Diskriminierungsschutz bei (starker) Übergewichtigkeit?

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 20.07.2014

Eine (leider) immer drängendere Frage steht derzeit beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zur Entscheidung an: Verbietet das EU-Recht es, übergewichtige Arbeitnehmer im Arbeitsleben wegen dieser Eigenschaft zu benachteiligen? Die Diskussion beschäftigte zuletzt auch deutsche Gerichte. Erst im Juni war eine Arbeitnehmerin mit ihrer Entschädigungsklage vor dem Arbeitsgericht Darmstadt gescheitert (vgl. Beck-Blog vom 17.6.2014). Sie war vor Gericht gezogen, da ihre Bewerbung für eine Führungsposition wegen ihrer angeblichen Leibesfülle abgelehnt wurde. Der nun vor den EuGH gebrachte Ausgangsfall liegt wie folgt: Der Kläger, Herr Kaltoft, war als Tagesvater seit 15 Jahren bei der dänischen Gemeinde Billund beschäftigt. Er wiegt über 160 Kilogramm und gilt mit einem BMI von 54 auch medizinisch als stark adipös. Ende 2010 wurde ihm gekündigt. Die Kündigung wurde mit einem Rückgang der Zahl zu betreuender Kinder begründet, doch wurde kein ausdrücklicher Grund dafür genannt, dass gerade Herr Kaltoft entlassen wurde. Herr Kaltoft hingegen macht geltend, dass seine Entlassung auf einer rechtswidrigen Diskriminierung wegen seines Gewichts beruhe. Das zuständige Gericht im dänischen Kolding fragte beim EuGH an, ob und unter welchen Voraussetzungen Adipositas als Behinderung zu qualifizieren ist. Nunmehr liegt der Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH, Niilo Jääskinen, vor (vom 17.7.2014 in der Rechtssache C-354/13). Darin führt er aus, dass das EU-Recht eine Diskriminierung wegen Fettleibigkeit nicht direkt verbietet. Allerdings könne Adipositas dann als Behinderung angesehen werden, wenn sie ein solches Maß erreicht hat, dass sie offenkundig ein Hindernis für die Teilhabe am Berufsleben darstellt. Seiner Meinung nach kann nur eine schwere, extreme oder morbide Adipositas, d. h. ein BMI von über 40, zu Einschränkungen wie Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen, die eine „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf darstellen. Abschließend fügt der Generalanwalt hinzu, dass es auf den Ursprung der Behinderung nicht ankomme. Der Begriff der Behinderung sei objektiver Art und hänge nicht davon ab, ob der Kläger durch „selbst verursachte“ übermäßige Energieaufnahme ursächlich zum Eintritt seiner Behinderung beigetragen hat. Damit geht der Generalanwalt etwas weiter als man das bislang – aus medizinischer Sicht – in Deutschland gesehen hat. Hierzulande ist man eher zurückhaltend und sieht allein in einer Adipositas keine Schwerbehinderung. Berücksichtigt werden nur Folge- und Begleitschäden, insbesondere des Bewegungsapparats und des Herz-Kreislauf-Systems. Ein Vorteil der vom Generalanwalt vorgeschlagenen Linie ist aber unbestreitbar die Stärkung der Rechtssicherheit, jedenfalls dann, wenn man umgekehrt sagen kann, dass bei Unterschreiten eines BMI von 40 regelmäßig keine Behinderung vorliegt. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kaltoft wird in den nächsten Monaten erwartet. 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

13 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Je nach Berufsbild können stark adipöse Menschen bestimmte Tätigkeiten nicht erbringen. Insebesondere dort, wo es um die Rettung oder Sicherheit anderer Menschen oder auch um die adäquate Betreuung von Kindern geht, muss es erlaubt sein eine Fettlaibigkeit als Grund für eine Beendigung oder Änderung anzuführen, jedenfals immer dann, wenn es sachlich gerechtfertigt ist. Der dänische Kläger mit 160 kg dürfte nicht geeignet sein, einem (in Richtung Straße) davon rennenden Kind hinterher zu rennen, um Schlimmeres zu verhindern. Ich denke hier wäre die Kündigung auch bei Benennung des (starken) Übergewichts sachlich gerechtfertigt.

