Entbindungsantrag: Verhandlung auch, wenn der Betroffene nach Entbindung erscheinen will, aber krank ist?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.02.2014
Rechtsgebiete: EntbindungsantragStrafrecht|3225 Aufrufe

Nach § 73 Abs. 2 OWiG kann sich der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen im Bußgeldverfahren entbinden lassen. Hat der Betroffene auch gemacht und sich krank gemeldet. Was nun? Muss man auf Antrag den Termin aufheben? Nach h.M. wohl schon - im Falle des OLG Koblenz hatte der Verteidiger die Rechtsbeschwerde aber nicht hinbekommen. Da hatte das AG Glück und wurde nicht aufgehoben:

 a) Der Betroffene beanstandet eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Ablehnung des im zweiten Schreiben des Verteidigers vom 25. Juni 2013 im Hinblick auf die geltend gemachte krankheitsbedingte Verhinderung des Betroffenen gestellten Terminsaufhebungsantrags.
aa) Es trifft zwar zu, dass nach herrschender Auffassung die Hauptverhandlung bei zulässiger Entbindung des Betroffenen von der Anwesenheitspflicht auch im Fall des entschuldigten Ausbleibens (trotz Entbindung) nicht durchgeführt werden darf (Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 73 Rn. 19; Senge in: KK-OWiG, 3. Aufl., § 73 Rn. 9, 10 m. w. N.; a.A. Krumm DAR 2008, 413, 416, der im Entbindungsantrag immer eine Zustimmung zur Sachentscheidung in Abwesenheit sieht, weshalb es auf den späteren Wunsch, erscheinen zu wollen, nicht ankomme), weil das Anwesenheitsrecht durch die Befugnis, sich gemäß § 73 Abs. 3 OWiG vertreten zu lassen, nicht eingeschränkt wird (OLG Köln NZV 2002, 241; BayObLG NZV 2001, 221). Ausnahmen werden für den Fall anerkannt, dass der Betroffene in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten wird und dieser sich mit der Abwesenheitsverhandlung einverstanden erklärt (OLG Köln VRS 98, 150, 151; Göhler a. a. O.). So liegt der Fall hier aber nicht, weil auch der Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen ist. Ob der herrschenden Auffassung zu folgen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Zwar hätte das Amtsgericht danach den Verlegungsantrag nur ablehnen dürfen, wenn es den durch den ersten und zweiten Verteidigerschriftsatz vorgetragenen Anhaltspunkten dafür, dass das Ausbleiben des Betroffenen entschuldigt sein kann, durch eigene Ermittlungen im Freibeweisverfahren, etwa durch ein Telefonat mit der behandelnden Ärztin, nachgegangen und das Ausbleiben sodann als nicht ausreichend entschuldigt angesehen hätte. Wie bei der Prüfung der Verwerfungsvoraussetzungen nach § 329 Abs. 1 StPO oder § 74 Abs. 2 OWiG kommt es nur darauf an, ob der Betroffene entschuldigt ist, nicht aber, ob er sich genügend entschuldigt hat. Deshalb ist bei Anhaltspunkten für ein berechtigtes Fernbleiben im Wege des Freibeweises zu klären, ob das Fernbleiben genügend entschuldigt ist. Der Betroffene ist nicht zur Glaubhaftmachung oder gar zum Nachweis des vorgebrachten Entschuldigungsgrundes verpflichtet. Bloße Zweifel an der Richtigkeit des tatsächlichen Vorbringens des Betroffenen oder an der Beweiskraft der vorgelegten Urkunden rechtfertigen die Verwerfung nicht. Sie setzt vielmehr voraus, dass ein Sachverhalt unzureichender Entschuldigung zur Überzeugung des Gerichts feststeht (stg. Rspr. des OLG Koblenz, z. B. Beschluss vom 15.07.2005 - 1 Ss 213/05; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 329 Rn. 18 f. m. zahlr. w. N.). Diesen Anforderungen entsprach die Ablehnung des Verlegungsantrags nicht.
