Suizidprophylaxe oder Folter? Zum Fall Middelhoff

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 08.04.2015

Die Anwälte von Thomas Middelhoff haben vorgestern öffentlich beklagt, Herr Middelhoff sei als derzeitiger Untersuchungshäftling über mehrere Wochen hinweg mittels ständiger Sichtkontrollen tags und nachts am Schlaf gehindert worden und aufgrund dessen schwer erkrankt. (Bericht: Süddeutsche, Bericht Wirtschaftswoche vom Dezember 2014)

Die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, Renate Künast (Grüne), und andere Politiker haben bereits Stellung genommen. (Berliner Zeitung)

Die Praxis wird mit der Folter in Guantánamo und Abu Ghraib verglichen, oder mit Methoden der DDR-Staatssicherheit. In Law-Blogs ist ebenfalls von „Faktischer Folter“ die Rede. (law-blog) (blog der kanzlei hoenig)

Der Anstaltsleiter der JVA Essen, in der die Untersuchungshaft vollzogen wird, hat den Sachverhalt bestätigt: Herr Middelhoff sei als suizidgefährdet eingestuft worden, weshalb rund um die Uhr ca. alle 15 Minuten eine Kontrolle stattgefunden habe. Offenbar wurde dazu nachts auch das Licht eingeschaltet, um einen Suizidversuch Middelhoffs auszuschließen (Quelle: WDR)

Suizidprophylaxe ist in Haftanstalten, speziell bei erstmaliger Inhaftierung, unverzichtbar. Dazu gehört in der Praxis meist (auch in anderen Ländern) die besondere Überwachung von Gefangenen, bei denen anhand gewisser Merkmale ein erhöhtes Suizidrisiko angenommen wird (vgl. wikipedia: suicide watch). Diese Praxis – engmaschige zeitliche „Sichtkontrollen“ bzw. Lebendkontrollen“, nachts einhergehend mit Decken- oder Taschenlampenlicht –  wird auch für andere Anstalten bestätigt. Auch Gustl Mollath hatte in der Unterbringung darunter zu leiden, dasselbe twittert Jörg Kachelmann von seiner U-Haft 2010 in Mannheim. Man geht davon aus, dass der Rückgang der Selbsttötungsrate in Vollzugsanstalten auch mit der systematischen Suizidprophylaxe zusammenhängt, die man in den vergangenen Jahrzehnten implementiert hat. Allerdings ist auch die Kritik an dem speziellen Überwachungsregime über (vermutet) Suizidgefährdete nicht abgerissen, denn diese Art Überwachung ist stark belastend (siehe auch schon mein früherer Beitrag zum Thema Suizid in der Haft).

Ein absichtliches viertelstündiges „Aufwecken“ des Überwachten ist für die Kontrolle nicht erforderlich und ist - schon nach wenigen Tagen - offensichtlich gesundheitsschädlich; solche Maßnahmen dürften eindeutig rechtswidrig sein. Dass dies im Fall Middelhoff geschehen sei, wird auch bestritten bzw. nicht bestätigt:

Berichte, wonach Beamte den Raum betreten hätten und Middelhoff während der Überwachung auch geweckt worden sei, wollte das Ministerium nicht bestätigen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Strafvollzug in NRW, Peter Brock, hält dies allerdings für so gut wie ausgeschlossen. "Um nachts eine Zelle zu öffnen, braucht man drei Justizbeamte, das ist Vorschrift. Der Aufwand ist viel zu groß." In einer Anstalt von der Größe der JVA Essen würden ständig zwischen 20 und 30 U-Häftlinge wegen Suizidgefahr überwacht. Middelhoff sei kein Ausnahmefall. In der Regel reiche auf Grund der Erfahrung der Beamten der Blick durch den Gucker in den erleuchteten Raum. (Quelle: Bericht in der "Welt")

Aber auch für jemanden, der bei solchen Kontrollen durch Licht oder Geräusche regelmäßig aufwacht, obwohl er nicht absichtlich geweckt wird, kann ein langfristiger gesundheitsschädlicher Schlafentzug die Folge sein, wie ihn jetzt die Verteidiger Middelhoffs beklagen. Zwar ist dies mit einem absichtlichen Schlafentzug als verbotene Vernehmungsmethode oder Folter nicht gleichzusetzen, kann aber auf den Betroffenen ganz entsprechende Auswirkungen haben.

Zudem wird von Insidern ein möglicher Missbrauch der Kategorisierung „suizidgefährdet“ zur Sanktionierung missliebiger Gefangener beklagt.

Es erscheint fraglich, ob eine effektive Überwachung nicht auch anders durchführbar ist. Denkbar wären modernere Überwachungstechniken (Kontrolle bei abgedimmtem Licht, Videoüberwachung, Kreislaufmonitor), die allerdings ihre eigenen Nachteile aufweisen können, vgl. Interview mit einem Gefängnispsychologen auf Zeit-Online.

Update (09.04.2015): Herr Garcia hat auf einen Artikel in der Zeit hingewiesen, demzufolge Frau Bennefeld-Kersten, eine ausgewiesene Expertin für Suizidprävention im Strafvollzug die Version der Anwälte in Frage stelle. Auch die Süddeutsche Zeitung meint jetzt, das Justizministerium widerspreche den Anwälten. Im Moment sehe ich keinen Anlass, aufgrund dieser Information meine Einschätzung des Falls zu ändern. Ich verweise auf meinen Kommentar unten (Kommentar #34).

Update (14.04.2015): Mich hat heute eine Presseerklärung der Verteidigung Herrn Middelhoffs (RAe Sven Thomas/Udo Wackernagel) erreicht. Der Sachverhalt wird darin so dargestellt:

Alle 15 Minuten sei bei jeder Kontrolle von Herrn Middelhoff ein Lebenszeichen erwartet worden ("Rufen", "Heben des Kopfes oder eines Armes"). In Einzelfällen sei der Haftraum betreten worden, wenn Herr Middelhoff kein Lebenszeichen gegeben habe. Im Regelfall sei er schon durch die ("taghelle") Neonbeleuchtung oder Geräusche beim Öffnen der Sichtluke geweckt worden. Der Mandant habe stundenlang wachgelegen oder sei in 15-minütigen Abständen geweckt worden. Man bleibe daher beim Vorwurf des massiven Schlafentzugs. Der Mandant habe keine Bemerkunegn gemacht, die auf eine Suizidgefahr hinwiesen, im Gegenteil habe er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man sich um ihn diesbezüglich keine Sorgen machen müsse. Die "angebliche" Erklärung von Frau Middelhoff datiere - "unabhängig davon, ob sie überhaupt erfolgte"  - aus dem März 2015, sei also nicht Anlass für diese Maßnahmen gewesen.

Update (23.04.2015): Zum Fall Middelhoff  ist nun eine Bericht des NRW-Justizministeriums veröffentlicht worden. Entscheidend für die Bewertung soll danach sein, dass weder Herr Middelhoff noch seine Verteidiger sich während der laufenden Maßnahme dagegen beschwert hätten. Im Übrigen entspreche die Maßnahme der Standard-Suizidprophylaxe, wie sie überall praktiziert werde und wogegen es - soweit dem Minister bekannt - bislang kaum Beschwerden gegeben habe.

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183 Kommentare

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@Kolos

Langsam werde ich neugierig. Könnten Sie Ihr Textverständnis nochmal erklären?

M.E. ist der Wortlaut klar.

Eine Störung der Ordnung ist namentlich eine Selbstverletzung des Insassen.

Der Begriff "vermeiden" kann nur zukunftsgerichtet aufgefasst werden. Noch präventiver oder prophylaktischer, wenn Sie wollen, kann man sich doch gar nicht ausdrücken.

 

Ich verstehe nicht, wie Sie daran "vorbeikommen" wollen.

@Max Mustermann

Mir ist der Wortlaut eigentlich auch klar, nur das Ergebnis nicht gerade zufriedenstellend. Dass die Haftanstalt erst einen gescheiterten Selbstötungsversuch abwarten muss, um eine Beobachtung anzuordnen ...? Da kann man schon mal überlegen, ob man die Ermächtigungsgrundlage nicht auch anders lesen und auslegen darf.

@Kolos

Ich kann Ihnen nicht folgen.

Zur Vermeidung des Erfolgseintrittes sind Massnahmen zulässig.

Eine Selbstverletzung würde eine Störung der Ordnung bewirken, um eine solche zu vermeiden, darf man den Insassen daran hindern.

Kein Mensch muss abwarten. 

Das Gesetz ermächtigt ja gerade zu Sicherungsmassnahmen, um den Erfolg zu vermeiden/ resp. die Handlung zu verhindern.

Anscheinend haben die Strafverteidiger von Herrn Middlehoff nicht ausdrücklich behauptet, daß seine Zelle nachts betreten und er wachgerüttelt und geweckt würde, aber sie scheinen so etwas möglicherweise wohl einigen Journalisten gegenüber suggeriert zu haben, bzw. vielleicht entsprechende Mißverständnisse billigend in Kauf genommen zu haben.

100% seriös fände ich solche Verteidigungs- und Öffentlichkeitsarbeitstaktiken (wenn sie denn tatsächlich wie von mir vermutet stattgefunden haben) nicht. 

Auf der anderen Seite ist es jedenfalls gut und ein Verdienst, daß überhaupt einmal bekannt geworden ist daß es hierzulande in Justizvollzugsanstalten solche unter humanitären und gesundheitlichen Gesichtspunkten bedenkliche Praktiken gibt (unabhängig davon ob sie auch im Fall Middlehoff tatsächlich vorlagen).

Das bloße nächtliche Licht einschalten und durch das Türloch gucken finde ich weit weniger schlimm, denn man kann sich als zu Bett gehender doch wohl durch eine Schlafbrille (oder Augenbinde) weitgehend davor schützen, hierdurch aufgeweckt zu werden.

Bei ganz besonders empfindlichen Menschen mag eine Schlafbrille oder Augenbinde nicht ausreichend sein, aber daß Middlehoff diesbezüglich unter einer Überempfindlichkeit leidet (und deshalb besonders schoned behandelt werden müßte) ist wohl weder vorgetragen noch dargelegt oder gar bewiesen worden.

