ein solches Erfordernis regelmäßig nicht. Es stellt sich die Frage, wie die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein soll. Im Übrigen sind die Voraussetzungen dergestalt, dass eine Drittfinanzierung von Kollektivklagen eher ausgeschlossen ist. Das ist wohl auch politisch so gewollt. Nicht verstanden habe ich die Einschränkung, dass die Finanzierung durch dritte Geldgeber ausgeschlossen sein soll, wenn sich die finanzierte "Kollektivklage gegen einen Beklagten, der Wettbewerber des Geldgebers ist oder auf dessen Mittel der Geldgeber angewiesen ist", richtet (Tz. 16 lit. b)). Unklar ist weiterhin, was mit "überhöhten Zinsen" im Sinne von Tz. 16 lit. c) gemeint sein soll. Soweit Wucherzinsen gemeint sind, gibt es hierfür zumindest im deutschen Recht Verbotsvorschriften. Soll hier eine geringere "Eingriffsschwelle" geregelt werden?
  5. Den Mitgliedstaaten wird das sogenannte opt-in-Prinzip empfohlen. Dies gilt interessanterweise nicht ausnahmslos. Ausnahmen, also opt-out, aus "Gründen der ordnungsgemäßen Rechtspflege" bleiben danach wohl möglich (Tz. 21). Was "ordnungsgemäße Rechtspflege" ist, scheint mir ein sehr offener und von der Perspektive abhängiger Begriff zu sein. US-Amerikaner würden eine opt-out class-action nach section 23 der Federal Rules wohl als "ordnungsgemäße Rechtspflege" ansehen. Richtig ist aber, dass sich ein opt-out-Prinzip kaum mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör vereinbaren lässt.
  6. Die Empfehlung in Tz. 29, dass die Anwaltshonorare und die Methode zu deren Berechnung keinen Anreiz für Streitverfahren schaffen sollen, hat allgemeine Gültigkeit und ist kein Spezifikum des kollektiven Rechtsschutzes. Das gilt hoffentlich auch für Individualklagen.
  7. Etwas unklar ist die Formulierung in Tz. 30: "Die Mitgliedstaaten sollten Erfolgshonorare, die einen solchen Anreiz schaffen könnten, nicht zulassen." Man fragt sich, ob der Relativsatz eine Einschränkung oder lediglich eine Beschreibung des Erfolgshonorars darstellten soll.
  8. Nach Tz. 32 soll die sogenannte quota litis ausgeschlossen sein. Etwas anderes gilt nur, wenn eine Behörde (Was?! noch eine Behörde mehr?!) dies überwacht.
  9. Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, dass Kollektivklagen nur als sogenannte follow-on-Klagen erhoben werden sollen. Zumindest für das Kartellrecht scheint mir hier kein Regelungsbedarf zu bestehen, da dies aus verschiedensten Gründen der Praxis entspricht.

Ich rechne damit, dass aus dem Thema jetzt erst einmal die Luft heraus ist. In vier Jahren wird es dann – womöglich – weitergehen.

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