Suizidprophylaxe oder Folter? Zum Fall Middelhoff

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 08.04.2015

Die Anwälte von Thomas Middelhoff haben vorgestern öffentlich beklagt, Herr Middelhoff sei als derzeitiger Untersuchungshäftling über mehrere Wochen hinweg mittels ständiger Sichtkontrollen tags und nachts am Schlaf gehindert worden und aufgrund dessen schwer erkrankt. (Bericht: Süddeutsche, Bericht Wirtschaftswoche vom Dezember 2014)

Die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, Renate Künast (Grüne), und andere Politiker haben bereits Stellung genommen. (Berliner Zeitung)

Die Praxis wird mit der Folter in Guantánamo und Abu Ghraib verglichen, oder mit Methoden der DDR-Staatssicherheit. In Law-Blogs ist ebenfalls von „Faktischer Folter“ die Rede. (law-blog) (blog der kanzlei hoenig)

Der Anstaltsleiter der JVA Essen, in der die Untersuchungshaft vollzogen wird, hat den Sachverhalt bestätigt: Herr Middelhoff sei als suizidgefährdet eingestuft worden, weshalb rund um die Uhr ca. alle 15 Minuten eine Kontrolle stattgefunden habe. Offenbar wurde dazu nachts auch das Licht eingeschaltet, um einen Suizidversuch Middelhoffs auszuschließen (Quelle: WDR)

Suizidprophylaxe ist in Haftanstalten, speziell bei erstmaliger Inhaftierung, unverzichtbar. Dazu gehört in der Praxis meist (auch in anderen Ländern) die besondere Überwachung von Gefangenen, bei denen anhand gewisser Merkmale ein erhöhtes Suizidrisiko angenommen wird (vgl. wikipedia: suicide watch). Diese Praxis – engmaschige zeitliche „Sichtkontrollen“ bzw. Lebendkontrollen“, nachts einhergehend mit Decken- oder Taschenlampenlicht –  wird auch für andere Anstalten bestätigt. Auch Gustl Mollath hatte in der Unterbringung darunter zu leiden, dasselbe twittert Jörg Kachelmann von seiner U-Haft 2010 in Mannheim. Man geht davon aus, dass der Rückgang der Selbsttötungsrate in Vollzugsanstalten auch mit der systematischen Suizidprophylaxe zusammenhängt, die man in den vergangenen Jahrzehnten implementiert hat. Allerdings ist auch die Kritik an dem speziellen Überwachungsregime über (vermutet) Suizidgefährdete nicht abgerissen, denn diese Art Überwachung ist stark belastend (siehe auch schon mein früherer Beitrag zum Thema Suizid in der Haft).

Ein absichtliches viertelstündiges „Aufwecken“ des Überwachten ist für die Kontrolle nicht erforderlich und ist - schon nach wenigen Tagen - offensichtlich gesundheitsschädlich; solche Maßnahmen dürften eindeutig rechtswidrig sein. Dass dies im Fall Middelhoff geschehen sei, wird auch bestritten bzw. nicht bestätigt:

Berichte, wonach Beamte den Raum betreten hätten und Middelhoff während der Überwachung auch geweckt worden sei, wollte das Ministerium nicht bestätigen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Strafvollzug in NRW, Peter Brock, hält dies allerdings für so gut wie ausgeschlossen. "Um nachts eine Zelle zu öffnen, braucht man drei Justizbeamte, das ist Vorschrift. Der Aufwand ist viel zu groß." In einer Anstalt von der Größe der JVA Essen würden ständig zwischen 20 und 30 U-Häftlinge wegen Suizidgefahr überwacht. Middelhoff sei kein Ausnahmefall. In der Regel reiche auf Grund der Erfahrung der Beamten der Blick durch den Gucker in den erleuchteten Raum. (Quelle: Bericht in der "Welt")

Aber auch für jemanden, der bei solchen Kontrollen durch Licht oder Geräusche regelmäßig aufwacht, obwohl er nicht absichtlich geweckt wird, kann ein langfristiger gesundheitsschädlicher Schlafentzug die Folge sein, wie ihn jetzt die Verteidiger Middelhoffs beklagen. Zwar ist dies mit einem absichtlichen Schlafentzug als verbotene Vernehmungsmethode oder Folter nicht gleichzusetzen, kann aber auf den Betroffenen ganz entsprechende Auswirkungen haben.

Zudem wird von Insidern ein möglicher Missbrauch der Kategorisierung „suizidgefährdet“ zur Sanktionierung missliebiger Gefangener beklagt.

Es erscheint fraglich, ob eine effektive Überwachung nicht auch anders durchführbar ist. Denkbar wären modernere Überwachungstechniken (Kontrolle bei abgedimmtem Licht, Videoüberwachung, Kreislaufmonitor), die allerdings ihre eigenen Nachteile aufweisen können, vgl. Interview mit einem Gefängnispsychologen auf Zeit-Online.

Update (09.04.2015): Herr Garcia hat auf einen Artikel in der Zeit hingewiesen, demzufolge Frau Bennefeld-Kersten, eine ausgewiesene Expertin für Suizidprävention im Strafvollzug die Version der Anwälte in Frage stelle. Auch die Süddeutsche Zeitung meint jetzt, das Justizministerium widerspreche den Anwälten. Im Moment sehe ich keinen Anlass, aufgrund dieser Information meine Einschätzung des Falls zu ändern. Ich verweise auf meinen Kommentar unten (Kommentar #34).

Update (14.04.2015): Mich hat heute eine Presseerklärung der Verteidigung Herrn Middelhoffs (RAe Sven Thomas/Udo Wackernagel) erreicht. Der Sachverhalt wird darin so dargestellt:

Alle 15 Minuten sei bei jeder Kontrolle von Herrn Middelhoff ein Lebenszeichen erwartet worden ("Rufen", "Heben des Kopfes oder eines Armes"). In Einzelfällen sei der Haftraum betreten worden, wenn Herr Middelhoff kein Lebenszeichen gegeben habe. Im Regelfall sei er schon durch die ("taghelle") Neonbeleuchtung oder Geräusche beim Öffnen der Sichtluke geweckt worden. Der Mandant habe stundenlang wachgelegen oder sei in 15-minütigen Abständen geweckt worden. Man bleibe daher beim Vorwurf des massiven Schlafentzugs. Der Mandant habe keine Bemerkunegn gemacht, die auf eine Suizidgefahr hinwiesen, im Gegenteil habe er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man sich um ihn diesbezüglich keine Sorgen machen müsse. Die "angebliche" Erklärung von Frau Middelhoff datiere - "unabhängig davon, ob sie überhaupt erfolgte"  - aus dem März 2015, sei also nicht Anlass für diese Maßnahmen gewesen.

Update (23.04.2015): Zum Fall Middelhoff  ist nun eine Bericht des NRW-Justizministeriums veröffentlicht worden. Entscheidend für die Bewertung soll danach sein, dass weder Herr Middelhoff noch seine Verteidiger sich während der laufenden Maßnahme dagegen beschwert hätten. Im Übrigen entspreche die Maßnahme der Standard-Suizidprophylaxe, wie sie überall praktiziert werde und wogegen es - soweit dem Minister bekannt - bislang kaum Beschwerden gegeben habe.

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183 Kommentare

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Mal eine ganz provokante Frage: Wenn sich ein Mensche im Vollbesitz seiner geistige Kräfte entscheidet, sich das Leben zu nehmen, warum sollte er gehindert werden?

Selbstmord ist straflos. Natürlich ist ein Leben viel wert. Und was macht eine Regierung ohne Volk? Wenn soll sie regieren, wenn sich die Bürger reihenweise das Leben nehmen, vielleicht auch weil sie an der Regierung verzweifeln? Also muss das Leben erhalten werden.

Wer hat das Recht, mich daran zu hindern, wenn ich mich umbringen will?

Da die Menschen im Gefängnis sind, scheinen sie vielleicht Medikamente oder irgendwelche Gegenstände gegen das Gesetz an sich gebracht zu haben, aber wenn jemand dann seine verbotenerweise gehortete Pillensammlung schluckt, dann ist das doch seine Sache, oder?

Wie lange und wie weit wird der Wille des Menschen respektiert? Sind wir alle gleich?

