Zeit-Chef di Lorenzo behauptet, er habe zweimal gewählt. Wäre das strafbar?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 26.05.2014

Aufsehen hat der Chefredakteur der "Zeit" damit erregt, dass er in der Jauch-Sendung behauptete, bei der Europawahl zweimal eine Stimme abgegeben zu haben (siehe hier). Dass dies nicht zulässig ist, ergibt sich aus § 6 Abs. 4 EUWG. Auch wer die Wahlberechtigung zu verschiedenen Teilkontingenten des Europaparlaments hat (entweder weil er Doppelstaatler ist oder aber, was der häufigere Fall ist, weil er als in Deutschland lebender Bürger eines anderen EU-Landes auch hier wahlberechtigt ist), darf nur einmal vom Wahlrecht Gebrauch machen. Dass Verstöße gegen diese Vorschrift kaum aufgedeckt werden können, war schon vorher bekannt (ausgerechnet  Zeit-Online berichtete darüber).

Wäre es aber auch strafbar?

Geht man von dem Sachverhalt aus, dass Herr di Lorenzo zunächst im italienischen Konsulat und sodann seine Stimme im deutschen Wahllokal abgegeben hat, stellt sich die Frage, ob er bei der zweiten Stimmabgabe  "unbefugt" im Sinne des § 107 a StGB gewählt hat. Die Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlamants liegen im Geltungsbereich dieser Norm (§ 108 d StGB). Allerdings gilt dies nur für den deutschen Teilausschnitt, d.h. die Wahl der deutschen Europaabgeordneten. Es kommt also darauf an, ob die Stimmabgabe im deutschen Wahllokal wegen der zuvor schon erfolgten Stimmabgabe "unbefugt" gewesen ist. Dies führt zurück zu § 6 Abs.4 EUWG, in dem dieser Fall ausdrücklich geregelt ist:

(4) Das Wahlrecht darf nur einmal und nur persönlich ausgeübt werden. Das gilt auch für Wahlberechtigte, die zugleich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zum Europäischen Parlament wahlberechtigt sind.

Wenn Herr di Lorenzo also mit seiner Aussage nicht nur auf das Problem hinweisen wollte, sondern er sich  tatsächlich so verhalten hat, dürfte er den objektiven Tatbestand des § 107a StGB erfüllt haben.

Nach Diskussion im Kollegenkreis: Fraglich ist aber, ob er auch den subjektiven Tatbestand erfüllt hat. Wird "unbefugt" als normatives Tatbestandsmerkmal aufgefasst, ist der Irrtum, unbefugt zu wählen, ein Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz ausschließt. Das ist wohl die überwiegende Auffassung. Meinte also Herr di Lorenzo, er wähle "befugt" zweimal (so jedenfalls der Eindruck derer, die die Sendung gesehen haben), dann hat er demnach nur (straflos) fahrlässig unbefugt gewählt - er wäre dann "nochmal davongekommen".

Nach anderer Auffassung genügt es für den Vorsatz schon, die Umstände, die die Unbefugtheit begründen, zu kennen. Das wäre hier wohl der Fall und nach dieser Auffassung wäre auch der subjektive Tatbestand zu bejahen. Ein bloßer Verbotsirrtum, der dann vorläge, ließe die Strafbarkeit nicht entfallen, denn dieser wäre wohl vermeidbar.

Die Stimmabgabe im italienischen Konsulat wäre übrigens auch dann nicht strafbar nach § 107 a StGB, wenn sie zeitlich nach der deutschen Stimmabgabe erfolgt wäre. Die §§ 107 ff. StGB schützen nicht die Wahl der italienischen Abgeordneten zum Europaparlament. Möglicherweise wäre dies aber vom italienischen Strafrecht erfasst. Mit der Frage der angeblichen "Exterritorialität" hat das Ganze nichts zu tun.

Diskussion auch hier im Lawblog

und bei Legal Tribune Online.

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58 Kommentare

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Es wäre schön, wenn es gelingen könnte, den Fokus noch einmal auf den Vorsatz zu legen. Dass der objektive Tatbestand erfüllt ist, das dürfte klar sein. Objektiv unbefugt wählt, wer zweimal wählt. 

Herr di Lorenzo wird im Wählerverzeichnis seines Konsulats und der Gemeinde seines Wohnortes geführt, bekam demnach zwei Wahlbenachrichtigungen und dachte, er wäre befugt seine Wahlstimme sowohl im Konsulat als auch in seiner Gemeinde abzugeben. Er hat sich offensichtlich über seine Befugnis geirrt.

Die Frage ist, ob und welche Rechtsfolgen sein Irrtum hat.

Es gibt den Einwand, er hätte wissen müssen, dass er zweimal nicht wählen darf. Professor Müller klärte auf: Das Wissen-Müssen begründet nur Fahrlässigkeit. Bezüglich des Tatbestandes "unbefugt" wird aber Vorsatz verlangt.

Dann gibt es noch den Satz: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Auch hierüber klärte Professor Müller auf: Dieser Satz stimmt nicht. Ich persönlich kenne ihn nur in Zusammenhang mit dem Verbotsirrtum.

