Update zur Beschneidungsdebatte – Wie der Gesetzgeber den Normbruch verhindern kann!

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 07.10.2013

Die Entscheidung des LG Köln NJW 2012, 2128 führte auch hier im Blog zu einer intensiven Diskussion über die Frage der Strafbarkeit einer Beschneidung (zum aktuellen Stand der Diskussion BeckOK-StGB/Eschelbach § 223 Rn. 9, 35. 1 ff). Nun hat in einem Beschluss das OLG Hamm vom 30.8.2013 –3 UF 133/13 – es einer Mutter aus Kenia untersagt, entsprechend den kulturellen Riten ihres Heimatlandes ihren sechs Jahre alten Sohn beschneiden zu lassen (näher dazu im Blog bereits DirAG Burschel): Die Eltern und der Arzt müssten den Eingriff vorher mit dem Kind „in einer seinem Alter und Entwicklungsstand entsprechenden Art“ besprechen. Außerdem sei die Einwilligung der Eltern nur wirksam, wenn sie vorher umfassend über die Beschneidung aufgeklärt worden sein.

Den rechtlichen Hintergrund dieser Entscheidung bildet der im Zuge der erregt geführten öffentlichen Diskussion neu ins Familienrecht eingefügte § 1631 d BGB (Beschneidung des männlichen Kinds):

(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.

(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.

Die wohl erste Entscheidung zu dieser Bestimmung respektiert zwar die religiösen Riten, es beachtet aber auch das Recht des Kindes. Je älter das Kind ist, das beschnitten werden soll, umso mehr muss dessen eigener Wille ermittelt und berücksichtigt werden.

Warum ich diese Entscheidung auch für das Strafrecht ausgewählt habe? Das Strafrecht tritt erst mit dem Normbruch auf dem Plan. Wie die vorliegende Umsetzung des § 1631 d BGB zeigt, ist es ein Glücksfall, wenn es dem Gesetzgeber gelingt, dass es gar nicht zu dem Normbruch kommt!

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http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:qAbfTjIt4WQJ:www.assembly.coe.int/CommitteeDocs/2013/Eintegritychildren2013.pdf+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de

 

Der Europarat beschloss am 1. Oktober 2013 in Straßburg die Resolution ”Children’s right to physical integrity” (Recht der Kinder auf körperliche Unversehrheit) mit breiter Mehrheit (78 ja-Stimmen, 13 nein-Stimmen und 15 Enthaltungen).

 

Die Parlamentarische Versammlung ist besonders besorgt über den Bereich der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit von Kindern, deren Befürworter dazu neigen, die Verfahren als vorteilhaft für die Kinder darzustellen trotz eindeutiger Beweise für das Gegenteil. Dazu gehören unter anderem die weibliche Genitalverstümmelung, die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen, die frühkindliche medizinische
Intervention bei intersexuellen Kindern und das Angebot oder der Zwang für Kinder, sich Piercings, Tätowierungen oder plastischer Chirurgie zu unterziehen.”

 

Kann diese Resolution etwas bewirken bezüglich der beiden "Beschneidungsparagraphen" .

 

 

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Hier lag insofern ein Sonderfall vor, als es gerade nicht um "religiöse" Riten ging. Bei vielen Völkern in Kenia gehört die Beschneidung der männlichen Nachkommen zur Tradition und sie wird unabhängig vom religiösen Bekenntnis (die Mehrheit der Kenianer gehört einer christlichen Konfession an) durchgeführt. Darüber hinaus wird neuerdings heftig Propaganda für die Beschneidung gemacht, weil sie laut einer WHO-Studie geeignet sein soll, die Ausbreitung von HIV zwar nicht einzudämmern, aber zu vermindern.

Das Gericht hat sich zu Recht die Frage gestellt, warum hier kenianische Gepflogenheiten relevant sein sollen, wenn doch das betroffene Kind seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat und weiterhin haben wird. (Aus dem Urteil kann man auch herauslesen, dass die Mutter sich über das Thema wohl nicht allzuviele Gedanken gemacht hat und mithin nicht von einer informierten Entscheidung der Mutter pro Beschneidung auszugehen ist. )

Was die Sache noch weiter relativiert (und dem Gericht vermutlich nicht bekannt ist): Es handelt sich bei der Beschneidung keineswegs um eine "kenianische" Gepflogenheit. Eines der zahlenmäßig größten Völker Kenias, die Luo (zu denen auch Brack Obamas Vater gehörte), führen traditionell _keine_ Beschneidungen durch.