 

 

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Sehr geehrter Gast,

dass dem Menschen "Freitod" möglich ist, will ich nicht bestreiten. Aber viele Selbsttötungen haben ihre Ursache in Erkrankungen und im Umfeld der sich selbst tötenden Person. Der Vollzug selbst trägt offenbar zum Suizid bei, denn in den meisten Fällen wird ein Suizid in den ersten Tagen der (erstmaligen) Gefangenschaft begangen. Dass der Staat im Vollzug eine Fürsorgepflicht für seine Gefangenen hat, ist m.E. offenkundig. Ihre "provokante Frage" erscheint mir nicht gut durchdacht: Es wäre geradezu zynisch, einen Gefangenen, der suizidale Gedanken hegt, sich selbst zu überlassen und ihm menschliche Hilfe und Fürsorge zu versagen, also ihn zwar einzusperren, aber ausgerechnet beim Suizid "Freiheit" zu gewähren. Schließlich kann ein Gefangener  sich nicht wie andere jederzeit Hilfe bei Angehörigen, Freunden  und/oder Ärzten suchen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Der Umgang mit Gefangenen war in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand der Berichterstattung. In München wird einer gefesselten, liegenden Frau "in Notwehr" das Gesicht zertrümmert. In Dessau verbrennt sich ein ebenfalls weitgehend immobilisierter Gefangener angeblich selbst. In Hameln tötet sich ein Gefangener bei einem Versuch, aus dem Gericht mittels Fenstersprung zu entkommen, selbst - und die Angehörigen beschuldigen das Gericht "grober Fahrlässigkeit", weil man ihm wohl vorher nicht die Fußgelenke gebrochen hat (oder was auch immer die Angehörigen da erwartet hätten). Bradley/Shelsey Manning, ein Herr Middelhoff und wahrscheinlich zahlreiche weniger prominente Gefangene haben "zu ihrem eigenen Wohl" schwerwiegende Eingriffe zu ertragen.

Meinem Eindruck nach besteht gegenwärtig ein Dilemma: Unternehmen die verantwortlichen Beamten nichts und kommt es später zu einem Todesfall, wird mit dem Finger auf sie gezeigt. Unternehmen sie etwas, wird es als unwürdige Behandlung kritisiert. Beides kann zutreffend sein, jedenfalls aber hart treffen.

Eine Lösung des Dilemmas wäre wünschenswert, ist aber nicht einfach. Zeichnet man die "Bewacher" zu weitgehend frei, mag der eine oder andere Todesfall einen seltsamen Beigeschmack bekommen. Wenn ein unliebsamer Gefangene erhängt in der Zelle aufgefunden wird, drängt sich die Frage auf, wer dabei alles Hand angelegt hat. Nimmt man die "Bewacher" zu sehr in die Verantwortung, sind Totalüberwachung und dauerhafte Fesselung die naheliegenden Reaktionen.

Es sind mehrere Ansätze denkbar:

- Der Einsatz schonenderer Maßnahmen. Wieso ein 15-minütiges Wecken überhaupt zur Prävention geeignet sein soll, erschließt sich mir nicht. Jedenfalls aber dürfte es gleich oder nahezu gleich wirksame Maßnahmen geben, die weniger starke Eingriffe bewirken, bspw. eine Manschette, die Blutdruck und Puls überwacht. Wenn man die Zelle - wozu auch immer - den ganzen Tag ausleuchten will, kann man zumindest Schlafmasken o. ä. ausgeben.

- Mehr Kommunikation mit dem Betroffenen. Durch die Situation sind Einverständniserklärungen o. ä. nur bedingt passend, um die Situation zu bewältigen. Aber vielleicht könnte zumindest eine gewisse Wahlfreiheit gewährt werden.

- Der Einsatz von Ombudspersonen, d. h. möglichst unabhängigen Dritten, die über derartige Maßnahmen entscheiden, vielleicht sogar einer Person im "Lager" des Gefangenen. Wie wäre es bspw., wenn solche Maßnahmen immer der Zustimmung des Strafverteidigers bedürften? Das würde den Eindruck zu verhindern helfen, dass Maßnahmen getroffen werden, um den Gefangenen "weichzukochen" für die kommende Strafverhandlung o. ä.

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Nicht positiv finde ich persönlich, dass diese Diskussion durch den Fall Middelhoff angeschoben wird. Es drängt sich die Frage auf, ob jemand, der früher über das (berufliche) Schicksal Tausender zu entscheiden hatte, vielleicht etwas empfindlich reagiert, wenn so ein Schnösel mit A5-Besoldung ihm eine Taschenlampe ins Gesicht hält und doofe Fragen stellt. Da wird der berechtigte Eingriff vielleicht zu schnell als Verletzung von Rechten bewertet, die Würde(rechte) des Menschen vielleicht mit dem Würde(begehren) des Managers verwechselt.

Würde dieselbe Behandlung einem dieser Straftäter zuteil, der - um einen Sprachgebrauch von Frau von der Leyen auszuborgen - unschuldige Kinderseelen zerfetzt, wäre die Begeisterung für Kritik wahrscheinlich geringer.

Und wenn ein junges Menschenwesen, das zum Arzt, nicht in die Army gehört hätte, derselben Behandlung unterzogen wird, dann ist das okay, wenn der behandelnde Staat über Atomwaffen verfügt und Sterne und Streifen im Banner hat. Und jemandem, dem ähnliches droht, ist natürlich kein Asyl zu gewähren.

Diese Thematik hätte m. E. schon viel früher anlässlich ganz anderer Fälle beginnen müssen.

 

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Leser schrieb:

Es drängt sich die Frage auf, ob jemand, der früher über das (berufliche) Schicksal Tausender zu entscheiden hatte, vielleicht etwas empfindlich reagiert, wenn so ein Schnösel mit A5-Besoldung ihm eine Taschenlampe ins Gesicht hält und doofe Fragen stellt. Da wird der berechtigte Eingriff vielleicht zu schnell als Verletzung von Rechten bewertet, die Würde(rechte) des Menschen vielleicht mit dem Würde(begehren) des Managers verwechselt.

Würde dieselbe Behandlung einem dieser Straftäter zuteil, der - um einen Sprachgebrauch von Frau von der Leyen auszuborgen - unschuldige Kinderseelen zerfetzt, wäre die Begeisterung für Kritik wahrscheinlich geringer.

Wenn ein Wärter alle 15 Minuten eine Taschenlampe ins Gesicht hält und doofe Fragen stellt, so ist diese Handlung niemals berechtigt. Egal, ob bei Middelhoff oder bei wem auch immer. Das ist schlichtweg Folter und keine Befindlichkeitsstörung oder verletzte Eitelkeit.

Sie haben aber insofern recht, dass diese Praxis der Folter seit Jahren in deutschen Gefängnissen üblich ist. Wenn es irgendwelcihe bedeutungslose Strafgefangene betrifft, dann interessiert sich bei der Presse allerdings keine Sau dafür. Auch wenn die Gefangenen sich noch so sehr beschweren.  Und auch Frau Künast interessiert sich nicht dafür.

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Die Methoden zur Durchführung eines Suizids sind für einen Häftling normalerweise sehr begrenzt. "Pillensammlungen" kann es eigentlich nicht geben, sofern bei Suizidgefährdeten die Medikamente unter Aufsicht eingenommen werden (und nicht ein Monatsvorrat ausgehändigt wird). Schnittwerkzeuge dürften einer Zimmerkontrolle nicht entgehen.

Die meisten Häftlinge sterben durch Erhängen/Strangulieren. Auch hierfür braucht es gewisse Vorbereitungen. Es genügt deshalb, wie schon vorgeschlagen, das Zellenlicht abzudimmen (der Gefangene kann dann schlafen), so dass der kontrollierende Wärter das Zimmer von außen auf etwaige Vorbereitungen überwachen kann.

Es ist hingegen sinnlos, den Gefangenen tatsächlich aufzuwecken, um zu überprüfen, ob er Lebensfunktionen zeigt. Wenn er friedlich im Bett liegt, hat er sich nicht stranguliert. Und wenn die Medikamenteneinnahme zuvor ordentlich überwacht wurde, dann kann er auch keinen Medikamentenvorrat haben.

Im übrigen wird in der Regel die Suizidprophylaxe am effektivsten gewährleistet, indem vorübergehend in eine Zweimannzelle verlegt wird. Ist ohnehin bei Aufnahme fast schon Standard. Der Zellengenosse wird in aller Regel nicht zuschauen, wie der andere sich umbringt.