5

Pargmatiker schrieb:

Je nach Berufsbild können stark adipöse Menschen bestimmte Tätigkeiten nicht erbringen. Insebesondere dort, wo es um die Rettung oder Sicherheit anderer Menschen oder auch um die adäquate Betreuung von Kindern geht, muss es erlaubt sein eine Fettlaibigkeit als Grund für eine Beendigung oder Änderung anzuführen, jedenfals immer dann, wenn es sachlich gerechtfertigt ist. Der dänische Kläger mit 160 kg dürfte nicht geeignet sein, einem (in Richtung Straße) davon rennenden Kind hinterher zu rennen, um Schlimmeres zu verhindern. Ich denke hier wäre die Kündigung auch bei Benennung des (starken) Übergewichts sachlich gerechtfertigt.

... und eine Tagesmutter mit Höhenangst kann vielleicht kein Kind retten, dass auf einen Baum geklettert ist. Eine Phobie vor Hunden wäre hinderlich dabei, ein Kind vor einem Hund zu retten. Eine gar kurzsichtige Tagesmutter mag sowohl Straße als auch Baum als auch Hund von Anfang an übersehen. Eine Dritte trägt vielleicht Beinkleider oder Schuhwerk, die ihre Laufleistung ähnlich stark beeinträchtigen wie Übergewicht. Oder ist vielleicht charakterlich nicht derart beschaffen, dass sie einem Kind in eine Gefahrensituation folgen würde. Alles ungeeignete Personen?

Man möge da doch bitte die Gesamtleistung betrachten. Vielleicht lässt der Kläger die Kinder gar nicht erst an der Straße spielen, was man sinnvoller finden mag, als sich auf seine Sprintfertigkeiten zu verlassen. Der Verdacht einer Diskriminierung ist hier nicht ganz von der Hand zu weisen.

Vom Übergewicht abgesehen... wie viele Tages-väter- kennen die Diskutanten? Ob einer übergewichtigen Tagesmutter wohl dasselbe passiert wäre? Oder einer stark untergewichtigen?

0

Es fehlen mMn wichtige Sätze aus der Pressemitteilung:

In seinen heutigen Schlussanträgen weist Generalanwalt Niilo Jääskinen darauf hin, dass keine Bestimmung des Vertrags oder der Charta ausdrücklich auf Adipositas als verbotenen Diskriminierungsgrund Bezug nimmt. Ein solches Verbot könnte daher nur Teil eines allgemeinen, aus dem offenen Wortlaut des Art. 21 der Charta abgeleiteten Verbots jeder Art von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt sein. Allerdings ist die Charta für die Mitgliedstaaten nur bei der Durchführung von Unionsrecht bindend,und es gibt keinen Anhaltspunkt für eine solche Durchführung einer Vorschrift des Unionsrechts über ein allgemeines Verbot von Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt durch Dänemark. Der Generalanwalt hebt hervor, dass sich alle Rechtsakte der EU, die diskriminierendes Verhalten verbieten, auf bestimmte Diskriminierungsgründe in bestimmten Sachgebieten beziehen und keinen generellen Ausschluss jeder diskriminierenden Behandlung vorsehen. Daher kommt Generalanwalt Jääskinen zu dem Ergebnis, dass es im Unionsrecht kein allgemeines, eigenständiges Verbot von Diskriminierungen wegen Adipositas gibt.

Entscheidend sehe ich den Satz: "Der Generalanwalt hebt hervor, dass sich alle Rechtsakte der EU, die diskriminierendes Verhalten verbieten, auf bestimmte Diskriminierungsgründe in bestimmten Sachgebieten beziehen und keinen generellen Ausschluss jeder diskriminierenden Behandlung vorsehen."

Eine ohne sachlichen Grund alleine aufgrund von Äußerlichkeiten also willkürlich benachteiligende Ungleichbehandlung dürfte eine Diskrimierung sein.

Aber lag hier nicht ein sachlicher Grund für eine Benachteiligung vor?

Können demnächst vielleicht auch Profi-Fußballer, die aufgrund mangelnder Selbstbeherrschung und ungesunder Lebensführung zu viel Gewicht haben und deswegen zu langsam werden, erfolgreich gegen Ihren Verein auf Weiterbeschäftigung klagen, wenn sie nicht mehr aufgestellt oder gar gekündigt werden?