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Rätselhaft bleibt für mich, wo genau die Grenze zwischen "religiös" und "kulturell" motivierter Beschneidung liegen soll. Meines Erachtens wird hier mit zweierlei Maß gemessen, und zwar zugunsten religiöser Gruppierungen, da deren Beschneidungspraktiken Grundlage für die BGB-Formulierung waren. Gegenüber anderen Gruppen, die aus "kulturellen" Gründen eine Beschneidung praktizieren, wird der "religiösen" Beschneidung hier ein Sonderrecht eingeräumt. Genügt der Verweis auf den tradierten Glauben an eine metapyhsische Macht, während der Verweis auf eine möglicherweise nicht weniger alte Tradition ohne Gottesbezug beiseite gewischt wird? Mit einem generellen Beschneidungsverbot hätte man diese willkürlich anmutende Grenzziehung zwar salomonisch, aber doch wirkungsvoll vermeiden können.

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Der Artikel 4 des Grundgesetzes schützt nun mal die _Religions_ausübung und nicht die ungestörte Ausübung irgendwelcher "Traditionen".

 

Ich sehe hier auch durchaus einen Unterschied. Religion bzw. Weltanschauung (der Artikel 4 schützt auch Atheisten) ist letzten Endes eine Sache der persönlichen Entscheidung, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis und seinen Traditionen dagegen ist von außen vorgegeben.

 

Im vorliegenden Fall kam noch hinzu, dass die Kultur, auf man sich berief, gar nicht die Kultur ist, in der das Kind aufwächst.

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JBY.bernd.heintschel-heinegg schrieb:

 

Warum ich diese Entscheidung auch für das Strafrecht ausgewählt habe? Das Strafrecht tritt erst mit dem Normbruch auf dem Plan. Wie die vorliegende Umsetzung des § 1631 d BGB zeigt, ist es ein Glücksfall, wenn es dem Gesetzgeber gelingt, dass es gar nicht zu dem Normbruch kommt!

 

 

 

Sehr geehrter Herr Prof. von Heintschel-Heinegg

es ist mir rätselhaft, wie Sie von einem Glücksfall sprechen können. Sie beziehen sich auf einen einzigen Fall, der zufällig vor Gericht gelandet ist. Wären sich die Eltern dieses Jungen jedoch einig über die Motive für die Beschneidung, so wäre laut OLG Hamm die Einwilligung mit dem Kindeswohl in jedem Fall vereinbar. Das OLG Hamm spricht zwar im 3. Leitsatz von Kindeswohl, meint aber offensichtlich Elternwohl: "3. Die Entscheidung nach § 1631 d Abs. 1 BGB ist nur dann nicht wirksam von den oder dem sorgeberechtigten Elternteil(en) zu treffen, sondern im Streitfall zwischen Eltern zumindest im einstweiligen Anordnungsverfahren auf einen neutralen Ergänzungspfleger zu übertragen, wenn zwischen den Eltern in Streit steht, ob die Beschneidung zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen würde und sich im Rahmen einer Folgenabwägung kein gänzlich eindeutiges Ergebnis zugunsten der Beschneidung und gegen eine Kindeswohlgefährdung ergibt."

In dem vor dem OLG verhandelten Fall darf der Glücksfall für den Jungen dann offenbar im elterlichen Konflikt vermutet werden.

Sehr befremdlich ist dann die vom OLG Hamm geplante Anhörung des Sechsjährigen im Hauptsacheverfahren. Ich frage mich ernsthaft, ob es mit der Menschenwürde eines Sechsjährigen gem. Art. 1 GG vereinbar ist, dass er von Erwachsenen dazu befragt wird, ob er einverstanden damit ist, dass etwas von seinem Geschlechtsteil abgeschnitten wird. Ich meine ausdrücklich nur den Vorgang, dass er dazu befragt wird.

Als Vorbereitung empfiehlt das OLG Hamm: "Der oder die sorgeberechtigten Elternteil(e) haben in einer dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechenden Art und Weise den beabsichtigten Eingriff mit ihm zu besprechen und in kindgerechter Weise zu versuchen, mit ihm Einvernehmen herzustellen."