Die Kontrolle alle 15 Minuten durch Lichteinschalten und ggf. Wachrütteln halte ich für Folter. Wird meiner Erfahrung nach in der Tat gegen renitente Gefangene eingesetzt, um diese zu maßregeln. "Suizidprophylaxe" ist schlichtweg eine Lüge. Im Fall Middelhof hat der Anstaltsarzt im übrigen explizit festgestellt, dass keine Suizidgefahr besteht. Die Überwachung wurde vom Gericht (!!!) angeordnet und vom Anstaltsleiter so festgelegt, entgegen ärztlichen Feststellungen. Schlichtweg dreist.

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/der-fall-middelhoff-brutale-fuerso...

Die Anordnung einer laufenden Überwachung wegen angeblicher Suizidgefahr erfolgte durch den Vorsitzenden der Strafkammer, der im November Middelhoff zu drei Jahren Haft verurteilt hatte.

 

 

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Sehr geehrter Leser,

danke für Ihre Einschätzungen und Überlegungen. Natürlich hätte die Diskussion schon viel früher (und anhand "normaler" Fälle) geführt werden sollen. Leider kann man sich die Anlässe für Diskussionen nicht aussuchen. Ich habe hier im Blog (im ersten Jahr meiner Aktivitäten) vor mehr als fünf Jahren bereits eine Diskussion über Suizid in der U-Haft anzustoßen versucht - es ging damals nicht um einen Manager. Gustl Mollath hat ebenfalls  über die Schlafstörungen durch Taschenlampenkontrollen  in der Unterbringung berichtet, aber darüber wurde im Anschluss nicht diskutiert. Abgesehen davon: Sie vermuten, es habe mit Herrn Middelhoffs früherer Funktion als Manager zu tun, dass er nicht (wie andere) diese Kontrollen einfach hinnimmt. Ich halte dies für eine ziemlich unfaire Spekulation.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Ich hatte keine Kritik am Zeitpunkt des Aufgreifens der Fragestellung durch Sie beabsichtigt - ich weiß, dass Sie das Thema sogar schon vorher angerissen hatten. Mir ging es um die allgemeine Öffentlichkeit. Ich bitte um Entschuldigung, falls dieser Eindruck entstanden sein sollte.

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Wobei wir wieder bei dem Kernthema sind: ohne Öffentlichkeitsarbeit lässt sich bei der Justiz gar nichts bewegen. Und nur wer das Glück guter Anwälte hat (die auch vor solcher Öffentlichkeitsarbeit nicht zurückschrecken, siehe auch Strate) kann heutzutage etwas erreichen. Schade. Ich hatte mir Rechtsstaatlichkeit eigentlich anders vorgestellt.

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Nacht nicht schlafen gelassen zu werden wäre für mich ein Alptraum und würde mich völlig fertig machen.

Solche Praktiken erscheinen mir unverhältnismäßig, wenn nicht gar unmenschlich (und gruselig; es erinnert an den DDR-Stasi-Knast Hohenschönhausen).

Will man darauf hinwirken, ein Suizidrisiko zu veringern, sollte man andere Methoden wählen.

Vielleicht wäre es für die Zeit der Untersuchugshaft auch vertretbar, dem Gefangenen zu erlauben, statt in einer Einpersoneneinzelzelle in einem Haftraum für zwei oder mehr Personen mit einem Menschen seines Vertrauens (Ehefrau, Freundin, Vater, Mutter, Patenonkel, Beichtvater, Bruder, Schwester, Sohn, Tochter, ...) zu leben.

Noch vorzugwürdiger wäre vielleicht, wenn Formen des Hausaurrests die Untersuchungshaft ersetzen könnten.

Rechtfertigung und Gründe für Untersuchungshaft ja Fluchtgefahr und oder Verdunkelungsgefahr, und man sollte in jedem Einzelfall Gedanken machen, ob man diese Gefahren nicht auch auf anderen Wegen als durch Untersuchungshaft hinreichend reduzieren kann.

Middelhoff ist ja schließlich kein Serienvergewaltiger oder Mafiaauftragskiller oder psychotischer Massenmörder oder Totschläger oder Rauschgifthändler oder Terrorist - die von ihm für seine Mitmenschen ausgehende Gefahr dürfte also wohl nicht allzu groß sein.

Wo es an einer lebensbedrohlichen Gefährlichkeit des Untersuchungshäftlings für seine Mitmenschen, oder überhaupt an einer Gefahr für Leib und Leben von Mitmenschen fehlt, sollte der Gesetzgeber überlegen, wie er für Untersuchungshäftlinge (also für Angeklagte, also i.d.R. noch nicht Verurteilte) menschenwürdigere Lösungen finden kann.

Auf der anderen Seite könnte der Gesetzgeber vielleicht zugleich für Leib und Leben von Menschen ganz extrem gefährliche Verbrecher (die zum Beispiel Taten nach §§ 129, 129a, 176a, 176b, 177, 178, 211, 212, 226, 227, 239b, 250, 251, 306a, 306b, 306c, 307, 308, 309, 310, 311, 314, 316c, 328, 330, 330a StGB begehen) die Haft- und Untersuchungshaftbedingungen noch verschärfen.

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Sehr gehrter gast2,

Sie schreiben:

Wenn ein Wärter alle 15 Minuten eine Taschenlampe ins Gesicht hält und doofe Fragen stellt, so ist diese Handlung niemals berechtigt.

Eine solche Vorgehensweise wurde  allerdings gar nicht behauptet.

Sie haben aber insofern recht, dass diese Praxis der Folter seit Jahren in deutschen Gefängnissen üblich ist. Wenn es irgendwelcihe bedeutungslose Strafgefangene betrifft, dann interessiert sich bei der Presse allerdings keine Sau dafür.

Ja, das ist leider so: Eine Nachricht ist es erst, wenn es einen "besonderen" Fall betrifft. Allerdings kann die Diskussion allen Betroffenen nützen.

Und auch Frau Künast interessiert sich nicht dafür.

Ich kenne nicht alle Aktivitäten und Veröffentlichungen von Frau Künast. Sie aber wahrscheinlich auch nicht. Es ist durchaus möglich, dass Frau Künast sich schon vor dem Fall Middelhoff für bessere Haftbedingungen in der U-Haft eingesetzt hat.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr gehrter gast2,

Sie schreiben:

Wenn ein Wärter alle 15 Minuten eine Taschenlampe ins Gesicht hält und doofe Fragen stellt, so ist diese Handlung niemals berechtigt.

Eine solche Vorgehensweise wurde  allerdings gar nicht behauptet.

 

Die Behauptung stammt von "Leser", den ich zitierte. Es ging bei unserer Diskussion darum, ob ein solches - hier nur unterstelltes - Verhalten unter irgendwelchen Umständen berechtigt sein könnte, Kritik daran also nur verletzte Eitelkeit sein könnte.

Allerdings hat "Leser" hier etwas phantasiert und ist vom Thema abgeschweift. Im konkreten Fall wurden in der Tat auch keine "dummen Fragen gestellt".

 

Dennoch scheint soviel festzustehen:

"Dass in Middelhoffs Zelle über vier Wochen alle 15 Minuten das Licht anging und jemand nachschaute, ob der Häftling am Leben war"

Auch nach meiner Kenntnis wird vom Justizangestellten die Klappe geöffnet, mit einer Taschenlampe ins Gesicht des Gefangenen geleuchtet und erst bei sicheren Lebenszeichen (also z.B. Wegdrehen vom Licht) die Prozedur beendet. Letztendlich wird solange mit der Taschenlampe ins Gesicht geleuchtet, bis der Gefangene dadurch gestört ist und sich wegdreht. Dann lebt er.

Das ist Folter. Und das ist Routine in deutschen Gefängnissen.

 

 

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Vielen Dank für den Artikel und den damit verbundenen Überblick. Die Frage nach Alternativen Überprüfungsmethoden hatte sich mir besonders gestellt.

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Ich kenne nicht alle Aktivitäten und Veröffentlichungen von Frau Künast. Sie aber wahrscheinlich auch nicht. Es ist durchaus möglich, dass Frau Künast sich schon vor dem Fall Middelhoff für bessere Haftbedingungen in der U-Haft eingesetzt hat.