Und können demnächst vielleicht auch Soldaten oder Polizisten, die aufgrund ihrer Lebensführung stark übergewichtig und wehrdienstuntauglich bzw. dienstunfähig werden, ihre Arbeitgeber mithilfe des Schlagworts "Diskriminierung" dazu zwingen, sie weiterzubeschäftigen?

Und wie sähe es bei einer Empfangsdame aus, die ein junges dynamisches Unternehmen repräsentieren soll, wenn sie soviel ißt und trinkt, daß sie träge und nahezu unbeweglich wird?

Wer seine Arbeitsunfähigkeit durch ungesunde Lebensweise mutwillig selbst herbeiführt, dem sollte man als Staat nicht unter dem ausufernden Schlagwort "Diskriminierung" eine Waffe in die Hand geben, mit der er seinen Arbeitgeber zwingen kann, ihn weiterzubeschäftigen.   

5

Dieser Fall liegt allerdings anders: Herr Kaltoft war die gesamte Beschäftigungszeit extrem übergewichtig, so dass das Argument "Lebensführung" bzw. "selbst herbeigeführte Behinderung" nicht zieht. (Abgesehen davon ist das laut Generalanwalt Jääskinen unerheblich.) Und wenn es kein Einstellungshindernis war, verfängt auch der "sachliche Grund" nicht.

Es lohnt sich, die PM ganz zu lesen:

Der Generalanwalt führt aus, dass es zwar keine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung einer Person gibt, die für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes nicht kompetent ist, doch sind angemessene Maßnahmen zugunsten des Behinderten zu ergreifen, sofern sie nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung für den Arbeitgeber führen.

Und den Arbeitsvertrag möchte ich sehen, der einen Einsatz als Empfangsdame garantiert oder den Profivertrag, der Einsätze verspricht (das hat meines Wissens nur einer geschafft: Jürgen Klinsmann beim FC Bayern, als er von Tottenham nach München wechselte. Kein Wunder, dass Hoeneß nie gut auf ihn zu sprechen war - wer lässt sich schon gern daran erinnern, dass andere ihm bei Vertragsverhandlungen überlegen waren).

 

@ Herr Stoffels: Ich stelle mir die Frage, warum Sie in ihrem Einleitungssatz die Bedauernsform des "leider" verwenden, um zu signalisieren, dass der EuGH eine Entscheidung trifft. Der EuGH ist ein entscheidendes Rechtsprechungsorgan der Europäischen Union. Die Verwirklichung der Ziele der Europäischen Union ist ein Verfassungsgut hohen Ranges. Ein Staat, der der Europäischen Union beitritt, wird sicher dieser Rechtsordnung unterwerfen müssen, andernfalls sollte er wohl diese Union verlassen.

 

Die Tatsache, dass viele Juristen mit der "Supranationalität" unserer Rechtsordnung ein Problem haben, zeigt doch gerade, dass es eine Institution wie den EuGH dringend bedarf. Auch der deutsche Jurist kann dann seine Rechtsauffassungen hinterfragen und sich vom Gedankengut anderer Rechtsordnungen "befruchten" lassen.

 

Ich wüsste nicht, warum man bei der Frage des Vorliegens einer Behinderung wegen "Adiposa" eine Differenzierung zwischen "selbstverschuldeter Lebensführung" und "unverschuldeter Adiposa" machen müsste. Wenn ein Mensch unter erheblichem Übergewicht leidet, dann ist er möglicherweise behindert bzw. schwerbehindert... punkt. Ob er das zu verschulden hat oder nicht spielt keine Rolle. Ein Motorradfahrer, der leichtsinnig gefahren ist und wegen eines Unfall querschnittsgelähmt ist, dürfte auch schwerbehindert sein, obwohl er möglicherweise der Unfall selbst zu verschulden hatte.

 

Es dürfte in der Praxis auch kaum vorstellbar sein, ein "Verschulden" für "Adiposa" nachvollziehbar darzulegen. Dafür sind die Ursachen zu vielschichtig. Der Ansatz zu sagen, weil Du zu viel "gefressen" hast, bist Du selber schuld, dürfte zu "trivial" sein. Hinter "Adiposa" stecken z.B. sehr viele psychische Leiden, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind und für den Großteil der Bevölkerung gar nicht nachvollziehbar sind.

