Öffentlichkeit im Mollath-Prozess: Windhundrennen am Faxgerät

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 07.05.2014

Wochenlang stritt man vor Beginn der Hauptverhandlung zum NSU-Prozess darum, wer die begrenzten reservierten Presseplätze im Gerichtssaal einnehmen kann. Das Gericht hatte dafür das Windhund-Verfahren vorgesehen: wer zuerst (durch)kommt mit seiner E-Mail, der bekommt einen Platz. Ergebnis: nach Eil-Intervention des BVerfG (!) wegen der Nichtberücksichtigung der ausländischen Presse wurde die Vergabe der Plätze, diesmal im Losverfahren mit einzelnen Töpfen (für regionale, überregionale, internationale Presse, Rundfunk, TV etc.) wiederholt. Mit dem Ergebnis dieses Losverfahrens waren allerdings auch längst nicht alle zufrieden (Diskussion siehe hier). Wäre man gleich so vorgegangen, hätte man sich aber wohl viel Ärger erspart.

Der Fall Mollath hat in den vergangenen Jahren zumindest auf nationalem Niveau großes Aufsehen erregt. Es geht zwar nicht um neonazistisch/rassistisch motivierte Morde, sondern nur um den Vorwurf der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung, aber es geht eben auch um wichtige rechtsstaatliche Grundsätze und um das durch den Fall angekratzte öffentliche Vertrauen in die bayerische Justiz: Durch eine diesmal faire und transparente  Hauptverhandlung könnte das LG Regensburg etwas von dem wiedergutmachen, was das LG Nürnberg 2006 versäumt hat. In der Aufarbeitung des Mollath-Falls wird die im Sommer anstehende Hauptverhandlung ein öffentliches  Kernstück sein. Es ist absehbar, dass diese  Hauptverhandlung ein relativ großes nationales öffentliches  Interesse hervorruft. Nichts leichter als die Erfahrungen aus dem NSU-Verfahren zu nutzen. Nichts leichter als alle Journalisten aufzufordern, sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu melden und dann die Reservierungen im Lostopfverfahren zu vergeben wie es das OLG München im zweiten Anlauf auch getan hat.

Aber Fehler müssen immer zweimal gemacht werden, so hat man den Eindruck. Es gibt diesmal zwar Töpfe für unterschiedliche Medienbereiche (wobei Internetportale wie dieses hier allerdings ausgespart blieben und nur im Resttopf landen).  Aber die reservierten Plätze werden wieder im Windhundverfahren - nach Reihenfolge des Eingangs per Fax vergeben. Heute morgen um 9.00 Uhr (also vor gut einer Stunde) passierte dann das, was man schon vorhersehen konnte: Alle am Verfahren interessierten Journalisten/Presseorgane (einschließlich meines Büros)  haben gleichzeitig den Startknopf auf ihrem Faxgerät gedrückt. Folge: Seit einer Stunde ist kein Durchkommen per Fax. "Keine Verbindung" meldet das Gerät in schöner Wiederholung.

Um es gleich zu sagen: Ich bin selbst betroffen, weil ich für den Beck-Blog auch eine Akkreditierung beantrage und natürlich auch an einem reservierten Platz interessiert bin. Ich würde mich auch keineswegs beschweren, wenn ich bei einem fairen Losverfahren keinen reservierten Platz bekäme und würde mich dann eben in die Warteschlange am Eingang einreihen. Ohnehin wird sich der ganz große Ansturm erfahrungsgemäß auf die ersten Prozesstage beschränken. Im Moment hoffe ich aber noch, dass die Leitung irgendwann mein Fax durchlässt und es noch klappt.

Update: Um 11.30 Uhr meldet das Faxgerät einen Sende-Erfolg.

Update (20.05.): Das Rennen hat sich doch gelohnt. Heute erhielt ich die Nachricht, dass Beck-Online einen reservierten Sitzplatz einnehmen kann.

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12 Kommentare

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Fax? Warum nicht gleich Brieftauben oder eine persönliche Anmeldung im Gericht, morgens um 06.30 Uhr in einem noch verschlossenen Gebäude.

 

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Nichtbetriebsbereite Faxgeräte sind bei Gerichten leider keine Seltenheit, und besonders bei Fristsachen ein Problem.

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Theobald schrieb:

Nichtbetriebsbereite Faxgeräte sind bei Gerichten leider keine Seltenheit, und besonders bei Fristsachen ein Problem.

 

Das kann ich bisher nicht so sagen. Die von mir üblicherweise angefaxten Gerichte haben bisher keine Faxen gemacht, was die Faxe angeht.

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Beim Hoeneß-Verfahren gab es auch den "Windhund", allerdings per Email. Das BVerfG hat das Windhund -Verfahren in seiner Eilentscheidung ( eine Hauptsacheentscheidung wird es vermutlich nicht geben.....) zudem gar nicht grundsätzlich beanstandet,  "Fehler zweimal gemacht" ist vielleicht etwas sehr hoch gegriffen.

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P.s.: Es gibt auch programmierbare Faxgeräte oder, ganz neu: das Computerfax, da muss man dann auch nicht um 9 Uhr  danebenstehen und den Startknopf drücken....Das macht dann letztlich keinen großen Unterschied zum Windhund per vorprogrammierter Email, falls am anderen Ende genügend Papier und Toner vorhanden ist.

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Armer Prof. Müller! Aber ich kann Sie trösten: Es gibt zahllose Verfahren in Deutschland, in denen sich Spektakuläres abspielt, ohne dass sich irgendein Journalist dafür interessiert!  Entsprechend könnte man Sie an jedem normalen Gerichtstag irgendwo unterbringen, wo es Sachen zu sehen und zu hören gibt, dass einem Hören und Sehen vergehen!