Dann sollte sie sich aber für ein Mandat in einem Landesparlament bewerben. Für Strafvollzugsrecht ist der Bund nicht zuständig. Die Diskussion über Haftbedingungen wie die im Fall Middelhoff halte ich für mehr als berechtigt. Ein Unding ist es aber, wenn eine Amtsträgerin des Bundes (Vorsitzende des Rechtsausschusses) offenbar mit ihren eigentlichen Aufgaben so wenig ausgelastet ist, daß sie es für eine gute Idee hält, sich in die inneren Angelegenheiten der Länder einzumischen.

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Sehr geehrter Herr Garcia,

Sie schreiben, bezogen auf Frau Künast:

Dann sollte sie sich aber für ein Mandat in einem Landesparlament bewerben. Für Strafvollzugsrecht ist der Bund nicht zuständig. Die Diskussion über Haftbedingungen wie die im Fall Middelhoff halte ich für mehr als berechtigt. Ein Unding ist es aber, wenn eine Amtsträgerin des Bundes (Vorsitzende des Rechtsausschusses) offenbar mit ihren eigentlichen Aufgaben so wenig ausgelastet ist, daß sie es für eine gute Idee hält, sich in die inneren Angelegenheiten der Länder einzumischen.

Ihre Einwände halte ich für wenig hilfreich.

Politisch denkende Menschen sollten sich immer einmischen dürfen - ob das bei Politikern immer klug ist, kann dann der Wähler entscheiden. Aber hier als erstes auf (fehlende) "Zuständigkeiten" zu pochen, halte ich für relativ abwegig (merkwürdig, so ein diskussionsbremsendes "Argument" wie "innere Angelegenheiten"  von Oliver Garcia zu lesen). Wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten geht, dann ist selbstverständlich auch der Bundestag zuständig. Hier geht es zudem nicht um Strafvollzug, sondern um Untersuchungshaftvollzug, für den eine Gesetzgebungsrestkompetenz beim Bund verblieben ist  (StPO).  Zudem hat Frau Künast  ja schon eine längere Karriere als Politikerin, auch auf Landesebene,  hinter sich (und es ging bei dem  Einwand des Lesers, der ja behauptete, Frau Künast kümmere sich erst jetzt um Haftbedingungen in der U-Haft, ja auch um ihre evtl. früheren Aktivitäten).

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Längerer Schlafentzug ist natürlich Folter,

er führt zu psychischen Störungen und bei Vollständigkeit sogar zum Tod. Im Fall Mollath ist nicht auszuschließen, dass man ihn durch Schlafentzug manifest psychotisieren wollte, um endlich Handfestes in der Hand zu haben. Und damit würden solche Anstalten - ein guter Name in diesem Sinne - zum Gegenteil dessen, was sie sein sollten.  In Haftanstalten könnten auch Motive wie kirre oder mürbe machen eine Rolle spielen.

Gut, dass das Thema aufkommt, denn das ist auch so ein dunkler Ort des Justizvollzugs, ein Eldorado für für verkappte Sadisten im Kostüm einer hinterwäldnerisch vollzogenen Suizidprophylaxepraxis. Frei nach Goethe kommt es eben nicht darauf an, es gut zu "meinen" (der Generaljoker der Justizpsychiatrie), sondern man muss es auch wirklich und richtig tun.

 

Maßnahmen, die zu schwerwiegender Schädigung der Gesundheit führen können, dürften kaum mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein. Sind sie wegen bestehender Suizidgefahr tatsächlich unvermeidbar, dann dürfte unter diesen Umständen die Haftfähigkeit aufgehoben sein. Mag das auch für die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs problematisch sein.

@ Leser #3: wann haben Sie zuletzt eine Blutdruckmanschette getragen? Das Abschnüren des Oberarms oder Handgelenks ist weitaus störender als ein Lichtschein im Gesicht - bei letzterem muss der Überwachte nicht notwendigerweise aufwachen, Blinzeln bzw. Wegdrehen geschehen auch im Schlaf.

Sicher sind weniger "invasive" Maßnahmen denkbar, z.B. auf Basis der Technologie, die Handgelenk-Pulsuhren (d.h. solche ohne Brustgurt) möglich macht (selbst ein Brustgurt dürfte weniger störend sein). Kostet halt Geld und wie "groß" die Bereitschaft der Länder ist, Mittel für den Strafvollzug bereitzustellen, dürfte bekannt sein.

Mein Name schrieb:
@ Leser #3: wann haben Sie zuletzt eine Blutdruckmanschette getragen?

Gestern. ;-)

Ob diese konkrete Maßnahme, welches konkrete Gerät nun geeignet ist, kann nicht in einem Blogkommentar geprüft und entschieden werden. Aber es drängt sich doch wohl für jeden die Frage auf, ob eine Sichtkontrolle (ob nun mit Taschenlampe, Zimmerbeleuchtung, Wachrütteln oder was auch immer) nicht unbedingt der einzige und auch nicht unbedingt der beste Weg ist. Darauf und nur darauf wollte ich hinaus.

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Art. 104 GG Abs.1 S.2

"Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden."

 

Natürlich könnte man eine Abwägungsentscheidung zwischen dem Interesse des Inhaftierten an seelischer und körperlicher Unversehrtheit, welche durch den Eingriff im Schlafrythmus erheblich gefährdet ist, und einer Fürsorgeverpflichtung des Staates vornehmen.

 

Es scheitert hier aber m.E. daran, dass eine berechtigte Sorge im vorliegenden Einzelfall von den Behörden weder begründet noch überhaupt (!) behauptet wird, sondern nur aus allgemeinen Verfahrensumständen geschlossen wird, die für alle Inhaftierten gleichermassen gelten.

 

Lieber Herr Prof. Müller,

 

es war mir bewußt, daß mein Kommentar ein bißchen wie das Störfeuer gewisser Diskussionsteilnehmer klingt, das sie abfeuern, wenn ihnen die "ganze Richtung nicht paßt". Ich sehe aber meine Anmerkung auf einer Linie wie die nachvollziehbare (wenn auch von mir nicht geteilte) Position, Middelhoff sei die falsche Person für die Diskussion des Themas. Frau Künast (über die ich im übrigen als Politikerin keine besondere Meinung habe) ist die falsche Person, hier mit der Autorität einer Rechtsausschußvorsitzenden einen Politiker-O-Ton beizusteuern (so wie eben Journalismus funktioniert: "So, jetzt brauchen wir noch eine knackige Stellungnahme eines Politikers, wen nehmen wir da?"). Ich habe meine Zweifel, daß Künast tatsächlich eine Expertin auf dem Gebiet ist, zu dem sie mal schnell eine Meinung abgeben sollte (etwa als Mitglied einer GRÜNEN-Arbeitsgruppe Strafvollstreckung).

 

Sicherlich liegt es aber auch an meine Grundüberzeugung (mit der ich wahrscheinlich sehr alleine bin), daß die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bund und Ländern nicht irgendein Kompetenzgedöns oder eine Prinzipienreiterei ist, sondern eine grundlegende strukturelle, auch freiheitssichernde Funktion hat.

 

Das "Recht des Untersuchungshaftvollzugs" (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) hat 2006 aufgehört Bundesangelegenheit zu sein. Der Bund kann nur noch Regelungen treffen - und hat sie mit § 119 StPO n.F. getroffen - die unmittelbar der Sicherung der Haftgründe dienen (vgl. die letzte Woche veröffentlichte Entscheidung BVerfG http://dejure.org/2014,34033).

 

Daß ich die Diskussion für gut und wichtig halte, habe ich gesagt.

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@Mein Name

Kostet halt Geld und wie "groß" die Bereitschaft der Länder ist, Mittel für den Strafvollzug bereitzustellen, dürfte bekannt sein.

Also, wenn es wirklich nur am Geld hängt, dann ist es lösbar. Dem U-Häftling kann die Basisversion der Suizdprävention angeboten werden, die Störung durch Licht einschließt, und - "gegen Aufpreis" (Kostenübernahme) - teurere Lösungen. Für Middelhoff, der über Verwandte und Freunde eine Kaution über 900.000 Euro zusammenbekommt, hätte diesen Aufpreis wahrscheinliche gerne gezahlt, um endlich schlafen zu können. Daß eine solche Lösung eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft" der Reichen und Armen mit sich bringt, ist jedenfalls im U-Haft-Vollzug nichts Ungewöhnliches.