 

Hat denn beispielsweise ein Übergewichtiger, der von seiner Frau derartig genervt wurde, dass er dies mit "Essen" kompenisert hat mehr "Verschulden" an seiner Behinderung, als beispielsweise ein Jurist, der den ganzen Tag vor seinen Büchern sitzt und daher schwerste Wirbelsäulenschäden hat, weil er sich nie bewegt hat?

 

 

 

 

3

Ich habe das "leider" als - neutrales - Bedauern darüber aufgefasst, dass der Anteil der Adipösen (und Diabetiker) seit Jahren steigt, dadurch immense Zusatzkosten auf die Gesellschaft zukommen und in den nächsten Jahrzehnten keine Trendumkehr zu erwarten ist. Ganz unabhängig von den Ursachen, unter denen - individuell verantworteter - Bewegungsmangel sicher der größte Einflussfaktor ist (ich glaube z.B. nicht, dass die österr. Mädchen viel weniger essen als die Jungen oder die holländischen Jungen viel weniger als die spanischen - siehe Grafiken hier. Das dürfte eher der Playstation-Effekt sein).

Umso wichtiger sind Betreuungseinrichtungen und dass dort Kinder zur Bewegung angehalten werden. Gerade für Zuwandererkinder und das Prekariat.

Im Jahr 2001 haben das Ministerium für Volksgesundheit, Wohlfahrt und Sport und das Ministerium für Soziales und Arbeit ein Pilotprogramm mit dem Titel "Sport und Kinderbetreuung" ins Leben gerufen. Umgesetzt wurde dieses Programm vom Niederländischen Institut für Sport und Bewegung (NISB) und dem Netzwerkbüro für die Verbesserung der Kinderbetreuung (Netwerkbureau Uitbreiding Kinderopvang). (Das Netzwerkbüro hat mit Ende des Jahres 2003 seine Arbeit eingestellt, nachdem es 92 000 neue Kinderbetreuungsplätze eingerichtet hatte.) Ziele waren die Belebung der Sportvereine, der Kampf gegen Bewegungsarmut bei Kindern und die Verbesserung der Kinderbetreuung in den Niederlanden. Inzwischen ist die Verantwortung zu großen Teilen auf die regionalen und kommunalen Sportverbände übertragen worden.

Die Krankenkassen haben genügend Milliarden auf der hohen Kante, um Programme wie TigerKids flächendeckend einzuführen. Leider hat das Beispiel Fußballnationalmannschaft gezeigt, dass Reformen, die sich erst langfristig auszahlen, erst dann in großen Stil umgesetzt werden, wenn der Leidensdruck zu groß wird. Was spricht gegen eine Faulheitssteuer für Unternehmen, die mit Investitionen in Stehtische statt Sitztische und Sportprogramme verrechenbar ist?  

 

Wäre ein interessanter Ansatz. Ich persönlich würde trotzdem lieber in einem Staat leben, in dem Menschen nicht benachteiligt werden, weil sie ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen haben, obwohl ich wahrscheinlich niemals nachvollziehen kann, welchen tatsächlichen Anfeindungen "Ubergewichtige" in Deutschland ausgeliefert sind.

3

@Nils Kratzer #9: in welchen der von mir genannten Maßnahmen sehen Sie eine "Benachteiligung Übergewichtiger"? Die Fokussierung auf das Gewicht anstatt auf die Bewegung ist das jahrzehntelange Fehldenken, von dem man sich derzeit - noch zu langsam - verbaschiedet.

Interessanter Prozess. Dennoch überraschend, dass Fettleibigkeit als eine Behinderung anerkannt wird und daher auch die diesbezüglichen Voraussetzungen zutreffen.
Fettleibigkeit ist oft als eine Folge von zu viel Essen und nicht von einer Krankheit. Ich bin sehr gespannt wie das definitive Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofs ausfällt.

hochachtungsvoll,

Laura | AMS advocaten

http://www.amsadvocaten.de/

5

Kommentar hinzufügen