 

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@ Waldemat Robert Kolos: ich kann Ihre Verständnisschwierigkeiten nicht nachvollziehen. Die Sicherheit einer Anstalt erstreckt sich auch und gerade auf die Sicherheit der Person der Insassen. Es besteht eine Schutz- und Fürsorgepflicht gegen Verletzungen durch andere und auch durch einen selbst. Mit "vermieden oder behoben" ist gerade eben nicht - wie von Ihnen behauptet - abzuwarten, bis eine Störung vorliegt.

Wo genau sehen Sie denn das Bestimmtheitsgebot verletzt? In Absatz 2 sind die besonderen Sicherungsmaßnahmen aufgezählt, unter anderem die Beobachtung.

Warum sollten Gefangene nicht auch den Freitod wählen können?

Also Selbsttötung nicht aus einer psychischen Störung von Krankheitswert heraus oder als Verzweiflungsreaktion, sondern als wohlabgewogener Bilanz-Suizid ohne jeden Krankheitswert.

 

RSponsel schrieb:

Warum sollten Gefangene nicht auch den Freitod wählen können?

Also Selbsttötung nicht aus einer psychischen Störung von Krankheitswert heraus oder als Verzweiflungsreaktion, sondern als wohlabgewogener Bilanz-Suizid ohne jeden Krankheitswert.

 

Im Prinzip völlig richtig. Aber problematisch kann es gerade bei U-Haft sein.

Ein Beispiel:

Ein bis dato völlig unbescholtener Bürger, unschuldig, wird in U-Haft genommen. Er verliert - völlig zu Unrecht - seine gesamte wirtschaftliche, bürgerliche Existenz. Er verkraftet die U-Haft nicht, er verzweifelt völlig. Er zieht Bilanz: Der Staat verfolgt mich, ich habe keine Chance gegen diese Übermacht. Das Leben hat keinen Sinn mehr für mich. Er wählt den Freitod.

Das fürchtet der Staat. Er scheut sich zwar nicht, sehr großzügig U-Haft zu verhängen ("U-Haft schafft Rechtskraft") und die Menschen damit zu beugen und zu brechen. Doch den Suizid will er nicht. Den scheut der Staat wie der Teufel das Weihwasser. Verständlich.

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@Mein Name @ Max Mustermann

 

Ja, man kann - wie Sie - den Gesetzeswortlaut so verstehen, dass der Gesetzgeber die Haftanstalt zur Ergreifung von besonderen Sicherungsmaßnahmen ermächtigt, um Störungen zu vermeiden. Aus dem Wort "vermeiden" leiten Sie ab, dass dafür keine Störung vorliegen muss. 

Wenn es so wäre, dann wäre schon die Ermächtigungsgrundlage zweifellos verfassungswidrig. 

Störungen werden beseitigt durch Beseitigungsmaßnahmen. Gefahren werden abgewehrt durch Abwehrmaßnahmen. Das geht so weit in Ordnung. Denn selbstverständlich soll die Behörde nicht erst abwarten müssen, bis die Schädigung eines Rechtsguts eingetreten ist und noch andauert, um tätig werden zu dürfen. 

Gefahr ist eine Sachlage, in der es bei ungehindertem Ablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu Schädigung eines Schutzgutes kommen wird. Diesen Ablauf muss die Behörde verhindern dürfen, wenn sie auch dafür in subjektive Rechte des Störers eingreifen muss, ohne dass es zu einer Rechtsschädigung gekommen ist. Die Ermächtigung zur Vermeidung von Rechtsgutschädigung (Störung) - wie sie von Ihnen und dem  BSBD-NRW in § 42 UVollzG-NRW gesehen wird - geht aber weit über die Gefahrenlage hinaus. Es reicht die bloße Möglichkeit aus, dass es zu einer Schädigung des Rechtsguts kommen könnte. Es geht also um Beseitigung bloßer Möglichkeiten. Das soll verhältnismäßig sein und dafür soll die Haftanstalt in Grundrechte U-Gefangener eingreifen dürfen, weil sie der Gesetzgeber dazu ermächtigt habe und weil angeblich die bloße Möglichkeit bestehen soll, dass U-Gefangene ihre eigenen Rechte verletzen könnten? 

Neben den Beseitigungs- und Abwehrmaßnahmen soll es also auch noch Vermeidungsmaßnahmen geben dürfen?

Sehr geehrter Herr Dr. Sponsel,

mir ist ein Fall bekannt, indem ein in U-Haft inhaftierter Angeklagter dazu gedrängt worden ist, den "Freitod" zu wählen, um seiner Familie die "Schande" seiner (als sicher erwarteten) Verurteilung und Schuldigsprechung zu ersparen.

Der inhaftierte Angeklagte ist dann den Wünschen seiner Umwelt auch nachgekommen, und hat sich selbst getötet.

Obwohl für die Justizbehörden die Suizidgefahr zumindest nicht fernliegend war, hatte man dem Inhaftierten seinen Gürtel belassen.

Ich habe mich gefragt, ob in dem konkreten Fall (der Angeklagte war Jurist - mehr kann bzw. darf ich im Hinblick auf sein postmortales Persönlichkeitsrecht und mit Respekt und Rücksicht und vor seinen Angehörigen dazu nicht sagen) vielleicht auch die Justizbehörden den Tod billigend in Kauf nahmen, und ob die Justizbehörden die angeklagten Taten vielleicht sogar so peinlich und beschämend fanden, daß sie den Suizid als "beste Lösung" ansahen.

Auch wenn die Tat, die ihm vorgewurfen wurde, objektiv sehr schlimm war (was der Täter im Tatzeitpunkt offenbar nicht hinreichend erkannt hat, sondern was ihm anscheinend erst viele Jahre später klar wurde, als er inhaftiert und angeklagt wurde), so fand ich die "Lösung" doch auch sehr schlimm.

Ich habe mich gefragt, ob eine Gesellschaft das Recht hat, mit ihren Mainstream-Vorstellungen von "Ehre" und "Schande" einen Menschen unter Druck zu setzen und von ihm den Suizid zu verlangen, und ob Justizbehörden so etwas ignorieren oder in Kauf nehmen oder dulden dürfen.

In den konkreten Fall mag so etwas vielleicht gerade so eben noch akzeptabel gewesen sein, aber die Mainstream-Vorstellungen von "Ehre" und "Schande" könnten zukünftig vielleicht auch manipuliert und von inhumanen politischen Strömungen oder von inhumanen religiösen Strömungen mißbraucht werden.

Ich bin mir sehr unsicher, tendiere aber eher zu der Meinung, daß die Justizbehörden einen Suizid eines Inhaftierten grundsätzlich vermeiden sollten.

Als vor einigen Monaten (meiner Erinnerung nach wohl in Belgien) einem Sexualstraftäter eine Therapie verweigert und stattdessen eine Inanspruchnahme einer "Sterbehilfe" nahegelegt wurde, fühlte ich mich an den Suizidfall des deutschen Juristen erinnert.

Auch, weil in den dunkelsten Stunden deutscher Geschichte unbequemen Personen durch die damals tonangebenden Machthaber oft ein Suizid nahegelegt wurde, und entsprechender Druck ausgeübt wurde, und solche Maschen als Machtinstrument eingesetzt und mißbraucht wurden, finde ich solche Praktiken besonders gruselig.

Zeitgleich wurde in Japan auf angebliche "Versager" Druck ausgeübt, sich selbst zu töten, sei es durch ein Schwert, ein Messer, oder einen Kamikazeeinsatz.

Früher ging es Menschen die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen ähnlich.

Manchmal wurde auch auf unehelich schwanger gewordene Frauen solch ein Druck zum Suizid ausgeübt, oder auf "Ehebrecherinnen", oder Homosexuelle, oder "Vaterlandsverräter".

Ich weiß nicht, ob wir heute (und bis in alle Zukunft) vor so etwas wirklich immer 100% sicher gefeit sind (auch wenn es heute wohl andere Verhaltensweisen oder Vorfälle oder Taten sind, die heute als so ähnlich verachtenswert betrachtet werden, wie man früher halt andere Vorfälle und Taten als besonders unehrenhaft und verachtenswert betrachtete).

Ich tendiere nach all diesen Erwägungen zu der Meinung, daß die Justizbehörden grundsätzlich einen Suizid eines Gefangenen verhindern sollten.

Nur in dem Ausnahmefall, daß ein Gefangener unheilbar und schmerzhaft erkrankt und sicher todgeweiht ist und bloß noch unter Schmerzen leidend dahinsiecht, mag vielleicht ausnahmsweise ein Suizid durch die Justizbehörden zu dulden sein, aber selbst dabei hätte ich ein sehr mulmiges Gefühl.

Über solche Fälle zu entscheiden dürfte jedenfalls nicht leicht sein.

Ich würde solch eine Entscheidung wohl nicht treffen mögen.

 

0

@ Hr. Sponsel: Ihre Frage ist derart daneben, dass sie es eigentlich verdient hätte, unkommentiert stehengelassen zu werden.

Da sich nun doch einige geäußert haben, versuche ich es mit klaren und dennoch einigermaßen höflichen Worten.

1. mit der Freiheitsentziehung wird nicht nur die Bewegungsfreiheit entzogen, sondern auch die Freiheit, bestimmte Entscheidungen zu treffen, zumindest eingeschränkt (die freie Arztwahl als nur ein Beispiel, aber auch die Kommunikationsfreiheit usw.).

2. als teilweiser Ausgleich dieser Einschränkung/Entziehung der Freiheit entsteht eine Fürsorgepflicht der freiheitsentziehenden Institution. (Ist Ihnen das nicht einsichtig, denken Sie über das Verhältnis zwischen Kindern und deren Eltern nach)

3. die U-Haft ist nichts Endgültiges, sondern nur eine vorübergehende Maßnahme. Die Fürsorgepflicht gebietet es daher, voreilige Bilanzselbstmorde zu verhindern.

4. Zweck der rechtskräftigen Strafhaft ist die Vorbereitung auf bzw. Befähigung zu einem Leben ohne Straftaten. Nachzulesen in § 1 eines beliebigen deutschen Strafvollzugsgesetzes. Ein Leben, nicht der Tod. Gehe zu Punkt 3 Satz 2. 

Kurz gesagt: ein Gefangener ist nicht frei, daher gibt es auch keinen Freitod für ihn.

