BAG: Kündigung wegen mehrjähriger Haft

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.10.2013

Kann ein Arbeitnehmer wegen Untersuchungs- oder Strafhaft seine Arbeitsleistung über eine erhebliche Zeit nicht erbringen, kann dies eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial rechtfertigen. Das hat das BAG mit einem jetzt veröffentlichten Urteil vom 23.05.2013 entschieden.

Der Kläger ist seit 1997 als Fahrzeugpolsterer bei der beklagten Automobilherstellerin beschäftigt. Vom 12.03. bis 10.04.2008 befand er sich wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft. Am 23.09.2008 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Im September 2010 wurde der Kläger erneut vorläufig festgenommen. Im Anschluss daran befand er sich in Untersuchungshaft. Grund für die Verhaftung war, dass der Kläger zusammen mit einer weiteren Person eine „Haschisch-Plantage" betrieb. Dort hatte die Polizei 18 Kilogramm Cannabispflanzen gefunden. Eine solche Menge enthält ca. zwei bis drei Kilogramm des Wirkstoffs THC. Der Strafverteidiger des Klägers teilte unter dem 01.10.2010 mit, zu dem zu erwartenden Strafmaß könne er sich frühestens nach Akteneinsicht äußern. Eine Woche später teilte er mit, dass ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar sei und sich eine etwaige weitere Verurteilung aller Voraussicht nach negativ auf die Aussetzung der ersten Haftstrafe zur Bewährung auswirke. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.

In der Revisionsinstanz ist nur noch die fristgerechte Kündigung im Streit. Die hiergegen gerichtete Klage blieb beim BAG ohne Erfolg:

"Als Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers kommen Umstände in Betracht, die auf einer in dessen persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften liegenden 'Störquelle' beruhen. Zu diesen zählt eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht. ... Der Kläger befand sich bei Zugang der Kündigung bereits seit vier Wochen in Untersuchungshaft. Der Beklagten war das dem Kläger vorgeworfene Delikt bekannt. Sie hatte alle ihr möglichen Maßnahmen zur Klärung einer möglichen Haftdauer ergriffen, insbesondere dem Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten Gelegenheit gegeben, zum Tatvorwurf Stellung zu nehmen. Der Kläger hat zu keiner Zeit bestritten, die Straftat begangen zu haben. Sein Prozessbevollmächtigter hatte erklärt, ein kurzfristiges Ende der Inhaftierung sei nicht abzusehen. ... Unter diesen Umständen und nach den ihr vorliegenden Informationen musste die Beklagte davon ausgehen, der Kläger habe die ihm vorgeworfene Straftat tatsächlich begangen. Aus ihrer - objektiv berechtigten - Sicht stand deshalb als sicher zu erwarten, dass der Kläger strafrechtlich verurteilt würde. Ungewiss war allenfalls das Maß der zu erwartenden Strafe. Für deren mögliche Höhe gab es allerdings objektive Anhaltspunkte. Der Kläger war im Jahr 2008 wegen eines ähnlichen Delikts zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. In Anbetracht seiner erneuten Straffälligkeit noch innerhalb des Bewährungszeitraums und der ihr bekannten Tatumstände, insbesondere der Menge der aufgefundenen Cannabispflanzen und des in ihnen enthaltenen Wirkstoffs, musste die Beklagte damit rechnen, dass das Strafmaß für die erneute Straftat jedenfalls nicht geringer als zuvor ausfiele und zudem die Aussetzung der Vorstrafe zur Bewährung widerrufen würde. ... Angesichts dessen war der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus nicht zuzumuten."

BAG, Urt. vom 23.05.2013 - 2 AZR 120/13, BeckRS 2013, 72733

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