Möglichkeiten und Grenzen des Strafprozesses – der elfte Tag der Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 23.07.2014

Der elfte Tag der Hauptverhandlung, an dem ich bis zum späten Nachmittag zuhören konnte, bot ein ganzes Spektrum an Eindrücken und Perspektiven – und wieder einmal Schlagzeilen der großen Zeitungen und Rundfunkanstalten: Die Verteidiger legen das (Wahl-)Mandat nieder, bleiben aber als Pflichtverteidiger in der Hauptverhandlung.

Die Erwartungen

Gustl Mollath und einige seiner Unterstützer haben das gewonnene Wiederaufnahmeverfahren und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung zur selben Anklage als Möglichkeit verstanden, nun die „ganze“ Wahrheit aufzuklären. Nicht nur, dass Mollath zu Unrecht Körperverletzungen und Sachbeschädigungen vorgeworfen werden, sollte nun ans Tageslicht kommen, sondern auch, wer aus welchen Motiven seine Unterbringung in der Psychiatrie bewirkt hat. Wer sind die Drahtzieher, die dieses Unrecht verursacht haben?

Viele Spekulationen sowie naheliegende und fernliegende Verdächtigungen stehen im Raum: Sind es schlampig arbeitende Polizisten, Staatsanwälte und Richter? Sind es oberflächlich und unwissenschaftlich gutachtende Psychiater? Ist es die Ex-Ehefrau, die es mit einem Netzwerk von Freunden und wohlhabenden Kunden geschafft hat, den Ex-Ehemann sparsam loszuwerden? Sind es die Mitarbeiter einer Großbank, die ihre Kunden vor der Aufdeckung von Steuerhinterziehungen und sich selbst vor staatsanwaltlichen Ermittlungen schützen wollen? Sind es gar Politiker, die sich selbst oder ihre Zusammenarbeit mit den Reichen und Mächtigen im Freistaat schützen wollen?

Es wäre schon wünschenswert, wenn all diese Fragen in einer wiederaufgenommenen Hauptverhandlung einer eindeutigen Antwort zugeführt werden oder wenigstens ansatzweise beantwortet werden könnten. Aus mehreren Gründen wissen wir: Das wird selbst in der besten aller denkbaren realen  Strafprozesse nicht passieren.

Der real existierende Strafprozess

In dem real existierenden Strafprozess in Regensburg wird eine Hauptverhandlung nach dem geltenden Strafprozessrecht durchgeführt, so wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte, was aber wie wohl alle hier Mitlesenden ebenfalls  wissen, oftmals nicht der Fall ist: Eine nur leidlich gut oder gar schlecht ermittelnde Polizei, eine unter Zeitdruck mittelmäßig arbeitende Staatsanwaltschaft, unmotivierte Pflichtverteidiger und auch häufig ungenau und oberflächlich arbeitende Gerichte sind leider der Alltag, nicht nur in Bayern. Der Strafprozess, der derzeit gegen Mollath  am LG Regensburg stattfindet, ist insofern positiv hervorzuheben.

Die Möglichkeiten

Die Möglichkeiten des realen Strafprozesses sind am Vormittag erkennbar. Der Sachverständige Rauscher hat Modellautos, Reifen und Stichwerkzeuge mitgebracht. Was folgt ist eine kleine Lehrstunde in Sachen Reifenluftdruck und Gefährdung. Wir erfahren, dass eine Gefährdung allenfalls  bei plötzlichem Druckverlust  der hinteren Reifen und in der Kurve wahrscheinlich ist, dass es auch einem „Reifenfachmann“ nahezu unmöglich wäre, Reifen gezielt so anzustechen, dass die Luft erst später, beim Fahren, entweicht, und wir erfahren, dass damit die Beweiswürdigung im Urteil des LG Nürnberg-Fürth praktisch widerlegt ist.

Mit den vorhandenen Anhaltspunkten lässt sich nicht einmal mehr der Beweis führen, dass überhaupt alle betroffenen Reifen mutwillig beschädigt wurden, erst recht nicht, dass dies durch denselben Täter geschah.