Sehr geehrter Herr Sponsel,

die Frage, ob es "Freitod" gibt in der U-Haft-Zelle,  hatten wir schon. Der erste Kommentar unter meinem Beitrag stellte dieselbe Frage. Beim Bilanz-Freitod in Unfreiheit ist kaum einmal eine Suizid-Suggestion auszuschließen, dem Inhaftierten wird etwa suggeriert, seine Lage sei "aussichtslos". Ich kann mir im Gegensatz zu Ihnen nicht vorstellen, dass man einen solchen Suizid als "wohlabgewogen" ansehen kann. Und vollkommen zynisch wäre es, wenn der Staat davon ausginge, ihn, den Staat ginge das nichts an - es sei ja wahrscheinlich "wohlabgewogen". 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Freitod ist ein Grundrecht

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Herr Sponsel,

die Frage, ob es "Freitod" gibt in der U-Haft-Zelle,  hatten wir schon. Der erste Kommentar unter meinem Beitrag stellte dieselbe Frage. Beim Bilanz-Freitod in Unfreiheit ist kaum einmal eine Suizid-Suggestion auszuschließen, dem Inhaftierten wird etwa suggeriert, seine Lage sei "aussichtslos". Ich kann mir im Gegensatz zu Ihnen nicht vorstellen, dass man einen solchen Suizid als "wohlabgewogen" ansehen kann. Und vollkommen zynisch wäre es, wenn der Staat davon ausginge, ihn, den Staat ginge das nichts an - es sei ja wahrscheinlich "wohlabgewogen". 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

na ja, es war mehr als eine Frage. Zur persönlichen Autonomie, Selbstbestimmung und Freiheit gehört nach meinem Verständnis auch die Selbstötung, der Freitod: Prototyp Sokrates - oder soll der auch pathologisiert werden? Diese Möglichkeit hat der Staat nicht zu vereiteln, sondern zu schützen und zu respektieren, wenn nicht psychopathologische Ursachen dominieren (wobei "nicht ausschließen können" natürlich kein Argument sein kann, weil man fast nichts ausschließen kann).

Es kommt hier sehr darauf an, die Begriffe einigermaßen auseinanderzuhalten und die eigene Vorstellungswelt nicht unbedingt zum Maß machen. Ich habe jüngst anlässlich der Debatte um den Flug 4U9525 mal eine Klassifikation vorgenommen. Es gibt unterschiedlich motivierte Selbsttötungen, die sprachlich nicht genau geregelt sind. Im wesentlichen können derzeit mehrere Hauptgruppen unterschieden werden:

  1. Suzid aus einer psychischer Erkankung heraus, z.B. schwere Depression.
  2. Suizid aus verzweifelter Lebenssituation, spontane Impulshandlung.
  3. Freitod aus wohlabgewogener Motivations- und Lebenslage ("Bilanzselbstmord", Kamikazeflieger, "Opferselbstmord").
  4. Inkaufnahme des eigenen Todes z.B. bei einigen "SelbstmordattentäterInnen", Wetten oder Kampfritualen ("Selbstmordkommandos", also Aktionen mit sehr hohem Todesrisiko).
  5. Verunglückte Selbsttötung, die demonstrativ gemeint war.
  6. Unbeabsichtigte Selbstötung durch Leichtsinn oder Fehleinschätzung des Todesrisikos.
  7. Selbsttötung als Folge fehlerhafter Handlungen, Verkettung unglücklicher Umstände
  8. Selbsttötung als Irrtumshandlung
  9. X  sonstiger hier nicht berücksichtigter Fall

Nicht alle Selbsttötungen müssen pathologisiert werden (1,2). Zur Problematik der Definition ausführlich und kritisch Zwingmann (1965).

Quelle: http://www.sgipt.org/doceval/epidem/suizid/suizide0.htm

 

 

 

 

 

Ein Freitod-Plan, Herr Sponsel, lässt sich wunderbar unter Fluchtgefahr subsumieren. Dennoch darf U-Haft nach wohl h.M. nicht wegen Selbsttötungsabsichten angeordnet werden. In der Anordnung von besonderen Sicherungsmaßnahmen sieht man dann aber überhaupt kein Problem - wegen besonderer Fürsorgepflicht. Fürsorgepflichten sind rechtshistorisch ein sehr praktisches Mittel, um Eingriffe des Staates zu rechtfertigen. Ich bin daher sehr skeptisch, wenn es darum geht.

Wie Professor Müller kann ich mir aber einen wohl abgewogenen Freitod mit Ausnahme ganz weniger Sachverhalte nicht vorstellen. Ich sehe darin einen kranken Zustand, wenn auch nur von kurzfristiger Dauer. Meine Sicht hilft mir aber auch nicht wirklich weiter. Denn konsequenterweise müsste man dann die Haftfähigkeit infrage stellen.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 827/98 -

b) Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) kann durch staatliche Maßnahmen verletzt werden, die eine depressive Erkrankung bewirken und so zu einer konkreten Lebensgefahr führen (vgl. BVerfGE 52, 214 <219 ff.>; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Mai 1994 - 1 BvR 549/94 -, NJW 1994, S. 1719 f., und vom 8. September 1997 - 1 BvR 1147/97 -, NJW 1998, S. 295 f.).

So was kann wirklich nur einer JuristIn einfallen

WR Kolos schrieb:

Ein Freitod-Plan, Herr Sponsel, lässt sich wunderbar unter Fluchtgefahr subsumieren.

Entschuldigung, aber das musste jetzt raus.

1. Ich bin vollkommen ohne Erfahrungen oder Kenntnisse zu diesem Thema. Mir ist aber bewusst, das U-Haft eine Notwendigkeit hat und gleichzeitig ein Vorgriff auf Entzug von Rechten darstellt, die der Betroffene eigentlich noch beanspruchen kann. Es gilt die Unschuldsvermutung und damit im Prinzip alle Grundrechte. U-Haft hat also "nur" einen Sicherungszweck und keinen Bestrafungszweck.

2. "U-Haft schafft Rechtskraft" soll locker dahergesagt werden. Wo?

Nicht wörtlich, aber singemäß z.B. in http://blog.beck.de/2009/11/03/zum-suizid-in-der-untersuchungshaft

"Es liegt nahe, die „harten“ Haftbedingungen in der Untersuchungshaft verantwortlich zu machen: In der Tat wird hier häufig noch immer der 23-stündige Einschluss in der Zelle ohne Arbeitsmöglichkeiten praktiziert (siehe dazu aber den Einwand von Bothge im Kommentar!). Die Aussicht auf Verlegung in die Strafhaft hat deshalb wohl schon manchen Verurteilten davon abgehalten, Rechtsmittel einzulegen."

Mein Eindruck ist, das 1. und 2. unvereinbar sind und in diesem Widerspruch wesentliche Ursachen für Suizid-Neigung in U-Haft liegen könnte. Machtdemonstration des Staates. Was bedeutet Abhalten vom Einlegen eines Rechtsmittels konkret? In Freiheit wäre dies z.B. durch bewusst falsche Rechtsmittelbelehrung oder falsche gerichtliche Hinweise zur Aussichtslosigkeit der Verteidigung erfüllt. Eine Rechtswidrigkeit. Der Freie hat aber noch einige Möglichkeiten und Quellen, die er zur Überprüfung nutzen kann. Er kann es auch darauf ankommen lassen und sich bis dahin frei bewegen. Der U-Häftling hat viele dieser Möglichkeiten nicht mehr. Sein Leben ist definitiv unterbrochen und steht unter Zwang. Welche Rechte hat er überhaupt noch?

Eine Suizidprophylaxe müsste zuallererst bei den Ursachen der Entstehung ansetzen, denn es geht bei Prophylaxe um Ursachenvermeidung an der Quelle. Sonst ist die Verwendung dieses Begriffs eine Täuschung. Wer ordnet diese Maßnahmen aufgrund welcher Analyse oder Feststellung an? Wer prüft die Sinnhaftigkeit der Maßnahme und eine angemessene Ausführung? Wie wurde oder wird das Ergebnis methodisch überprüft? Ist allein der ermittelte Rückgang von erfassten Suiziden in U-Haft die Erfolgskontrolle und Bestätigung der Maßnahmen? Kann es dafür andere Erklärungen geben, z.B. der genannte Verzicht auf Rechtsmittel mit Verlegung in den Strafvollzug, geringere Strafen bei Geständnis, Deals?

Wenn ich faktisch als Staat mit harter "U-Haft schafft Rechtskraft" frohlocke und dazu aus Angst, es könnte (zu unrecht) Verdächtigte das Leben kosten, "prophylaktisch" und zusätzlich zum Freiheitsentzug Dauerüberwachung und Schlafentzug verordne, dann muss ich dafür einen eindeutigen Begriff finden. Ist es prophylaktische Folter zur Brechung des Willens oder ist es wirklich Fürsorge für den noch Unschuldigen?

Wirkliche Fürsorge lässt sich prüfen. Wie zügig, wie objektiv werden die Ermittlungen vorangetrieben? Findet eine Vorverurteilung statt? Werden dem U-Häftling Prozessrechte verzögerungsfrei und erreichbar gewährt? Wird er menschenwürdig und den Umständen entsprechend noch respektvoll behandelt?

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@Lutz Lippke

Ich frage mich, warum noch niemand darauf gekommen ist, die U-Haft wegen Fluchtgefahr im gelockerten Vollzug (Freigänger) zu ermöglichen. Wäre das nicht eine angemessene Zwischenlösung? Ist das wirklich so fernliegend oder abwegig?

WR Kolos schrieb:

@Lutz Lippke

Ich frage mich, warum noch niemand darauf gekommen ist, die U-Haft wegen Fluchtgefahr im gelockerten Vollzug (Freigänger) zu ermöglichen. Wäre das nicht eine angemessene Zwischenlösung? Ist das wirklich so fernliegend oder abwegig?

Zumindest nicht allzu fernliegend (ein komisches Wort, das wohl nur Juristen intensiv nutzen ;-)

Ich befürchte aber, dass das Problem tiefer liegt. Ich habe, wie schon geschrieben, keine relevanten Erfahrungen mit Strafsachen, aber Vergleiche mit Zivilsachen sind ja nicht grundsätzlich unmöglich.

