LAG Hessen: Tricksereien bei Zeiterfassung rechtfertigen fristlose Kündigung

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 29.08.2014
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKündigungLAG HessenZeiterfassung3|3996 Aufrufe

Manipulationen bei der Zeiterfassung durch Arbeitnehmer stellen eine schwerwiegende Vertragsverletzung dar, auf die der Arbeitgeber grundsätzlich sogar mit einer außerordentlichen Kündigung – ohne Abmahnung – reagieren kann (vgl. BAG 24. 11. 2005, NZA 2006, 484; 9. 6. 2011, NZA 2011, 1027). Es ist nicht nur der materielle Schaden, sondern der damit einhergehende Vertrauensbruch, der die Waagschale zugunsten des kündigungsberechtigten Arbeitnehmers ausschlagen lässt. Auf die strafrechtliche Würdigung dieses Vorgangs kommt es insoweit nicht an. Auf dieser strengen Linie liegt nun auch eine gerade bekannt gemachte Entscheidung des Hess. LAG  vom 17. Febr. 2014 (Aktenzeichen 16 Sa 1299/13). Folgender Sachverhalt war zu beurteilen: Der verheiratete 46 Jahre alte Kläger, der Vater eines Kindes ist, war seit mehr als 25 Jahren in einer Großmetzgerei beschäftigt. Beim Verlassen des Produktionsbereichs wegen privater Arbeitsunterbrechungen müssen die Mitarbeiter eine Zeiterfassung über einen Chip bedienen. Ebenso müssen sie sich rückmelden, wenn sie den Produktionsbereich wieder betreten. Der Kläger wurde dabei beobachtet, dass er den Chip in seiner Geldbörse ließ und zusätzlich mit seiner Hand abschirmte, wenn er diesen vor das Zeiterfassungsgerät zum An- und Abmelden hielt.  Eine Kontrolle durch den Arbeitgeber ergab, dass der Kläger in 1,5 Monaten so Pausen von insgesamt mehr als 3,5 Stunden gemacht hatte, ohne sich an- und abzumelden. Die Zeiten waren bezahlt worden. Ebenso wie die Vorinstanz hält das LAG Hessen die dem Arbeitnehmer gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigung für gerechtfertigt. Die Zeiterfassung piepe, wenn ein Mitarbeiter sich an- oder abmelde. Ein Versehen des Klägers sei ausgeschlossen. Dieser habe bewusst nur so getan, als würde er die Anlage bedienen. Wegen des fehlenden akustischen Signals habe dieser gewusst, dass er den Chip erfolgreich abgedeckt hatte. Dem Arbeitgeber sei es wegen des vorsätzlichen Betrugs nicht zumutbar, nur mit einer Abmahnung zu reagieren. Der Vertrauensbruch wiege schwerer als die lange Betriebszugehörigkeit. Das ist bemerkenswert, hatte doch das BAG in der Emmely-Entscheidung (BAG NZA 2011, 167 mit Anm. Stoffels, NJW 2011, 118) die Länge der Betriebszugehörigkeit als Faktor in der Interessenabwägung aufgewertet. Aber außerhalb eines wie auch immer definierten Bagatellbereichs kommt diesem Umstand dann offenbar doch kein entscheidendes Gewicht mehr zu. 

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stoffels schrieb:

Der Vertrauensbruch wiege schwerer als die lange Betriebszugehörigkeit. Das ist bemerkenswert, hatte doch das BAG in der Emmely-Entscheidung [...] die Länge der Betriebszugehörigkeit als Faktor in der Interessenabwägung aufgewertet. Aber außerhalb eines wie auch immer definierten Bagatellbereichs kommt diesem Umstand dann offenbar doch kein entscheidendes Gewicht mehr zu. 