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Lieber Herr Garcia,

natürlich kann ich abschätzen, wie das funktioniert mit Journalisten und Politikern. Immerhin aber hat Künast, soweit man ihrem Lebenslauf vertrauen kann,  sogar praktische Erfahrungen im Strafvollzug, was sie schon einmal von schätzungsweise 90% (wahrscheinlich sogar mehr) der MdB unterscheiden dürfte. Was mich an Ihrem Einwand irritiert, ist ja hauptsächlich Ihre Bezugnahme auf "Zuständigkeiten" (Motto: Bundespolitiker sollen gefälligst schweigen zu Vorfällen, die in der Zuständigkeit von Ländern liegen). Demzufolge dürfte ich als bayerischer Professor (und damit Landesbeamter des Freistaats Bayern) auch nicht hier mitdiskutieren über einen Fall aus NRW? Ich halte es im Gegenteil für bemerkenswert, dass sich eine Grüne sehr kritisch zu einem Vorfall im rot-grün regierten Bundesland NRW äußert. Abgesehen davon, dass es sich bei der Suizidprophylaxe im U-Haft- udn Strfavollzug - wie deutlich geworden sein dürfte - gar nicht um ein Problem des Landes NRW handelt, sondern wahrscheinlich um ein bundesweites, ja weltweites,  Problem.

 

Lieber Herr Mustermann,

Sie schreiben:

Natürlich könnte man eine Abwägungsentscheidung zwischen dem Interesse des Inhaftierten an seelischer und körperlicher Unversehrtheit, welche durch den Eingriff im Schlafrythmus erheblich gefährdet ist, und einer Fürsorgeverpflichtung des Staates vornehmen.

Es scheitert hier aber m.E. daran, dass eine berechtigte Sorge im vorliegenden Einzelfall von den Behörden weder begründet noch überhaupt (!) behauptet wird, sondern nur aus allgemeinen Verfahrensumständen geschlossen wird, die für alle Inhaftierten gleichermassen gelten.

Woher wissen Sie, dass es keine Einzelfallentscheidung war?

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:

Woher wissen Sie, dass es keine Einzelfallentscheidung war?

Den Eindruck hatte ich durch die Medienberichterstattung gewonnen.

Mag sein, dass ich die wiederholten Einlassungen von Peter Brock, dem Gewerkschaftsführer, fälschlicherweise dem Anstaltsleiter zugeordnet habe.

Ich meinte aber ein Zitat gelesen zu haben, bei dem der (vermeintliche) Anstaltsleiter einen negativen Promibonus kategorisch zurückgewiesen hat und ebenso wie Herr Brock die allgemeinen Gepflogenheiten einer Haftanstalt herausgestrichen hat.

 

Einen Datenbank zu meinen Fundstelllen habe ich mangels Interesse zu dem Fall nicht mitlaufen lassen, allgemein hat man nicht den Eindruck, dass eine konkrete Gefährdung sich indiziert hat.

 

Ein Ministeriumssprecher, der den Foltervorwurf als "Unverschämtheit" zurückweist, anstatt die für alle unliebsame Massnahme zu bedauern, die in diesem Fall aber geboten war, macht mich dann schon misstrauisch.

Neuerdings den Suizid des Bruders ins Feld zu führen, erinnert nicht nur an Sippenhaft, sondern wird der Persönlichkeitsstruktur eines Topmanagers nicht wirklich gerecht.

 

Die Akten kenne ich natürlich nicht. Das zur Voraussetzung einer öffentlichen Diskussion zu machen, würde die Hürden zum Verstummen hoch ansetzen.

 

Ich gehe schlicht davon aus, dass aufgrund der kolpotierten Erfolge der systematischen Suizidprophylaxe die Herangehensweise dergestalt ist, dass Neuankömmlingen eine besondere Aufmerksamkeit zuteil wird, deren Ausgestaltung schrittweise aufgehoben wird, wenn sich der Häftling

 

a) als Stammkunde erweist

oder b) als "lauffähig" bewährt hat.

 

Bei den stark reduzierten Suiziden ist dieses Vorgehen -d.h. anahnd des Umkehrschlusses- das zu erwartende Mittel der Wahl.

 

Aber Sie haben Recht: Ich weiss es natürlich nicht.

Dem Artikel der Zeit ist zu entnehmen, dass der Anstaltsarzt keinerlei Suizidgefahr gesehen hat.

 

Allerdings schreibt die Welt, dass der Bruder Middelhoffs Suizid begangen habe (familiäres Risiko!) und außerdem mehrere Gutachten Suizid-Gefahr gesehen hätten. Das behauptet zumindest das zuständige NRW-Ministerium.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article139239392/Warum-Middelhoff...

 

Meine Meinung: eine reine Schutzbehauptung.

Und selbst wenn es "Gutachten" gäbe (die gibt es vermutlich nicht), so ist das Einschalten des LIchtes alle 15 Minuten allenfalls eine Methode, um einen Menschen in den Wahnsinn und in den Suizid zu treiben. Ich würde das nicht aushalten. Selbst bei stabilster Verfassung würde ich nach 1, 2 Wochen Schlafentzug versuchen, mich unmittelbar nach einer solchen Kontrolle zu strangulieren. In 15 Minuten ist die Sache vorbei.

 

Das Lichteinschalten ist völlig sinnlos. Normalerweise wird der Neuzugang am Anfang auch einfach in einer Sammelunterkunft untergebracht (mit 1-5 weiteren Gefangenen), bis der Neue sich an die Haft gewöhnt hat. Ist allemal besser als die Schlafentzugsfolter. Außerdem belegen die Zahlen, dass ohnehin nicht für jeden Gefangenen eine Einzelzelle zur Verfügung steht (dafür müssten in Bayern etwa doppelt so viele Zellen vorhanden sein).

 

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Die Rechte von Häftlingen – auch von Untersuchungshäftlingen – sind naturgemäß beschränkt, aber aufgehoben sind sie nicht. Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen endet nicht am Gefängnistor, auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit macht nicht vor Gefängnismauern halt. Und auch die Verpflichtung des Staates, bei Grundrechtseingriffen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten, erstreckt sich auf seinen Umgang mit Gefangenen, und das bedeutet: größtmögliche Schonung ihrer körperlichen Integrität. Die Beurteilung, dass ein über vier Wochen angeordneter Schlafentzug nichts mehr mit Fürsorge zu tun hat, mit Hilfe und Schutz des Gefangenen, sondern nur mehr als Demütigung, Bosheit und Missbrauch einer hilflosen Lage zu begreifen ist, muss nicht erklärt werden – sie versteht sich von selbst.

http://www.berliner-zeitung.de/meinung/leitartikel-zum-schlafentzug-kein...

 

Und zu den Geräten: in Frage kämen auch Pulsoxymeter etc. Aber all diese Geräte haben mit den Sichtkontrollen eines gemeinsam: sie geben erst Alarm, wenn der Patient schon leblos ist. Wie dann die Reanimation durch den Beamten verläuft (er muss ja auch noch Alarm geben, dann auf Hilfe warten - könnte ja eine Falle sein - ,dann Erste Hilfe  leisten) sei mal dahingestellt.

 

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Die in Rede stehende Maßnahme (Überwachung mittels Licht im 15 Minuten-Takt) war eindeutig rechtswidrig. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür lagen zweifelsohne nicht vor.

 

Rechtsgrundlage für die Maßnahme ist § 42 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Ziff. 2 UVollzG NRW. Danach kann gegen einen Gefangenen im Wege einer besonderen Sicherungsmaßnahme zur Verhinderung von Selbstverletzungen "die Beobachtung, (...) auch mit technischen Hifsmitteln" angeordnet werden.  Die Vorschrift entspricht inhaltlich im Wesentlichen § 88 StVollzG. 

 

Zu § 88 StVollzG bzw. den nahezu - wie hier - identischen Regelungen in den Landesstrafvollzugsgesetzen entspricht es der ganz herrschenden Auffassung, dass Befürchtungen oder Vermutungen für die Anordnung von besonderen Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich nicht ausreichen; es bedarf vielmehr konkreter Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr (vgl. die Nachweise bei Arloth, StVollzG, 2. Auflage, § 88 Rn. 1 ff.). Dabei muss der unmittelbare drohende Eintritt des unerwünschten Erfolges bevorstehen.

 

Dass diese Voraussetzungen bei Herrn Middelhoff vorlagen, ist nicht ersichtlich. Die Maßnahme beruhte vielmehr auf der Befürchtung, Herr Middelhoff könne vielleicht Suizid begehen.

 

Die (jeweils kurzzeitige) Beleuchtung des Haftraums war gleichfalls rechtswidrig.

