Schneeflocke

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.10.2014

Diese Entscheidung ist schon in der Tagespresse gelaufen, weil sie auf den ersten Blick kurios wirkt. Es geht um das Zusatzschild "Schneeflocke", dabei vor allem um die Frage: Was ist mit der Geschwindigkeitsbegrenzung, wenn die Schneeflocke des Zusatzschildes wegen schönen Wetters eigentlich gar nicht greift? Die Geschwindigkeitsbegrenzung gilt dann weiter, so der 1. Strafsenat des OLG Hamm (für mich jedenfalls) ganz nachvollziehbar:

Ergänzend zur Stellungnahme der GStA verweist der Senat auf die Entscheidung OLG Stuttgart NZV 1998, 422. Das eine Schneeflocke (vgl. § 39 Abs. 7 StVO) darstellende Zusatzschild i.S.v. § 39 Abs. 3 StVO zum die Geschwindigkeit begrenzenden Schild enthält bei sinn- und zweckorientierter Betrachtungsweise lediglich einen -- entbehrlichen -- Hinweis darauf, dass die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Gefahrenabwehr wegen möglicher winterlicher Straßenverhältnisse dient. Der Hinweis bezweckt nur die Information der Verkehrsteilnehmer über das Motiv der Straßenverkehrsbehörde für die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung. Ein zur Erhöhung der Akzeptanz eines Verkehrszeichens angegebenes Motiv - wie vorliegend - kann eine Ausnahme von der Allgemeinverbindlichkeit der Regelung eines Verkehrszeichens nicht rechtfertigen. Der Umstand, dass die Fahrbahn zum Tatzeitpunkt nach den Feststellungen trocken war, berechtigte nicht, eine höhere als die angeordnete Geschwindigkeit zu fahren. Anders als bei dem Schild „bei Nässe“ (StVO Anl. 2 lfd. Nr. 49.1.) enthält das vorliegende Zusatzschild eben gerade keine solche verbale zeitliche Einschränkung. Auch bei trockener Fahrbahn war zudem die geschwindigkeitsbeschränkende Anordnung nicht etwa nichtig und damit unbeachtlich.

OLG Hamm, Beschl. v. 4.9.14 - 1 RBs 125/14

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18 Kommentare

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Inhaltlich überzeugt die Begründung jedoch nicht. Das Schneeflockenschild informiert nicht über das "Motiv" der Straßenverkehrsbehörde und stellt auch nicht einen "entbehrlichen Hinweis wegen möglicher winterlicher Straßenverhältnisse" dar. 

Das Schneeflockenschild ist ein Gefahrzeichen (vgl. § 39 Abs. 8 StVO).  Aus der Natur der Sache folgt bereits, dass ein Gefahrzeichen nicht entbehrlich ist. Es soll den Betroffenen vor Gefahren warnen. Hier warnt das Schneeflockenschild die Verkehrsteilnehmer vor der Gefahr, dass es im folgenden Streckenabschnitt zu Schnee- und Eisglätte kommen kann.

Anders als das Gericht indirekt ausführt, kommt es dabei nicht auf "winterliche Straßenverhältnisse" an. Denn bei winterlichen Straßenverhältnissen ist stets mit Schnee- und Eisglätte zu Rechnen. Diese Schild mach daher nur dort Sinn, wo (grds. ganzjährig) mit erhöhter Bildung von Schnee- und Eisglätte zu rechnen ist. So ist z.B. die Gefahr von Glätte auf Brücken -- nicht nur im Winter, sondern bereits auch schon im Herbst -- besonders groß

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Schlauberger schrieb:

 

Das Schneeflockenschild ist ein Gefahrzeichen (vgl. § 39 Abs. 8 StVO).  Aus der Natur der Sache folgt bereits, dass ein Gefahrzeichen nicht entbehrlich ist. Es soll den Betroffenen vor Gefahren warnen. Hier warnt das Schneeflockenschild die Verkehrsteilnehmer vor der Gefahr, dass es im folgenden Streckenabschnitt zu Schnee- und Eisglätte kommen kann.

Auch wenn in der Presse immer das Gefahrzeichen  abgebildet ist geht es im Urteil um das Zusatzzeichen.

Während bei Gefahrzeichen geregelt ist dass die Beschränkung nur gilt wenn die Gefahr besteht ist das bei Zusatzzeichen nicht explizit erwähnt.

