AGG: Wann fehlt einem Bewerber die Eignung objektiv?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 17.02.2015
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtEntschädigungAltersdiskriminierung13|6066 Aufrufe

Entschädigung wegen einer Diskriminierung nach dem AGG (§ 15 Abs. 2 AGG) kann nur verlangen, wer wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale ohne Rechtfertigung benachteiligt worden ist. Zum Begriff der Benachteiligung gehört, dass sich der Gläubiger "in einer vergleichbaren Situation" mit der- oder denjenigen Person(en) befunden hat, die eine günstigere Behandlung erfahren haben (§ 3 Abs. 1 AGG). Wer sich beispielsweise auf eine Stelle bewirbt, für die ihm objektiv die erforderliche Qualifikation fehlt, wird durch eine Nichtberücksichtigung der Bewerbung nicht benachteiligt. Aus diesem Grunde hat das LAG Baden-Württemberg die Klage eines Rechtsanwaltes abgewiesen, der sich wegen seines Alters diskriminiert sah.

Die Beklagte ist eine aus zwei Rechtsanwälten, die beide beim BGH zugelassen sind, bestehende BGB-Gesellschaft. Sie hatte eine Stelle ausgeschrieben:

Als Rechtsanwaltskanzlei beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe beraten und vertreten wir unseren namhaften Mandanten vor dem Bundesgerichtshof in gleichermaßen rechtlich anspruchsvollen wie wirtschaftlich bedeutenden Verfahren auf allen Gebieten des Zivil- und Wirtschaftsrechts. Zur Verstärkung unseres Teams suchen wir einen

Rechtsanwalt (m/w)

mit erster Berufserfahrung oder auch als Berufsanfänger

Unsere Tätigkeit erfordert hervorragende Rechtskenntnisse, eine wissenschaftlich vertiefte Vorgehensweise und die Fähigkeit, die Position unserer Mandanten schriftlich prägnant und überzeugend zu vertreten. ...

Der Kläger, Jahrgang 1953, beide Staatsexamina "befriedigend" und "cum laude" promoviert, bewarb sich per E-Mail auf diese Stelle. Er wurde nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen und erhielt eine Absage. Er sieht sich wegen seines Alters diskriminiert. Ein hinreichendes Indiz (§ 22 AGG) erblickt er darin, dass die Stellenanzeige einschränkend Rechtsanwälte „mit erster Berufserfahrung oder auch als Berufsanfänger“ angesprochen habe. Seine auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klage blieb in den beiden ersten Instanzen ohne Erfolg. Zur Überzeugung des LAG Baden-Württemberg durfte die Beklagte die Stellenausschreibung auf Rechtsanwälte (m/w) mit "hervorragenden Rechtskenntnissen auf den Gebieten des Zivil- und Wirtschaftsrechts" beschränken: Die Mitarbeit bei einer Rechtsanwaltskanzlei beim BGH erfordere solche hervorragenden Rechtskenntnisse. Allein die (mögliche) Zulassung als Rechtsanwalt aufgrund zweier erfolgreich abgelegter Staatsexamina reiche hierzu nicht aus. Gegenstand der geschuldeten Tätigkeit sei die Vorbereitung von Revisionsverfahren beim BGH und die Zuarbeit für Rechtsanwälte, die vor dem BGH auftreten. Es müssten grundsätzliche Rechtsfragen und Fragen der Rechtsfortbildung diskutiert und gelöst werden (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Arbeit müsse auf einen hohen Qualitätsniveau geleistet werden, damit die beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte in die Lage versetzt würden, die relevanten Rechtsfragen sowohl mit dem (der) hochqualifizierten Kollegen (Kollegin) auf der Gegenseite als auch mit einem fünfköpfigen Senat auf gleicher Augenhöhe zu erörtern und den Senat vom eigenen Rechtsstandpunkt zu überzeugen.

Diese Qualifikationsanforderungen erfülle der Kläger mit seinen beiden lediglich "befriedigenden" Examina nicht.

Das LAG hat jedoch die Revision zum BAG zugelassen. Von grundsätzlicher Bedeutung (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) sei nämlich sowohl die Beantwortung der Frage, ob es im Rahmen der objektiven Eignung (lediglich) auf den erfolgreichen Abschluss der geforderten Berufsausbildung oder (auch) auf wesentliche zusätzliche Qualifikationen ankomme, als auch diejenige nach der Verteilung der Darlegungslast bei Feststellung der objektiven Eignung.

(LAG Baden-Württemberg, Urt. vom 29.8.2014 - 12 Sa 15/14, BeckRS 2015, 65554)

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13 Kommentare

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Christian.Rolfs schrieb:
Das LAG hat jedoch die Revision zum BAG zugelassen. Von grundsätzlicher Bedeutung (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) sei nämlich sowohl die Beantwortung der Frage, ob es im Rahmen der objektiven Eignung (lediglich) auf den erfolgreichen Abschluss der geforderten Berufsausbildung oder (auch) auf wesentliche zusätzliche Qualifikationen ankomme

Entscheidend ist doch, dass Examina nach der Intention der Beklagten, einen jungen Anwalt haben zu wollen, (mangels Alternativen) geeigneter Beurteilungsmaßstab für die Rechtskenntnisse auf einem Gebiet sind, die Noten eines potenziell altersdiskriminierten Klägers von vermutlich ca. 1980 jedoch nicht.