Also am besten Kasperltheater aufbauen und Beschneidung spielen? Das ist doch Wahnsinn, was da in den Leitsätzen steht!

Das OLG Hamm scheint es ohnehin nicht für nötig zu befinden, die Grundrechte des Jungen aus den Art. 1 und 2 des GG zu berücksichtigen. Das würde unweigerlich in ein Normenkontrollverfahren führen und das gilt es anscheinend zu vermeiden. Wer möchte sich denn schon beim Gesetzgeber unbeliebt machen.

MfG Lutz Herzer

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Im Fall vor dem OLG Hamm war ein konkretes Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG schon nicht zulässig. Eine solche Vorlage ist nämlich nur dann zulässig, wenn im konkreten Fall die Verfassungsmäßigkeit der Norm entscheidungserheblich ist. Da aber das Gericht im einstweiligen Rechtsschutz sich gegen die Zulässigkeit im konkreten Fall entschieden hat, kommt es auf die Verfassungsmäßigkeit des § 1631d BGB hier nicht an. Auch ist mit dem Gedanken des einstweiligen Rechtsschutzes ein konkretes Normenkontrollverfahren ja nur schlecht zu vereinbaren. Was soll denn während der Zeit dieses Verfahrens gelten.

Es befremdet vor diesem Hintergrund, wenn Lutz Herzer hier Mutmaßungen über die Motivationen der Richter anstellt, die erkennbar nebend er Sache liegen.

 

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Ein_Leser schrieb:

Im Fall vor dem OLG Hamm war ein konkretes Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG schon nicht zulässig. Eine solche Vorlage ist nämlich nur dann zulässig, wenn im konkreten Fall die Verfassungsmäßigkeit der Norm entscheidungserheblich ist. Da aber das Gericht im einstweiligen Rechtsschutz sich gegen die Zulässigkeit im konkreten Fall entschieden hat, kommt es auf die Verfassungsmäßigkeit des § 1631d BGB hier nicht an.

Das OLG Hamm macht es sich eben sehr einfach. Indem der Mutter ein vorläufiges Beschneidungsverbot erteilt wird, meint es, sich mit den Grundrechten des Jungen nicht auseinandersetzen zu müssen. Und genau deshalb soll es also auf die Verfassungsmäßigkeit des § 1631d BGB nicht mehr ankommen? Das wäre etwas zu billig.

 

Davon abgesehen stellt dann das OLG Hamm sogar noch die Entscheidungsbefugnis des Ergänzungspflegers über die Grundrechte des Jungen. Von wegen Verfassungsmäßigkeit des § 1631d BGB. Die Grundrechte des Jungen scheinen für das OLG Hamm überhaupt nicht zu existieren.

 

 

Ein_Leser schrieb:
Auch ist mit dem Gedanken des einstweiligen Rechtsschutzes ein konkretes Normenkontrollverfahren ja nur schlecht zu vereinbaren. Was soll denn während der Zeit dieses Verfahrens gelten.

Im vorliegenden Fall wäre dies ja gerade vereinbar, da die Beschneidung ohnehin aufgeschoben werden soll, sofern es sich beim Ergänzungspfleger um keinen Zirkumfetischisten handelt.

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Auch durch Wiederholung wird Ihre Auffassung nicht richtiger. Die konkrete Normenkontrolle setzt voraus, dass (a) das vorliegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt ist und (b) dass diese Frage entscheidungserheblich ist. Dies bedeutet: es müsste konkret eine andere Entscheidung getroffen werden müssen, je nach dem, ob die entsprechende Norm nichtig ist oder nicht. Das BVerfG hat hierzu formuliert:

"Das Verfahren der konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ist nur zulässig, wenn das vorlegende Gericht in der Vorlage angegeben hat, inwiefern es für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ankommt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; vgl.

BVerfGE 42, 42 <49>;

80, 59 <65>;

90, 145 <166>

). Das vorlegende Gericht muss also erkennen lassen, dass es bei Gültigkeit der Regelung zu einem anderen Ergebnis als im Fall ihrer Ungültigkeit kommen und wie es dieses Ergebnis begründen würde (vgl.

BVerfGE 74, 236 <242>;

90, 145 <166>

). Insoweit gilt ein strenger Maßstab (vgl.