Ich halte das Urteil inhaltlich dennoch für schwer nachvollziehbar. Es ist offensichtlich das die Geschwindigkeitsbeschränkung eine Gefahr abwehren soll die grade zu diesem Zeitpunkt nicht besteht. Anders als ein Zusatzzeichen "Rollsplit" (das mich letztens € 20 gekostet hat da ich nicht diskutieren wollte ob noch Split lag oder nicht) ist der durchschnittliche Kraftfahrer auch in der Lage zu erkennen ob die Gefahr bestehen kann (ob es kalt genug ist).

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Eine kaum nachvollziehbare Entscheidung. Für den Betrachter stellt sich das Zusatzschild "Schneeflocke" als Teil der Regelung dar. Einzig sinnvolle Lesart ist "Bei winterlichen Straßenverhältnissen". Darin nur eine Motivationskundgabe zu sehen ist schon schwierig. Diese Unklarheit zu Lasten des Empfängers in "strafbarkeitserweiternder" Weise auszulegen, ist grenzwertig.

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Legen Sie sich zur Kontrolle Ihrer Aufassung die Frage vor, ein anderes der Gefahrzeichen des § 39 Abs. 8 StVO wäre verwendet worden. Würden Sie den Betroffenen dann auch nach der Einlassung "Da waren keine Amphibien" oder "Da waren keine Flugzeuge" freisprechen?

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Soweit ersichtlich, ist die Kombination der Gefahrzeichen nach § 39 Abs.8 StVO mit  Vorschriftzeichen nicht explizit geregelt.

Der Verweis von § 40 Abs.1 auf § 3 Abs.1 könnte aber dafür sprechen, dass das Vorschriftzeichen nur bei Eintritt der Gefahrenlage gilt.

Die Entscheidung überzeugt mich nicht; "Motiv"-Schilder wären ohnehin wegen Überflüssigkeit aus dem Verkehr zu ziehen.

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@ VRiLG

Ein Unterschied liegt darin, dass man unter bestimmten Bedingungen absolut sicher sein kann, dass die Fahrbahn nicht vereist oder verschneit ist, während das bei Flugzeugen und Amphibien nicht möglich ist.

Es gab hier doch vor kurzem eine Entscheidung über das Gefahrzeichen "Kinder" vor einer Schule und die Frage, ob eine damit begründete Geschwindigkeitsbegrenzung an Ferien und Feiertagen gilt: Dort wurde dies meiner Erinnerung nach verneint.

Wenn schon die Richterschaft in dieser Sache geteilter Auffassung ist, sind derartige Regelungen offensichtlich missverständlich. Eine Änderung der Regelungen oder Beschilderungspraxis erscheint vor diesem Hintergrund angezeigt.

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@ Leser:

Die Entscheidung, ob das Verbot des Zeichens 274 ("Wer ein Fahrzeug führt, darf nicht schneller als mit der jeweils angegebenen Höchstgeschwindigkeit fahren.") sinnvoller Weise angeordnet wurde, ist nicht den am Verkehr Teilnehmenden überlassen. Die Verbote gelten ohne wenn und aber.

 

Vollkommen Recht haben Sie, dass die Beschilderung missverständlich war, m.E. insbes. deshalb, weil die Abgrenzung vom Zusatzschild "bei Nässe", die das Verbot bedingt ("Das Zusatzzeichen zu dem Zeichen 274 verbietet Fahrzeugführenden, bei nasser Fahrbahn die angegebene Geschwindigkeit zu überschreiten."), in der konkreten Situation nicht zu leisten ist, sondern nur dann, wenn man die StVO am Schreibtisch studiert. Deshalb hätte schon die Verwaltungsbehörde, spätestens der Amtsrichter, allerspätestens aber der Senat von § 47 OWiG Gebrauch machen sollen.

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Da ist die Entscheidung:

http://blog.beck.de/2014/08/22/mo-sa-7-18-h-ist-nicht-christi-himmelfahrt

Dort hat das AG Wuppertal das "Motiv"schild durchaus als Teil der Regelung insgesamt gesehen und das Geschwindigkeitsverbot einschränkend ausgelegt.