 

Hierfür fehlt es schon an einer Rechtsgrundlage (vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 21.01.2008 - 2 BvR 1661/06, Rn. 43). Denn die maßgebliche Vorschrift spricht lediglich von "technischen Hilfsmitteln". Die Hafraumbeleuchtung dürfte nicht darunter fallen. Abgesehen davon hat das BVerfG (ebenda) unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Vollzugsbehörde prüfen und erörtern müsse, ob anstelle einer Beleuchtung nicht eine "lediglich akustische" Kontrolle des Gefangenen ausreiche; auch müsse zunächst an dein Einsatz von Infrarot- oder Wärmebildtechnik gedacht werden. Darauf, dass dies in der JVA Essen womöglich technisch nicht möglich war/ist, kann sich die Justiz nicht mit Erfolg berufen. Denn es ist Sache des Staates, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, um Verkürzungen der Rechte von Untersuchungsgefangenen zu vermeiden; die dafür erforderlichen sachlichen und personellen Mittel hat er aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen ​(BVerfG, Beschluss v. 10.01.2008 - 2 BvR 1229/07).

 

Die Verteidiger sollten gegen die Maßnahme unbedingt einen Fortsetzungsfestellungsantrag stellen. Ein Feststellungsinteresse ist vorliegend schon aufgrund dessen, dass es hierbei um besonders gewichtige Grundrechtseingriffe handelte, zu bejahen. Sollten die Fachgerichte dies anders beurteilen, wäre der Weg zum BVerfG eröffnet. Eine Verfassungsbeschwerde hätte definitiv Erfolg.

 

Bleibt zu hoffen, dass diese sehr erfolgreiche PR-Aktion der Middelhoff-Anwälte tatsächlich die Möglichkeit schafft, weniger belastende Kontrollen einzuführen (es gibt z.B. bereits Videokameras, deren CCD-Chip auch im Infrarotbereich funktioniert - mit einer solchem Kamera ausgerüstet bräuchte man nachts nur eine IR-Lampe in der Zelle anzuknipsen).

Ich finde es jedenfalls erstaunlich, wie selbstverständlich hier manche Diskutanten die durch nichts belegte Behauptung "Schlafentzug" übernehmen. Ein paar Sekunden Licht wecken niemanden sofort auf.

Mein Name schrieb:
Ich finde es jedenfalls erstaunlich, wie selbstverständlich hier manche Diskutanten die durch nichts belegte Behauptung "Schlafentzug" übernehmen. Ein paar Sekunden Licht wecken niemanden sofort auf.

Wie jetzt?

Middlehof beschwert sich doch!

Und das die Anstalt gesagt hätte : "April, April, das machen wir seit Wochen nicht mehr. Das Dummerchen hat das nur nicht mitgekriegt, weil er am pennen war." hat keiner vernommen.

Wenn hingegen einer brüllt: "Mach das Licht aus!" dann ist sichergestellt, dass er noch lebt.

Anhaltspunkte an der Darstellung Middlehofs zu zweifeln, sind mir nicht ersichtlich.

Mein Name schrieb:
Bleibt zu hoffen, dass diese sehr erfolgreiche PR-Aktion der Middelhoff-Anwälte tatsächlich die Möglichkeit schafft, weniger belastende Kontrollen einzuführen (es gibt z.B. bereits Videokameras, deren CCD-Chip auch im Infrarotbereich funktioniert - mit einer solchem Kamera ausgerüstet bräuchte man nachts nur eine IR-Lampe in der Zelle anzuknipsen). Ich finde es jedenfalls erstaunlich, wie selbstverständlich hier manche Diskutanten die durch nichts belegte Behauptung "Schlafentzug" übernehmen. Ein paar Sekunden Licht wecken niemanden sofort auf.

1) Nach der perversen Denkweise der JVA-Beamten genügt es gerade eben nicht, den Gefangenen nur zu sehen. Er muss auch Lebenszeichen von sich geben. Da es gar nicht so einfach ist, aus der Entfernung "den sich hebenden und senkenden Brustkorb" zu sehen, zumal unter der Bettdecke, so muss der Gefangene geweckt werden.

2) Das Wecken geschieht mittels Lichteinschalten. Ein paar Sekunden Licht wecken praktisch jeden Menschen sofort auf, genauso wie ein paar Sekunden Wecker oder ein paar Sekunden Musik. Dass man danach auch gleich wieder einschläft (meistens) steht hier nicht zur Debatte.

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Wenn es erforderlich ist, nachts einen Strafgefangenen zu überwachen, dann sollte dies die Nachtruhe nicht stören.

Da bietet sich eine Infrarotleuchte und eine infrarottaugliche Überwachungskamera an. Niemand muss die Tür öffnen und das Licht muss nicht angeschaltet werden. Datenschutzrechtlich muss das doch hinzukriegen sein. Und der Gefangene kann ruhig schlafen.

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Hm..in einem anderen Forum wurde angemerkt, dass um in eine Art Schlafentzug zu kommen bzw. dass Schäden/Nebenwirkungen entstehen, es durchaus reicht, wenn man den Betreffenden nicht in den sog. REM-Schlaf kommen lässt.
D.h. um "Gaga" zu werden ist es gar nicht nötig zu wecken....es reicht wenn alle 15 min das Licht angeschaltet wird....

bombjack

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#30

Die Psychologie einer Dauerbeobachtung via Kamera ist nicht als unproblematisch zu werten.

Eingesperrt und dann nie alleine...

Daraus könnte sich in ein Konfrontationsreiz entwickeln, der sich durchaus schädlich auswirkt.

Offen gesagt sympathisiere ich auch mit Ihrer Lösung. Könnte mir aber vorstellen, dass es in diesem Fall zweckmässig wäre, den Status an der Kamera sichtbar zu machen.

D.h. Ein kleines Rotlicht an der Kamera, das bei aktiver Beobachtung leuchtet.

Das Gegenargument ist natürlich immer noch, dass man damit nicht unter die Bettdecke sehen kann. Wer sich also die Pulsadern aufbeisst, könnte immer noch stundenlang unentdeckt bleiben.

 

Generell sollte man über die Zweckmässigkeit eines 15 Minuten Kontrollrythmus auch einmal grundsätzlich nachdenken.

 

Diese Zeitspanne ist so lange, dass ein gewollter Suizid in diesem Intervall bspw. durch Erhängen problemlos möglich ist.

Ein absolut wirksames Instrument, im Sinne von unerlässlich, scheint mir das nicht zu sein.    

Eine frühere JVA-Leiterin mit ausgewiesener Sachkenntnis behauptet nun (wie ein Gewerkschafter schon früher), daß es sich bei den Vorwürfen um anwaltlichen Falschvortrag handele: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/thomas-middelhoff-...

Wenn das stimmt, dann müssen sich die Anwälte warm anziehen. Andernfalls hingegen ist es das Justizministerium, das sich warm anziehen muß, nachdem es bereits abgewiegelt hatte ("Es wird keine Untersuchung geben" - http://www.welt.de/politik/deutschland/article139239392/Warum-Middelhoff...). Denn dann erweitert sich der Vorwurf noch auf den einer höchst ungewöhnliche Sonderbehandlung für Middelhoff - ausgeheckt von dem Strafkammervorsitzenden Jörg Schmitt ("Der Angeklagte hat das Gericht offensichtlich angelogen") und dem JVA-Leiter Alfred Doliwa.

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Lieber Herr Garcia,

ich sehe nicht den Widerspruch, den die Medien hier aufbau(sch)en und den Sie hier offenbar sehen. Es gibt ein Gesprächsprotokoll des Interviews mit Frau Bennefeld-Kersten, hier die entscheidenden Ausführungen:

von Billerbeck: Sie haben Bücher zum Thema verfasst und auch den regelmäßigen Bericht über Suizid im Strafvollzug. Viertelstündliche Sichtkontrollen über Wochen, das ist ja Schlafentzug, und so was gilt anderswo als Folter. Ist so was tatsächlich möglich in einem deutschen Gefängnis?

Bennefeld-Kersten: Möglich ist es grundsätzlich ja, aber ich glaube nicht, dass es auch bei Herrn Middelhoff so angewandt wurde, denn das ist schon richtig, das ist Schlafentzug, aber es kommt natürlich auch darauf an, wie ich dann die Überwachung durchführe.

