Unzufrieden mit „voller Zufriedenheit“? BAG äußert sich zur Leistungsbeurteilung in Zeugnissen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 20.11.2014
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtBAGZeugniszur vollen Zufriedenheit2|6656 Aufrufe

Das Arbeitszeugnis hat in der deutschen Personalpraxis zwar vielleicht nicht mehr den Stellenwert, den es einmal hatte. Gleichwohl wird es in Auswahlverfahren von potentiellen neuen Arbeitgebern regelmäßig interessiert zur Kenntnis genommen und ggf. näher hinterfragt. Der Verfasser eines Zeugnisses muss einen schwierigen Zielkonflikt lösen. Denn einerseits soll das Zeugnis „wahr“ sein und andererseits soll es auch "wohlwollend" gegenüber dem zu beurteilenden Arbeitnehmer ausfallen. Aus diesem Spannungsverhältnis heraus haben sich Konventionen („Sprachcodes“) entwickelt, die es erfahrenen Personalern ermöglichen, sich in gewissem Umfang ein Bild von dem Arbeitnehmer zu machen. Allerdings wird oftmals von sog. Gefälligkeitszeugnissen berichtet, die der Arbeitgeber ausstellt, um möglichen Streitigkeiten von vornherein aus dem Weg zu gehen. Mitunter wird die Zeugnisformulierung sogar dem Arbeitnehmer selbst übertragen. Das Zeugnis endet regelmäßig mit einer Gesamtbewertung, die an Schulnoten erinnert. Die Note 1 wird mit der Formulierung „stets zur vollsten Zufriedenheit“, die Note 2 mit „stets zur vollen Zufriedenheit“, die Note 3 mit „zur vollen Zufriedenheit“ und die Note 4 mit „zur Zufriedenheit“ zum Ausdruck gebracht. Wie nun, wenn ein Arbeitnehmer mit der Einstufung als mittlere Leistung (Note 3) nicht einverstanden ist und auf eine bessere Gesamtbewertung vor dem Arbeitsgericht klagt? Das BAG (Urteil vom 18. November 2014 - 9 AZR 584/13 -) hat jetzt über einen solchen Fall entschieden und der arbeitsgerichtlichen Praxis eine Leitlinie an die Hand gegeben. Geklagt hat eine Mitarbeiterin einer Zahnarztpraxis, die ein Jahr lang dort beschäftigt war und vielfältige Aufgaben erledigt hatte. Das ihr erteilte Abschlusszeugnis endete mit der Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“. Hiermit war die die Klägerin nicht einverstanden war. Das BAG hat demgegenüber deutlich gemacht, dass es für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten ankommt. Ansatzpunkt sei die Note „befriedigend“ als mittlere Note der Zufriedenheitsskala. Begehre der Arbeitnehmer eine Benotung im oberen Bereich der Skala, müsse er darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist. Der Zeugnisanspruch nach § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO richte sich auf ein inhaltlich „wahres“ Zeugnis. Das umfasse auch die Schlussnote. Ein Zeugnis müsse auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein. Das BAG hat die Sache nicht abschließend entschieden, sondern sie an das LAG zurückverwiesen. Dieses wird als Tatsacheninstanz zu prüfen haben, ob die von der Klägerin vorgetragenen Leistungen eine Beurteilung im oberen Bereich der Zufriedenheitsskala rechtfertigen und ob die Beklagte hiergegen beachtliche Einwände vorbringt. Insgesamt stemmt sich das Urteil gegen eine schleichende Noteninflation und damit gegen eine Entwertung des Zeugnisses. Es bestätigt zudem einen gewissen Einschätzungsspielraum des Arbeitgebers. Kurz gefasst könnte man sagen: „Nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend“. 

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2 Kommentare

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"Insgesamt stemmt sich das Urteil gegen eine schleichende Noteninflation und damit gegen eine Entwertung des Zeugnisses. "

Aber ist es erfolgreich dabei? Wenn die Erhebung aus den Vorinstanzen richtig ist und rein tatsächlich meist die Note "Zwei" vergeben wird, wird rein tatsächlich die Note "Drei" als unterdurchschnittlich verstanden werden. Eine Regulierung kann eigentlich nicht dort ansetzen, wo das BAG ansetzt. Wenn man einer Noteninflation entgegenwirken wollte, müsste man das bei den Arbeitgebern tun.

Das kann nun freilich allenfalls (und sogar das wäre zweifelhaft) der Gesetzgeber, nicht das BAG. Mit seinem Urteil diszipliniert es daher nicht die zu wohlwollenden Arbeitgeber, sondern benachteiligt die Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber so bewerten, wie es sich das BAG vorstellt. So ist doch niemandem geholfen.

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Die Noteninflation entwertet zudem ältere Zeugnisse, bei denen noch nicht solche spitzfindigen Formulierungen benutzt wurden. Dort wurde eine gute Leistung (2) auch mit gut bewertet, heutzutag fast schon eine glatte 5. Auch wenn diese Zeugnisse u.U. Jahre zurückliegen, geben diese eine Auskunft über das Arbeitsverhalten des Bewerbers, da diese noch 'ehrlicher' verfasst wurden.

Zahlennoten gem. den Schulnoten neben den Formulierungen sollten vom Gesetzgeber als verpflichtend gemacht werden. Eine 2 bleibt eine 2.

 

mfG

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