Schweiz votiert gegen Mindestlohn – ein kleiner Pressespiegel

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 19.05.2014

Angesichts der heftigen Debatten, die hierzulande in den letzten Monaten um einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn (von Ende 8,50 Euro) geführt worden sind, ist es interessant zu erfahren, wie die Diskussionslage und das Stimmungsbild in der benachbarten Schweiz beschaffen sind. Hier war gestern (18.5.2014) die Bevölkerung zur Abstimmung aufgerufen. Die Schweizer haben sich bei dieser Volksabstimmung mit großer Mehrheit gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ausgesprochen. Die Forderung der Gewerkschaften nach einer Lohnuntergrenze von umgerechnet rund 18,50 Euro pro Stunde wurde mit rund 77 Prozent Nein-Stimmen klar zurückgewiesen. Welchen Widerhall das Abstimmungsergebnis bei den Kommentatoren der großen Zeitungen gefunden hat, zeigen die folgenden Auszüge. Simon Gemperli schreibt in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ): „Die Stimmberechtigten haben klargestellt, dass sie einen anderen Weg gehen wollen als praktisch alle anderen Industriestaaten. (…) Der Gewerkschaftsbund hat bewusst und deklariertermassen eine extreme Forderung aufgestellt, um Druck auf die Sozialpartner und die Politik aufzubauen. Diese Rechnung ist, zumindest kurzfristig, aufgegangen: In letzter Zeit schossen Gesamtarbeitsverträge mit Mindestlöhnen wie Pilze aus dem Boden. Und 4000 Franken sind inzwischen zu einer Art inoffiziellen Lohngrenze geworden – nicht nur bei Aldi und Lidl. So weit, so gut: Sozialpartnerschaftlich ausgehandelte oder aus Marketinggründen eingeführte Mindestlöhne verzerren den Arbeitsmarkt nicht. Eine falsch verstandene Sozialpolitik, die mit staatlich dekretierten Löhnen arbeitet, hingegen schon.“ Jürgen Dunsch kommentiert für die FAZ: „Nach Ablehnung der staatlichen Zwangsjacke durch die Bürger an der Urne sind wie bisher Tarifverträge das Mittel der ersten Wahl für anständige Löhne. Das müsste die Gewerkschaften als Tarifvertragspartei eigentlich freuen, stärkt es doch ihre Stellung. An Betätigungsfeldern fehlt es nicht. An erster Stelle steht die Beseitigung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen. Das ist nämlich in der Schweiz immer noch sehr ausgeprägt.“ Matthias Daum (Zeit) forscht nach den Gründen für das ablehnende Votum: „4.000 Franken pro Monat oder 22 Franken in der Stunde. Das ist vielen Schweizern offenbar zu hoch. (..) Zum anderen verallgemeinerte die Initiative die Situation im ganzen Land: Sie wollte einen Mindestlohn für alle, doch das Leben in den Randregionen ist ungleich billiger als in den Städten.“ Daum resümiert sodann: „Doch die deutliche Niederlage von diesem Wochenende markiert das Ende der perfekten Erfolgswelle, auf der die Gewerkschaften surften. Zu deutlich ist das Verdikt. Die Schweizer wollen wieder mehr Sozialpartnerschaft und weniger Politik. Und schon gar keinen Staat, der den Unternehmen die Löhne diktiert.“ 

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