BVerfGE 78, 165 <178>

)."

Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, wie in diesem Sinne die Verfassungsmäßigkeit des § 1621d BGB entscheidungserheblich sein kann, hat doch das OLG Hamm eine Entscheidung herbei geführt, bei der die Beschneidung zu unterlassen ist (!). Wie wollen Sie denn in dieser Lage eine Entscheidungserheblichkeit begründen? Eine Vorlage vor dem BVerfG wäre demnach also unzulässig gewesen.

Sie stellen hier ziemlich steile Behauptungen in Bezug auf das OLG Hamm auf, etwa: "die Grundrechte des Jungen scheinen für das OLG Hamm gar nicht zu existieren". Vielleicht denken Sie noch einmal nach, was dieser Satz - wenn er denn stimmen würde - eigentlich für diese Richter hieße.

Die Debatte ist schon polemisch genug (auf allen möglichen Seiten) - da sollte es möglich sein, juristisch sauber zu argumentieren.

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Ein_Leser schrieb:

Sie stellen hier ziemlich steile Behauptungen in Bezug auf das OLG Hamm auf, etwa: "die Grundrechte des Jungen scheinen für das OLG Hamm gar nicht zu existieren". Vielleicht denken Sie noch einmal nach, was dieser Satz - wenn er denn stimmen würde - eigentlich für diese Richter hieße.

Die Debatte ist schon polemisch genug (auf allen möglichen Seiten) - da sollte es möglich sein, juristisch sauber zu argumentieren.

Lieber Ein_Leser

wo bitteschön werden denn in den Leitsätzen und im Urteilstext die Grundrechte des Jungen gem. Art. 1 und 2 GG angemessen gewürdigt?

Das Grundgesetz scheint für das OLG Hamm erst bei  Art. 6 Abs. 1 u. 2 GG
und die Menschenrechtskonvention erst bei Art. 8 EMRK zu beginnen. Beschämend ist das!

Ja, so braucht es dann natürlich kein Normenkontrollverfahren, das haben Sie richtig erkannt.

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Lieber "Herzer",

 

Richter sind an Recht und Gesetz gebunden (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG), sie sind dem "Gesetz unterworfen" (Art. 97 Abs. 1 GG). Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland ein Rechtstaat. Die Richter des OLG Hamm hatten also eine Entscheidung zu treffen, die Recht und Gesetz entspricht.

Im Rahmen jenes Verfahrens stellte sich die Frage, ob das OLG Hamm dem BVerfG den § 1621d BGB gem. Art. 100 Abs. 1 GG vorlegt. Dieser Artikel lautet: "Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig (...)". Das bedeutet, dass das OLG Hamm die Sache dem BVerfG nur vorlegen durfte (!), wenn es (a) von der Verfassungswidrigkeit des § 1621d BGB überzeugt war und (b) die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 1621d BGB entscheidungserheblich war. Was das bedeutet, hat das BVerfG selber genau herausgearbeitet und seine Rechtsprechung wie folgt zusammen gefasst: "Das vorlegende Gericht muss also erkennen lassen, dass es bei Gültigkeit der Regelung zu einem anderen Ergebnis als im Fall ihrer Ungültigkeit kommen und wie es dieses Ergebnis begründen würde."

Im vorliegenden Fall hat das OLG Hamm bestätigt, dass die Beschneidung einstweilen nicht (!) durchgeführt werden darf. Nehmen wir mal an, der § 1621d BGB sei verfassungswidrig (ich bin nicht dieser Ansicht - aber nehmen wir das mal an!) - welches Ergebnis hätte dann die Entscheidung des OLG Hamm gehabt? Das gleiche! Das bedeutet, dass das OLG Hamm nicht dem BVerfG die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 1621d BGB vorlegen durfte (!), eine solche Vorlage dagegen unzulässig gewesen wäre.

Mit "beschämend", "sich beim Gesetzgeber nicht unbeliebt machen" oder "die Grundrechte des Jungen nicht beachten" hat das alles nichts zu tun, sondern mit Anwendung von Recht und Gesetz - DAS ist der Maßstab eines Gerichts.

In dieser Debatte ist schon sehr viel gesellschaftliches Porzellan zerschlagen worden. Ihre Unterstellungen gegenüber dem Gericht sind mMn schwer erträglich. Man sollte über solche Dinge ruhig reden, und nicht einem ganzen Senat Ignoranz der Verfassung unterstellen.