So kenne ich eine profane Zivilsache (formale Zwangsvollstreckungssache) wo zu Beginn vor 2 1/2 Jahren auf ca. 20 Aktenblättern alle Informationen beisammen und zu bescheiden waren. Es folgten 2 1/2 Jahre, in denen aus dieser einen Sache ein gutes Dutzend Verfahren in 3 Instanzen und 3 oder 4 dicke Aktenbände wurden, um dann wieder zu den vehement verleugneten Daten der anfänglichen 20 Aktenblätter als Entscheidungsgrundlage zurückzukehren. Ein Ende ist nicht in Sicht, weil wirkliche Konsequenz würde ja die offenbaren Fehler zu sehr offenbaren. Das scheint als Möglichkeit fernliegend ;-) Im Übrigen keine Ausnahme.

Außerdem stimmen wegen der exzessiven Verfahrenszeugung auch mit einer Rechtssache die Erledigungszahlen. Wenn ich also von Überlastung der Gerichte lese, dann bleibe ich skeptisch. Vermutlich mussten für die "voll eingespannten" Entscheider dieser einen ZV-Sache andere Kollegen viele reale Fälle zusätzlich bearbeiten.

Wichtig wäre vor allem also Klarheit und Angemessenheit des Vorgehens der Justiz. Ob jemand mit seiner realen Verantwortung für eine Tat umgehen kann, ist dann nicht mehr so maßgeblich von der Justiz abhängig. Wir kennen das doch alle. Wenn wir Fehler machen, dann ist es entscheidend, ob Vorwürfe unser Verantwortungsbewusstsein ansprechen, Annahme, Einsicht und Wiedergutmachung ermöglichen oder eben nur gehässige Gier nach Beschuldigung und Strafe wirkt.

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@ Herr Sponsel

Ist ja in Ordnung. Sie haben ja Recht. Nur ist das nicht gerade meine persönliche Schöpfung. Das hat es ja alles schon gegeben, dass mit Suizidgefahr Fluchtgefahr begründet und U-Haft angeordnet wurde. Das OLG hob den Haftbefehl zwar auf. Ich bin mir aber nicht sehr sicher, ob dies auch jedem OLG auffallen würde, dass das nicht sein kann.

Sehr geehrter Gast #17,

Danke für den Hinweis, aber den meisten Diskutanten geht es wohl nicht bloß um Herrn Middlehoff, sondern um die Praxis des Schlafentzugs bzw. der Schlafenstörung durch nächtliches Wecken im Allgemeinen.

Falls das Alles bloß eine Kampagne für einen einzelnen Betroffenen (oder Nichtbetroffenen) gewesen wäre, wäre das doch sehr enttäuschend ...

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Wie Herr Sponsel so treffend bemerkt hat, ist es für den Effekt vollkommen unerheblich, mit welcher Begründung (Schutz oder Folter) die fortwährenden Schlafstörungen durchgeführt werden.

Und man muss sicherlich nicht Medizin o.ä. studiert haben, um sich ohne weiteres vorstellen zu können, dass alle Viertelstunde geweckt werden weitaus wahrscheinlicher einen Suizid fördert oder erst gar erzeugt, als verhindert.

Insofern kann man also ohne weiteres feststellen, dass dieser sogenannten Suizidprophylaxe die gleiche Denkweise zugrundeliegt wie der Entwicklung und Gabe von Medikamenten an Suizidgefährdete, die als regelmäßige Nebenwirkung eine deutliche Erhöhung der Suizidgefahr bewirken, (was bei allen herkömmlichen chemischen Antidepressiva der Fall ist.) Wozu das im Extremfall führen kann, haben wir ja grade erst gesehen.

Daher möchte ich in dem Zusammenhang auch einmal folgende Überlegung in die Diskussion einbringen:

Jemand der sich WIRKLICH umbringen will, tut das sowieso.

Findet also solch eine 15 minuten Kontrolle bei begründetem Verdacht statt, (der ja wohl die Voraussetzung dafür sein MUSS, oder?), steigert man dadurch sehr hochwahrscheinlich sogar noch den Wunsch desjenigen (oder andersrum ausgedrückt entkräftet man ihn bzgl. seines Lebenswillens)
Und wie hier ja auch schon angemerkt wurde, wird dann halt die Zeit zwischen den 15 Minuten genutzt.

Wie man es also auch dreht und wendet, ergibt es k e i n e n Sinn hinsichtlich des behaupteten Ziels der Maßnahme.

Nur weil sich aus der Inhaftierung eine Fürsorgepflicht ergibt, heißt es ja noch lange nicht, dass mit dieser dann völlig ungeeignete Maßnahmen begründet werden dürfen.

Das wird auch dadurch nicht besser, dass man keine (wesentlich) besseren Ideen zur Suizidprophylaxe hat als dieses Anleuchten (in welcher Ausprägung auch immer)

Da drängt sich einem doch, an nun auch diesem Beispiel, der Eindruck auf, dass Sinnhaftigkeit k e i n e s f a l l s zwingend die Grundlage einer gesetzlichen Regelung sein muss.

Und dass es offensichtlich auch egal ist, dass sie, wie in diesem Fall, so offensichtlich sinnlos ist.

Denn, nebenbei bemerkt, anhand welcher (Art von) wissenschaftlichen Untersuchung wurde denn belegt, dass diese Sichtkontrollen die Zahl der Selbstmorde signifikant (oder überhaupt) senken?

Befragung des potentiellen Selbstmörders, ob ihm das geholfen habe?

Entdeckung von mehr Selbstmordversuchen als vorher (Was beweißt das denn bei jemandem, der ja schließlich w e i ß, dass er alle 15 min deswegen kontrolliert wird? Meines Erachtens eher nicht, dass er sich WIRKLICH umbringen wollte.

Mit welcher wissenschaftliche Methode will man denn das bitteschön erforscht haben? Bzgl. eines Kausal (!!!!) Zusammenhangs, meine ich.

Selbst wenn es so sein sollte, dass, s e i t soetwas praktizert wird, ingsesamt die Selbstmordrate gesunken ist, beweißt das GAR NICHTS.

Wer weiß, welche Regelungen in der Zeit sonst noch alles verändert wurden, die vielleicht tatsächlich einen dahingehend positiven Effekt auf die Gefangenen hatten.
Keiner, untersucht nämlich keiner.

Daher also eben die grundsätzliche Frage, wieso man überhaupt mit einem Gesetz eine absolut unsinnige (mindestens mal keinesfalls seriös als sinnvoll belegte) Maßnahme begründen kann bzw darf.

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f&amp;f schrieb:
Wie man es also auch dreht und wendet, ergibt es k e i n e n Sinn hinsichtlich des behaupteten Ziels der Maßnahme. Nur weil sich aus der Inhaftierung eine Fürsorgepflicht ergibt, heißt es ja noch lange nicht, dass mit dieser dann völlig ungeeignete Maßnahmen begründet werden dürfen. Das wird auch dadurch nicht besser, dass man keine (wesentlich) besseren Ideen zur Suizidprophylaxe hat als dieses Anleuchten (in welcher Ausprägung auch immer) Da drängt sich einem doch, an nun auch diesem Beispiel, der Eindruck auf, dass Sinnhaftigkeit k e i n e s f a l l s zwingend die Grundlage einer gesetzlichen Regelung sein muss. Und dass es offensichtlich auch egal ist, dass sie, wie in diesem Fall, so offensichtlich sinnlos ist. Denn, nebenbei bemerkt, anhand welcher (Art von) wissenschaftlichen Untersuchung wurde denn belegt, dass diese Sichtkontrollen die Zahl der Selbstmorde signifikant (oder überhaupt) senken?

 

Grundsätzlich stimme ich Ihnen völlig zu. Sie haben recht.

Dennoch am Rande eine Anmerkung:

Natürlich werden durch diese Zellenkontrollen ("Lebendkontrollen") gelegentlich Gefangene entdeckt, die sich gerade (insuffizient) strangulieren wollen oder (insuffizient) die Pulsadern aufgeschnitten haben. Man findet diese Gefangenen dann vorzeitig in einer Blutlache oder unschön stranguliert, aber durchaus noch mit guten Vitalfunktionen.  Diesen Gefangenen wird dann medizinisch geholfen, obwohl das auch noch ein paar Stunden später problemlos möglich gewesen wäre. Die wenigsten Gefangenen schaffen es, sich suffizient eine große Schlagader aufzuschneiden (mir ist nur der Fall eines Mediziners bekannt, der konnte das am Hals).

Die Justiz glaubt aber, durch diese Kontrollen schon hunderten Gefangenen das Leben gerettet zu haben. Welcher Schwachsinn.

Und wer es suffizient macht: nun, der schafft es innerhalb der 15 Minuten. Da kommt jede Kontrolle zu spät (es sei denn, man verkürzt die Intervalle auf 5 Minuten).

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gast2 schrieb:

f&amp;f schrieb:
Wie man es also auch dreht und wendet, ergibt es k e i n e n Sinn hinsichtlich des behaupteten Ziels der Maßnahme. Nur weil sich aus der Inhaftierung eine Fürsorgepflicht ergibt, heißt es ja noch lange nicht, dass mit dieser dann völlig ungeeignete Maßnahmen begründet werden dürfen. Das wird auch dadurch nicht besser, dass man keine (wesentlich) besseren Ideen zur Suizidprophylaxe hat als dieses Anleuchten (in welcher Ausprägung auch immer) Da drängt sich einem doch, an nun auch diesem Beispiel, der Eindruck auf, dass Sinnhaftigkeit k e i n e s f a l l s zwingend die Grundlage einer gesetzlichen Regelung sein muss. Und dass es offensichtlich auch egal ist, dass sie, wie in diesem Fall, so offensichtlich sinnlos ist. Denn, nebenbei bemerkt, anhand welcher (Art von) wissenschaftlichen Untersuchung wurde denn belegt, dass diese Sichtkontrollen die Zahl der Selbstmorde signifikant (oder überhaupt) senken?

 

Grundsätzlich stimme ich Ihnen völlig zu. Sie haben recht.

Dennoch am Rande eine Anmerkung:

Natürlich werden durch diese Zellenkontrollen ("Lebendkontrollen") gelegentlich Gefangene entdeckt, die sich gerade (insuffizient) strangulieren wollen oder (insuffizient) die Pulsadern aufgeschnitten haben. Man findet diese Gefangenen dann vorzeitig in einer Blutlache oder unschön stranguliert, aber durchaus noch mit guten Vitalfunktionen.  Diesen Gefangenen wird dann medizinisch geholfen, obwohl das auch noch ein paar Stunden später problemlos möglich gewesen wäre. Die wenigsten Gefangenen schaffen es, sich suffizient eine große Schlagader aufzuschneiden (mir ist nur der Fall eines Mediziners bekannt, der konnte das am Hals).