Es war ja die Rede davon, auch in den Medien, da wird dann die Tür geöffnet, das Licht angemacht und überprüft, ob er noch lebend in seinem Bett liegt. Ich glaube, das wird nicht so gewesen sein, denn das braucht nachts auch viel Personal. Ein Bediensteter allein darf eine Zellentür in der Nacht nicht öffnen, das heißt, es müssen mindestens zwei bis drei Bedienstete dann vor Ort sein.

Vermutlich ist die Überwachung, wenn sie denn wirklich in 15-minütigen Abständen stattgefunden hat, über die Kostklappe gemacht worden. Das ist eine verschließbare Klappe in der Haftraumtür, die gesondert geöffnet werden kann. Und dann kann man da durchschauen und – also, ich sag mal, man sieht ja dann, ob sich da jemand erhängt hat oder nicht, ohne dass man da groß das Licht anmacht oder andere Überprüfungsmethoden macht. Denn es ist so, dass die meisten Gefangenen, die sich getötet haben, 90 Prozent haben sich durch Erhängen getötet.

(Quelle: deutschlandradio: http://www.deutschlandradiokultur.de/ehemaliger-topmanager-middelhoff-zw...)

1. Frau Bennefeld-Kersten ist eine bekannte Expertin für Suizidprävention im Vollzug. Aber sie hat keine besonderen Kenntnisse von diesem Fall und behauptet dies auch gar nicht ("ich glaube nicht", "vermutlich"). Sie  sagt eigentlich auch nur das, was schon oben in meinem Beitrag wiedergegeben wird: Nächtliches Betreten der Zelle, so jedenfalls dier Gewerkschaftsvorsitzende, geht (rechtmäßig) nur, wenn man zu dritt reingeht. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man das viermal die Stunde exerziert. Aber wer behauptet das? Frau Bennefeld-Kersten hat auf eine Frage der Journalistin geantwortet, sie hat nicht explizit den Anwälten widersprochen oder ihnen gar "Falschvortrag" vorgeworfen. Sie kennt offenbar die Haftbeschwerde im Wortlaut gar nicht.

2. Wir wissen gar nicht, was die Anwälte in der Haftbeschwerde genau behauptet haben. Irgendwelche Medien schrieben wohl, Herr Middelhoff sei - regelmäßig alle 15 Minuten  - unter bzw. durch  Betreten der Zelle geweckt worden. Ob das auch die Anwälte behauptet haben, ist mir nicht bekannt. Und das sagt auch Frau Bennefeld-Kersten nicht.

3. Der 15-Minuten-Kontroll-Abstand ist von der Vollzugsbehörde bestätigt:

Ministeriumssprecher Detlef Feige bestätigte aber auf Anfrage des WDR, dass Middelhoff im 15-Minuten-Abstand kontrolliert wurde. Bei einer solchen Kontrolle werde ein Blick durch den Türspion geworfen und gegebenenfalls ein Licht angemacht. Das lasse sich oft dimmen: "Das merken die meisten gar nicht."

Ebenso ist bestätigt, dass die Zelle Herrn Middelhoffs kein abdimmbares Licht hatte:

Er präzisierte später aber, dass sich das Licht in Middelhoffs Zelle nicht dimmen ließ. (Quelle: WDR: http://www1.wdr.de/themen/aktuell/middelhoff-100.html)

Ob und wie oft die Zelle nachts betreten wurde, war bislang  nicht bekannt, Frau Bennefeld-Kersten "glaubt" und "vermutet" - genau wie wir. Jetzt wurde es seitens des Ministeriums ausdrücklich bestritten:

Das nordrhein-westfälische Justizministerium dementierte, dass Mitarbeiter der JVA Middelhoffs Zelle nachts betreten hätten. Ein von den Bediensteten geführtes Meldebuch belege, dass zwischen dem 14. November und 9. Dezember sowie am 18. und 19. Dezember viertelstündlich durch den Türspion kontrolliert worden sei, ob Middelhoff lebe. "Kein Bediensteter hat den Haftraum zwischen 22 Uhr und 6 Uhr betreten", heißt es aus dem Ministerium. (Quelle: Zeit http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/thomas-middelhoff-...)

4. Der von Ihnen zitierte Zeit-Artikel enthält selbst den Widerspruch in diesem entscheidenden Punkt. In dem einen Artikel heißt es, die Anwälte hätten behauptet, die Zellentür sei alle 15 Minuten geöffnet worden: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/thomas-middelhoff-... im anderen (dort verlinkten) Artikel heißt es, die Anwälte hätten in der Haftbeschwerde geschrieben, Herr Middelhoff sei alle 15 Minuten geweckt worden: http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-04/middelhoff-jva-essen-haftbeschwerde. In beiden Artikeln erweckt der Journalist den Eindruck, als kenne er die Haftbeschwerde im Wortlaut.

5. Dass ein Mensch auch davon wach werden kann, dass man an seiner Tür Geräusche macht (ich z.B. kenne das Geräusch einer Kostklappe) und das Licht anschaltet, wissen wir alle aus eigenem Erleben. Ob dies auch bei Herrn Middelhoff (jedes Mal) so war, wissen wir nicht. Ob er absichtlich von dem jeweiligen Vollzugsbeamten  (durch die Kostklappe) geweckt wurde, wissen wir nicht - das werden wir auch wahrscheinlich nie erfahren. Aber das kann auch Frau Bennefeld-Kersten nicht sagen. Vielleicht hat er/haben seine Anwälte übertrieben, und er ist nur 4, 5 oder 10mal pro Nacht wachgeworden, nicht alle 15 Minuten.  Wäre aber fast ebenso schlimm, jedenfalls mir würde das reichen für eine Beschwerde. Und ein empfindlicher Mensch kann davon krank werden, dass er 30 Tage nicht richtig durchschläft bzw. keine Tiefschlafphase erreicht.

6. Wie ich oben in meinem Beitrag geschrieben habe: (Vorsätzliche) Folter muss das nicht gewesen sein, aber eine möglicherweise die rechtmäßige Suizidprophylaxe überdehnende Vorgehensweise. Und auch die kann krank machen, wenn man einen leichten Schlaf hat. Ich glaube, das ist gar nicht bestreitbar.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

P.S.: Ich habe diesen Kommentar überarbeitet.

 

 

 

Den Ausführungen von Prof. Müller kann ich voll und ganz zustimmen.

Ergänzend ist vielleicht noch zu sagen:

Nach meinem Dafürhalten ist diese Form der "Suizidprophylaxe" (Anführungszeichen deshalb, weil sie keine Prophylaxe ist, sondern den Menschen eher in den Wahnsinn treibt) im Denken der deutschen JVA-Beamten tief verwurzelt. Es wird also überall in Deutschland als Suizidpropyhlaxe angeordnet, dass der Gefangene in ca. 15-minütigen Abständen auf Lebenszeichen zu kontrollieren ist. Das läuft in der Praxis ganz einfach ab: Die Kostklappe wird geöffnet (falls noch vorhanden, wird manchmal auch der Türspion benutzt), die Zelle hell erleuchtet (meist Hauptlicht eingeschaltet, manchmal auch die Taschenlampe verwendet) und dann wird gewartet. In der Regel wacht der Gefangene durch das Lichteinschalten auf und gibt dadurch Lebenszeichen von sich. Wenn der Gefangene einen tieferen Schlaf hat, dreht er sich zumindest unwillkürlich im Schlaf weg vom Licht. Wenn sich ausnahmsweise mal gar nichts tut, muss der Beamte halt ein bisschen warten. Irgendwann dreht sich jeder Mensch im Schlaf, bewegt mal einen Arm o.ä

Über diese Methode der Suizidprophylaxe haben sich schon viele Gefangene beschwert, stets vergeblich.

Man kann es Folter nennen, obwohl es von der Anstaltsleitung wohl nicht so gedacht ist. Manche niederen Beamten haben daran allerdings schon ihr sadistisches Vergnügen. Jedenfalls ist es eine sehr sehr dumme Methode und im Ergebnis Folter, auch wenn vielleicht nur Dummheit dahintersteckt und keine Absicht.

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Sehr geehrter Herr Prof. Müller,
dem von Ihnen oben verlinkten WDR-Beitrag entnehme ich, dass im Haftprüfungsantrag keine Rede von einer Erkrankung ist.
Sollten die Anwälte tatsächlich behaupten, die Suizidprophylaxe habe ihn "krank gemacht", werte ich das weiterhin als PR für den Mandanten. Sie wollen ihn halt rausholen trotz Fluchtgefahr, und dazu müssen sie Haftunfähigkeit propagieren.

