Schwangerschaftsabbruch bei einer Minderjährigen gegen den Willen der sorgeberechtigten Mutter

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 27.10.2014
Rechtsgebiete: Familienrecht5|7704 Aufrufe

Die 13jährige P., die von ihrer Mutter vor rund 2 1 /2 Jahren aus Kamerun nach Deutschland geholt wurde, befindet sich zur Zeit etwa in der 11. Schwangerschaftswoche. Sie möchte die Schwangerschaft vorzeitig abbrechen. Ihr Wunsch ist es, weiter zu der von ihr in Hamburg-... besuchten Schule zu gehen, Abitur zu machen und eine Ausbildung zu machen. Sie hat sich bereits über den Schwangerschaftsabbruch nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz beraten lassen. Sie war bei einer Frauenärztin und bei der Beratungsstelle ...

Da sie sich vor Repressalien ihrer Mutter fürchtet, hatte sie nicht zuerst ihre Mutter über ihren Zustand informiert, sondern sich zunächst an eine Lehrerin und mit deren Unterstützung schließlich am 13.02.2014 an den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) ... gewandt. Hier wurde P. dann im Hinblick auf ihre Ängste vor der Mutter gem. § 42 SGB VIII in Obhut genommen. Sie lebt derzeit in einem Mädchenhaus. Bereits im Vorfeld der aktuellen Krise war es zu Spannungen zwischen der Mutter und Tochter gekommen, anlässlich derer die Kindesmutter Kontakt mit dem ASD aufgenommen hatte. Von Seiten des ASD wurde am 14.02.2014 ein Gespräch mit der Mutter geführt, um sie über die Schwangerschaft zu informieren. Die Kindesmutter lehnte einen Schwangerschaftsabbruch sofort ab, erklärte sich aber mit der Inobhutnahme P. einverstanden.

Am 18.02.2014 fand sodann ein gemeinsames Gespräch mit Mutter und Tochter im ASD statt. Hier erklärte die Mutter erneut, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch strikt ablehne, da sie gläubige Christin sei. Auch eine Freigabe zur Adoption schied für die Kindesmutter - ebenso im Übrigen auch für P. - aus.

Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 21.02.2014 eine Ergänzungspflegschaft mit den Wirkungskreisen der Gesundheitssorge, des Aufenthaltsbestimmungs- und Erziehungsrechtes eingerichtet, es jedoch abgelehnt, auch eine Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis der Ersetzung der Einwilligung zum Schwangerschaftsabbruch anzuordnen.

Das OLG:


Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts, soweit darin der Antrag des Jugendamtes auf Anordnung einer Ergänzungspflegschaft mit der Wirkungskreis der Ersetzung der Zustimmung zum Schwangerschaftsabbruch zurückgewiesen worden ist, hat die Ergänzungspflegerin am 25.02.2014 Beschwerde eingelegt.

Gem. §§ 1666 Abs. 3 Ziff. 5 BGB ist vorliegend die Ersetzung der Befugnis der Sorgeberechtigten zur Einwilligung in einen Schwangerschaftsabbruch anzuordnen und insoweit eine Ergänzungspflegschaft anzuordnen, im Rahmen derer unter Beachtung des Willens des betroffenen Kindes P. eine Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch zu treffen sein wird.

Es liegt nach der Überzeugung des Senates eine akute Kindeswohlgefährdung von P. vor, sollte sie gegen ihren Willen gezwungen werden, ihr Kind auszutragen. Demzufolge ist die im Tenor angeordnete Maßnahme erforderlich, um eine Gefährdung des geistig-seelischen Wohls von P. abzuwenden.

Minderjährige Schwangere bedürfen zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruches nach § 1626 BGB in jedem Fall der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters, die gegebenenfalls nach § 1666 Abs. 3 Ziff. 5 BGB ersetzt werden kann.

Hierbei ist zunächst im Ausgangspunkt - worauf auch das Familiengericht bis dahin zu Recht hingewiesen hat - der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannte Grundsatz zu beachten, dass der sorgeberechtigte Elternteil, der seine Zustimmung zu einem von seiner minderjährigen Tochter geplanten Schwangerschaftsabbruch verweigert, sein Sorgerecht deshalb nicht missbräuchlich ausübt, und ihm - allein deshalb - auch kein unverschuldetes Versagen im Sinne von § 1666 BGB vorgeworfen werden kann. Allein dadurch, dass er von ihr das Austragen des Kindes verlangt, gefährdet er nämlich nicht das Wohl seiner Tochter. Von einer entsprechenden Pflicht der Schwangeren geht die staatliche Rechtsordnung vielmehr grundsätzlich aus (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2004, 1806 f. m.w.N.).

