Unterbringung muss man prüfen und erörtern, wenn der Angeklagte alkoholabhängig ist!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.04.2014
Rechtsgebiete: UnterbringungVerkehrsrecht2|3583 Aufrufe

Die Prüfung der Unterbringung nach § 64 StGB nach Straftaten mit Alkoholhintergrund wird gerne von allen Verfahrensbeteiligten verdrängt. Die Prüfung ist unangenehm, zeit- und geldaufwändig. Daher legen Tatrichter hierauf oft keinen besonderen Wert. Die Angeklagten und die Verteidiger haben auch häufig Angst, dass es zu einer kaum kalkulierbaren Unterbringungsdauer kommt. Sie wollen dann (wenn schon keinen Freisruch) so dann nur eine absehbare Strafe. dabei ist klar: Wer im Urteil feststellt, dass ein Alkoholproblem vorliegt und die Tat hiermit zusammenhängt, der kommt kaum um einer Prüfung des § 64 StGB herum:

 I.

Das Amtsgericht Brilon verurteilte den Angeklagten am 11. April 2013 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Zugleich setzte es eine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr fest.

Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Überprüfung der Rechtsfolge einschließlich der Maßregel beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Arnsberg mit Urteil vom 26. September 2013 verworfen.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte am 9. November 2012 gegen 00.41 Uhr mit einem Personenkraftwagen der Marke W mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXXX u.a. die N-Straße in P. Er war zum Tatzeitpunkt nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis. Zudem war der Angeklagte alkoholisiert. Die Untersuchung der ihm am 9. November 2012 um 01.25 Uhr entnommenen Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,18 Promille.

In ihrem Urteil hat die Strafkammer desweiteren festgestellt, dass der Angeklagte früher drogensüchtig war. Diese mittlerweile fünf Jahre zurückliegende Drogenproblematik sei von ihm jedoch erfolgreich bekämpft worden. Derzeit liege bei ihm jedoch eine Alkoholsucht vor. In von ihm als belastend empfundenen Situationen konsumiere der Angeklagte Alkohol. Der Angeklagte zeige Einsicht hinsichtlich seiner Alkoholerkrankung und denke über Therapiemaßnahmen nach. Durch seine gesamte Biografie ziehe sich eine Suchtproblematik, wobei in den letzten Jahren der Alkohol an die Stelle von Drogen getreten sei.

Gegen das Berufungsurteil der Strafkammer wendet sich der Angeklagte mit der von ihm form- und fristgerecht eingelegten, auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch in der Sache den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

Indem der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung seine Berufung lediglich noch auf die Überprüfung der Rechtsfolge einschließlich der Maßregel erstreckt hat, hat er sein Rechtsmittel wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt voraus, dass die erstinstanzlich zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen eine ausreichende Grundlage für eine dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat entsprechende Bemessung der Rechtsfolgen bieten. Dies ist vorliegend der Fall. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis. Für die Annahme einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt, die der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch entgegenstünde, bestehen nach den getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte.

Das Urteil ist jedoch im Rechtsfolgenausspruch auf die allgemein erhobene Sachrüge hin mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben. Insoweit liegt ein sachlich-rechtlicher Mangel des angefochtenen Urteils darin, dass die Strafkammer sich nicht mit den Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auseinandergesetzt hat, obwohl dies angesichts der mitgeteilten Gesamtumstände und der offenbar vorhandenen Therapiewilligkeit des Angeklagten erforderlich gewesen wäre.

Vorliegend sind von der Strafkammer Feststellungen zu einer Suchtmittelabhängigkeit des Angeklagten getroffen worden, die Anlass geben, die Frage seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zu erörtern. So führt die Strafkammer aus, dass sich eine Suchtproblematik durch die gesamte Biografie des Angeklagten zieht, die zunächst von Drogen bestimmt war, an deren Stelle in den letzten Jahren jedoch der Alkohol getreten ist. Der Angeklagte konsumiere in Stresssituationen immer Alkohol. Er habe zwischenzeitlich über eine ambulante Therapie zur Bekämpfung seiner Alkoholabhängigkeit mit Unterstützung eines Suchtberaters nachgedacht, auch eine stationäre Therapiemaßnahme komme für ihn eventuell in Betracht.Bei der Begehung der im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Tat war der Angeklagte wiederum alkoholisiert. Die letzte Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Brilon am 28. Oktober 2011 erfolgte ebenfalls wegen einer Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr.

Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen legen es nahe, dass der Angeklagte den in § 64 Abs. 1 StGB beschriebenen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, aufweist. In einem solchen Fall muss sodann eine Prüfung der Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB erfolgen. Über die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB ist eine Entscheidung zu treffen. Die Prüfung der Frage einer Unterbringung ist nicht deshalb entbehrlich, weil nach § 64 Abs. 1 StGB die Maßregel nicht mehr zwingend anzuordnen ist. Denn das Gericht „soll“ die Unterbringung anordnen, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen darf es von der Unterbringungsanordnung absehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Mai 2012 in III-5 RVs 33/12, vom 6. März 2012 in III-5 RVs 14/12 und vom 23. Februar 2012 in III-5 RVs 10/12; BGH, Beschluss vom 13. November 2007 in 3 StR 452/07; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 64, Randnummern 22, 23).

Da vorliegend eine Entscheidung über eine Unterbringung nach § 64 StGB unterblieben ist, liegt ein Rechtsfehler vor. Vor dem Hintergrund der von der Strafkammer zur Alkoholabhängigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen ist zwingend die Frage seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zu prüfen und zu entscheiden. Dies wird die für die Neuverhandlung der Sache zuständige Strafkammer zu beachten haben. Da eine solche Unterbringung des Angeklagten unzweifelhaft in Erwägung zu ziehen ist, bedarf es zur Prüfung der Frage ihrer Anordnung der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO; Fischer, a.a.O., § 64 Rdnr. 27; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 246 a Rdnr. 3).

Aufgrund des vorliegenden Rechtsfehlers war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch nach § 349 Abs. 4 StPO insgesamt aufzuheben. Die Sache war an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Arnsberg zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach § 354 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 9.1.2014 - 5 RVs 140/13

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2 Kommentare

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Ein schönes Beispiel für die in der Einleitung dargestellte Problematik. Ein eher unbedeutende Straftat und ein eher "kleines" Alkoholproblem können den Prozeß und die Rechtsfolgen völlig ausufern lassen. Da möchte kaum ein Verfahrensbeteiligter von sich aus § 64 StGB in Erwägung ziehen.

 

Trunkenheitsfahrten gehören zu den häufigsten Delikten, die oftmals gerade auch von "unbescholtenen" Bürgern (Anwälten, Ärzten, Lehrern, Landgerichtspräsidenten) begangen werden. Die festgestellten BAKs sind zumeist erschreckend hoch. Wer so am Straßenverkehr teilnimmt, hat immer ein Alkoholproblem. Aber will man deshalb jedesmal mit der Keule des § 64 StGB kommen?  Da könnte ja jeder Strafrichter pro Woche 10 Gutachten in Auftrag geben.

 

Abgesehen davon übersieht das OLG, daß infolge des Hanges die Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten bestehen muß. Das kann man bei "einfachen" Trunkenheitsfahrten mit "moderaten" BAKs (hier: 1,18 Promille) in der Regel unproblematisch verneinen. M.E. bedarf das auch keiner Erörterung in den Urteilsgründen, wenn hierfür keine Anhaltspunkte vorliegen.

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Eine insgesamt etwas komplizierte Situation, zumal man sich überlegen kann/muss, ob nicht die hier erfolgte Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch die Erklärung beinhaltet, die Nichtanwendung des § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff auszunehmen.

Dies ist ja nur grundsätzlich möglich (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362). Im vorliegenden Fall dürfte dies schon daran scheitern, dass die Beschränkung dann nicht wirksam sein soll, wenn die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung zu erörtern ist (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2013 – 2 StR 29/12, NStZ-RR 2012, 202).

Von der Einlegung mancher Rechtsmittel sollte man also tunlichst die Finger lassen.

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