Die Justiz glaubt aber, durch diese Kontrollen schon hunderten Gefangenen das Leben gerettet zu haben. Welcher Schwachsinn.

Und wer es suffizient macht: nun, der schafft es innerhalb der 15 Minuten. Da kommt jede Kontrolle zu spät (es sei denn, man verkürzt die Intervalle auf 5 Minuten).

auch wenn dies eine strittige Behauptung ist, aber wer sagt uns denn, dass der im Kontrollintervall entdeckte Suizidversuch ohne selbiges überhaupt stattgefunden hätte?

Laut "Irren ist menschlich" (Standardwerk in der Psychiatrie)-Das Kapitel "Der sich und andere tötende Mensch" iegt ja die Dynamik da nah beisammen.

Um also hier mal den Bogen zu schlagen, wie wahrscheinlich wird jemand, der jemand anderen verletzen oder töten möchte und weiß, dass er alle 15 Minuten kontrolliert wird, ausgerechnet kurz vor der Kontrolle den anderen angreifen?

Da sagt ja wohl jeder, so blöd ist wohl keiner, aber einem Suizidanten unterstellt man genau diese "Blödheit"? Um eine solche, in sich bereits schädigende Maßnahme zu begründen?

Will man diesen Weg konsequent weiter denken, könnte man sogar sagen, dass mit dieser Kontrolle eventuell sogar Suizidversuche (die gar nicht tödlich sein s o l l t e n, denn solche gibt es halt sehr viele, das sollte man mal nicht ausblenden) generiert werden, die, wenns dumm läuft, dann doch tödlich enden.

Wer sich mal mit der Lebenswirklichkeit in einem Gefängnis befasst hat, dem dürfte bekannt sein, dass es weitaus mehr Gründe gibt, einen Selbstmordversuch zu starten als den, sterben zu wollen, sorry, aber ist halt so. (gilt übrigens exakt genauso auch außerhalb von Gefängnissen, aber darum gehts hier ja nicht)

Sondern es geht um Gesetze und Vorschriften, die PER SE n i c h t geeignet sein KÖNNEN, ihr vorgebliches Ziel zu erreichen.

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Gäbe es nicht mildere Mittel zur Suizidprophylaxe?

Pulsmessbrustgurte oder Pulsmessuhren (wie sie z.B. in Fitenesscentern verwendet werden) gibt es teilweise schon für 29,90 Euro.

Die Funksignale der Pulsmessuhr könnte man doch wohl auffangen, und an einen von JVA-Bediensteten überwachten Computer weiterleiten.

Die (Einzel-)Zelle bräuchte dann nachts nur noch dann betreten zu werden, wenn keine Pulssignale oder bloß noch schwache Pulssignale empfangen und angezeigt werden.

Suizidgefährdete Gefangene, die sich weigern, einen Pulsmessbrustgurt oder eine Pulsmessuhr zu tragen, müßten dann natürlich die herkömmlichen Kontrollmethoden ertragen.

Wobei gegen das bloße Lichteinschalten wie bereits von einem Vorkommentator angemerkt vielleicht eine Schlafbrille oder eine Augenbinde helfen könnte.

Suizidprophylaxe ist ein legitimes Ziel.

Man sollte sich aber über mildere bzw. schonendere Mittel Gedanken machen. 

 

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Es wurde hier oben geschrieben "Jemand der sich WIRKLICH umbringen will, tut das sowieso."

Diese These ist zwar nicht völlig falsch, aber sie erfasst die Komplexität der Problematik nur zum Teil.

Und aus einem einzelnen Aspekt heraus kommt man schwerlich zu einem soliden Urteil über komplexe Fragen (bei denen viele Aspekte zu berücksichtigen sind).

Jedenfalls ist es sinnvoll, suizidgefärdeten Gefangenen den Gürtel wegzunehmen.

Denn längst nicht jeder suizidgefährdete Gefangene ist zum Suizid wirklich 100% fest entschlossen.

Und wenn man einem suizidgefährdeten Gefangenen den Gürtel belässt, kann dies das Risiko, das die Suizidgefahr in einen tatsächlichen Suizid umschlägt, erhöhen.

Man kann auf die komplexen Probleme nicht einfach hier bloß mit ein par wenigen Sätzen sachgerechte Patentlösungen abgeben.

Die Problematik hier (kontrovers und in Meinungsvielfalt) zu diskutieren (und sich dabei möglichst auch kurz zu fassen) ist gut, und alle relevanten Aspekte die uns einfallen auszusprechen ist auch gut, aber eine sachgerechte knappe einfache Patentlösung werden wir hier wohl nicht finden.

Einfache Lösungen sind ja im Allgemeinen sowieso eher etwas für populistische Politiker, als für ernsthafte gewissenhafte (Rechts-)Wissenschaftler.

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Student der Rechtswissenschaft schrieb:

Es wurde hier oben geschrieben "Jemand der sich WIRKLICH umbringen will, tut das sowieso."

Diese These ist zwar nicht völlig falsch, aber sie erfasst die Komplexität der Problematik nur zum Teil.

Und aus einem einzelnen Aspekt heraus kommt man schwerlich zu einem soliden Urteil über komplexe Fragen (bei denen viele Aspekte zu berücksichtigen sind).

Jedenfalls ist es sinnvoll, suizidgefärdeten Gefangenen den Gürtel wegzunehmen.

Denn längst nicht jeder suizidgefährdete Gefangene ist zum Suizid wirklich 100% fest entschlossen.

Und wenn man einem suizidgefährdeten Gefangenen den Gürtel belässt, kann dies das Risiko, das die Suizidgefahr in einen tatsächlichen Suizid umschlägt, erhöhen.

Man kann auf die komplexen Probleme nicht einfach hier bloß mit ein par wenigen Sätzen sachgerechte Patentlösungen abgeben.

Die Problematik hier (kontrovers und in Meinungsvielfalt) zu diskutieren (und sich dabei möglichst auch kurz zu fassen) ist gut, und alle relevanten Aspekte die uns einfallen auszusprechen ist auch gut, aber eine sachgerechte knappe einfache Patentlösung werden wir hier wohl nicht finden.

Einfache Lösungen sind ja im Allgemeinen sowieso eher etwas für populistische Politiker, als für ernsthafte gewissenhafte (Rechts-)Wissenschaftler.

Wie Sie selbst ja schon anreißen, sind derartig komplexe Problematiken wie z.B . Selbstmord ohnehin nicht in kurzen (Auf--) sätzen abzuhandeln.

Wer sich von der Wirklichkeit in dem Zusammenhang mal ein bischen einen Eindruck verschaffen möchte, kann ja mal ein paar Seiten in einem (gibts xerlei) Suizidforum lesen.

"Lustigerweise" bringt sich praktisch keiner der schreibenden dort um, treibt aber durchaus diverse andere in den Wahnsinn mit seinen ständigen diesbezüglichen Ankündigungen. Auch außerhalb solcher Foren steuern viele Menschen ihre Umwelt durch Selbstmorddrohungen.
Die die sich wirklich umbringen, haben in aller Regel nicht gedroht und es daher auch unentdeckt durchziehen können, so sieht nun mal die Realität aus.

Hier geht es ja aber darum, dass Gesetze existieren, die geeignet sein sollen, einen Suizid zu verhindern. Und zwar wirklich zu verhindern, nicht nur, sagen wir mal, das Risiko rein statistisch zu senken, weil man die Zeitfenster minimiert.

Wirklich verhindern, zumindest zu 99%, könnte man es dadurch, dass rund um die Uhr ein andrere nebendran sitzt, auch beim essen, aufs Klo gehen, sonstigen menschlichen Bedürfnissen........dass der so Beschütze dadurch alleine schon ziemlich bald durchdrehen wird, liegt glaube ich auf der Hand.

Und da ist es eben einfach doch deutlich diskussionsswürdig, dass hier auf Basis bestehender Gesetze und Regelungen Maßnahmen ergriffen werden, die gar nicht effektiv zielführend sein KÖNNEN.

Genauswenig wie die hier besprochenen Alternativen: Blutdruckmanschette: Batterie rausmachen schlucken, wer weiß, wozu das hübsches führen würde. Schlafbrille, Bügel abschleifen anspitzen, Pulsadern auf, Schlafbrille mit stoffbändchen ideal um sich zu strangulieren .....to be continued.....

Und wie schon eben geschrieben gibt es im Knast diverse Gründe, einen Selbstmordversuch zu starten, die keinesfalls in einer Tötungsabsicht liegen, dem leistet man mit solchen Methoden massiv Vorschub (Nur als Beispiel einen Grund für die völlig Praxisferne: Auf der Krankenstation ist es halt doch schon wieder "komfortabler" als im normalen Vollzug.
Quasi die Knastvariante des Krankheits-Gewinns ;-)

P.S: Die Vorstellung, einen Selbstmörder durch Wegnehmen des Gürtels am Selbstmord zu hindern, ist so romantisch wie falsch.

Maximal hindert man dadurch jemanden, einen dramatischen Versuch zu starten.

Zumindest mit exakt diesem Gürtel ;-)

Denkt man, aus Gesetzes- und Vollzugslogik aber diesen, von Ihnen vorgebrachten, Gedankengang zuende, so hätte die Rechtfertigung, einem angeblich suizidalen Häftling jegliche Bekleidung wegzunehmen und ihn in einem Raum ohne Fenster, Tisch Bett Stuhl und WC unterzubringen.

Weil aus Hose und Pullover kann man sich nen Strick knoten etc pp. und erhängen mit Genick brechen dauert wohl kaum mehr als eine Minute, wenn überhaupt.

Wenn also die angewendeten Methoden faktisch NICHT geeignet sein KÖNNEN, einen tatsächlich geplanten Selbstmord (nicht einen , warum auch immer durchgeführten Versuch ohne Tötungsabsicht!) zu verhindern, dann muss man sich doch schon wieder fragen, WOZU sie DANN da sind.........