Ein fehlerhaftes Verhalten des Sorgeberechtigten kann aber dann gegeben sein, wenn die Heranwachsende nicht die notwendige Unterstützung bei der Betreuung des Kindes und seinem eigenen Vorwärtskommen (z.B. berufliche Ausbildung) für die Zukunft nach der Geburt erhält (OLG Naumburg a.a.O.; OLG Hamm, NJW 1998, S. 3424,3425 LG Berlin, FamRZ 1980 S. 285, 286).

Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend gegeben. P. hat bislang in Bezug auf ihre Schwangerschaft keine Unterstützung der Mutter erhalten und kann eine solche auch in Zukunft nach dem derzeitigen Verhalten und den Äußerungen ihrer Mutter nicht ernsthaft erwarten. Die Kindesmutter hat auf Nachfrage des Beschwerdegerichts zunächst einmal keine Äußerung dazu abgeben wollen, ob sie ihre Tochter überhaupt nochmals aufnehmen würde. Wenig verlässlich und glaubhaft erscheint insoweit ihre nachfolgende Antwort auf die Frage, wie sie sich im Falle der Geburt des Kindes die Zukunft ihrer Tochter vorstelle, dass sie, die Mutter von P., sich dann um ihre Tochter und deren Kind kümmern wolle. Wie sie sich dies im Konkreten vorstellt, insbesondere in Anbetracht des bislang schon zu zweit höchst problematischen Zusammenlebens von Mutter und Tochter, und wie sie die Kinderbetreuung mit ihrer Arbeit und der Schulausbildung von P. vereinbaren kann, hat sie auch auf Nachfrage nicht näher erklärt, sondern lediglich ausgeführt, dass es ja wohl in Deutschland möglich sein müsse, dass eine Mutter ihr Kind aufzieht.

Unabhängig davon, dass das Angebot der Mutter, sich um P. und ihr Kind später zu kümmern, erst im Gerichtsverfahren erfolgt ist und wenig ernsthaft oder umsetzbar erscheint, ist ein Aufenthalt von P. bei ihrer Mutter nach Eskalation des ohnehin zuvor schon problematischen Verhältnisses zwischen Mutter und Tochter keine dem Kindeswohl von P. entsprechende Option. Die angespannte Situation zwischen P. und ihrer Mutter würde sich noch zuspitzen, wenn P. sie mit einem ungewollt ausgetragenen Kind bei ihrer Mutter leben müsste.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Kindesmutter, nachdem sie wusste, dass P. schwanger war, sodann versucht hat, Druck auf P. auszuüben, damit sie das Kind austrägt. Sie hat dabei weder versucht, P. Wunsch nach einer Abtreibung zu hinterfragen noch sich ernsthaft mit der seelischen Situation von P. befasst. Das Beschwerdegericht sieht in diesem Verhalten und darin, dass die Mutter - sei es auch unverschuldet infolge ihrer religiösen Einstellung - den Wunsch von P., das Kind nicht auszutragen, einfach ignoriert, ein missbräuchliches Ausüben der elterlichen Sorge. Eine verantwortliche Ausübung der elterlichen Sorge im Sinne von § 1626 Abs. 2 BGB setzt voraus, dass der Sorgeberechtigte nicht nur seinen eigenen Blickwinkel und seine eigenen Interessen im Auge hat, sondern das Kind in seiner Entscheidungsfähigkeit berät und unterstützt und soweit möglich dessen Willen respektiert. Nicht berücksichtigt wird von der Kindesmutter auch, dass P. die christlichen Werte eher fremd sind, da sie in Kamerun muslimisch aufgewachsen ist. Die Kindesmutter kann nicht ohne weiteres erwarten, dass ihre Tochter, die sie über zehn Jahre nicht gesehen hat und durch andere Personen hat betreuen lassen, sich ebenso wie sie religiös orientiert und ihre Werte ungefragt übernimmt.

Die Notwendigkeit, P. einen Abbruch der Schwangerschaft zumindest als Option zu ermöglichen, ergibt sich zuletzt auch aus der - auch vom Familiengericht - nicht in Frage gestellten Traumatisierung von P., sollte sie das Kind im Alter von 13 Jahren gegen ihren Willen austragen müssen und sodann miterleben müssen, wie dieses Kind ihr weggenommen und in Obhut genommen wird. P. hat gegenüber dem Beschwerdegericht glaubhaft dargelegt, dass sie darunter leiden würde, wenn sie miterleben müsste, dass ihr eigenes Kind - ebenso wie sie - ohne Eltern aufwächst. P. ist nach dem Eindruck des Beschwerdegerichtes ein intelligentes, reflektiertes Mädchen, welches mit seiner von Anfang an schwierigen Situation des Aufwachsens ohne Mutter, dann des Zusammenlebens im Teenageralter mit der Mutter in Deutschland, dem Wechsel der Kulturen und nunmehr mit dieser schwierigen Situation der Schwangerschaft mit einer ungewöhnlichen Reife umgehen kann. Gleichwohl oder gerade deshalb bedarf sie der Hilfe, diese jetzige Situation möglichst unbeschadet - vor allem seelisch - zu überstehen.

