Überholverbotsverstoß nach Fahrerwechsel in der Überholverbotszone: "Keine grundsätzliche Erkundigungspflicht" und "Da muss das AG weiter aufklären!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.09.2014

Ein super Fall. Der Betroffene wird bei einem Überholverstoß angetroffen. Er hatte (nach Feststellung des AG) aber auch erst in der Überholverbotszone das Fahrzeug von seiner Frau übernommen:

 I.

Das Amtsgericht Olpe hat den Betroffenen mit Urteil vom 07. Februar 2014 wegen fahrlässiger Nichtbeachtung des Überholverbots zu einer Geldbuße von 87,50 € verurteilt und hierzu festgestellt, dass der Betroffene am ##. September 20## um 19:44 Uhr als Führer eines Pkw die L ### in Höhe der Gaststätte „I b T“ in Fahrtrichtung I befahren und ungeachtet eines durch das Zeichen 276 der StVO angeordneten Überholverbotes einen Pkw überholt habe.

Nach den weiteren Feststellungen des Amtsgerichts war das Fahrzeug zunächst von der Ehefrau des Betroffenen bis auf einen wenige hundert Meter vor der Gaststätte „I b T“ liegenden Parkplatz geführt worden, nach welchem in Fahrtrichtung des Betroffenen vor dem späteren „Tatort“ kein erneutes Überholverbotszeichen aufgestellt war. Auf diesem Parkplatz hatte der Betroffene das Steuer übernommen, um seiner Ehefrau als Beifahrerin Gelegenheit zu geben, das gemeinsame auf dem Rücksitz befindliche Kind zu beruhigen.

Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, der Betroffene habe sich vor Fahrtantritt bei seiner Ehefrau „nach den geltenden Verkehrsregelungen erkundigen müssen“, mit der Folge, dass ihm fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen sei.

Hiergegen richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit welchem er mit dem Ziel eines Freispruchs unter anderem die Verletzung materiellen Rechts mit der Begründung rügt, in der gegebenen Konstellation könne ihm als Betroffenen ein Verschulden hinsichtlich des Verstoßes gegen das Überholverbot nicht zur Last gelegt werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, das angefochtene Urteil mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und den Betroffenen freizusprechen.

II.

Der Einzelrichter des Senats lässt die Rechtsbeschwerde zu und überträgt die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit 3 Richtern, weil es geboten ist, das angefochtene Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen, §§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 80 a Abs. 3 OWiG. Entsprechend den Ausführungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft gibt der vorliegende Einzelfall Veranlassung, die Frage näher zu klären, ob von einem Betroffenen als Autofahrer erwartet werden kann und muss, dass er sich über die geltende Beschilderung in Bereichen, die er anschließend selbst als Kraftfahrzeugführer befahren will, durch Aufmerksamkeit bereits als Mitfahrer bei der vorangegangenen Fahrt oder durch Befragung des bisherigen Fahrzeugführers informiert.

III.

Das Rechtsmittel hat – zumindest vorläufig – Erfolg. Die bisher getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts tragen nicht die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Missachtung des Überholverbotes.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Betroffene in der Zeit, in welcher vor dem Fahrerwechsel seine Ehefrau das Fahrzeug führte, nicht auf den Verkehr und die Verkehrszeichen geachtet.

Zu der Frage, ob dem Betroffenen die bestehende Verkehrsregelung möglicherweise aufgrund anderer Umstände positiv bekannt war oder aber es möglicherweise die Verkehrsgegebenheiten als solche (beispielsweise eine enge Fahrbahn oder ein unübersichtlicher kurvenreicher Fahrbahnverlauf) nahe legten, dass im fraglichen Streckenabschnitt ein Überholverbot angeordnet war, verhält sich das Urteil nicht.

Der Senat entscheidet die hier maßgeblichen Fragen zu der eventuell gebotenen Aufmerksamkeit eines Beifahrers betreffend geltende Verkehrsregeln bzw. das Bestehen einer Erkundigungspflicht bei Vornahme eines Fahrerwechsels dahin, dass in der gegebenen Fallkonstellation entsprechende Pflichten des Betroffenen nicht bestanden haben.