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Sehr geehrter Herr Sponsel,

manchmal führt ein nummerierter Katalog von Phänomenen zu einer Klärung, manchmal eher zur Vernebelung. Ich glaube hier ist letzteres der Fall. Ich stimme zu: Es gibt Freitode. Aber ich habe erhebliche Zweifel daran, dass es "Frei"tode in der Unfreiheit einer Justizvollzugsanstalt gibt. Und Ihr Katalog von Suizidphänomenen bringt uns auch keinen Millimeter einer Antwort näher. Hier laut Wikipedia die Erklärung eines Kamikazefliegers, als lt. Ihrem Katalog Freitod aus "wohlabgewogener Motivations- und Lebenslage": "I am not going on this mission for the Emperor or for the Empire... I am going because I was ordered to." (Ich will im Folgenden aber nicht über Kamikaze diskutieren.)

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Gretchenfrage nicht pathologische Selbsttötungsmotive

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Herr Sponsel,

manchmal führt ein nummerierter Katalog von Phänomenen zu einer Klärung, manchmal eher zur Vernebelung. Ich glaube hier ist letzteres der Fall. Ich stimme zu: Es gibt Freitode. Aber ich habe erhebliche Zweifel daran, dass es "Frei"tode in der Unfreiheit einer Justizvollzugsanstalt gibt. Und Ihr Katalog von Suizidphänomenen bringt uns auch keinen Millimeter einer Antwort näher. Hier laut Wikipedia die Erklärung eines Kamikazefliegers, als lt. Ihrem Katalog Freitod aus "wohlabgewogener Motivations- und Lebenslage": "I am not going on this mission for the Emperor or for the Empire... I am going because I was ordered to." (Ich will im Folgenden aber nicht über Kamikaze diskutieren.)

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

das brauchen Sie im "Folgenden" auch nicht, wenn Sie es im Vorangehenden schon tun, anstatt sich einer ordentlichen Unterscheidungsterminologie der verschiedenen Selbsttötungen anzunehmen. Was hat die Rechtswissenschaft hier zu bieten?  An/Erkennen Sie,  dass es nicht-pathologische zu bewertende Selbsttötungsmotive gibt? Ein gutes, diskutables Beispiel schien mir Sokrates.

Anmerkung: Wikipedia ist eine anregende Informations-, aber letztlich oft keine zitierfähige Quelle; schon deshalb nicht, weil es meist keine bekannten und verantwortlichen VerfasserInnen gibt neben den zahlreichen Lobby-AgentInnen.

 

 

 

Wenn man im Polizeirecht die konkrete Gefahrenlage prüft, dann tut man das nicht aus Vergnügen, sondern weil sich nur in Verbindung damit entscheiden lässt, welche der zulässigen Maßnahmen und von welcher Dauer noch verhältnismäßig ist. Ohne konkrete Gefahrenlage lässt sich also nichts zu Verhältnismäßigkeit entscheiden. Oder mit anderen Worten: Je offener und unbestimmter die "Gefahrenlage" desto offener die Mitteln, die zu ihrer "Abwehr" eingesetzt werden. So gehen offensichtlich die JVAs vor. Weil der U-Gefangene haftunerfahren, ohne berufliche Perspektive und Luxusleben gewohnt ist, der soll zuerst die harte Tour der Haft kennenlernen. Auf diese Weise lässt sich eine Strafe von einer "Abwehrmaßnahme" nicht unterscheiden. Die sogenannte Prophylaxe kann einfach so nicht zulässig sein, wenn sie auch so im Gesetz steht.

Wenn aber die Leitung der JVA erfährt, dass der U-Gefangene dem Richter von Selbsttötung erzählt habe (obwohl er das nach seinen Angaben nicht getan bzw. nicht sich selbst gemeint habe), darf sie dann ohne ihn dazu anzuhören, eine besondere Sicherungsmaßnahme anordnen? Wohl kaum, oder?

Ich denke, dass man in der Regel kaum eine drohende Selbsttötungsgefahr oder Selbstverletzungsgefahr erkennen wird, ohne den U-Gefangenen angehört zu haben. Weitere Anhörungen zu der Wirkung der Maßnahme dürften auch deswegen erforderlich sein, um über die erforderliche Dauer der Maßnahme entscheiden zu können.

Oder haben Gefangene kein Recht, zu den gegen sie getroffenen Maßnahmen angehört zu werden?

@WR Kolos

Der unschuldige U-Häftling hat sicherlich ein Anhörungsrecht. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wer ist unschuldig und wer soll offiziell nur so gelten.

Als Kinder brüllten wir bei unklarem Verstoss gegen unklare Spielregeln:

                                              "Eij nee, dat güldet nich!"

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Wie schon bei zahlreichen anderen Justizskandalen lande ich bei diesem Fall bei der Frage, warum es keine unabhängigen Kontrollinstitutionen gibt, die Polizeiarbeit etc. überwachen und im Zweifelsfall unabhängige Untersuchung anbieten.

Das BVerfG ist hierbei insuffizent für die Fülle der auftretenden Möglichkeiten, allein schon deshalb, weil es erst angerufen werden kann, wenn der Rechtsweg erschöpft ist. Dies kann Jahre dauern. 

Dennoch scheint die Idee irgendwie verpönt.

Dabei ist das etwa in GB usus. Ohne hätten auch wohl die Behörden von Rotherham keineswegs jemals zugegeben, dass sie bezüglich sexuellen Missbrauchs völlig versagt haben und entgegen ihrem Auftrag selbigen durch ihr Verhalten eher gefördert denn beseitigt haben. In Deutschland würden in einem solchen Falle die örtlichen Behörden gegen sich selbst ermitteln, mit dem voraussehbaren Ergebnis "wir haben uns jederzeit absolut korrekt verhalten", siehe auch Fall Loveparade. 

 

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@Lutz Lippke

In UVollzG-NRW steht nur bei Anordnung von Disziplinarmaßnahmen etwas von Anhörung. Aber ich denke, dass für die Anordnung der besonderen Sicherungsmaßnahmen dann auch das Verwaltungsverfahrensgesetz-NRW anzuwenden ist.

§ 28
Anhörung Beteiligter
(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

@Gott

Es gibt ja den gerichtlichen Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Untersuchungshaftvollzug (119a, 304 ff. StPO).

jetzt mal folgende Frage:

Jemand, der akut schwer krank ist, ist der überhaupt haftfähig?
Also so fürs normale Gefängnis, ob nun U- oder Strafhaft.

Oder muss der nicht ins (forensische) Krankenhaus?

Ist jemand, der so AKUT suizidgefährdet ist, dass man ihn alle Viertelstunde anleuchten muss, auch nachts, nicht auch akut KRANK?

Also nicht etwa, dass ich dafür wäre (noch mehr) Menschen "mal eben" in die Forensische zu stecken.

Ich frag mich nur, ob hier DE FACTO im Prinzip die Begründung für eine Verlegung in die Forensische für ein weder medizinisch noch faktisch präventiv/kurativ geeignetes viertelstündliches Anleuchten (oder welche andere, ungeeignete Maßnahme auch immer) "verwendet / genutzt" wird.

Ganz simpel ausgedrückt, wenn ein "Knackie" (angeblich) total Karies hat, würde man ihn ja auch nicht alle Viertelstunde ans Zähneputzen erinnern, sondern zum Zahnarzt schicken.

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@f&f

Ganz genau. Wer außerhalb einer Haftanstalt mit seinem Selbsttötungsversuch scheitert, muss damit rechnen zunächst in Gewahrsam genommen zu werden und landet in der Regel dann in der Psychiatrie. Geltendes Polizeirecht. Daran lässt sich nicht rütteln.

Es gibt zwar die von Herrn Sponsel vertretene Meinung, es gäbe ja auch einen echten Freitod und das Selbstbestimmungsrecht stünde der polizeilichen Abwehrmaßnahme entgegen, ist aber nur eine kleine Mindermeinung. Und das gilt außerhalb der Anstalt. Dass das Selbstbestimmungsrecht in der Haft eingeschränkt sein dürfte, liegt wohl auf der Hand.

WR Kolos schrieb:

@f&f

Ganz genau. Wer außerhalb einer Haftanstalt mit seinem Selbsttötungsversuch scheitert, muss damit rechnen zunächst in Gewahrsam genommen zu werden und landet in der Regel dann in der Psychiatrie. Geltendes Polizeirecht. Daran lässt sich nicht rütteln.

Es gibt zwar die von Herrn Sponsel vertretene Meinung, es gäbe ja auch einen echten Freitod und das Selbstbestimmungsrecht stünde der polizeilichen Abwehrmaßnahme entgegen, ist aber nur eine kleine Mindermeinung. Und das gilt außerhalb der Anstalt. Dass das Selbstbestimmungsrecht in der Haft eingeschränkt sein dürfte, liegt wohl auf der Hand.

@ Herrn Kolos:

Rein juristisch aber sollte "Sponsels Minderheitenmeinung" (so es denn eine ist ;-) ich persönlich finde es gut, Herr Sponsel, dass Sie das auch nochmal "ausnanderklamüsert haben) dabei doch vollkommen egal sein.

Entweder ist einer SO akut krank, dass er ins Krankenhaus muss, deswegen (= weil er aktuell akut selbstmordgefährdet ist) oder nicht.

Wenn nicht (das heißt, er ist NICHT akut selbstmordgefährdet), ist auch keine solche 15 Minuten Maßnahme zu RECHT- fertigen.

W O M I T denn?

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@f&f

Herr Sponsels Meinung ist nicht egal. Wenn es beides geben kann, den Freitod und die unfreiwillige Selbsttötung aufgrund psychischer Erkrankung, dann muss erst die Erkrankung festgestellt werden, um die Haftfähigkeit infrage zu stellen. So sollte sich die Frage der Haftfähigkeit sofort mit Annahme der Suizidgefahr stellen. Damit zugleich muss die Frage beantwortet werden, ob die Haftanstalt der richtige Ort ist für einen Kranken und ob sie mit den besonderen Sicherungsmaßnahmen, die nicht von einem Arzt getroffen werden, über geeignete Therapiemaßnahmen verfügt.

Haftfähig, Unterbringung und Grundrecht auf Freitod

WR Kolos schrieb:

@f&f

Herr Sponsels Meinung ist nicht egal. Wenn es beides geben kann, den Freitod und die unfreiwillige Selbsttötung aufgrund psychischer Erkrankung, dann muss erst die Erkrankung festgestellt werden, um die Haftfähigkeit infrage zu stellen. So sollte sich die Frage der Haftfähigkeit sofort mit Annahme der Suizidgefahr stellen. Damit zugleich muss die Frage beantwortet werden, ob die Haftanstalt der richtige Ort ist für einen Kranken und ob sie mit den besonderen Sicherungsmaßnahmen, die nicht von einem Arzt getroffen werden, über geeignete Therapiemaßnahmen verfügt.

