Angeklagten zu lange aus dem Saal entfernt? Verfahrensrüge klappt!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.12.2014

Meist klappen Verfahrensrügen nicht. Sie sind - im Gegensatz zur Sachrüge - intensiv zu begründen, was zugegebenermaßen schwierig ist. Die Gerichte haben es da einfacher: Sie suchen nur danach, was fehlt....und schon ist die Verfahrensrüge als unzulässig entlarvt. Eine der wenigen Rügen, die immer wieder zuverlässig funktionieren ist die § 338 Nr. 5 StPO, wenn der Angeklagte aus dem Sitzungssaal entfernt wurde und das Gericht nicht peinlichst genau darauf achtet, den Angeklagten wieder rechtzeitig hineinzubitten:

Die Revision des Angeklagten hat mit der Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 5 i.V.m. § 247 StPO Erfolg; eine Erörterung der sachlich-rechtlichen Beanstandungen bedarf es daher nicht.

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

In der Hauptverhandlung vom 11. März 2014 wurde der Angeklagte für die Dauer der Vernehmung seiner Tochter, der Nebenklägerin, durch Beschluss der Strafkammer gemäß § 247 StPO aus dem Sitzungszimmer entfernt. Nach ihrer Aussage zur Sache blieb sie auf Anordnung des Vorsitzenden unvereidigt und wurde entlassen, woraufhin sie den Sitzungssaal verließ. Nachdem der Angeklagte daraufhin den Sitzungssaal wieder betreten hatte, informierte ihn der Vorsitzende über den wesentlichen Inhalt der Aussage der Nebenklägerin. Nach einer 15-minütigen Unterbrechung der Hauptverhandlung erklärte der Verteidiger des Angeklagten, nach einer Besprechung mit diesem gebe es noch drei Ergänzungsfragen an die Nebenklägerin. Für diese ergänzende Vernehmung der Nebenklägerin wurde der Angeklagte erneut durch Gerichtsbeschluss gemäß § 247 StPO von der Teilnahme an der Vernehmung ausgeschlossen und verließ den Sitzungssaal. Nach Aussage der Nebenklägerin zur Sache blieb diese auf Anordnung des Vorsitzenden erneut unvereidigt und wurde ent-lassen. Daraufhin betrat der Angeklagte erneut den Sitzungssaal und wurde vom Vorsitzenden über die Angaben der Nebenklägerin informiert.

2. Die auf dieses Verfahrensgeschehen gestützte Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO, weil die Hauptverhandlung in einem wesentlichen Teil in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden habe, führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

a) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ist die Verfahrensrüge auch angesichts der Tatsache, dass es sich bei der zweiten Vernehmung der Nebenklägerin als Zeugin am selben Hauptverhandlungstag lediglich um eine ergänzende Vernehmung handelte, zulässig erhoben. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfordert in diesem Fall keine Ausführungen zum Inhalt der zweiten Ver-nehmung um darzulegen, dass es sich auch bei der Verhandlung über die Ent-lassung der Nebenklägerin nach ihrer zweiten Vernehmung um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung gehandelt hat (BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 1 StR 711/13, NStZ 2014, 532, 533).

b) Die Rüge ist auch begründet. Der Beschwerdeführer war entgegen § 247 StPO auch von der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin als Zeugin nach deren zweiter Vernehmung ausgeschlossen. Dies begründet den Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO, denn die Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin war, auch wenn es sich um eine ergänzende Vernehmung handelte, ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, die währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder Satz 2 StPO entfernten Angeklagten also regelmäßig geeig-net, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu begründen (BGH, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92). Die das Anwesenheitsrecht und die Anwesenheitspflicht des Angeklagten betreffenden Vorschriften bezwecken unter anderem, dem Angeklagten eine uneingeschränkte Verteidigung zu ermöglichen, insbesondere auf Grund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung. Das wird ihm durch seinen Ausschluss von der Verhandlung über die Entlassung des Zeugen erschwert, weil er in unmittelbarem Anschluss an die Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Verfahrensausgang beeinflussen können (BGH aaO). Gemessen daran kommt der ergänzenden Vernehmung einer Opferzeugin grundsätzlich erhebliche Bedeutung für das Verfahren zu, sodass der Angeklagte nach einer solchen ebenfalls stets die Möglichkeit haben muss, ergänzende Fragen oder Anträge zu stellen (BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 1 StR 711/13, aaO, 533 mwN). Beim Vorwurf von Sexualstraftaten liegt es sogar nahe, dass Umstände zum Tatgeschehen selbst dann erörtert werden, wenn es nur deshalb zu einer erneuten Vernehmung der Opferzeugin kommt, weil Fragen zum Randgeschehen noch geklärt werden müssen. Kein Verfah-rensbeteiligter ist in einem solchen Fall rechtlich gehindert, bisher noch nicht gestellte, aber zur Sache gehörende und damit den gesamten Anklagevorwurf betreffende Fragen zu stellen. Dieser Möglichkeit zu ergänzenden Fragen kommt insbesondere dann besondere Bedeutung zu, wenn – wie im vorliegen-den Fall – der Angeklagte nach dem zutreffenden Vortrag der Revision bereits gemäß § 247 StPO von der Teilnahme an der Verhandlung über die Entlassung der Nebenklägerin nach ihrer ersten Zeugenvernehmung ausgeschlossen war. Die besondere Verfahrensbedeutung der zweiten Zeugenvernehmung liegt in solchen Fällen darin, dass mit dieser Vernehmung der Verfahrensfehler, dem Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung nach der ersten Zeugenvernehmung der Nebenklägerin die Anwesenheit nicht zu gestatten, geheilt wurde (BGH, aaO, 533).

BGH, Beschluss vom 23.9.2014 - 4 StR 302/14

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