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Entscheidend ist doch, dass Examina nach der Intention der Beklagten, einen jungen Anwalt haben zu wollen, (mangels Alternativen) geeigneter Beurteilungsmaßstab für die Rechtskenntnisse auf einem Gebiet sind, die Noten eines potenziell altersdiskriminierten Klägers von vermutlich ca. 1980 jedoch nicht.

ich verstehe diesen Satz nicht, was ist jetzt entscheidend, was nicht?

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Gast schrieb:

Entscheidend ist doch, dass Examina nach der Intention der Beklagten, einen jungen Anwalt haben zu wollen, (mangels Alternativen) geeigneter Beurteilungsmaßstab für die Rechtskenntnisse auf einem Gebiet sind, die Noten eines potenziell altersdiskriminierten Klägers von vermutlich ca. 1980 jedoch nicht.

ich verstehe diesen Satz nicht, was ist jetzt entscheidend, was nicht?

Den Unterschied halte ich für entscheidend für die aufgeworfene Rechtsfrage (steht im Nebensatz "dass..."):

Hat die Kanzlei den Bewerber vor sich, den sie sich wünscht (einen Berufsanfänger), könnte man natürlich die objektive Eignung (hinsichtlich herausragender Rechtskenntnisse) an den Examensnoten festmachen (jedenfalls nicht abwegig, denn woran sonst?).

Das Gericht im vorliegenden Fall (und logischerweise viele Gerichte, die eine potenzielle Altersdiskriminierung prüfen sollen), muss jedoch einen erheblich älteren Bewerber einschätzen, der wahrscheinlich nicht eben sein Examen abgelegt hat und in den letzten Jahrzehnten irgendwie beschäftigt war.

Daraus die Frage: Ist es objektiv (wie es zur Bestimmung der "objektiven" Eignung erforderlich wäre) den potenziell altersdiskriminierten Bewerber anhand der Examensnote dem Wunschbewerber gegenüber zu stellen?
Ein hervorragendes Examen von 1980 ist so wenig Gewähr für heute vorliegende hervorragende Wirtschaftsrechtskenntnisse, wie ein mittelmäßiges Examen von 1980 gegen sie spricht.

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Der Bewerber ist Rechtsanwalt, er wurde promoviert, er verfügt über jahrzehntelange Berufserfahrung, er er kann grundsätzlich (als Rechtsanwalt) die Aufgaben in der BGH Kanzlei erfüllen, gleich ob es andere besser oder schlechter könnten. Er ist im Stande, vor allen anderen Bundesgerichten und auch in Strafsachen vor dem BGH zu vertreten - eben die Aufgaben, die er in der BGH-Kanzlei hätte erledigen sollen dürfte er etwa in bundesarbgeitsgerichtlichen Revisionsverfahren übernehmen. Daher ist er "objektiv geeignet". Im Wettbewerbsrecht wäre er mit anderen Bewerbern eben "Mitberwerber".

 

Das Problem liegt in der unscharfen Formulierung des Anforderungsprofils: Was ist unter "hervorragende Rechtskenntnisse" zu verstehen? Dazu könnte zählen Berufserfahrung, Promotion, Fachanwaltschaften, Lehrtätigkeiten, Veröffentlichungen aber auch ein Selbststudium. Wenn sich der Arbeitgeber - was in der Entscheidung m. E. verkannt wird - in seiner Stellenausschreibung bewusst unbestimmt hält, weil er möglichst viele zur Bewerbung anhalten will, dann ist es ihm verwehrt, sich umgekehrt auf die Beliebigkeit der Formulierung ("hervorragende Rechtskenntnisse") zu berufen und damit die objektive Eignung -  wie es auch das LAG tut - im Nachhinein zu manipulieren. Letztlich ist das ähnlich wie im Vergaberecht. Dort können bestimmte "Bieter" nur durch exakte Anforderungen "ausgeschlossen" werden.

 

Im Folgenden werfe ich niemanden im speziellen ein "sexistisches Verhalten" vor. Gernell gilt aber: Hätte sich eine hübsche, junge Absolventin mit abgeschlosser Promotion (cum laude) und zwei befriedigenden Examina beworben und ihrer Bewerbung ansprechend professionelle Bewerbungsfotos beigefügt, dann stünde ihre "objektive Eigung" nicht für eine Sekunde in Frage - auch wenn es nicht gereicht hätte. Ihre Chancen, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden stünden vielleicht nicht schlecht und vielleicht auch ihre Chance den Job doch zu erhalten.... So funktioniert leider unsere Gesellschaft in weiten Teilen, dass darf bei aller Diskussion um das AGG nicht verkannt werden.

 

 

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Nun ja, wenn man die Entscheidung liest, nach der dort zitierten Dissertation googelt und anschließend nach dem Namen des Herrn RA scheint er trotz erheblicher Qualifikationen im Medizinrecht, Strafrecht, allgemeinen Zivilrecht zuletzt ein weiteres Tätigkeitsfeld im Abmahnen für eine Fa. DigiProtect gehabt zu haben, was auf mancher internetseite für Irritationen sorgte, da er ja im Urheberrecht vorher offenbar nicht aufgefallen war. 