 

Vor dem Landesarbeitsgericht Hessen hatte sich - insoweit war's noch ein stärker "emmelyesker" Fall als der jetzt hier von Prof. Dr. Stoffels vorgestellte - vor einiger Zeit eine Kassiererin auf die Grundsätze von BAG NZA 2011, 167 ("Emmely") berufen: Sie hatte die bei dem betreffenden Unternehmen gebräuchlichen Rabattmarkenhefte weisungswidrig für Barauszahlungen verwendet. Es waren zwar jeweils Kleinbeträge. Das LAG Hessen hatte aber damals (Urt. v. 1. August 2011, Az.: 16 Sa 202/11) entschieden, dass jedes Vertrauen verspielt ist, wenn derlei – wie im konkreten Fall geschehen – innerhalb von sechs Monaten 22 Mal hintereinander geschieht. Diese fristlose Kündigung war daher wirksam.

 

Emmely ist also nicht überall.

 

Auf dieser Linie liegt m. E. auch die neue hessische Entscheidung mit der Überlistung des Zeiterfassungsgeräts, die unter BeckRS 2014, 70658 veröffentlicht ist: Wenn, wie dort nachzulesen, zwischen dem 17. August und dem 28. September 2012 Pausen im Umfang von 226 Minuten erschlichen wurden, so ist bei einer 40-Stunden-Woche an 5 Tagen in der Woche schon bei einem Bruttogehalt von 2.450,00 €* von einem Schaden in Höhe von ca. 47,00 €** auszugehen; bei einem Bruttogehalt von 2.700 € beliefe sich der Schaden auf 51,61 € und damit - lebten wir noch in DM-Zeiten - auf über 100 Mark! Das übersteigt den Wert der 2 Pfandbons von Frau Emmely, des Bienenstichs, der Maultaschen, der Panini-Bildchen und all der ähnlichen Dinge, die in bekanntgewordenen Entschiedungen Gegenstand rechtswidrigen Arbeitnehmerzugriffs wurden, um ein Vielfaches. Von einem Bagatellfall kann daher keine Rede sein.

 

____________________

*Im Tatbestand des Urteils werden zwei - offenbar streitig gebliebene - Angaben gemacht, wie hoch das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt des Arbeitnehmers war; die hier angesetzten 2.450,00 € sind der niedriger Betrag der beiden, die im Text ebenfalls erwähnten 2.700,00 € der höhere.

** 226 Minuten zwischen dem 17. August 2012 und dem 28. September 2012, also an 42 Kalendertagen, machen pro Monat (365 T. : 12 = 30,32 T.) anteilige 163,15 Minuten aus. Bei 2.450,00 EUR brutto im Monat und 12 x 2.450,00 EUR : 52 : 5 : 8 = 14,13 € brutto in der Stunde ergeben sich 163,15 : 60 x 14,13 € = 38,42 € an Arbeitnehmerbrutto. Der Schaden besteht aber im Arbeitgeberbrutto, so dass auf diesen Betrag ein Zuschlag von rund 22 % vorzunehmen ist. Somit wurden Pausenzeiten im Wert von ca. 47,00 € erschlichen. 

 

Martin Bender schrieb:
Bei 2.450,00 EUR brutto im Monat und 12 x 2.450,00 EUR : 52 : 5 : 8 = 14,13 € brutto in der Stunde
Beruhen die 2.450 pro Monat auf dem tatsächlichen Einkommen des gekündigten Arbeitnehmers oder sind das PhantasieSchätzzahlen des Gerichts, die mit der Realität (Deutschland als Billiglohnland im Schlachtgewerbe, erreicht durch Scheinwerkverträge mit unter 5 Euro Stundenlohn) wie so oft nichts zu tun haben?

Ein böswilliger Geist könnte die Frage stellen, ob der Fall "Emmily" ohne Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit so entschieden worden wäre, wie er entschieden wurde, oder ob dort - wie in den vorherigen und späteren Fällen ohne ausführliche Presseberichterstattung - die Kündigung bestätigt worden wäre. Das Rechtsempfinden der Bevölkerung, jedenfalls die "veröffentlichte Meinung" stimmen hier vielleicht nicht mit der Praxis der Gerichte überein. Oder weichen BAG und die restliche Rechtsprechung voneinander ab?

 

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