Das Beschwerdegericht sieht im Übrigen auch ohne die durch die Schwangerschaft bedingte Krise erhebliche Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung von P. durch ihre Mutter. Bei beiden Anhörungen der Kindesmutter ist deutlich hervorgetreten, dass sie - möglicherweise unverschuldet - nicht in der Lage oder nicht bereit ist, sich in die Situation ihrer Tochter hineinzudenken und sich mit der seelischen Belastung ihrer Tochter zu beschäftigen. Den Willen ihrer Tochter, das Kind nicht austragen zu wollen, und die damit einhergehende Gefahr der Traumatisierung, sollte P. gezwungen werden, das Kind zu bekommen, wischt die Kindesmutter förmlich - wie tatsächlich in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht geschehen - mit einer Handbewegung weg. Sie sieht darin lediglich das - von ihr, der Kindsmutter, missbilligte - Bestreben von P. nach Freiheit. Im Übrigen wirft sie ihrer Tochter auch sonstiges Fehlverhalten und insbesondere ständiges Lügen vor, ohne dass sie hierfür - wobei dahinstehen kann, inwieweit die Vorwürfe zutreffen - einen eigenen Verantwortungsanteil einräumt.

Dieses Verhalten befindet sich auf einer Linie mit ihrer Position in Bezug auf die Schwangerschaft von P.. P. hat keine Chance, mit ihren Anliegen und Problemen überhaupt nur Gehör bei der Mutter zu finden.

Nach alledem war auch hinsichtlich einer möglichen Zustimmung zu einem Schwangerschaftsabbruch eine Ergänzungspflegschaft anzuordnen.

OLG Hamburg v. vom 05.03.2014 - 10 UF 25/14

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5 Kommentare

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Das sind die Entscheidungen bei denen ich froh bin Rechtsanwalt zu sein; ich muss keine Entscheidung treffen und brauche ein solches Mandat nicht anzunehmen. Irgendwie gibt es mE hier keine gute Entscheidung: Einerseits ein traumatisiertes Kind und andererseits eine Abtreibung.

Rein praktisch würde mich interesieren, wie schnell in solchen Fällen die Entscheidungsläufe sind, da ja das zeitliche Fenster für eine Abtreibung eher gering ist.

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@ Oph: die Richter haben über die Erweiterung der Ergänzungspflegschaft entschieden, nicht über die Abtreibung. Diese Entscheidung lag/liegt bei P.

§ 218a (2) kennt kein zeitliches Fenster und P. war sowieso noch in der 11. Woche. Dazu und zur Dauer des Entscheidungsablaufs einfach den Text vollständig lesen und dabei berücksichtigen, dass der Februar nur 28 Tage hat.

@ Mein Name: Die Entscheidung des OLG trifft mE mittelbar die Entscheidung zur Abtreibung. Wenn man die Entscheidung P. überlässt und P.s Meinung kennt, liegt in dem Überlassen der Entscheidung bereits die Entscheidung. Bitte beachten Sie, dass meine Äußerung sich auf den moralisch-ethischen Aspekt und nicht auf die rechtliche Entscheidung bezieht.

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Oph schrieb:

Die Entscheidung des OLG trifft mE mittelbar die Entscheidung zur Abtreibung. Wenn man die Entscheidung P. überlässt und P.s Meinung kennt, liegt in dem Überlassen der Entscheidung bereits die Entscheidung. 

 Jein. P braucht für Ihre Entscheidung die Genehmigung des vom OLG bestellten Ergänzungspflegers

 

Oph schrieb:
Bitte beachten Sie, dass meine Äußerung sich auf den moralisch-ethischen Aspekt und nicht auf die rechtliche Entscheidung bezieht.

Von Ihrer persönlichen Meinung zurück zu rechtspolitisch-kriminologisch relevanten Aspekten: kommen ungewollte Kinder gar nicht erst zur Welt, dann sinkt die Verbrechensrate. Scheint sich auch in der deutschen Statistik niederzuschlagen: 1974 Fristenregelung bzw. 1976 Indikationsregelung - Höhepunkt der Fallzahlen 1993, als die damals Geborenen ins "beste Kriminalitätsalter" kamen.

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