Nun ist es nur ein schnödes Amtsgericht - aber wenn ein Amtsrichter auf diese Idee kommen kann, dann doch wohl auch nicht ein nicht zu vernachlässigender Anteil der Verkehrsteilnehmer. Auch wenn man die Position des BGH teilt, auch wenn man die Entscheidung des AG Wuppertal in Nuancen anders versteht oder als wirre Einzelfallentscheidung bewertet - die Missverständlichkeit bleibt.

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Ein entbehrliches Straßenschild, welches über die Motive aufklären soll - nach meinem Verständnis schon nicht mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vereinbar.

Zudem: für den normalen Verkehrsteilnehmer dürfte das Schild sich nicht erkennbar unterscheiden von dem Zusatzschild "bei Glätte" bzw. "bei Nässe", das bekanntlich nur bei Eintritt der Bedingung greift. Da wird dem Verkehrsteilnehmer zugetraut selbst zu entscheiden, ob Glätte oder Nässe vorliegt. Schnee dürfte wegen seiner weißen Farbe im Vergleich noch viel einfacher zu erkennen sein, sogar nachts. Es ist ja allgemeiner Trend, dass Text verbildlicht wird, so dass das Verständnis des Angeklagten für mich durchaus nachvollziehbar ist. Der Fall wäre meines Erachtens allenfalls über die allgemeine Irrtumslehre zu lösen gewesen. Ob der Erlaubnisirrtum vermeidbar war, wäre dann zu diskutieren.

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Das Zusatzzeichen mit der Schneeflocke informiert über den Grund der Anordnung des darüber gezeigten Hauptzeichens. Der Hinweis auf § 39 Abs. 8 StVO geht fehl: Es war hier kein "Gefahrzeichen" mit der Schneeflocke aufgestellt (also kein dreieckiges mit rotem Rand), sondern ein "Zusatzzeichen" (also ein rechteckiges weißes). Das Zusatzzeichen 1007-30 (das ist das mit der Schneeflocke) heißt ausdrücklich "Gefahr unerwarteter Glatteisbildung". Dass der Betroffene (übrigens im Januar! und nicht, wie die Tagespresse teilweise glauben machen wollte, im Sommer) nicht mit Glätte _rechnete_ ist also der gewollte Anwendungszweck und bestärkt die Geltung des Hauptzeichens (hier: Tempolimit). Daraus eine Nichtgeltung abzuleiten, ist schon nach der ausdrücklichen Benennung des Verkehrszeichens abwegig. Umgekehrt wird nach der amtlichen Benennung des Zusatzzeichens ein Schuh draus: Gerade wenn und weil man als Verkehrsteilnehmer zu der Zeit an dem Ort nicht mit Glätte rechnet, soll das Hauptzeichen gelten.

Das Zusatzzeichen 1007-30 mit der Schneeflocke gehört zudem im Verkehrszeichenkatalog zur "Gruppe der allgemeinen Zusatzzeichen" (4.1) und nicht etwa zur "Gruppe der beschränkenden Zusatzzeichen" (4.3). Auch aus dieser Systematik des VZ-Katalogs kann man entnehmen, dass das gezeigte Zusatzzeichen das Hauptzeichen in seiner Geltung nicht beschränkt.

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Man sollte hier auch nicht die Besonderheiten des Falles außer Acht lassen: Es handelte sich gerade nicht um eine fest installierte Geschwindigkeitsbeschränkung mit Zusatzschild, sondern um ein elektronisch gesteuertes Verkehrszeichen, auf dem parallel auch noch ein Gefahrenzeichen erschien.

 

M.a.W.: Die Geschwindigkeitsbeschränkung galt, da kein Zusatzzeichen die Geltung einschränkte, ohne Wenn und Aber. Wenn nun ein Verkehrsteilnehmer meint, die Gefahr, vor der das Gefahrenzeichen warnen sollte, bestehe nicht, heißt das noch lange nicht, dass er damit die andere Verkehrsregelung (80 km/h) einfach nicht beachten müsste.  Außerdem gilt ja: Gefahrenzeichen sollen nur dann angebracht werden, wenn die Gefahr für die Verkehrsteilnehmer gerade nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

 

Die Entscheidung ist daher - zumindest im Ergebnis - korrekt.

Ich habe hier etwas dazugelernt. Das Zusatzzeichen 1007-30 ist ein Hinweis auf eine Gefahr. Dr. Dietmar Kettler hat vollkommen recht.
 

Nur wozu benötigt man ein zu Mißverständnissen führendes Zusatzzeichen, insbesondere, wenn es ein Gefahrenschild gibt? Hätte nicht das Gefahrenschild allein gereicht? Oder die Geschwindigkeitsbegrenzung allein?