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Ein_Leser schrieb:

Im vorliegenden Fall hat das OLG Hamm bestätigt, dass die Beschneidung einstweilen nicht (!) durchgeführt werden darf.

 

Hat es nicht. Es hat lediglich die Entscheidungsbefugnis auf einen Ergänzungspfleger übertragen. Sie müssen schon das Urteil lesen. Es handelt sich nicht um ein Beschneidungsverbot, wie das schon Herr Prantl von der SZ irrtümlich angenommen hatte. Das Gericht verlässt sich freilich darauf, dass der Ergänzungspfleger eine Beschneidung nicht bewilligen wird. Das trägt den Grundrechten des Jungens allerdings nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Die Würde des Jungen gem. Art. 1 GG kann nicht vom Goodwill eines Ergänzungspflegers abhängig gemacht werden, ohne dabei dem Ergänzungspfleger zu nahe treten zu wollen.

Weiter hat das OLG Hamm angekündigt, neben dem Jungen auch noch den für die Beschneidung von der Mutter vorgesehenen Arzt zu befragen. Einen Arzt, der schon zahlreiche Beschneidungen gem. § 1631d BGB durchgeführt haben dürfte, für befangen zu halten, scheint für das OLG Hamm nicht in Betracht zu kommen. Wo die Reise hingehen soll, kann man sich doch denken.

Die Genugtuung darüber, dass einer kenianischstämmigen Mutter nun vorläufig das untersagt worden ist, was religiöse Beschneidungsbefürworter für sich in Anspruch nehmen, sagt einiges über die Unterstützer dieses Urteils aus. Religöse Motive sollen über säkularen thronen. Ist es etwa das, was durch die Mogelpackung in Form des § 1631d BGB geregelt worden sein sollte?

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Ein_Leser schrieb:

Lieber "Herzer",

 

Richter sind an Recht und Gesetz gebunden (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG), sie sind dem "Gesetz unterworfen" (Art. 97 Abs. 1 GG). Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland ein Rechtstaat.

 

Aus dem Grundgesetz:

Art 1   
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

 

Art 100   
(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

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Ein Tipfehler (sorry!): es muss heissen: "Da aber das Gericht im einstweiligen REchzsschutz sich gegen die Zulässigkeit der Beschneidung im konkreten Fall entschieden hat...."

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Sehr geehrter Herr Herzer,

Ihnen ist es rätselhaft, wie ich in meinem Beitrag von einem Glücksfall sprechen konnte.
 

Offensichtlich habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Deshalb hier des Rätsels Lösung: Im letzten Absatz meines Beitrags wollte ich den Bezug zur Überschrift herstellen und ansprechen, dass eine Strafbarkeit dem betroffenen Kind nicht das zurückgeben kann, was man ihm genommen hat.

Strafrecht reagiert (eben anders als § 1631d BGB) erst auf den vollzogenen Normbruch. Deshalb ist Aufgabe des Strafrechts die Bestätigung der Normgeltung (unter Strafrechtlern allerdings nicht unstreitig). Der Normbruch ist nicht einmal wegen seiner äußerlichen Folgen ein strafrechtlich relevanter Konflikt; denn diese kann das Strafrecht nicht heilen. Im übrigen gibt es strafrechtliche Normbrüche, bevor ein äußerlicher Schaden eingetreten ist, wie im Falle der Versuchstrafbarkeit.

Ein Glücksfall also deshalb, weil es aufgrund des § 1631d BGB im konkreten Fall (noch) nicht zu einer Beschneidung gekommen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd von Heintschel-Heinegg

Sehr geehrter Herr Prof. von Heintschel-Heinegg,

in diesem einen vom OLG Hamm behandelten Fall mag man noch von einem Glücksfall sprechen können, zumindest was die vorläufige Situation des betroffenen Jungen betrifft, da stimme ich Ihnen gerne zu. Ein Gelingen des Gesetzgebers, das als Glücksfall zu bezeichnen wäre, kann ich jedoch nirgends erkennen.

So ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass seit Inkrafttreten des § 1631d BGB tausende hiervon legalisierter Beschneidungen durchgeführt worden sind. Die dahinter stehenden Motive der jeweiligen Eltern dürften in einer erheblichen Anzahl von Fällen keineswegs höher zu bewerten sein, als in dem vor dem OLG Hamm verhandelten Fall. In all diesen Fällen müssten dann Normbrüche stattgefunden haben. All diese Fälle dürften aber keinerlei Konsequenzen auslösen. Es wird wohl niemand in absehbarer Zeit wegen eines Körperverletzungsdelikts angeklagt werden. Käme es dennoch zu einer Anklage, müsste wegen Verbotsirrtums freigesprochen werden. Niemand muss vorhersehen können, was ein OLG Hamm unter Kindeswohl - oder besser Elternwohl - verstehen könnte. Weder Gesetzestext noch Begründung des Gesetzentwurfs zum § 1631d BGB lassen solches erahnen. Dass der Gesetzgeber vorsätzlich (straf)rechtsfreien Raum in Form von Verbotsirrtum schafft, der dann nach und nach in einer Art richterlicher Rechtsfortbildung durch Familienrichter(!) in Form von spitzfindiger einzelfallabhängiger Motivabwägung geschlossen werden sollte, wäre doch höchst fragwürdig.

Was hätte man sich denn im vorliegenden Fall vorzustellen, wenn die Kindesmutter bereits vollendete Tatsachen geschaffen hätte, die Beschneidung also schon durchgeführt worden wäre? Gewiss würde doch keine hieran beteiligte Person wegen einer Straftat angeklagt, geschweige denn verurteilt werden können. Schließlich wurde der § 1631d BGB nicht verabschiedet, um Beschneidungen zu verbieten, sondern um sie zu erlauben. Eine strafrechtliche Prävention gegen Missbrauchsfälle hätte m.E. eigens gesetzlich geregelt werden müssen.

Auch der Beschluss des OLG Hamm erscheint recht zahnlos. Ich kann darin nichts erkennen, was vollstreckbar wäre, falls sich die Kindesmutter über die Anordnung einfach hinwegsetzen würde. Maßnahmen wie Ordnungsgeld etc. oder vollständiger Entzug des Sorgerechts müssten ja vorher ausdrücklich angedroht werden, wenn ich das richtig sehe.

Noch eine Bemerkung bezüglich des Normenkontrollverfahrens: Die Feststellung des OLG Hamm,

"Die von dem Kindesvater angeführten verbleibenden medizinischen Restrisiken auch einer ärztlich ordnungsgemäßen Beschneidung sowie die von mehreren Beteiligten und der Sachverständigen aufgeführten mit dem Eingriff verbundenen Schmerzen sind insoweit für sich genommen allerdings nicht entscheidungserheblich, denn diese liegen auch bei jeder medizinisch indizierten Beschneidung vor. Würde man auf diese Risiken und Schmerzen abstellen, würde das Recht der Eltern aus § 1631 d Abs. 1 BGB ausnahmslos ins Leere laufen, da jeder medizinisch nicht indizierte Eingriff dann bereits wegen der gesundheitlichen Restrisiken und der durch den Eingriff zugefügten Schmerzen zu unterbleiben hätte."

wirken mehr als befremdlich. Allein die Feststellung des „ins Leere Laufens“ müsste für eine Vorlage des Gesetzes beim BVferG reichen. Das Heranziehen medizinischer Eingriffe zur Legitimierung gleichhoher Schmerzen durch nichtmedizinische Eingriffe ist völlig verfehlt. Es gab einmal einen deutschen Arzt, der hätte sein Handeln vermutlich in ähnlicher Weise verteidigt, wenn es jemals dazu gekommen wäre.

Die Nähe des Gerichts zum Gesetzgeber erscheint mir jedenfalls, deutlich größer zu sein, als die zum Grundgesetz.

Mit freundlichen Grüßen

Lutz Herzer

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Sehr geehrter Herr Herzer,

da stimme ich Ihnen völlig zu!

Der Gesetzgeber tat sich bei der hitzig geführten breiten öffentlichen Dikussion schwer, weil er nach einem Weg suchte und fand, sich in weiten Teilen der Verantwortung zu entledigen, ob eine Beschneidung nun strafbar ist oder nicht.

Angelehnt an die Entscheidung des BVerfG zur Verständigung sollte hier das Parlament im Auge behalten, wie sich rechtstatsächlich die Beschneidungspraxis in der Bundesrepublik entwickelt, um ggf. korrigierend einzugreifen!

