Einspruchsverwerfung im OWi-Recht bei erschienenem Verteidiger ist europarechtlich ok!
von , veröffentlicht am 30.07.2014Ganz klar, das OWi-Recht war schon immer der StPO überlegen...jedenfalls an dieser Stelle. Letztere hatte mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 8. November 2012 (30804/07 Neziraj v. Deutschland) zu kämpfen. Es ging dabei um die Berufungsverwerfung. "Wir im OWi-Recht" haben natürlich geahnt: Das OWiG muss doch besser sein. Das OLG Brandenburg hat dazu jetzt auch richtigerweise entschieden (hier nur der Leitsatz):
Bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 74 Abs. 2 OWiG ist die Verwerfung des Einspruchs trotz Anwesenheit eines Verteidigers zwingend. Art. 6 Abs. 3 MRK und die Entscheidung des EGMR (Urteil v. 8. November 2012, Neziraj v. Bundesrepublik Deutschland) stehen dem nicht entgegen.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 26.05.2014 - (1 Z) 53 Ss-OWi 125/14 (79/14)
BeckRS 2014, 10930
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4 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenB. Meyer kommentiert am Permanenter Link
Der Leitsatz überzeugt mich (inhaltlich) nicht so richtig.
Was wäre denn die Folge, wenn § 74 OWiG gegen die EMRK verstieße? Der Wortlaut von § 74 OWiG erscheint mir reichlich eindeutig, ebenso wie der des § 329 StPO. Und da eine Auslegung von § 74 OWiG contra legem nicht in Betracht kommt (ebenso wie bei § 329 StPO), hätte der Amtsrichter auch bei einer EMRK-Widrigkeit verwerfen müssen. Die Verwerfung wäre daher so oder so zwingend, ohne dass es darauf ankommt, ob § 74 OWiG mit der EMRK vereinbar ist. Oder etwa nicht?
Bob Andrews kommentiert am Permanenter Link
@B. Meyer
Yep. So im Übrigen auch die Begründung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts. Es ist genau die gleiche Situation wie bei § 329 StPO.
RA Becker kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr RiAG Krumm, sehr geehrte Damen und Herren,
die Überzeugungskraft der Entscheidung halte ich für begrenzt.
Insbesondere weil sie das Spannungsfeld von "Vertretung" (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK) und "Entschuldigung" (§ 74 Abs. 2 OWiG) gar nicht thematisiert. Dass beispielsweise jemand entschuldigt ist, der einen Vertreter schickt, scheint mir keine Auslegung contra legem zu sein.
Der Kollege Sitzer (StraFo 2014, 1) hat dazu ein paar interessante Gedanken aufgeschrieben, wie ich finde.
Schulze kommentiert am Permanenter Link
Es bleibt die Frage, ob die (natürlich grottenfalsche) EGMR-Entscheidung auch auf das OWiG anzuwenden ist.