Religiös motivierte Sachbeschädigung - rechtskräftig entschieden
von , veröffentlicht am 23.03.2015Im Ruhrgebiet war es im Jahr 2013 ein großer Aufreger, der auch national Wellen schlug. Eine muslimische Doktorandin hatte sich an einer Collagen-Ausstellung in der Uni-Bibliothek gestört. Nachdem sie ein Plakat abgehängt hatte und man dieses Plakat aus der Ausstellung entfernt hatte, hatte sie einige Tage später ein weiteres Plakat abgenommen, das Gericht dazu:
Dieses Plakat bestand in erster Linie aus Bildern und Texten des Comicromans „Exit wounds“ der israelischen Autorin und Illustratorin S N. Auf der Collage befand sich unter der Überschrift „rutu modan exit wounds“ der Schriftzug „Terror as usual“. Neben verschiedenen Comicbildern und Begleittexten zeigte die Collage ein Bild mit einer Straßenszene, auf der im Hintergrund ein Gebäude und ein Kfz mit Fahrer zu sehen waren. Im Vordergrund waren insgesamt fünf Personen zu sehen. Während eine Person ein Blatt Papier in der Hand hielt, trugen die anderen Personen Schilder in Form einer Hand. Zwei der Schilder waren mit hebräischen Schriftzeichen versehen. Auf einem weiteren Schild war „Stop the occupation“ zu lesen. Ein viertes Schild mit arabischen Schriftzeichen wurde in einen Sack gesteckt. Die Angeklagte meinte nun, bei genauerer Betrachtung der Schrift dort nicht mehr – wie nur bei flüchtigem Lesen – die Worte “Beendet die Besatzung“ zu lesen, sondern durch die Veränderung eines Buchstabens und die Verbindung weiterer Schriftzeichen den Text „Nieder mit Allah“, sowie weitere – bei dieser Lesart dann keinen Sinn mehr ergebende – Buchstaben. (...)
Einige Tage später (...) nahm die Angeklagte die Collage ab, trug sie zu einem Bibliotheksmitarbeiter und verlangte, das Plakat aus der Ausstellung zu entfernen. Der Mitarbeiter wies dieses Begehren zurück. Er bot aber an, die beanstandete Stelle mit einem Stück Papier zu überkleben. Er legte eine Schere bereit. Sodann druckte er ein rotes Blatt zum Überdecken der Stelle aus. In diesem Moment griff die Angeklagte – der das angekündigte Überkleben als unzureichend erschien – nach der Schere und schnitt die Stelle aus der Collage.
Anlass für die folgenden Kontroversen war die Entscheidung der Universität, die ganze Ausstellung zu schließen (Pressebericht: Tagesspiegel). Dahinter stand wohl das Motiv, die Studenten oder auch die Mitarbeiter der Bibliothek vor Anfeindungen zu schützen und den Bibliotheksbetrieb störungsfrei aufrechtzuerhalten (Presseerklärung der Universität Essen-Duisburg). Darin sahen viele ein Zurückweichen vor religiösem Eifern, einen unnötigen Eingriff in die Kunstfreiheit innerhalb einer aufgeklärten, wissenschaftsorientierten Institution (Lesenswert zur Diskussion: Ein Online-Magazin zur Comickultur). Andere stellten sich auf die Seite der Studentin und meinten, aus der Kritik an ihrem Vorgehen spreche antimuslimischer Rassismus; so eine online-Studentenzeitung der Universität
Nach dem Beschluss des OLG Hamm vom 20.02.2015 ist die strafrechtliche Seite des Falls abgeschlossen. Das OLG verwarf die Revision der Studentin und damit wurde die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen rechtskräftig. Eine Rechtfertigung oder Entschuldigung der gemeinschädlichen Sachbeschädigung (§ 304 StGB) durch Berufung auf Art. 4 Abs. 1 GG wurde vom Gericht verneint, Begründung:
Entgegen dem Revisionsvorbringen kann die Angeklagte aus dem Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) weder einen Rechtfertigungs- noch einen Entschuldigungsgrund für ihr Handeln ableiten. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt aus Grundrechten unmittelbar eine Rechtfertigung abgeleitet bzw. namentlich aus der in Art. 4 Abs. 1 GG garantierten Glaubens- und Gewissenfreiheit ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden kann (vgl. hierzu Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., Vorbem §§ 32 ff. Rdnr. 119; Roxin, GA 2011, 1 ff.). Denn der Betätigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit kann ein strafbarkeitsausschließender Vorrang jedenfalls nur dann zukommen, wenn für den Täter keine Möglichkeit bestanden hat, seine Glaubens- und Gewissensentscheidung straffrei umzusetzen. Hierüber hat sich die Angeklagte ohne Not hinweggesetzt. Der von der Angeklagten kontaktierte Mitarbeiter der Bibliothek hatte – ausweislich der getroffenen Feststellungen – bereits angeboten, die beanstandete Stelle des Plakats mit einem Stück Papier zu überkleben und schon mit den dazugehörigen Vorbereitungen begonnen. Die Angeklagte hatte damit zumindest das Ziel, den von ihr als anstößig empfundenen Teil der Collage unkenntlich zu machen, faktisch bereits erreicht. Dennoch hat sie selbst zur Schere gegriffen und das Plakat zerschnitten. Zu einer derart eigenmächtigen Vorgehensweise und Beeinträchtigung fremder Interessen – hier des öffentlichen Nutzungsinteresses im Sinne von § 304 StGB – berechtigt die Glaubens– und Gewissensfreiheit nicht.
Die strafrechtliche Seite des Falls ist damit - relativ unspektakulär - abgeschlossen. Kulturpolitische Debatten müssen weiter geführt werden.
[Dank an Kollegen Krumm für den Hinweis]
Hinweis: Ich habe den Kommentarbereich mangels sachlicher Diskussionsbeiträge und wegen ständiger Troll-Kommentare abgeschaltet.
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1 Kommentar
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Religiöse Vorstellungen als Rechtfertigung dafür, in fremde Rechte einzugreifen. Der Fall hier ist relativ unspektakulär - aber der Vergleich zu einem Terroristen liegt nicht fern. Wenn man anderer Leute Plakate zerschneiden darf, um einem unsichtbaren Wesen (Allah, Zeus, Jehova, der Slender Man, die Zahnfee, ...) zu gefallen, darf man dann auch nicht aus denselben Gründen anderer Leute Häuser anzünden?