Aber um welche Art von Irrtum geht es hier? Professor Müller hat eingangs schon erläutert, dass es darauf ankomme, als welches Tatbestandsmerkmal man "unbefugt" sieht. Sieht man es mit der h.L. als ein normatives, wertausfüllungsbedürftiges Merkmal an, dann hätte das zur Folge, dass der Irrtum darüber ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum wäre. Anderenfalls läge Verbotsirrtum vor, bei dem es auf die Vermeidbarkeit ankäme und sie gegebenenfalls schuldmindernde Wirkung haben kann.

Ich denke, wenn man "unbefugt" auch für ein normatives Tatbestandsmerkmal hält, dann hat das nicht zwingend zur Folge, dass jede irrtümliche Wertausfüllung durch den Täter den vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum zur Folge hat. Vielmehr kommt es noch darauf an, ob die irrtümliche Wertausfüllung in der Laiensphäre nachvollziehbar erscheint.

Um diese Frage zu beantworten, braucht man kein Jurawissen (möglicherweise kann sich das sogar schädlich auswirken). Ein oft bemühtes Lehrbeispiel für einen nachvollziehbaren Irrtum in der Laiensphäre über das normative Tatbestandsmerkmal "fremd" (Diebstahl): A verkauft und übergibt sein Fahrrad seinem Nachbar N. Weil N den Kaufpreis nicht bezahlt, nimmt A das Fahrrad eigenmächtig wieder an sich, weil er denkt, es gehöre noch ihm solange der Kaufpreis nicht gezahlt ist.

Sehr geehrter Herr Kolos,

Sie schreiben "...bekam demnach zwei Wahlbenachrichtigungen und dachte, er wäre befugt seine Wahlstimme sowohl im Konsulat als auch in seiner Gemeinde abzugeben. Er hat sich offensichtlich über seine Befugnis geirrt."

Diese Frage zu klären, wäre doch Ermittlungstätigkeit. Einen Anfangsverdacht für eine Straftat haben Sie als objektiv bejaht. Bei der Ermittlung der Tatsachen gibt es zunächst keine Regel "im Zweifel für den Angeklagten". Es ist in alle Richtungen zu ermitteln. Die Behauptung des Verdächtigen, sich geirrt zu haben, könnte auch eine Schutzbehauptung sein. Dies wäre zu überprüfen. Wie Sie also einen offensichtlichen Irrtum feststellen, kann ich nicht nachvollziehen. Edathy wird trotz des Fehlens eines objektiven Tatbestandes aus "juristischer Erfahrung" mit erheblichen Ermittlungsanstrengungen zum Straftatverdächtigen hochermittelt. Di Lorenzo hat den objektiven Tatbestand erfüllt, kann sich aber ohne Weiteres mit Nichtwissen herausreden. Genau hier scheint mir das Problem der Juristen mit der Objektivität zu liegen. Die Folgen sind fatal.

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Sehr geehrter Herr Lippke,

Sie schreiben zwar an Herrn Kolos, aber erlauben Sie, dass ich Ihnen antworte.

Sie schreiben:  

Die Behauptung des Verdächtigen, sich geirrt zu haben, könnte auch eine Schutzbehauptung sein. 

Die juristische Frage, die wir hier diskutieren ist zunächst, ob dieser mögliche Irrtum nur ein Verbotsirrtum (dann wohl Strafbarkeit) oder ein Tatbestandsirrtum (dann keine Strafbarkeit) wäre. Um das zu diskutieren, empfiehlt es sich, erst einmal davon auszugehen, dass sich Herr di Lorenzo wirklich geirrt hat. Ein solcher Irrtum liegt auch tatsächlich nahe, denn er hat ja selbst sein zweimaliges Wählen freimütig öffentlich geschildert  (was ohne diese Angabe gar nicht herausgekommen wäre) und dies ganz offenbar ohne Unrechtsbewusstsein.  Für eine "Schutzbehauptung" bestand zum Zeitpunkt seiner Darstellung in der Talkshow überhaupt kein Anlass. 

Dies wäre zu überprüfen.

Selbstverständlich muss erst einmal ermittelt werden - und das geschieht ja auch. Aber was soll denn die Staatsanwaltschaft tun, wenn es bei den bisherigen Äußerungen ("Ja, ich habe zweimal gewählt. Nein, ich wusste nicht, dass ich das nicht darf") bleibt? Dann kommt es auf die o.a. juristische Fragestellung an, ob der Irrtum ein Tatbestands- oder Verbotsirrtum ist.

Wie Sie also einen offensichtlichen Irrtum feststellen, kann ich nicht nachvollziehen. 

Siehe oben.

Edathy wird trotz des Fehlens eines objektiven Tatbestandes aus "juristischer Erfahrung" mit erheblichen Ermittlungsanstrengungen zum Straftatverdächtigen hochermittelt.

Ihre Kritik an dem Ermittlungsverfahren gegen Edathy  stimmt wohl, doch sind die Fälle überhaupt nicht vergleichbar (anderes Delikt, anderer Ermittlungsanlass, anderes Verhalten des Verdächtigen, andere Staatsanwaltschaft).

