Nachträgliche Einheitsjugendstrafe: Was muss aus der einbezogenen Entscheidung ins Urteil?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.07.2014

Die Einheitsjugendstrafe ist natürlich eine jugendrichterliche Standardsituation. Üblicherweise werden die einzubeziehenden Urteile in der HV komplett verlesen und dann bei Urteilsabfassung komplett einkopiert. Nicht aber hier:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Lünen vom 19.11.2013 wegen Sachbeschädigung, zweifachen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen Diebstahls im besonders schwerem Fall schuldig gesprochen worden. Unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Lünen vom 26.06.2012 (17 Ds 133 Js 2204/11 – 24/12) wurde gegen ihn eine Jugendstrafe von einem Jahr verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Nach den Urteilsfeststellungen, die das Amtsgericht zur Sache getroffen hat, randalierte der Angeklagte am 26.06.2011 gemeinsam mit einem bislang nicht ermittelten Mittäter im Bereich der Rechtsanwaltskanzlei F2 und Kollegen in M. In diesem Zusammenhang schob er die Rollladen eines Fensters zu den Räumlichkeiten der Kanzlei hoch und schlug sodann die Scheibe ein.

Am 29.12.2012 wurden anlässlich einer Polizeikontrolle auf dem Schulhof des G-v.-T-Gymnasiums in M bei dem Angeklagten 22,6 g und bei einer weiteren Polizeikontrolle am 9.06.2013 auf der Kreuzung L-Straße  in M bei dem Angeklagten 13,3 g Marihuana, verpackt in 16 Folienbeuteln, vorgefunden.

In der Zeit vom 18.10. bis zum 19.10.2012  hebelte der Angeklagte die Eingangstür zur physiotherapeutischen Praxis im Haus N-Straße in M auf und entwendete anschließend nach Aufbrechen eines Schreibtischcontainers aus diesem eine Geldkassette mit ca. 40 EUR.

Nach den weiteren Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte strafrechtlich bereits wie folgt in Erscheinung getreten:

Er wurde durch Urteil des Amtsgerichts Lünen vom 02.04.2009 wegen unerlaubten Erwerbs und unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Beleidigung, sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit der Erregung öffentlichen Ergebnisses (gemeint ist offensichtlich: Ärgernisses) zu einem Freizeit-Jugendarrest sowie zur Erbringung von Arbeitsleistungen verurteilt. Außerdem wurden eine Verwarnung sowie eine weitere richterlichen Weisung erteilt.

Durch Entscheidung der Staatsanwaltschaft vom 25.05.2009 wurde in einem Verfahren gegen den Angeklagten wegen Diebstahls geringwertiger Sachen von der Verfolgung nach § 45 Abs. 2 JGG abgesehen.

An 08.04.2010 wurde gegen ihn durch Urteil des Amtsgerichts Lünen wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie Sachbeschädigung unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Lünen vom 02.04.2009 nebst der Erteilung einer Verwarnung ein vierwöchiger Jugendarrest verhängt.

Durch Urteil des Amtsgerichts zum 10.01.2011 wurde der Angeklagte wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verwarnt. Außerdem wurde er zur Erbringung von Arbeitsleistungen sowie zu einem zweiwöchigen Jugendarrest verurteilt.

Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Lünen am 26.06.2012 wegen Beleidigung, Bedrohung sowie wegen Sachbeschädigung neben der Erteilung einer Verwarnung zur Erbringung von Arbeitsleistungen. Nachdem der Angeklagte trotz mehrfacher Anmahnungen die Arbeitsleistungen nicht erbracht hatte, verbüßte er wegen Zuwiderhandlung gegen diese Auflagen einen zweiwöchigen Arrest. Auch in der Folgezeit ist der Angeklagte der Arbeitsweisung nicht vollständig nachgekommen, so dass das Urteil vom 26.06.2012 zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils noch nicht vollständig vollstreckt worden war.

Das Amtsgericht hat auf Grund von ihm angenommener Reifeverzögerungen bei dem Angeklagten Jugendstrafrecht zur Anwendung gebracht.

Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

„Gegen den Angeklagten war eine Jugendstrafe zu verhängen, weil bei ihm schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG erkennbar sind. Diese ergeben sich insbesondere daraus, dass der Angeklagte in einem relativ kurzen Zeitraum immer wieder und erheblich gegen bestehende Strafgesetze verstoßen hat. Darüber hinaus ist er auch in zurückliegenden Jahren mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Insgesamt bleibt festzustellen, dass bei dem Angeklagten ein Hang zur Begehung von Straftaten deutlich erkennbar ist.

Zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten erschien unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Lünen vom 26.06.2012 (17 Ds 133 Js 2204/11 – 24/12), welches zwecks Bildung einer einheitlichen erzieherischen Maßnahme gemäß § 31 Abs. 2 JGG einzubeziehen war, die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr angemessen, aber auch ausreichend. Dabei hat das Gericht zu Gunsten des Angeklagten sein umfassendes Geständnis, auch wenn dieses nicht von außerordentlicher Reue geprägt gewesen ist, berücksichtigt. Zudem war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zu sämtlichen Tatzeitpunkten regelmäßig unter dem erheblichen Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln gestanden hat.

Zu seinen Lasten durfte nicht verkannt werden, dass der Angeklagte über erhebliche Vorbelastungen verfügt und vorliegend erneut vier weitere Straftaten zur Aburteilung anstanden. Insgesamt spricht die hohe Rückfallgeschwindigkeit, mit welcher der Angeklagte gegen bestehende Strafgesetze verstoßen hat, sowie seine damit verbundene Gedanken-und Respektlosigkeit gegen ihn.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

II.

Die Revision hat in der Sache zumindest vorläufig teilweise Erfolg. Sie führt zu einer Abänderung des Schuldausspruches in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang sowie zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

1.

Der Schuldausspruch des angefochtenen Urteils war hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall gemäß §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB dahingehend abzuändern, dass der Angeklagte eines Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB schuldig ist. Denn bei einer Verurteilung nach Jugendstrafrecht kommt bei der Fassung der Urteilsformel die Kennzeichnung von Diebstählen als besonders schwere Fälle gemäß § 18 Abs. 1 S. 3 JGG, wonach die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts im Jugendstrafrecht nicht gelten, nicht in Betracht (vergleiche BGH, Beschluss vom 03.04.1991 –2 StR 28/91-; OLG Hamm, Urteil vom 09.02.2005 – 3 Ss 520/04 – juris.de). Im Übrigen hat die Überprüfung des Schuldausspruchs des angefochtenen Urteils Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten nicht ergeben. Die Revision war daher insoweit entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

2.

Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils konnte dagegen keinen Bestand haben. Allerdings ist insbesondere unter Berücksichtigung des in den Urteilsgründen geschilderten schulischen Werdegangs des Angeklagten die Annahme des Amtsgerichts, das bei dem Angeklagten Entwicklungsrückstände erkennbar seien, sowie dessen Entscheidung, aus diesem Grunde Jugendstrafrecht zur Anwendung zur bringen, entgegen der Ansicht des Revisionsführers nicht zu beanstanden.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen allerdings die Annahme schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG nicht.

Schädliche Neigungen liegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vor, wenn bei den jugendlichen bzw. heranwachsenden Täter erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel gegeben sind, die ohne eine längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen und nicht nur „gemeinlästig“ sind oder den Charakter von Bagatelldelikten haben (vergleiche Eisenberg, JGG, 16. Auflage, § 17 Rdn. 18 b mit weiteren Nachweisen). Das Amtsgericht hat die Verhängung der Jugendstrafe insbesondere damit begründet, dass der Angeklagte in einem relativ kurzen Zeitraum immer wieder und erheblich gegen bestehende Strafgesetze verstoßen habe. Darüber hinaus sei er auch in den zurückliegenden Jahren mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Insgesamt bleibe festzustellen, dass bei dem Angeklagten ein Hang zur Begehung von Straftaten deutlich erkennbar sei. Diese Feststellungen erweisen sich jedoch als lückenhaft. Denn in dem angefochtenen Urteil wird hinsichtlich der Vorbelastungen des Angeklagten lediglich mitgeteilt, wegen welcher Straftaten der Angeklagte in der Vergangenheit zu welchen Sanktionen verurteilt worden sowie, hinsichtlich welcher Verfahren es zu einer Einstellung gekommen ist. Konkrete Feststellungen zu den früheren Straftaten des Angeklagten werden dagegen in dem angefochtenen Urteil nicht getroffen, so dass die Erwägungen des Amtsgerichts, die Art und der Umfang der früheren Straffälligkeit des Angeklagten ließen schädliche Neigung erkennen, so dass aus diesem Grund gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe zu verhängen sei, für den Senat auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen nicht nachvollziehbar sind.