Einen bloßen Bei- oder Mitfahrer in einem Kraftfahrzeug trifft während der Fahrt – wie seitens der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt – grundsätzlich keine Pflicht, hinsichtlich der Verkehrslage und/oder der Örtlichkeiten einschließlich der Beschilderung durch Verkehrszeichen Aufmerksamkeit walten zu lassen, da er selbst nicht als Verkehrsteilnehmer und auch nicht als „Adressat“ der Verkehrszeichen anzusehen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06. September 2005 – 3 Ss OWi 602/05 –, zitiert nach juris).

Ob über gesondert gelagerte Fälle, in denen der Beifahrer z.B. als Halter des vom ihm einem etwa einer fahruntüchtigen Person überlassenen Fahrzeugs ohnehin für die Fahrweise des Fahrzeugführers mitverantwortlich sein kann, hinausgehend auch etwa in gefahrenträchtigen Ausnahmefällen (z.B. Annahme einer gesteigerten Aufmerksamkeitspflicht evtl. in Fällen vom Beifahrer bemerkter wesentlicher körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen des Fahrers sowie daraus folgend eine Verpflichtung, für ein Anhalten des Fahrzeugs Sorge zu tragen) oder aber in Fällen des bereits längerfristig vorbesprochenen und unmittelbar bevorstehenden Fahrerwechsels eine andere Bewertung gerechtfertigt sein könnte, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

Soweit bereits obergerichtlich entschieden ist, dass eine allgemeine Erkundigungspflicht, ob z.B. der Bereich, in dem ein Kraftfahrzeugführer eine Fahrt antreten will, im Gebiet einer Zonengeschwindigkeitsbeschränkung (vgl. dazu OLG Hamm a.a.O. sowie Beschluss vom 27. Dezember 2012, III-3 RBs 249/12 –, zitiert nach juris) liegt oder aber – wie hier – von einem Überholverbot erfasst ist (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 1972, VM 1972, S. 96), den Kraftfahrzeugführer nicht treffe, schließt sich der Senat dieser Bewertung an, welche jedoch die vorliegende Fallkonstellation zumindest nicht vollständig erfasst. Den vorgenannten Entscheidungen zur Zonengeschwindigkeitsbeschränkung lagen Fallkonstellationen zu Grunde, in denen sich das jeweils in Betrieb genommene Fahrzeug vor Fahrtantritt bereits in einer Tempo-30-Zone abgeparkt und der vorherige Fahrzeugführer nicht mehr ortsanwesend war. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Mai 1972 betraf eine Fallkonstellation, in welcher der Betroffene von einem Grundstück ohne für ihn sichtbares Verkehrszeichen in einen Verkehrsbereich mit angeordnetem Überholverbot eingefahren und zuvor – zumindest nicht ausschließbar – über einen Weg auf das Grundstück gelangt war, auf dem ein Überholverbot nicht ausgewiesen war. Die Annahme einer allgemeinen Erkundigungspflicht hätte mithin in den Fällen die Verpflichtung zur Folge gehabt, sich etwa durch Befragung anderer ortsanwesender Personen, einen Anruf bei der Polizei oder aber durch zunächst „fußläufige“ Sichtkontrolle vom Fehlen etwaig beschränkender Verkehrszeichen zu überzeugen.

Vorliegend steht gegenüber in Rede, ob im Falle eines unmittelbaren Fahrerwechsels eine spezielle Verpflichtung des neuen Fahrzeugführers besteht, sich gerade bei dem während der vorangegangenen Fahrt zur Aufmerksamkeit verpflichteten und deshalb regelmäßig über etwaig bestehende besondere Verkehrsregelungen informierten bisherigen Fahrer über das Vorhandensein entsprechender beschränkender Regelungen zu erkundigen. Bei Annahme einer entsprechenden Erkundigungspflicht würde jedoch zwangsläufig schlussfolgernd ebenfalls die Frage aufgeworfen, inwieweit quasi als Kehrseite eine entsprechende Verpflichtung des bisherigen Fahrzeugführers zu einer vollständig zutreffenden Auskunft bestünde und diesen bei gegebenenfalls auch nur fahrlässig falscher Auskunft infolge eigener vorangegangener Unaufmerksamkeit ebenfalls eine eigene Mitverantwortlichkeit für ein nachfolgendes ordnungswidriges Verhalten des neuen Fahrzeugführers oder ein etwaiges drittschädigende Ereignis, wie z.B. im vorliegenden Fall eines durch Missachtung des bestehenden Überholverbotes etwa verursachten Verkehrsunfalles, treffen würde.