Di Lorenzo hat den objektiven Tatbestand erfüllt, kann sich aber ohne Weiteres mit Nichtwissen herausreden.

Genau hier scheint mir das Problem der Juristen mit der Objektivität zu liegen.

Wir Menschen haben alle mehr oder weniger ein Problem mit der Objektivität. Ihre Rede von "den" Juristen ist z.B. auch nicht sonderlich objektiv.  Wenn im Fall Edathy Fehler gemacht wurden, heißt das doch nicht, dass in anderen Fällen auch Fehler gemacht werden müssen. Das wäre ein weit größeres "Problem mit der Objektivität".

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

 

Sehr geehrter Herr Müller,

Ihre Unterscheidungsfrage Irrtum Tatbestand / Irrtum habe ich erfasst.

Die Annahme des Irrtums aus der Offenbarung heraus leidet m. E. an der subjektiven Wahrnehmung. Di Lorenzo der allgemein Sympathieträger ist, fungiert gleichzeitig als Herausgeber eines politischen Leitmediums, ist in vielfältige politisch-mediale Strukturen eingebunden, ist Talkmaster und interviewt Politiker wie z.B. Helmut Schmidt. Er offenbart seine Doppelwahl in einer politischen Talkshow zur EU-Wahl. Sollte er also vollkommen uninformiert da reingekommen sein, müsste das enorme Rückwirkungen auf sein politisches und mediales Wirken haben. So unklar ist nämlich das Verbot einer Doppelwahl gar nicht, wie jetzt gern suggeriert wird. Es gab außerdem klare Hinweise, wie den Artikel auf Zeit-Online und den Wahlaufruf der Präsidenten der EU-Länder an Doppelstaatler. Es könnte ja auch zielgerichtetes "Erst Vorteile sichern, dann Klärung anstossen" beabsichtigt sein. Ich finde so dürftig ist dafür die Indizienlage nicht.

Ich hatte den Fall, dass mir StA / GStA erklärten, der objektive Straftatbestand Gebührenüberhebung sei erfüllt, aber der subjektive Tatbestand wegen der üblichen Unkenntnis vieler Juristen zum Verbot der Mehrfachabrechnung von verbundenen Verfahren nicht. Also pauschale Entlastung der Berufsgruppe Juristen. Der Angeschuldigte hatte aber die Gebührenüberhebung im Zivilverfahren nur schrittweise unter Druck nachgelassen und wurde so immer wieder auf die Regelungen aufmerksam gemacht. Er wurde nicht einmal befragt und Ermittlungen wurden abgelehnt. Wie es mir selbst erging und ergeht, lasse ich jetzt hier mal im Detail weg. Ermittelt wird ohne das ein objektiver Tatbestand feststeht. Subjektiver Irrtums-Bonus wurde mir unabhängig davon bisher noch nie zugestanden.

Sie schreiben: "Wir Menschen haben alle mehr oder weniger ein Problem mit der Objektivität."

Genau deshalb dürfen Juristen nicht so tun, als ob Richter und Staatsanwälte selbst formal Objektivität sicherstellen könnten. Dem kann man sich nur durch wirklich unabhängige Kontrollstrukturen und Rechenschaftspflicht annähern. Hierzu verweigern aber Juristen die Mitwirkung und pochen auf Sonderrechte. Diese Einschätzung belege ich Ihnen notfalls auch. Ich hatte dazu schon Juristenverbände, Ministerien und Juristen in politischen Ämtern angefragt.

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@max mustermann: du sprichst einen interessanten punkt an, wenn du über sozialdemokratische parteien redest. Hätte der Bürger zwei Stimmen, im Land der Staatsbürgerschaft und im Aufenthaltsland, würde er zwar parteinmäßig nur im jeweiligen Kontigent abstimmen, die "ideele Richtung" würde eher dennoch doppelt beeinflussen, in dem er in beiden Staaten beispielsweise eine sozialdemokratische Partei wählt. Damit hätte er parteiunabhängig die Zusammensetzung des Parlaments zweifach zu seiner Vorstellung hin gewählt. Das kann auch nicht die Lösung sein, daher halte ich persönlich ein Stimmrecht pro Person, wie es auch geregelt ist, für richtig.

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@max mustermann: du sprichst einen interessanten punkt an, wenn du über sozialdemokratische parteien redest. Hätte der Bürger zwei Stimmen, im Land der Staatsbürgerschaft und im Aufenthaltsland, würde er zwar parteinmäßig nur im jeweiligen Kontigent abstimmen, die "ideele Richtung" würde eher dennoch doppelt beeinflussen, in dem er in beiden Staaten beispielsweise eine sozialdemokratische Partei wählt. Damit hätte er parteiunabhängig die Zusammensetzung des Parlaments zweifach zu seiner Vorstellung hin gewählt. Das kann auch nicht die Lösung sein, daher halte ich persönlich ein Stimmrecht pro Person, wie es auch geregelt ist, für richtig.

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