bb) Selbst wenn der dargelegten herrschenden Auffassung zum Zusammentreffen von begründetem Entbindungsantrag und Entschuldigungsgründen zu folgen wäre, kann die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs keinen Erfolg haben. Denn es fehlen ausreichende Ausführungen, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte. Solche sind nur im Falle des § 74 Abs. 2 OWiG, der hier nicht vorliegt, entbehrlich (OLG Köln NZV 1999, 264 ff.; Göhler a. a. O. § 80 Rn. 16c). Der Verteidiger führt in der Rechtsmittelbegründung zwar Folgendes aus (Begründungsschrift S. 11):
„Denn wenn die Hauptverhandlung aufgehoben worden wäre, hätte der Betroffene an der neu terminierten Hauptverhandlung teilgenommen. Er hätte dann eingewandt, dass aufgrund der vom Gericht verwerteten Beweismittel entgegen den Feststellungen im angefochtenen Urteil die Geschwindigkeitsbeschränkung vor der Messstelle nicht dreimal durch Verkehrszeichen jeweils sichtbar beidseits der Fahrbahn angeordnet war.
Dem Messprotokoll ist zu der Frage, ob die Verkehrszeichen am Tattag sichtbar waren, nämlich nichts zu entnehmen. Insbesondere kann dem Messprotokoll nicht ersehen werden, ob der Messbeamte die Verkehrszeichen vor der Messung überprüft hat. Zur Sichtbarkeit der Verkehrszeichen fehlen im Messprotokoll jegliche Angaben.“
Zu beanstanden ist bereits, dass die Ausführungen offen lassen, ob der Betroffene überhaupt das Fehlen jeglicher sichtbaren Beschilderung behaupten will oder ob er nicht eher nur einwenden will, aus dem vom Amtsgericht herangezogenen Beweismittel ergebe sich die entsprechende Urteilsfeststellung nicht ausdrücklich. Auf welche Beweismittel das Amtsgericht sein Urteil stützen würde, konnte dem Betroffenen vor Urteilserlass nicht bekannt sein. Dass er sich in einer neuen Hauptverhandlung entsprechend eingelassen hätte, erscheint schon deshalb fraglich. Darauf hätte das Rügevorbringen eingehen müssen. Das gilt umso mehr, als sich bei der Akte ein Beschilderungsplan „Stand: 12.07.2013“ befindet (Bl. 36 d. A.), aus dem sich ergibt, dass die drei Schilderpaare noch drei Monate nach der Tat an exakt derselben Stelle wie im Messprotokoll dargelegt aufgestellt waren. Auch dies teilt das Rügevorbringen nicht mit. Im Übrigen hätte es eines näheren Eingehens auf die beabsichtigten Erklärungen im Falle eines neuen Hauptverhandlungstermins auch schon deshalb bedurft, weil der Verteidiger in seinem dritten Schriftsatz vom 25. Juni 2013 zur Begründung des Entbindungsantrags mitgeteilt hatte, der Betroffene habe sich zur Sache geäußert und weitere Angaben zur Sache werde er nicht machen. Bei dieser Sachlage hätte es weiterer Darlegungen bedurft, aufgrund welcher Umstände der Betroffene im Widerspruch zu den Angaben seines Verteidigers nunmehr doch weitere Angaben zur Sache machen wollte (vgl. OLG Hamm NZV 1999, 23 f.; OLG Köln VRS 98, 150, 152).
Soweit in der Rechtsbeschwerdebegründung darauf hingewiesen wird, auch im Übrigen könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene noch weitere Einwendungen gegen die Ordnungsmäßigkeit der Messung vorgebracht hätte (Begründungsschrift S. 11), genügt dies zur Darlegung, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte, schlechterdings nicht.
cc) Im Übrigen wäre die Rüge auch unbegründet. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nur gegeben, wenn die erlassene Entscheidung des Tatrichters auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Partei hat (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811). Dies kann vorliegend nicht angenommen werden. Denn die Frage, ob die Verkehrszeichen überhaupt aufgestellt und ob sie sichtbar angebracht waren, betrifft das kognitive Element der Fahrlässigkeit (bewusste oder unbewusste Fahrlässigkeit), und war daher vom Tatrichter auch ohne gegenläufige Einlassung des Betroffenen zu prüfen und zu berücksichtigen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.05.2013 - 4a SsRs 66/13).

OLG Koblenz, Beschluss vom 23.10.2013 - 2 SsRs 90/13 = BeckRS 2014, 03401

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