Was in Naumburg an Absurdität nicht mehr zu überbieten sein soll

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 31.03.2014
Rechtsgebiete: Familienrecht8|7823 Aufrufe

Rechtsanwalt und Richter am OLG a.D. Burhoff berichtet in seinem Blog über folgenden Fall aus Naumburg:

Ein als Pflichtverteidiger bestellter Anwalt hatte mit dem Vorsitzenden der Berufungsstrafkammer eine Terminsvereinbarung getroffen.

Danach trudelte bei dem Anwalt eine Terminsladung in einer Kindschaftssache bei dem AG Aschersleben ein.

Unter ausdrücklichem Hinweis auf § 155 FamFG beantragte der Anwalt die Aufhebung des Termins in der Strafsache. Abgelehnt.

Das OLG Naumburg in seiner Beschwerdeentscheidung:


Hinsichtlich des Termins, den der Verteidiger vor dem Amtsgericht Aschersleben wahrzunehmen beabsichtigt, gilt folgendes: Entweder die Anwesenheit des Verteidigers im Termin vor dem Amtsgericht Aschersleben ist nicht unabdingbar, etwa weil der Termin auch von einem anderen Anwalt wahrgenommen werden kann, dann ist dies sowieso kein Grund, den abgesprochenen Termin in der Strafsache aufzuheben. Oder Rechtsanwalt R. muss unbedingt vor dem Amtsgericht Aschersleben in jener Sache erscheinen. Dann ist er gehalten, die Verlegung des Termins vor dem Amtsgericht Aschersleben zu betreiben, etwa unter Hinweis auf die unterbliebene Terminsabstimmung.

Die Vorstellung der Verteidigung, es sei Sache der Gerichte, Terminskollisionen zu vermeiden, ist an Absurdität nicht mehr zu überbieten. Es ist dem Vorsitzenden der 6. kleinen Strafkammer ebenso wenig wie allen anderen Richtern zuzumuten, bei allen Spruchkörpern aller deutschen Gerichte anzufragen, ob der Verteidiger dort möglicherweise kollidierende Termine hat.

OLG Naumburg v. 18.03.2014  2 Ws (s) 7/14

Schade eigentlich, dass das OLG Naumburg anscheinend die Gesetzesbegründung zu § 155 FamFG nicht kennt:

Kein ausreichender Grund ist das Vorliegen einer Terminskollision für einen Beteiligtenvertreter in einem anderen Verfahren, sofern es sich nicht ebenfalls um eine der in Absatz 1 aufgeführten Angelegenheiten handelt. Dieser hat vielmehr in der anderen Sache einen Verlegungsantrag zu stellen, dem das Gericht wegen des Vorrangs der Kindschaftssache stattzugeben hat.

BT-Drs. 16/6308 S. 236

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8 Kommentare

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Die Verfasser der Gesetzesbegründung scheinen nicht den Fall vor Augen gehabt zu haben, dass der Rechtsanwalt auch etwas anderes als Familienrecht macht. Ein besonderes Beschleunigungsgebot gibt es ja auch in anderen Sachen. Zum Beispiel in Haftsachen. Wenn etwa ein abgestimmter Termin in einem Großverfahren mit vielen Beteiligten weichen müsste und das Strafverfahren platzt, weil einer der Verteidiger einen kurzfristigen Termin in einer Kindschaftssache reinbekommt, wäre in der Tat absurd, nicht einfach die Kindschaftssache zu verlegen (was vermutlich nicht der Ausgangsfall war, aber mir geht es darum, die hier zitierte und wohl nicht zu Ende gedachte Gesetzesbegründung zu kritisieren).

 

 

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Absurd ist es eher anzunehmen, der Anwalt habe mit dem Hinweis, das Gericht müsse versuchen, Terminskollisionen zu vermeiden, gemeint, das Gericht müsse jeweils bei allen Spruchkörpern aller anderen deutschen Gerichte anrufen und dort nachfragen. Die einschlägige Rechtsprechung scheint man in Naumburg nicht zu kennen. Gemeint ist lediglich, daß das Gericht auf mitgeteilte Terminskollisionen Rücksicht nehmen und möglichst versuchen muß, gemeinsam mit dem Anwalt eine Lösung zu finden.

Die Argumentation des OLG Naumburg ist "an Absurdität kaum zu überbieten". 

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@Alan Shore: Worauf genau bezieht sich Ihr Hinweis zur einschlägigen Rechtsprechung, die man in Naumburg nicht kenne? Entscheidungen, wonach Gerichte auf jüngere Termine anderer Gerichte Rücksicht nehmen müssen, kenne ich bisher nicht und wäre für Fundstellen dankbar.
 

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Das hätten die Familienrichter (und damit auch Herr Burschel) natürlich gern  -  ein quasigesetzliches Recht, wild drauflos zu terminieren. Das ergibt sich aber weder aus § 155 IV 2 FamFG noch aus dessen (überdies natürlich jeglicher Bindungswirkung entbehrenden) Begründung.

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Ach Herr Dr. F, woher wollen Sie wissen, was ich gerne hätte? Das Gesetz schreibt mir vor, dass ich innerhalb eines Monats seit Beginn des Verfahrens anzuhören habe und eine Verlegung nur aus  zwingenden Gründen zulässig ist. Daran habe ich mich zu halten.

Richtig ist, - und da stimme ich H.M. zu - die Gesetzesbegründung ist hinsichtlich der Terminskollision ein wenig blauäugig und praxisfern, und zwar nicht nur bzgl. der anderen Eilsachen (Haftsachen u.ä.). Man stelle sich einen Bauprozess (Streitwert 1,5 Mio) in 2.Instanz beim OLG vor. Termin zur Beweisaufnahme (2 SV, 5 Zg) ist seit 4 Monaten anberaumt. 2 Wochen vorher kommt der (Einzel-)anwalt des Beklagten und beantragt Verlegung wegen einer Kindschaftssache. Die Diskussion mit dem Senatsvorsitzenden ist für den Anwalt bestimmt nicht vergnügungssteuerpflichtig...

Bedenklich finde ich vorliegend, wie der Naumburger Senat den Anwalt in seiner Not mit barschen Worten "abbügelt".

 

Auch kurzfristige Termine können mit den Beteiligten derart abgestimmt werden, dass Terminkollisionen nach Möglichkeit vermieden werden. Dies hat im Fall des OLG Naumburg der Familienrichter versäumt (= offenbar nicht einmal versucht). Er ist deshalb der Hauptschuldige an dem Schlamassel.

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Man stelle sich ein Schiff vor, der Kapitän ist verschollen, der Kurs ungenau beschrieben. Die Riege der Schiffsoffiziere entscheidet voneinander unabhängig und achtet ansonsten aber auf strenge Hierarchie und Unterordnung. Die erfahrenen Matrosen sind freiberuflich angeheuert und könnten sich jederzeit bei Landgang absetzen. Solche Geisterschiff-Crews schlingern zu hauf im deutschen Justizmeer.

Hat man als Passagier ein Ticket auf so einem Schiff gebucht und ist erstmal an Bord, gibt es kein Wegkommen mehr. Dass diese Besatzungen nicht mal Terminprobleme lösen können verwundert nicht. Das sie vor allem selten einen sicheren Hafen erreichen, macht die Sache zum Horrortrip. Für die Crew ist das Alltag, nicht der Rede wert. 

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Danke für die Wertungen, nach dem Motto:"Sagen werde ich nichts, aber melden muss ich's!"

Ich habe wohl ins Schwarze getroffen.

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