Die Strafzumessungserwägungen erweisen sich aber auch deshalb als fehlerhaft, weil die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu der einbezogenen Verurteilung lückenhaft sind und das angefochtene Urteil darüber hinaus eigenständige Strafzumessungserwägungen zu den Straftaten, die der einbezogenen Verurteilung zu Grunde liegen, vermissen lässt. Das angefochtene Urteil genügt daher insofern nicht den unter Berücksichtigung von § 54 Abs. 1 JGG an die Begründung der Rechtsfolgenentscheidung im Jugendstrafrecht zu stellenden besonderen Anforderungen. So ist es bei der Bildung einer Einheitsjugendstrafe nach § 31 JGG erforderlich, dass sich die Sachverhaltsdarstellung auch auf das einbezogene Urteil erstreckt, da nur so die Sanktionsbegründung nachvollziehbar ist. Erforderlich ist daher, dass die früheren Taten, die Gegenstand der einbezogenen Verurteilung sind, kurz dargestellt und auch die Strafzumessungserwägungen hinsichtlich dieser Taten kurz mitgeteilt werden (vergleiche BGH, Beschluss vom 21.05.2008 – 2 StR 162/08 – zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2013 – III – 3 RVs 16/13 – mit weiteren Nachweisen). Darüber hinaus bedarf es einer neuen, selbstständigen, von der früheren Beurteilung unabhängigen, einheitlichen Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten Taten; auch die früher abgeurteilten Taten sind deshalb im Rahmen der Gesamtwürdigung neu zu bewerten und zur Grundlage einer einheitlichen originären Sanktion zu machen (vergleiche OLG Hamm, a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es enthält weder Angaben zu den Sachverhalten, die der einbezogenen Verurteilung zu Grunde liegen, noch werden die Strafzumessungserwägungen dieses Urteils in dem angefochtenen Urteil mitgeteilt. Die eigenen Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts beziehen sich auf die im vorliegenden Verfahren abzuurteilenden Taten und lassen eine eigenständige neue Bewertung der Straftaten aus der einbezogenen Verurteilung des Amtsgerichts Lünen vom 26.06.2012 nicht erkennen. Soweit das Amtsgericht auf das umfassende Geständnis des Angeklagten abstellt, bezieht sich dieser Gesichtspunkt ersichtlich nur auf das Verhalten des Angeklagten im vorliegenden Verfahren. Ob sich die weitere Erwägung, dass zu berücksichtigen sei, dass der Angeklagte zu sämtlichen Tatzeitpunkten regelmäßig unter dem erheblichen Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln gestanden hat, möglicherweise auch auf die früheren Straftaten des Angeklagten bezieht, lässt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, da dieses keine näheren Ausführungen zu diesen Straftaten sowie dazu enthält, ob diese unter der Einwirkung von Alkohol und/oder Betäubungsmitteln begangen worden sind. Gegen eine solche Annahme spricht allerdings der Umstand, dass erst im Anschluss an die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen zum Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten darauf abgestellt wird, dass der Angeklagte außerdem über erhebliche Vorbelastungen verfüge und eine hohe Rückfallgeschwindigkeit habe erkennen lassen. Mitgeteilt wird in den Urteilsgründen zudem lediglich, dass sich der Angeklagte hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren abzuurteilenden Straftaten dahingehend eingelassen habe, er sei zur Tatzeit „abhängig von Marihuana“ gewesen und habe zudem während des gesamten Tatzeitraumes Alkohol im Übermaß konsumiert.

Schließlich lässt das angefochtene Urteil auch Ausführungen dazu vermissen, warum in Bezug auf den Angeklagten trotz seiner zwischenzeitlichen - auch durch das Amtsgericht als positiv beurteilten - Entwicklung auch noch zum Zeitpunkt des Urteilserlasses von schädlichen Neigungen auszugehen war und aus welchen Gründen insbesondere unter Berücksichtigung des im Jugendstrafrecht maßgeblichen Gesichtspunkts des Erziehungsgedankens, die Verhängung von Jugendstrafe geboten war.

Das angefochtene Urteil war daher hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches aufzuheben. Im Umfang der Aufhebung war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Lünen – Jugendschöffengericht – zurückzuverweisen.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 29.4.2014 - 1 RVs 11/14

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