Dass das BVerfG korrigierend eingreift, glaube ich nach der Inzest-Entscheidung nicht. Schade, denn damals glaubte ich, dass das BVerfG mangels Rechtsgutsverletzung die Norm kippt (näher hier).

Mit freundlichen Grüssen

Bernd von Heintschel-Heinegg

 

Ein paar Feststellungen zum § 1631d BGB möchte ich doch noch los werden. Bei der allgemeinen Diskussionsbeteiligung muss ich mich ja nicht vor drängeln.

Weshalb die Regelungen so offen und unbestimmt sind und es somit um den Schutz der betroffenen Jungen nicht zum besten bestellt ist, erkläre ich mir mit dem Umstand, dass der Gesetzgeber in erster Linie nicht das in Zukunft zu Erlaubende, sondern das aus der Vergangenheit zu Amnestierende im Blick hatte. Es ging wohl darum, noch nicht verjährte Altfälle aus dem Feuer zu holen, um zu vermeiden, dass ein jüdischer Beschneider vor ein deutsches Gericht gestellt werden würde. Im Prinzip mag das ja so in Ordnung gewesen sein, da ein solches Gerichtsverfahren zu hohe Wogen schlagen und dem Rechtsstaat womöglich schaden würde. Im Falle eines Rabbiners aus Nordbayern, der laut Medienberichten auch nichtjüdische Kinder beschnitten hatte, wäre es sehr wahrscheinlich notwendig, an die Grenzen der Auslegung des Verbotsirrtums nach § 17 StGB zu gehen. Diesem Umstand trägt der § 1631d BGB Rechnung.

Die Amnestierung der nach § 1631d, Abs. 2 BGB ausgewählten Personengruppen stellt als solche bereits eine Bevorzugung nach Art. 3 Abs. 3 GG wegen Religionszugehörigkeit dar. Wer als Nichtarzt von einer Religionsgesellschaft nicht ausgewählt ist, jedoch unter Einhaltung der sog. "Regeln der ärztlichen Kunst" eine von der eines religiösen Beschneiders nicht zu unterscheidende Beschneidung durchführen würde, dem droht der Gesetzgeber nach wie vor mit dem Strafrecht. Auf Qualifikationsnachweise käme es dabei nicht an. Eine Diskriminierungsrüge von mir vom Dezember 2012 gegen diese ungleiche Strafandrohung wurde vom BVerfG mangels unmittelbarer persönlicher Betroffenheit nicht zur Entscheidung angenommen. Ich hoffe, meine Botschaft ist dort wenigstens nachhaltig zur Kenntnis genommen worden.

Die Amnestierungswirkung des Gesetzes dürfte nach meiner Einschätzung sogar ein nachträgliches Außerkraftsetzen des § 1631d BGB ex tunc durch das BVerfG überleben, da das Rückwirkungsverbot bereits temporär einmal in Erscheinung getreten ist. Das würde bedeuten, die großzügig geschaffene Amnestierung setzt das Fortbestehen des Gesetzes nicht mehr weiter voraus.

Hier stellt sich jetzt die Frage, weshalb eine große Zahl minderjähriger Jungen neuerdings ihre Vorhaut nur deshalb opfern soll, damit wenige Personen Sonderprivilegien genießen. Für viele dieser Jungen bedeutet dieses Gesetz ein Diktat durch Religionen, mit denen sie nie etwas zu tun haben werden. Das kann nicht einmal im Interesse der entsprechenden Religionsgesellschaften sein, sofern dort noch irgendetwas vorhanden sein sollte, das als Vernunft zu bezeichnen wäre. Man darf sich dort darauf einstellen, in absehbarer Zukunft von erwachsenen Männern zur Rede gestellt zu werden.

Die Bundesrepublik Deutschland könnte in Zukunft von Betroffenen wegen vorsätzlicher staatlicher Schutzpflichtverletzung in Haftung genommen werden. Sollten solche Ansprüche dann abgewehrt werden, spätestens dann würde der Rechtsstaat zur Makulatur.

Es gibt also gute Gründe, dieses Gesetz so bald wie möglich wieder verschwinden zu lassen. Für legislative Experimente müssen Kinder mit ihrem Körper nicht zur Verfügung stehen.

Lutz Herzer

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