Die Grenzen

Die Grenzen des realen Strafprozesses werden gegen  Mittag deutlich. Thema sind zunächst die Beweisanträge und Beweisanregungen, insb. die der Verteidigung. Für die Nichtjuristen bzw. die Laien in Verteidigungstaktik: Beweisanträge werden nicht nur zu dem Zweck gestellt, die jeweiligen Beweisthemen tatsächlich zum Inhalt des Prozesses zu machen. Sie werden oftmals gestellt, um die Wertung des Gerichts zu erfahren bzw. indirekt das Gericht darauf festzulegen. Beweisanträge können ein hervorragendes taktisches Mittel sein, wenn man es richtig zu bedienen weiß.

Entscheidend geht es hier um den Begriff der Bedeutungslosigkeit. Wird ein Beweisantrag wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt, dann kann das Urteil nur eines sein, in dem die behauptete Tatsache wirklich keine Rolle mehr spielt.

Im Mollath- Verfahren heißt das: Tatsachen, die die Glaubhaftigkeit der Angaben der Ex-Ehefrau in Frage stellen, sind dann und nur dann bedeutungslos, wenn das Gericht diesen Angaben ohnehin keinen Glauben schenkt, also dazu tendiert, Herrn Mollath von diesen Tatvorwürfen freizusprechen. Es wäre also ein Signal Richtung Freispruch von den Tatvorwürfen, wenn diese Beweisanträge abgelehnt werden. Und umgekehrt wäre es – jedenfalls in normalen Verfahren – tatsächlich eher ein „schlechtes Zeichen“, wenn den Beweisanträgen stattgegeben würde. Denn damit signalisierte das Gericht, dass es (bisher) den Angaben der Ex-Ehefrau folgt und deshalb die Prüfung der Glaubhaftigkeit überhaupt noch „Bedeutung“ hat. Ich weiß nichts über die Verteidigungstaktik in diesem Prozess, denke aber, dass die Verteidigung deshalb mit der Ablehnung der Beweisanträge gut leben kann. Denn eine Ablehnung bedeutet: Das Gericht wird Mollath schon von den Tatvorwürfen freisprechen, nicht erst im Rahmen der Schuldfähigkeit.

In der heute angesagten Fußballsprache: Jogi Strate und Hansi Rauwald haben das Ziel – den Pokal – vor Augen. Wenn auf dem Weg dahin nebenbei noch ein 7:1 gegen Brasilien errungen wird, wären sie natürlich nicht traurig, aber es genügt ihnen im Halbfinale auch ein 1:0.

Der „Fall Mollath“ ist ein realer Strafprozess, aber er ist längst kein „normales Verfahren“. Einem nur als taktischem Mittel eingesetzten Beweisantrag auf Vernehmung bestimmter Personen aus dem näheren und weiteren Berufsumfeld der ehemaligen Bankangestellten und Vermögensberaterin Petra M. steht Herr Mollath offenbar fremd gegenüber: Er strebt damit etwas an, was jenseits der Grenzen des Strafprozesses liegt. Obwohl sie in der Tendenz kaum besser laufen könnte, läuft ihm die bisherige Beweisaufnahme quer: Etwa 30 weitere Zeugen soll er vorgeschlagen haben, die sollten von seiner Verteidigung benannt werden. Das ist vor dem  Hintergrund seiner siebeneinhalbjährigen Unterbringung sehr gut verständlich. Und auch einige „Unterstützer“ bestärken ihn in diesem Ansinnen: Die wirklich Verantwortlichen sollen in der Hauptverhandlung aussagen, die Wahrheit soll ans Licht kommen, ein Freispruch „erster Klasse“ soll es unbedingt sein, was immer damit gemeint ist. Damit überschätzen sie aber die Möglichkeiten des Strafprozesses, insbesondere 13 Jahre nach den vorgeworfenen Taten,  und damit auch die Möglichkeiten der Strafverteidigung. Selbst wenn die von Mollath gewünschten Beweiserhebungen stattfänden, wäre wohl kaum zu erwarten, dass die Zeugen die Vorwürfe einräumen. Selbst wenn man sie vernähme, wäre kaum zu beweisen, was Mollath begehrt.

