Unterschriftenaktion im Betrieb - Kündigung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 30.10.2014

Ein Arbeitnehmer begeht keine kündigungsrelevante Vertragspflichtverletzung, wenn er im Betrieb von seinen Kollegen Unterschriften sammelt, um den Arbeitgeber zu einer Rückkehr zur 35-Stunden-Woche zu bewegen. Dies gilt zur Überzeugung des LAG Hamm jedenfalls solange, wie die Unterschriftensammlung "einen gewissen zeitlichen Rahmen" nicht überschreitet, die Arbeitsleistung unter ihr nicht leidet und der Arbeitsablauf nicht ins Stocken gerät.

Der Kläger ist in einem holzverarbeitenden Betrieb mit insgesamt etwa 55 Arbeitnehmern beschäftigt. Die Arbeitgeberin ist nicht tarifgebunden. Im Herbst 2013 initiierte der Kläger im Betrieb der Beklagten eine Unterschriftenaktion zur Wiedereinführung der 35-Stunden-Woche. Zu diesem Zweck erstellte er eine Liste, der folgender Satz vorangestellt ist: „Die Produktionsmitarbeiter der Firma F wünschen sich aus alters- und gesundheitlichen Gründen die Umstellung von der 38 Stunden Woche auf die 35 Stunden Woche mit vollem Lohnausgleich.“ Daran schließt sich eine vierspaltige Tabelle an, in der links die Namen von 31 Mitarbeitern der Beklagten eingetragen sind. In den nächsten beiden Spalten unter der Überschrift „38 Std. dafür“ bzw. „35 Std. dafür“ konnten die namentlich aufgeführten Mitarbeiter durch Ankreuzen sich für eine der beiden Alternativen entscheiden. Die Spalte ganz rechts ist für die Unterschrift vorgesehen. Die Liste wurde von den Mitarbeitern der vom Kläger geführten Schicht sowie von einer weiteren Schicht unterzeichnet. Insgesamt sprachen sich 10 teilnehmende Mitarbeiter für die Wiedereinführung der 35-Stunden-Woche aus.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Das LAG Hamm hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, das Arbeitsverhältnis jedoch auf Antrag der Arbeitgeberin gegen eine Abfindung von 35.000 Euro aufgelöst (§§ 9, 10 KSchG):

1. Eine Unterschriftenaktion, mit der der Wunsch auf Wiedereinführung einer 35-Stunden-Woche zum Ausdruck gebracht wird, ist auch in Betrieben mit Betriebsrat vom Erörterungs- und Beschwerderecht des Arbeitnehmers nach § 82 Abs. 1, § 84 Abs. 1 BetrVG gedeckt. Ein Arbeitnehmer, der eine solche Unterschriftenaktion initiiert, begeht auch dann keine Vertragspflichtverletzung, wenn er während der Arbeitszeit Arbeitskollegen zum Zweck der Unterschriftsleistung anspricht, solange dies einen gewissen zeitlichen Rahmen nicht überschreitet, die Arbeitsleistung nicht darunter leidet und der Arbeitsablauf nichts ins Stocken gerät.

2. ...

3. Der Arbeitgeber kann einen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG darauf stützen, dass der Arbeitnehmer im Prozess vorsätzlich falsch vorgetragen hat. Für den Erfolg des Auflösungsantrags kommt es allein darauf an, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu erwarten ist. Ob der falsche Sachvortrag entscheidungserheblich war, ist demgegenüber unerheblich.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

(LAG Hamm, Urt. vom 2.7.2014 - 4 Sa 235/14, bei nrwe.de verfügbar).

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Aus den Urteilsgründen: "Am 10.10.2013 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an."

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Die Begründung zum Aufhebungsantrag erscheint mir kurios, sogar lustig, wenn der Sachverhalt nicht so ernst wäre.

 

Die Fakten in Kürze:

 

Das Gericht bewertet die Klage, die Anlass des Verfahrens war, als unwirksam. Die Unterschriftenaktion sei nicht unzulässig gewesen und geben keinen Grund für eine Kündigung.

Das Gericht hält dem Arbeitnehmer dann aber vor, er habe sich dem Gericht gegenüber zu einer vorherigen Unterschriftenaktion wahrheitswidrig geäußert. Diese Unterschriftenaktion sei zwar erstens nicht rechtswidrig gewesen, zweitens für den Rechtsstreit nicht relevant. Er habe jedoch gegen die Wahrheitspflicht nach § 138 ZPO verstoßen. Das mache es für den Arbeitgeer unzumutbar, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten.

 

Was daran kurios ist:

 

1. Wenn es die Kündigung nicht gegeben hätte, hätte der Arbeitnehmer nie zu irgendwas vortragen müssen. Die rechtswidrige Kündigung ist damit kausal für eine rechtmäßige Aufhebung. Indem der Arbeitgeber rechtswidrig gekündigt hat, ist er einen rechtmäßig handelnden Arbeitnehmer losgeworden.

Mal ganz überspitzt gefragt: Ist das der Sieg des Rechts über das Unrecht?

 

2. Der Arbeitnehmer hat, wenn man der Feststellung des Gerichts folgt, das Gericht belogen, jedenfalls nicht direkt den Arbeitgeber. Das Gericht mag nun deswegen angefressen sein. Aber wieso macht das die Zusammenarbeit für den Arbeitgeber unzumutbar?

Man muss natürlich berücksichtigen, dass der Arbeitgeber indirekt auch belogen wurde, denn natürlich liest er bzw. sein Prozessbevollmächtigter die Schriftsätze an das Gericht auch.

Aber! Hätte das Gericht es als Kündigung ausreichen lassen, wenn der Arbeitnehmer außergerichtlich über die erste Unterschriftenaktion gelogen hätte? Wohl kaum, denn erstens war diese rechtmäßig, zweitens der Arbeitnehmer wohl nicht zu einer Aufklärung verpflichtet. Genau so wenig muss ein Arbeitnehmer erklären, ob und ggf. wie er bei der Betriebsratswahl abgestimmt hat oder ob er Mitglieder einer Gewerkschaft ist.

Wenn die Erklärung aber gegenüber Gericht ausgesprochen wird, reicht das für eine Aufhebung?

Naaaaaaja, da muss man sich schon des Eindrucks erwehren, dass das Gericht selbst etwas angefressen war, und statt der Verhängung von Ordnungsmitteln o. ä. eine ungünstige Sachentscheidung getroffen hat.

 

Da geht einer zum Arbeitsgericht, siegt in der Sache, fliegt dann faktisch aber doch 'raus, weil das Gericht über ein erklärtermaßen irrelevantes Detail in der Klage angefressen war.

Für die Existenz dieses Gerichts zahlt der Kollege sicherlich gern weiter Steuern.

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