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@ Schulze: bei einer Signalbrücke z.B. aus Platzgründen. Und es soll tatsächlich Autofahrer geben, die sich über den Zusatzhinweis freuen und auf besonders glättegefährdeten Passagen (Wald, Brücken) dann besonders aufmerksam und tatsächlich nur 80 fahren und auf den oft üblichen "Toleranzzuschlag" verzichten (ist bei einem Unfall ja auch versicherungsrelevant).

Danke an Herrn Dr. Kettler für die differenzierenden Worte! Die Fragen von "Schulze" schließen sich dann auch nahtlos an... 

Eigentlich scheint ja alles geklärt, aber hier trotzdem noch zwei Gründe, warum es so schon alles Sinn ergibt:

  • Verkehrsteilnehmer sollten sich darauf verlassen können, dass die anderen das Tempolimit einhalten, das sie selbst für gültig halten. Einheimische wissen evt., dass die Ölspur, vor der gewarnt wird, letzte Woche beseitigt und nur das Schild zurückgelassen wurde. Biologen wissen, dass es zu dieser Jahreszeit keine Krötenwanderung gibt. Aber andere wissen das vielleicht nicht und wären dann überrascht, wenn jemand viel schneller als vermeintlich erlaubt fährt.
  • Auch wenn es mir erst bei dieser Gelegenheit bewusst wurde: Zusatzzeichen, die ein Verbot einschränken, haben in der Regel einen Text, der die Einschränkung formuliert: "... frei", "bei Nässe". Man kann die zwei Arten Zusatzzeichen also durchaus unterscheiden.
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Trotz der lesenswerten Hinweise bin ich froh, nicht der klagende Verkehrsteilnehmer zu sein - ich würde verzweifeln. Denn unabhängig von der Frage, ob die Geschwindigkeitsbegrenzung in jedem Fall einzuhalten war, hätte das Gericht erkennen müssen, dass auch ein gravierendes Kommunikationsproblem vorliegt.

Die Botschaft "Gefahr vor plötzlicher Vereisung" muss als nicht übermittelt angesehen werden, wenn sie genauso gut als "bei Schnee" gedeutet werden kann. In meinen Augen sind dies durchgreifende Bedenken. Wenn der Fahrzeugführer davon ausgehen konnte, es mit einem lediglich einschränkenden Hinweis zu tun zu haben, ist nicht die Bußgeldstelle, sondern der Gesetzgeber gefordert, die nötige Eindeutigkeit (zum Beispiel durch farbliche Abgrenzungen) herbeizuführen.

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@ VRiLG

Ich glaube, wir sind einer Meinung. Die StVO regelt die Frage, wie hier ausführlich dargestellt wurde, in dem Sinne, wie es das OLG angenommen hat: Das Schild bewirkt einen Hinweis, keine Einschränkung.

Mit dem Hinweis auf die Wahrnehmbarkeit von Eis oder Schnee wollte ich vielmehr auf die Gefahr eines Missverständnisses abstellen: Ein Verkehrsteilnehmer mag durchaus nachvollziehbar der Meinung sein, dass dieses Schild eine Einschränkung bewirkt, während er bei Hinweisen auf Kröten pp. wohl eher nicht auf diese Idee kommen dürfte ("Kröten darf ich nur bei bis zu 80 km/h überfahren."). Das heißt nicht, dass er damit Recht hat - nur dass der Irrtum naheliegt.

Die Einstellung nach § 47 OWiG ist eine interessante Idee - darauf bin ich gar nicht gekommen. Wäre eine schöne Alternative zu einem Freispruch gewesen: vergleichbare Präventionswirkung, aber geringes Bauchgrimmen bei den Rezipienten. "Formalistisch, aber nicht herzlos."

 

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Ich weiß sehr alt.

Ich sehe es entgegen von Dr. Dietmar Kettler so, dass § 39 Abs 8 explizit aussagt, es ist ein Gefahrzeichen. Gleichgestellt mit den Gefahrzeichen in der Anlage 1. Die Einordnung in den VZ-Katalog, macht es damit zu keinen Gefahrzeichen.

Bei einen Gefahrzeichen endet die Geschwindigkeitsbegrenzung nach Passieren des gefährlichen Bereiches.

 

 

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