Für eine derart weit gehende Verpflichtung ist indes eine hinreichende Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. Ohne eine zumindest hinreichende Gewähr für eine weit gehende Richtigkeit der erteilten Auskunft liefe jedoch letztlich auch die Annahme einer Erkundigungspflicht ins Leere und würde gegebenenfalls sogar durch eine auch im Fall unrichtiger Auskunft eintretende Exkulpation des neuen Fahrzeugführers im Hinblick auf den zu Grunde liegenden Sinn einer gewünschten gesteigerten Aufmerksamkeit in ihr Gegenteil verkehrt.

Für eine entsprechende Verpflichtung des neuen Fahrzeugführers zur Erkundigung über verkehrsbeschränkende Regelungen spricht auch nicht etwa die ausdrücklich normierte gesetzliche Verpflichtung, sich vor Antritt einer jeden Fahrt über den ordnungsgemäßen Zustand des Fahrzeugs zu versichern, die nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 23 StVO auch im Fall eines Fahrerwechsels besteht, und zwar unabhängig davon, dass diese Verpflichtung bei lebenspraktischer Betrachtung in derartigen Fällen vermutlich nur selten eingehalten wird.

Hierbei ist einerseits zu beachten, dass im Regelfall der ordnungsgemäße Zustand eines Fahrzeuges vom Fahrzeugführer im gebotenen Ausmaß ohne Inanspruchnahme der Hilfe bzw. des Wissens Dritter selbst hinreichend zuverlässig kontrolliert werden kann und mithin eine Vergleichbarkeit mit einer Erkundigungspflicht nicht gegeben ist. Darüber hinaus folgt aus dem für Verkehrszeichen geltenden Sichtbarkeitsgrundsatz und der damit einhergehenden behördlichen Verpflichtung, verkehrsbeschränkende Zeichen hinter Kreuzungen und Einmündungen zu wiederholen, an denen mit dem Einbiegen bzw. Einfahren ortsunkundiger Kraftfahrer zu rechnen ist, auch in gewissem Rahmen ein Vertrauensschutz des Kraftfahrzeugführers dahingehend, dass zumindest alsbald nach Auffahrt auf eine Straße etwaige verkehrsbeschränkende Regelungen durch eine (erneute) Beschilderung kenntlich gemacht werden.

Entgegen dem übereinstimmenden Antrag des Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft hat jedoch allein auf Grundlage der vorstehenden Ausführungen derzeit kein Freispruch des Betroffenen zu erfolgen. Zwar kann nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht positiv davon ausgegangen werden, dass der Betroffene die das Überholverbot anordnende Beschilderung (Zeichen 276) tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Dies schließt jedoch nicht aus, dass ihm möglicherweise aufgrund anderer noch feststellbarer Umstände das bestehende Überholverbot bekannt war oder er es hätte kennen müssen.

Nach der allgemein zugänglichen Quelle „Google Maps“ bzw. „Google Earth“ befindet sich der „Tatort“ in lediglich 9,1 km Entfernung von der Wohnung des Angeklagten; es handelt sich um die nächste und letztlich auch einzig vernünftige Straßenverbindung von B nach M, Ortsteil H. Angesichts dieses Umstandes ist es nicht als fernliegend anzusehen, dass der Betroffene die L ### (G Straße) aus beruflichen und/oder privaten Gründen schon häufiger zuvor befahren hat oder gar regelmäßig befährt und mithin gegebenenfalls sogar positive Kenntnis von den bestehenden Verkehrsregelungen hatte.

Da entsprechende ergänzende Feststellungen und auch ergänzende Feststellungen zu der Frage, ob gegebenenfalls die örtlichen Gegebenheiten das Vorhandensein eines Überholverbotes besonders nahe legten, nicht auszuschließen sind, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgerichts Olpe zurückzuverweisen. Die bisher getroffenen Feststellungen zum ordnungswidrigen Geschehen können aufrecht erhalten bleiben, da etwaige Widersprüche durch ergänzende Feststellungen nicht zu besorgen sind.

berlandesgericht Hamm, Beschl. v. 18.6.2014 - 1 RBs 89/14

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