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@nochsoeingast:

Das BVerfG hat das Windhund -Verfahren in seiner Eilentscheidung ( eine Hauptsacheentscheidung wird es vermutlich nicht geben.....) zudem gar nicht grundsätzlich beanstandet,  "Fehler zweimal gemacht" ist vielleicht etwas sehr hoch gegriffen.

Ich habe nicht behauptet, das BVerfG habe das Windhundverfahren selbst beanstandet. Sicher ist aber, dass der Fehler, den das BVerfG moniert hat, auch wegen des Windhundverfahrens passiert ist. An der Uni kennen wir uns angesichts knapper Plätze in manchen Veranstaltungen mit dem Windhundverfahren aus: Es ist fast immer sowohl organisatorisch fehleranfällig als auch materiell ungerecht. 

 

@Gast:

Sie schreiben:

Armer Prof. Müller! Aber ich kann Sie trösten: Es gibt zahllose Verfahren in Deutschland, in denen sich Spektakuläres abspielt, ohne dass sich irgendein Journalist dafür interessiert!  Entsprechend könnte man Sie an jedem normalen Gerichtstag irgendwo unterbringen, wo es Sachen zu sehen und zu hören gibt, dass einem Hören und Sehen vergehen!

Verzeihen Sie, dass ich in einem Fall, mit dem ich mich in den letzten Jahren einige hundert Stunden beschäftigt habe, besonderes Interesse habe, zumal die Verhandlung auch an meinem Wohnort stattfindet. Ich schätze, dass ich in meiner Studienzeit (80er Jahre) mehr Hauptverhandlungen als Zuhörer erlebt habe als die meisten Juristen. Auch in meiner Referendarzeit (90er) hatte ich auf verschiedenen Seiten (bei der StA, in einer Jugendkammer, bei einem Strafverteidiger) v.a. im Berliner Kriminalgericht viel Anschauungsmaterial, meist dann auch mit Aktenkenntnis: Oft passiert in der Hauptverhandlung nichts Spektakuläres, es vergeht einem meist auch nicht das Hören und Sehen, von gewissen typischen Nachlässigkeiten und strukturellen Schwächen  (Protokollierung, Zeugenbefragung) mal abgesehen. Die problematischste Entwicklung (Absprachen)  findet ohnehin nicht in der öffentlichen Hauptverhandlung statt. Natürlich gibt es auch immer  mal wieder Skandalöses, aber so häufig wie Sie meinen, ist es m. E. nicht. Und Fehler in der Häufung wie im Molltah-Verfahren halte ich nach wie vor für keineswegs alltäglich.

 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Die Schwierigkeiten, per Fax durchzukommen, reichern das immerhin mit einem gewissen Gerechtigkeitswert ausgestattete Prioritätsprinzip (= juristisch für "Windhundrennen") in der Tat mit einem Zufallselement an. Ihre These, dass das schlechter sein soll als die Auswahl ausschließlich dem Zufall (nämlich dem Los) zu überlassen, harrt aber noch einer substantiellen Begründung.

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Mollaths Anwalt Strate hat ja nunmehr beim BVerfGericht beantragt, durchzuentscheiden (vgl. seine web-Seite Dokumentationen), so dass für interessierte Journalisten das Verfahren dort eventuell aufschlussreicher ist als alles was danach überhaupt noch kommt.  Schaun mer mal

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....."Gegen wen wird hier eigentlich verhandelt? Man kommt sich vor wie bei einem Prozess gegen einen Massenmörder oder Terroristen. Von welcher Gefährdungslage während des Prozesses, der übrigens zunächst auf 17 Verhandlungstage angesetzt ist, gehen die Justizbehörden eigentlich aus? Ein solcher Aufwand für ein Verfahren, bei dem am Ende letztlich wohl ein Freispruch stehen wird? In welchem Verhältnis stehen hier Anklage, die Person des Angeklagten und die angedachten Sicherheitsmaßnahmen?"..

http://mobil.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/art1172,24...

 

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Ist eigentlich bekannt, wieviele "normale" Zuschauerplätze es gibt?

Ab wieviel Uhr muß man sich da mit dem Schlafsack vor die Tür legen? ;-)

Gibt es schon eine Personenliste und Timeline für die Zeugenladungen?

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Ich weiß nicht, was ich von der Tiefstapelei des Herrn Professors halten soll. Im Grunde wirkt sie sympathisch: "Ich würde mich auch keineswegs beschweren, wenn ich bei einem fairen Losverfahren keinen reservierten Platz bekäme und würde mich dann eben in die Warteschlange am Eingang einreihen." Hier scheint sie mir aber nicht angebracht zu sein. An keiner anderen Vertretung kann die Öffentlichkeit so sehr interessiert sein, wie an der Wissenschaftsvertretung und Medienvertretung in Personalunion.

Ich weiß auch nicht, ob der Herr Professor - zumal ein Lehrstuhlinhaber an der lokalen Uni - einen Anspruch aus der wissenschaftlichen Freiheit herleiten kann, oder aus dem Gegenseitigkeitspinzip, dass vor allem die Ortsrichter auch schon mal seine Vorlesungen zu Fortbildungszwecken nutzen. Aber, gut wärs - und wenn auch dafür ein nur Medienvertreter seinen Stuhl abgeben muss. Das gilt m.E. auch für den preisgekrönten Otto L..

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