Sehr geehrter Herr Kolos, Kundige,

Haftfähig und Krankenhaus kann m.E. schon deshalb kein Widerspruch sein, weil Untergebrachte ja krank und in Haft zur Sicherung und Besserung sind.

Meine Argumente richteten sich gegen die Psychopathologiesierung jeder Selbsttötung, Ausfluss der unheiligen Allianz zwischen Christentum, Psychiatrie und Justiz. Als Prototyp des Freitodes gab ich Sokrates an, er hätte den Schierlingsbecher nicht trinken müssen, er hätte fliehen können, alles stand bereit, aber er wählte den Freitod. Das einmal richtig gedacht und die empirischen Fakten der Selbsttötungen zur Kenntnis genommen führt dann natürlich auch zur Frage, ob jeder Wunsch nach Beendigung des eigenen Lebens zwangsweise in die Psychiatrie führen muss. Ich meine nein.

Was haben denn die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung für ein Konzept vom Freitod? Soweit ich die bisherigen Ausführungen richtig verstanden habe, sagen Rechtswissenschaft und Rechtssprechung: wer sich umbringen will, muss krank sein und gehört untergebracht (auch wenn er es dann erst recht macht). Das eben stelle ich grundsätzlich in Frage.

Der Freitod hat in Deutschland neben Christentum und Psychiatrie allerdings noch eine weitere historische Belastung, nämlich den Nationalsozialismus mit seiner Ideologie vom lebensunwerten Leben. Den Freitod wählen heißt ja, die weitere Lebensperspektive als unwert bewerten. Und damit sind wir mitten in der Lebenswert-Problematik, die aber auch trotz der nationalsozialistischen Verbrechen erörterungswürdig sein sollte. Viele sehen aber die Lebenswertdiskussion als Tabubruch. Das verstehe ich im Sinne von geistig nachvollziehbar, aber ich billige es nicht, weil empirisch falsch und einseitig.

 

 

 

 

 

 

 

 

Mehrseitige Stellungnahme des NRW-Justizministers Kutschaty (SPD) zum Fall Middelhoff:

Hier: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV16-28...

 

Aus der Pressemitteilung dazu (Quelle: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/GB_II/II.1/Pressemitteilungen-Info...):

Man sei bei Middelhoff von einer möglichen Suizidgefährdung ausgegangen, heißt es im Bericht des Ministers. Hintergrund seien Expertisen der Anstaltspsychologin und des Leiters des Psychologischen Dienstes gewesen. Zudem sei bereits im richterlichen Aufnahmeersuchen auf die "Gefahr der Selbsttötung und der Selbstverletzung" hingewiesen worden.

Eine Möglichkeit, suizidgefährdete Gefangene zu schützen, sei die gemeinsame Unterbringung mit hafterfahrenen Insassen. Middelhoff habe dies jedoch abgelehnt und sei daher in einem Einzelhaftraum untergebracht worden. Die entsprechende Abteilung halte besondere Behandlungsangebote für Erstinhaftierte vor und sei personell überdurchschnittlich ausgestattet. In einem Gespräch mit dem Leiter des Psychologischen Dienstes habe Middelhoff gesagt, er fühle sich auf dieser Abteilung "gut aufgehoben" und "schätze die Art und Weise des Umgangs der Bediensteten mit ihm".

Der Gefangene sei in unregelmäßigen Abständen vom 14. November bis 10. Dezember 2014 sowie vom 18. bis 19. Dezember 2014 besonders beobachtet worden. Die JVA-Bediensteten hätten alle 15 Minuten durch einen "Sichtspion" in die Zelle geschaut. Nachts habe man kurzzeitig die etwa 50 Zentimeter lange Neonröhre eingeschaltet. Sie entwickle ihr Licht in der Startphase nur langsam. Während des kurzen Beobachtungszeitraumes sei eine den "Dämmerlichtern" vergleichbare Lux-Stärke erreicht worden. Die Bediensteten hätten den Haftraum nachts nicht betreten.

In der gesamten Zeit der Beobachtung hätten sich weder Middelhoff noch seine Verteidiger oder Angehörigen gegenüber JVA-Bediensteten über die Beobachtung beschwert. Zudem hätte der Gefangene die angeordnete Sicherungsmaßnahme jederzeit gerichtlich überprüfen lassen können, dies jedoch nicht getan. Von Klagen, dass seine Gesundheit durch "Schlafentzug" beeinträchtigt worden sei, habe die Anstaltsleitung erst mit Beginn der Presseberichterstattung erfahren - also drei Monate nach Ende der Maßnahme.

Sehr geehrter Prof. Müller,

vielen Dank für die Informationen in #39. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass diese Darstellung der Vorgänge auf Tatsachen beruht und im konkreten Fall vor allem medial von der Verteidigung genutzt wurde.

Was ich aber zunächst beim Überfliegen der Quelle erfahre:

1. Ein U-Häftling ist ein Gefangener.

2. Neonröhren entwickeln unter Haftbedingungen erst langsam ihre Leuchtstärke (Flackern, eine blitzartige, mit Zündgeräuschen verbundene Startphase gibt es bei Neonröhren in Haft offensichtlich nicht)

3. Der Anstaltsarzt hatte keine Suizidgefahr festgestellt.

4. Die Suizidgefahr wurde wohl hauptsächlich aus einer Äußerung des Häftlings zum Schicksal des Bruders abgeleitet.

5. Die Maßnahme wurde ohne Absprache mit dem Häftling oder dessen Anwalt verfügt. Nachfragen zur Wirkung und weiteren Notwendigkeit der Maßnahme beim Betroffenen gab es offensichtlich nicht.

Abgesehen von allgemeinen Fragen (z.B. Justizjargon "Gefangener") wäre im konkreten eine Stellungnahme der Verteidigung zu dem Bericht des Ministers interessant.

Mit freundlichen Grüssen

Lutz Lippke 

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@ Lutz Lippke: wenn Sie "Neonröhre" nicht chemisch wörtlich nehmen, ist das durchaus erklärbar. Im Bericht ist von einer Neonröhre, die ... die Rede. Denkbar ist eine Leuchtstoffröhre ("Energiesparlampe"), die tatsächlich langsam hell wird und beim Einschalten weder flackert noch Geräusche verursacht.

Ihr Beitrag lässt außerdem darauf schließen, dass Sie den Bericht an das Justizministerium nicht gelesen haben.

Im Zusammenhang einmal diese Frage aufgeworfen, Zitat:

 

...."Für einen Unschuldigen ist der Knast die Hölle. Es gibt ja keinen Grund für den Entzug der Freiheit, niemand glaubt ihm seine Unschuld und er kann psychisch an der staatlich angeordneten Freiheitsberaubung zerbrechen. Jede abgewiesene Haftbeschwerde ist ein niederschmettterndes Ereignis. Es wäre interessant, die in Haftanstalten verübten Suizide einmal daraufhin zu untersuchen, ob die Gefangenen vorher oder auch erst in ihren Abschiedsbriefen ihre Unschuld beteuert hatten.

Der unschuldig Verurteilte verliert vollkommen zu Recht sein persönliches Vertrauen in den Rechtsstaat. Der Rechtsstaat, dessen Aufgabe es ist, ihn vor Ungerechtigkeit zu schützen, seine persönliche Freiheit zu bewahren, dieser Rechtsstaat hat ihm das Wertvollste genommen, das ein Mensch haben kann, seine Freiheit und alles, was damit zusammenhängt."....

http://www.theeuropean.de/heinrich-schmitz/6843-unschuldig-im-gefaengnis

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"Während der Nachtzeit wurde dazu kurzzeitig die ca. 50 cm lange Neonröhre eingeschaltet, die ihr Licht in der Startphase erst langsam entwickelt und deshalb während des kurzen Beobachtungszeitraums eine den Dämmerlichtern vergleichbare LuxStärke erreicht. Damit dürfte der Haftraum während der Beobachtungszeit nicht heller erleuchtet gewesen sein, als dies für die Beobachtung erforderlich war. Allenfalls für den seltenen Fall, dass der Beamte den Zustand, in dem sich der Gefangene Dr. Middelhoff gerade befand, nicht hätte feststellen können, wäre es erforderlich gewesen, über Klopfzeichen an der Tür ein Lebenszeichen von Dr. Middelhoff zu erbitten. Ob es in der gesamten Zeit der Beobachtung einmal oder mehrmals zu einem solchen Klopfzeichen gekommen ist, kann nach dem Bericht des Anstaltsleiters nicht mehr festgestellt werden, da ein solcher Vorgang nicht dokumentationspflichtig ist".

 

Daraus ergibt sich:

1) es war eine 50 cm lange Neonröhre. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass es eine 50 cm lange Energiesparlampe war (kenne auch keine dieser Länge).

2) Beamte sind besser als Gott, zumindes als jeder Mediziner. Kein Arzt kann aus einer Entfernung von ca. 3 m feststellen, in welchem Zustand sich der Gefangene unter der Bettdecke gerade befindet. Ein Arzt bräuchte hierfür zumindest ein Pulsoxymeter, EKG, Pulsmesser oder eine ähnliche telemetrische Überwachungsmethode.

3) Der Beamte kann aus der Entfernung nur dann den Zustand des Gefangenen erkennen, wenn dieser sich bewegt (Arm, Kopf, Umdrehen o.ä. Lebenszeichen). Wenn er dies ausnahmsweise nach Einschalten der Neonröhre nicht macht, dann wird eben solange gegen die Tür geklopft, bis der Gefangene ein solches Lebenszeichen von sich gibt.

4) Zutreffend ist allerdings, dass solche Methoden nicht einmalig sind, sondern täglich hundertfach passieren. Auch zutreffend ist, dass sich niemand (mehr) darüber beschwert, weil jegliche Beschwerde gänzlich sinnlos ist. Es wird auf die Fürsorgepflicht verwiesen.

4

Wirklich wichtig ist das, was M. Deeg zum Thema U-Haft mitteilt.