 

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Der closed-shop der RAe beim BGH gehört aufgebrochen. Ich kann mich nicht erinnern, dass in meinen drei Verfahren, die zum BGH gingen rechtlich neue Aspekte aufgezeigt oder diskutiert wurden.

 

Ich erinnere mich, dass während meines Referendariats taggleich zwei Entscheidungen veröffentlicht wurden: eine versagte einem Kläger die Zulassung zum BGH, weil dort nur die creme de la creme der Rechtsanwälte tätig sei - und die andere Entscheidung war ein Regreß gegen einen BGH-Anwalt, weil er die Revisionsbegründungsfrist falsch berechnet und dadurch versäumt hatte.

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le D schrieb:

Ich erinnere mich, dass während meines Referendariats taggleich zwei Entscheidungen veröffentlicht wurden: eine versagte einem Kläger die Zulassung zum BGH, weil dort nur die creme de la creme der Rechtsanwälte tätig sei - und die andere Entscheidung war ein Regreß gegen einen BGH-Anwalt, weil er die Revisionsbegründungsfrist falsch berechnet und dadurch versäumt hatte.

 

Das finde ich lustig. Fällt Ihnen noch ein, welche beiden Entscheidungen das waren? Danke!

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Soweit mir zu Ohren gekommen ist, ist zwar die Quote der unzulässigen Revisionen beim BGH wegen fehlerhafter Begründung von Nichtzulassungsbeschwerden wesentlich geringer als bei anderen höchsten Gerichten. Jedoch sind beim BGH genauso viele Revisionen schlicht deswegen unzulässig, weil sie von nicht beim BGH zugelassenen Anwälten eingelegt werden. Ob also wirklich die Qualität der höchstrichterlichen Rechtsprechung vom Verfahren beim BGH profitiert, darf man mit einem Quäntchen Skepsis sehen.

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Ist die Meldung vielleicht ein Faschingsscherz? Es kann doch nämlich nicht im Ernst wirklich wahr sein, daß eine höchmögende BGH-Kanzlei in schlichter Unkenntnis des seit vielen Jahren geltenden Gleichbehandlungsrechts (oder gar unter dessen grober Mißachtung?) von sich behauptet, sie sei gleichermaßen in „rechtlich anspruchsvollen wie wirtschaftlich bedeutenden Verfahren auf allen Gebieten des Zivil- und Wirtschaftsrechts“ tätig, was „hervorragende Rechtskenntnisse, eine wissenschaftlich vertiefte Vorgehensweise“ erfordere und das Gericht ihr das trotz ihrer offengelegten mangelhaften Rechtskenntnisse auch noch abkauft. BGH-Anwälte sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Die ohnehin durch nichts gerechtfertigte Singularzulassung gehört angesichts solcher schlechten Juristen endlich abgeschafft, die ungestraft so tun, als wären sie das Gelbe vom Ei. Und das AGG gehört endlich gründlich ernst genommen. Das BAG wird seinen Teil hoffentlich demnächst dazu beitragen.

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Die hier aufgeworfenen Rechtsfragen dürften sich als "Schein-Diskussion" darstellen.

 

Die objektive Eignung eines Bewerbers dürfte sich nach der obersten Rechtsprechung dadurch manifestieren, ob der Bewerber grundsätzlich objektiv in der Lage ist, die Stelle auszuüben. Nicht erforderlich ist jedoch, sämtliche Voraussetzungen des Stellenprofils zu erfüllen. Andernfalls wird die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG wohl keinen Sinn machen.

 

Eine "Schein-Diskussion" ist es deswegen, weil in Deutschland offenbar für Rechtsanwälte andere Rechte gelten, als für für alle anderen. Einem Rechtsanwalt werden offenbar nicht dieselben Rechte zugebilligt, als allen übrigen abgelehnten und benachteiligten Bewerbern.

 

Deshalb sagt meine Kollegin, die keine Deutsche ist, immer ganz süffisant:

 

BR Deutschland= Bananenrepublik Deutschland

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Die Ausführungen des LAG Baden-Württemberg zu den Voraussetzungen, die ein(e) Bewerber (in) für einen Arbeitplatz bei einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt angeblich erfüllen muss, sind absolut lachhaft. Die meisten BGH-Anwälte stellen doch fast jeden Deppen (m/w) ein, um möglichst viel Geld mit wenig Ausgaben zu erzielen.  Diese "Gelddruckmaschine" funktioniert besser als die EZB. Weiterhin sind die vermeintlich so wichtigen BGH-Anwälte so überflüssig wie ein Kropf. Beides muss abgeschafft werden.  Hier spricht eine Expertin, die die BGH-Anwaltschaft und deren Arbeitsweise aus langjähriger eigener Anschauung bestens kennt.  Die Märchen, die über die allso intelligenten BGH-Anwälte verbreitet werden, stellen die Gebrüder Grimm weit in den Schatten.

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