Mein Name schrieb:
Sehr geehrter Herr Prof. Müller, dem von Ihnen oben verlinkten WDR-Beitrag entnehme ich, dass im Haftprüfungsantrag keine Rede von einer Erkrankung ist.

Beim letzten Haftprüfungsantrag im März war sehr wohl die Rede von einer Erkrankung. Das kann man der Pressemitteilung der NRW-Justiz entnehmen:

http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseOLGs/17_03_2015_...

"Das neue Vorbringen des Angeklagten zu seiner derzeitigen gesundheitlichen Situation rechtfertige kein anderes Ergebnis. Der Senat könne nicht davon ausgehen, dass sich der Angeklagte notwendigen ärztlichen Behandlungen unterziehen müsse, die eine Fluchtgefahr entscheidend herabsetzen würden."

 

Es ist deshalb davon auszugehen, dass auch im Haftprüfungsantrag von April die gesundheitliche Problematik im Vordergrund steht.

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Wenn ich das richtig verstanden habe, dann geht es Herrn Middelhoff nicht um Feststellung und Abwehr menschenunwürdiger Maßnahmen während der U-Haft und ggf. um eine Entschädigung. Es geht ihm um Aussetzung des Vollzugs. Das liegt m.E. auf der Hand und wird auch in der WELT (siehe Link oben bei Hr. Garcia) bestätigt: "Die Verteidiger beantragten sofortige Haftprüfung. Aus Sicht der Verteidigung besteht bei Middelhoff Haftunfähigkeit."

Durch die Erkrankung, insbesondere infolge der Haft, möglicherweise wegen der Maßnahmen zur Suizidprophylaxe, dürfte die Verhältnismäßigkeit für die Fortdauer der Haft wg. Fluchtgefahr nur schwer zu begründen sein. 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Antrag auf Haftprüfung eine Suizidgefahr in Frage stellen wird oder sich mit der Frage befassen wird, ob weniger einschneidende Überwachungsmaßnahmen möglich seien. Vielmehr dürfte der Antrag das als ein ungelöstes Problem der Haft darstellen, und das nicht unbegründet, das bei Middelhoff zu schwerer gesundheitlicher Schädigung geführt habe und die Haftfortdauer mit weiterer Gesundheitsschädigung verbunden sei.

@Mein Name

Nach meinem Dafürhalten überspannen Sie jetzt den rhetorischen Bogen.

Unstrittig ist, dass der Gefangene 28 Nächte am Stück im 15 min. Takt überwacht wurde.

Der Anlass ist uns aus der Medienberichterstattung nicht wirklich ersichtlich. Der ist aber auch nicht entscheidend! Eine Massnahme muss auch während ihrer Durchführung begründungsfähig bleiben (Stichwort: Verhältnismässigkeit).

Wie lautet denn an Tag 20 die Risikoanalyse?

"Jo mei, der Kerl hat sich nun schon 19 Tage und Nächte nicht umgebracht. Der ist echt so heimtückisch und lauert ja nur auf die Gelegenheit sich endlich zu erhängen. Jetzt muss er noch viel intensiver überwacht werden."

 

Und der zweite angesprochene Punkt der behaupteten Fluchtgefahr ist geradezu absurd abenteuerlich:

http://goo.gl/mLNPld

Die Fluchtgefahr scheint aus der überaus günstigen Sozialprognose abgeleitet zu werden. Gespickt mit romanhaften Fantasien von Richtern, Middelhof würde darauf setzen in der fernen Volksrepublik zum Mogul aufzusteigen, um einer 20 monatigen Haftstrafe zu entgehen.

Die Entscheidung ist Slapstick pur.

 

Und natürlich ist es bedauerlich, dass erst ein (vermeintlich) solventer Gefangener auftauchen muss, bevor sich Anwälte finden, die einen bekannten Misstand überhaupt (und öffentlich wirksam) angehen.

 

 

 

 

Von Folter in deutschen Gefängnissen wissen wir nichts. Wir machen nur gründlich Suizidprophylaxe. Und wer unsere Prophylaxe 20 Tage überstanden hat, der ist danach so was von krank und suizidgefährdet, da müssen wir erst recht überwachen ...

http://www.rp-online.de/wirtschaft/unternehmen/thomas-middelhoff-dringt-...

Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte in Berlin, von Folter in deutschen Gefängnissen wisse er nichts. Zuständig für den Strafvollzug seien zudem die Länder. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, die Bundesrepublik werde regelmäßig von Ausschüssen etwa der Vereinten Nationen oder des Europarats unter die Lupe genommen. Bei ihren Besuchen hätten sie keine Fälle von Folter feststellen können.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Medienberichte nach Angaben von Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz nicht kommentieren.

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Schlafstörung statt Schlafentzug ist wohl treffender

Gast schrieb:

http://blog.burhoff.de/2015/04/causa-middelhoff-oder-guantanamo-ist-viel...

Burhoffs kritische Einwände sind wohl richtig. Es handelte sich - anscheinend um sehr häufige - Schlaf- und damit Traumstörungen, die aber auch massive Gesundheitsstörungen nach sich ziehen können, vor allem wenn sie über über längere Zeit und häufig erfolgen.

Hier wäre eine Untersuchung sinnvoll, wenn es denn sachkundige, faire und unabhängige Untersucher gibt.

Gast schrieb:

 

Justizministerium widerspricht Middelhoffs Anwälten

 

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vorwurf-des-schlafentzugs-justizmi...

 

Die üblichen Nebelkerzen. Ich kann der Stellungnahme zwar entnehmen, dass man nachts die Zelle nicht aufgeschlossen hat. Andererseits kann ich nicht lesen, dass man zur Beobachtung des Gefangenen das Licht nicht eingeschaltet hat. Nur darum geht es.

Die allermeisten Menschen werden eben durch Geräusche und Lichteinschalten wach (meine Frau auch, deshalb lass ich das Licht immer aus).

Oder benutzt die NRW-Justiz schon Nachtsichtgeräte?

4

Weder die Überschrift  noch der Text der Meldung der SZ

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/vorwurf-des-schlafentzugs-justizmi...

überzeugen mich: Das Justizministerium widerspricht nur der Annahme, die Zellen seien betreten worden. Ob die Anwälte dies behauptet haben, wissen wir (noch) gar nicht. Es geht in der Sache  um die Frage, ob Herr Middelhoff durch die Kontrollen am Schlaf gehindert wurde. Ein Wecken/Aufwachen  durch Geräusche und/oder Licht bei den regelmäßigen Kontrollen hängt aber nicht davon ab, ob dabei die Zellen betreten wurden.
 

Wie ich soeben erst nachgelesen habe, sind "Schlafentzug" und eine "schwerwiegende Erkrankung" des Angeklagten im Beschluss des OLG Hamm vom 17.03.2015 bereits erörtert worden, allerdings nur in Zusammenhang mit Fluchtgefahr:

Soweit der Angeklagte einen "permanenten Schlafentzug über einen Zeitraum von mindestens 4 Wochen" beanstandet, ist festzustellen, dass nach seinem eigenen Vortrag die Anordnung einer laufenden Überwachung des Angeklagten (wegen vermeintlicher Suizidgefahr) seit Mitte Dezember 2014 nicht mehr umgesetzt wird. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der angeführte Schlafentzug ursächlich für eine schwerwiegende Erkrankung des Angeklagten geworden sein könnte, liegen nicht vor. Sie können auch dem vorläufigen Arztbrief des Universitätsklinikums T2 vom 06. März 2015 sowie allen anderen überreichten ärztlichen Unterlagen nicht entnommen werden.

Der vorgenannte Arztbrief lässt auch im Übrigen zum derzeitigen Zeitpunkt auf keine schwerwiegende Erkrankung des Angeklagten schließen, die der Annahme von Fluchtgefahr entgegenstünde.

Für eine Aufhebung der Haftfähigkeit gab es offenbar noch keinen Anhalt.

Ein sehr richtiger Kommentar: http://blog.zeit.de/recht-subversiv/2015/04/09/middelhoff-ist-nicht-der-...

Vor allem:

Doch der eigentliche Skandal ist, dass es des Falles Middelhoff bedurfte, um diese Praktik ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen, die laut dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen allein in der JVA Essen im Schnitt bei 20 bis 30 Häftlingen gleichzeitig angewandt wird.

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