Der Konflikt zwischen beiden Sichtweisen: Bestmögliche Verteidigung im „realen Strafprozess“ auf der einen  und Wahrheitsermittlung im „idealisierten Strafprozess“ auf der anderen Seite– war von Anfang an, seit der Mandatsübernahme durch RA Strate angelegt. Heute ist der Konflikt an die Oberfläche getreten. Aus Sicht Herrn Mollaths, so hatte man den Eindruck nach seinem Statement vor der Mittagspause, läuft der Prozess in die falsche Richtung. Aus der Sicht der Verteidigung, so der Eindruck aus der kurzen Begründung zur  Mandatsniederlegung, sah man sich kurz vor dem Ziel eines positiven Prozessverlaufs und (ausgerechnet) der Mandant ist unzufrieden. Die Reaktion Strates: Niederlegung des Mandats – mag verständlich sein, ebenso wie die Position Mollaths. Nach der (vorhersehbaren) Reaktion des Gerichts, die beiden Verteidiger nun prozesssichernd zu verpflichten, schien dann äußerlich alles beim Alten zu bleiben – auch die Kommunikation auf der Verteidigerbank schien wie vorher zu funktionieren.

Strate: “Wir werden die Verteidigung fortführen, ohne Abstriche an dem, was wir für richtig halten“.  In der Tat kein „normaler“ Prozess.

Die ungenutzten Möglichkeiten?

Am Nachmittag wurde als Zeuge der Psychiater Prof. Pfäfflin vernommen. Er hatte als Sachverständiger im Vollstreckungsverfahren den Angeklagten vor gut drei Jahren begutachtet und die vorletzte Verlängerung der Unterbringung befürwortet. Er las aus seinem Gutachten vor. Allerdings nur die Anknüpfungstatsachen. Für die Aussage über die Befunde – obwohl längst im Internet veröffentlicht – hatte er keine Schweigepflichtentbindung. Nach meinem Eindruck blieb durch diese Begrenzung eine Möglichkeit ungenutzt.

Denn das Thema „ungenügende psychiatrische Gutachten“ oder „unschlüssige Gefährlichkeitsprognose“ wird auf diese Weise nicht angemessen erörtert werden können, obwohl es zentral ist. Ausgerechnet eine kritische Frage des Sachverständigen Nedopil an Pfäfflin, ob dieser den angeblichen „Wahn“ des Angeklagten, seine Ehefrau und ihre Bekannten/Freunde hätten seine Unterbringung bewirkt, als realitätsfern oder –nah eingeschätzt habe, wurde von der Verteidigung beanstandet mit der Begründung, dies sei schon ein Aspekt des Befundes.

Bei einem anderen Punkt gab es kaum Widerspruch. Pfäfflin äußerte die Meinung, die Frage der Risiko- oder Gefährlichkeitsprognose (hohe oder einfache Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten) sei eine solche, die nicht der Gutachter sondern das Gericht hätte beantworten müssen. Eine Angabe, die meines Erachtens Widerspruch hätte hervorrufen müssen.

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51 Kommentare

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"Das kann man so nicht hinnehmen", sagte Mollath nach der Urteilsbegründung.

Er wolle prüfen, welche Möglichkeiten bestünden, dagegen vorzugehen. "Diese Art von Freispruch habe ich schon siebeneinhalb Jahre genossen", sagte Molath mit Blick auf seine zwangsweise Unterbringung in der Psychiatrie.

Dass er damit nicht zufrieden sein würde, hatte sich schon vorher abgezeichnet als er seinen Anwälten das Vertrauen absprach. Gibt es Möglichkeiten dass er dagegen vorgeht ?

 

http://www.gmx.net/themen/nachrichten/panorama/34bft3q-gustl-mollath-unzufrieden-hinnehmen#.hero.Mollath%20trotz%20Freispruch%20sauer.365.346

 

 

 

 

 

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