Vestager on merger control - Was uns die neue Wettbewerbskommissarin zu sagen hatte

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 12.03.2015

Ich kann gleich schon wieder von einer Veranstaltung der Studienvereinigung Kartellrecht berichten – diesmal von der heutigen Arbeitstagung in Brüssel.

Die neue Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager machte ihren Antrittsbesuch bei der Studienvereinigung und sprach zur Fusionskontrolle. Nach einem einleitenden Fazit, dass die bisherigen 25 Jahre der europäischen Fusionskontrolle eine Erfolgsgeschichte gewesen seien, nahm sie sich zwei Themen vor:

Zuerst ging sie auf die jüngsten Reformen (Vereinfachungspaket) und Überlegungen für weitere Reformen zur Schließung einer vermeintlichen oder wirklichen "enforcement gap" bei  nicht kontrollierenden Minderheitsbeteiligungen (vgl. hier) ein. Die Kommission nehme die Eingaben aus der Praxis zu dem Weißbuch ernst. Die vorgeschlagene Lösung sei womöglich noch nicht der richtige Weg. Es bedürfe weiteren Nachdenkens. Das war MLex schon um 10.50 Uhr eine der typischen Meldungen wert.

Bloß in den Raum stellte die Kommissarin Überlegungen, eine Transaktionswertschwelle (wie z.B. in den USA und Kanada) einzuführen oder die Fusionskontrolle in den Mitgliedstaaten (von oben) zu harmonisieren.

Sodann widmete sie sich der räumlichen Marktabgrenzung. Dabei ging es ihr um das Argument, die Märkte müssten großräumiger abgegrenzt werden, um es den mitgliedstaatlichen Unternehmen zu ermöglichen, besser mit den internationalen Konkurrenten mitzuhalten. Sie wies das Argument zurück. Die Märkte definierten sich in räumlicher Hinsicht selbst. Über die letzten Jahre habe sich in vielen Bereichen sowieso ein Trend zu größeren Märkten ergeben. Sie schloss den Abschnitt mit dem Fazit, dass die Fusionskontrolle kein Hindernis für Unternehmenswachstum sei und – bezugnehmend auf den Fußball, für den sie sich noch nicht wirklich begeistern kann (und das als Dänin!) – mit dem Satz: "If you can compete at home, you can always also compete abroad".

Die sich anschließende Fragerunde zu einer Vielfalt von Themen absolvierte sie mit Charme, Humor und Schlagfertigkeit. Ein gelungener Einstand und ein echte Abwechslung nach Nickel Neelie (Kroes) und dem etwas glatten Almunia.

Die Rede gibt es zum Nachlesen hier.

Es folgte die Erörterung des Themas "SIEC-Test und kollektive Marktbeherrschung – können koordinierte und nicht-koordinierte Effekte gleichzeitig vorliegen?" und damit eine sehr prompte Anknüpfung an den morgens getroffenen Beschluss, nun auch Wettbewerbsökonomen in die Studienvereinigung aufzunehmen. Zunächst führte Dirk Schroeder aus juristischer Sicht in das Thema ein und formulierte drei Fragen an die Ökonomie, nämlich (sinngemäß): Ist es möglich, dass koordinierte und nicht-koordinierte Effekte bei einem Zusammenschluss gleichzeitig auftreten?- Ist eine gegenseitige Verstärkung der Effekte möglich? Gibt es praktische Fälle, an denen sich das zeigen lässt?

Professor Justus Haucap übernahm die Antworten und (ent-)führte die versammelten Anwälte auf sehr anschauliche Weise durch die ökonomische Sicht auf Zusammenschlusswirkungen. Seine Antworten lauten: Ex post ist es ausgeschlossen, dass beide Effekte gleichzeitig auftreten. Es gibt aber Ausnahmen, also doch. Ex post lässt sich nicht unterscheiden, welcher Teil einer Preiserhöhung auf welchen Effekt zurückzuführen ist. Es schlossen sich Überlegungen zur Frage an, ob man koordinierte Effekte überhaupt noch prüfen soll, wenn bei jedem Zusammenschluss unilaterale Effekte auftreten. Erstere seien allerdings stärker als letztere. Es schloss sich eine Diskussion an, ob durch den SIEC-Test, der die Erfassung unilateraler Effekte ermöglichen soll, die Untersagungsschwelle insgesamt gesenkt wurde. Die Ausführungen waren nicht leicht verdaulich und sehr spannend. Sie werden freilich nur in sehr wenigen Fällen relevant, sind dort dann aber natürlich entscheidend.

Nach der Mittagspause folgte der Vortrag von Jürgen Schindler zur Intel-Entscheidung des EuG. Der Referent ordnete die Entscheidungen von Kommission und EuG in die bisherige Rechtsprechung ein und nahm die EuG-Entscheidung gründlich auseinander. Als Kernfrage bleibt, ob Treuerabatte tatsächlich so schlimm sind wie hardcore-Kartelle und vertikale Kernbeschränkungen (per se-Verbot).

Den Abschluss machte dann Johannes Lübking von der Kommission. Er referierte die Fusionskontrollpraxis des vergangenen Jahres. Nach einem einleitenden Blick auf die Statistik (2014: 303 Anmeldungen, 206 vereinfachte Verfahren, keine Untersagung) ging er auf die Entscheidungen zu den Telekommunikationsmärkten, zu den Gesundheits- und Pharmamärkten und zu den Zementmärkten ein. Zum Bereich Zement hob er den Megazusammenschluss Holcim/Lafarge hervor, der wegen oder trotz sehr sehr umfassender Zusagen ("riesiges Veräußerungspaket") in der ersten Phase abgeschlossen werden konnte. In der sich anschließendes Diskussion ging er bereitwillig auf die vielen Fragen ein, wies darauf hin, dass sich die Pränotifikationsphase nur ausnahmsweise für die Erörterung von Zusagen eigne, weil diese natürlich keinem Markttest unterzogen werden können. Das komme also bei Veräußerung des gesamten Überschneidungsbereichs in Betracht. Auch wies er auf ein "Policy"-Projekt des ICN zur internationalen Kooperation der Kartellbehörden in Fusionskontrollfällen hin, an dessen Ende "best practices", wenn auch nicht so ausgefeilt wie die EU-US Best Practices stehen könnten. Angestrebt werde aber insbesondere auch ein Austausch über Zusammenschlüsse, der noch keine "Waiver" der Parteien für die Informationspreisgabe erfordert.

Was kann man festgehalten? Sehr gute Vorträge und sehr gute Pausengespräche. Und für eine Waffel auf der Grand Place hat es auch noch gereicht. Der Besuch in Brüssel hat sich wieder sehr gelohnt.  

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