Trotzdem um Missverständnissen vorzubeugen

@ Mein Name

Sie haben Recht, ich hatte explizit nur den Bericht des Ministers überflogen, dies aber auch so erklärt. Vielleicht hätte ich mich vor einem Kommentar sorgsamer informieren sollen. Allerdings geben Sie mir dazu keinen Hinweis. Mir ging es zunächst um Widersprüche zu Begriffen und dem impliziten Selbstverständnis der Justiz.

1.  Begriffe wie Verdächtiger, Angeklagter, U-Häftling, Inhaftierter, Gefangener (auch Neonröhre) kann man in Ontologien, Objektklassen ordnen, um eine professionelle und unmissverständliche Kommunikation zu ermöglichen. Das ist auch Grundlage für Feststellungen zur Fehlertoleranz von Systemen (egal welcher Art). Darauf hatte Dr. Sponsel bereits in anderen Zusammenhängen hingewiesen. Wir könnten hier kaum kommunizieren, wenn Internet-Übertragungsprotokolle nicht mit ausgeklügelten Methoden der Funktions- und Fehlerkontrolle ausgestattet wären.   

2. Fürsorge bedeutet i.d.R. möglichst Beteiligung und Mitwirkung des Betroffenen an Entscheidung und Ausführung. Ich habe nicht gelesen, dass der Häftling die Fürsorge erbeten hatte oder dem zustimmte. Beschwert ist wohl die Haft insgesamt, was ja wohl jetzt zur Freisetzung führte. Insofern hat es die Verteidigung aus ihrer Sicht offensichtlich genau richtig angepackt. Ob die von der Justiz vermissten Anträge fehlerfrei funktioniert hätten, könnte man theoretisch analog den Methoden zur Evaluierung von Kommunikationsprotokollen prüfen. Mein Verdacht ist, dass Politik und Justiz allgemein nur im Entwurfsmodus arbeitet und fortlaufend "Strickware 1.0" produziert. Warum eigentlich?

@ Mein Name, Gast 2 im Neonlicht

Richtig ist, dass es (elektronische) Energiesparlampen in Röhrenform auch mit ca. 50 cm Länge gibt. Ob diese anfangs nur gedimmtes Licht erzeugen, hängt möglicherweise vom Typ und Alter ab. Moderne Lampen tun das meines Wissens nicht. Diese Sparlampen kommen also ohne Startflackern und Geräuschen aus. Umgangssprachlich werden diese mitunter wegen des gleichen Aussehens auch als Neonröhren bezeichnet. Mein Name könnte also recht haben. Ich bin vielleicht etwas darin befangen, zu vermuten, dass übliche Haftanstalten oft noch mit älterer Technik ausgerüstet sind. Eine Umrüstung auf Energiesparlampen mit elektronischem Vorschaltgerät ist natürlich aber auch in älteren Zellen möglich. Das könnte man ggf. sogar nachprüfen.

3

@ Lutz Lippke

Googeln Sie einfach mal "JVA + Neonlicht" und lesen Sie ein paar der gefundenen Artikel. Dann wissen Sie, welche Art Beleuchtung in Haftzellen üblich ist. Oder besuchen Sie halt mal selbst eine Anstalt (gelegentlich gibt es auch Besichtigungen, siehe Fall Hoeneß). Oder fragen Sie bei der Anstaltsleitung der JVA nach, die wird Ihnen sicher darüber Auskunft geben. Oder vielleicht befragen Sie mal einen (Ex-)Gefangenen. Glauben Sie mir, es sind Neonröhren.

In allem anderen stimme ich Ihnen zu.

Im übrigen handelt es sich um einen Brief des Justizministeriums an den Rechtsausschuss und nicht etwa umgekehrt um einen Brief an das Justizministerium, wie "Mein Name" irrtümlich behauptet. In diesem Brief steht im wesentlichen nichts anderes als in der Pressemitteilung.

 

5

Das Justizministerium ist die Aufsichtsbehörde der Justizvollzugsanstalten und hatte bestätigt (s.o. Beitrag von Herrn Prof. Müller), dass in den Justizvollzugsanstalten ein anderer Gefahrenbegriff gilt als im Polizeirecht. 

Nicht nur in Haftanstalten, sondern auch außerhalb kann es bei drohender Selbsttötung dazu kommen, dass die Polizeibehörde zur Abwehr der Gefahr tätig werden muss. Rechtsgrundlage ist die Generalklausel. Danach wird unter Gefahr eine Sachlage verstanden,  in der es bei ungehindertem Ablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu Schädigung eines Schutzgutes kommen wird.

Für die JVA gilt nach Auskunft des Justizministeriums Folgendes:

Unmittelbar nach der Aufnahme einer zu inhaftierenden Person in eine Justizvollzugsanstalt erfolgt ein strukturiertes Zugangsgespräch. Ziel ist es, eine suizidale Gefährdung zu erkennen. Das Erstgespräch wird von erfahrenen Bediensteten durchgeführt, die mit der besonderen Problematik vertraut sind. 

Im Fall Middelhoff lagen "zwei Expertisen der Anstaltspsychologin bzw. des Leiters des Psychologischen Dienstes der JVA Essen" vor, von dem Tag der Einlieferung und des Haftprüfungstermins. Ihnen zufolge bestand die "Annahme einer möglichen Suizidgefährdung des Gefangenen". Danach lag also keine Gefahrenlage i.S. der polizeilichen Generalklausel vor, sondern lediglich die Annahme einer bloßen Möglichkeit, dass es zu einer Gefahrenlage kommen könnte.

Das Justizministerium führt weiter zur Begründung aus:

Bereits zuvor wurde im richterlichen Aufnahmeersuchen die "Gefahr der Selbsttötung und der Selbstverletzung" vermerkt. Zur Begründung wurde auf eine Äußerung des Herrn Dr. Middelhoff verwiesen, nach der sich einer seiner Brüder selbst umgebracht hatte.

Demgegenüber hat der Anstaltsarzt (Internist) im Rahmen seiner Eingangsuntersuchung Anzeichen für eine Suizidgefährdung nicht erkennen können.

Während also der Anstaltsarzt nach konkreten Anzeichen für eine Suizidgefährdung suchte und keine fand, reichte dem Richter ein Suizid im nahen Familienkreis und der Anstaltsleitung die bloße und theoretische Möglichkeit, um eine "suizidale Gefährdung"anzunehmen und eine besondere Sicherungsmaßnahmen anzuordnen.

Eine Ermächtigung des Gesetzgebers, die in einen grundrechtlich geschützten Bereich eingreift, um bloße und theoretische Möglichkeiten für eine Gefahr i.S. des Polizeirechts zu reduzieren oder zu beseitigen, ist wohl kaum verhältnismäßig. Das gilt sogar für Fremdgefährdung. Bei Selbstgefährdung kommt erschwerend hinzu, das der Rechtsträger des geschützten Rechtsguts und der des belasteten Rechtsguts ein und dieselbe Person ist. 

Für UVollzG-NRW kann nichts anderes gelten. Auch die Grundrechte Gefangener dürfen nur durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes und nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 33, 1 <11>; 89, 315 <322 f.>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt bereits für die Ermächtigungsgrundlage und nicht erst für die ergriffene Maßnahme. 

Nach § 42 UVollzG-NRW "können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden,  wenn eine erhebliche Störung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht auf andere Art und Weise vermieden oder behoben werden kann". Nach dem Gesetzeswortlaut darf also in einen grundrechtlich geschützten Bereich des Untersuchungsgefangenen eingegriffen werden, um bloße und theoretische Möglichkeiten für eine Gefahr zu reduzieren oder zu beseitigen. Das ist nicht verhältnismäßig. Deshalb bedarf es einer teleologischen bzw. verfassungskonformen Reduktion. Ob sie noch möglich ist, um die Ermächtigungsgrundlage in die Verhältnismäßigkeit und Verfassungskonformität zu überführen, darüber kann man wohl trefflich streiten. Jedenfalls scheint das Justizministerium offensichtlich dafür keinen Bedarf erkennen zu wollen.

Interessant und erstaunlich finde ich, dass nur der Anstaltsarzt einen rechtlich gesunden Ansatz gefunden und nach konkreten Anzeichen für eine Suizidgefährdung gesucht hatte und keine fand. Aber auf ihn wollte ja wohl niemand hören.

also mal jetzt im Ernst, wir können ja jetzt auch noch drüber diskutieren, wie übel es ist, dass (wenn das so ist, was durchaus vorstellbar ist) in Knästen Neonröhren verwendet werden, weil die bei jeglicher Verwendung (also auch tagsüber, wenn man sie anschaltet) ein zwar nicht sehr lautes, aber absolut penetrantes Brummgeräusch von sich geben (meine etwas älteren Modelle hier tun das), welches einen auf Dauer ganz schön "stressen" kann.

Ändert aber alles nichts daran, und davon führt die Diskussion grade mal wieder weg, dass die verwendeten Maßnahmen, basierend auf bestehenden GESETZEN und Verordnungen, n i c h t geeignet sind, weil sie es nicht sein KÖNNEN, das vorgeblich von ihnen anvisierte Ziel auch zu erreichen.

Da führt, nach meinem Empfinden, auch die, gesellschaftlich ansonsten durchaus wichtige, Diskussion, die Herr Sponsel hier anstößt, leider davon weg.

Ich persönlich habe da nochmal einen ganz anderen Ansatz und finde, dass ein Selbstmord durchaus ein aggressiver Akt gegen andere ist, nämlich gegen die Hinterblieben und/oder diejenigen, die sich dann beruflich damit befassen müssen. Könnte man auch Stunden drüber trefflich streiten, wie das nun wieder rechtlich zu werten wäre.

Ums mal auf die Spitze zu treiben:

Ein, aus "sokratischen Gründen" Selbstmord begehender, dem sein Selbstmord missglückt (und zwar OHNE dass ein anderer daran schuld wäre) schadet durch seinen Selbstmordversuch einem anderen dermaßen, dass derjenige daraufhin seelisch so fertig ist, dass er nicht mehr arbeiten kann, selber suizidgefährdet wird oder im schimmsten Fall bei dem Suizidversuch des anderen stirbt (Geisterfahrer?!?!)........... da tun sich doch immer neue "Grätschen" auf, in die das alles geht.

Zumal, wer stellt anschließend SICHER fest, ob derjenige selbstbestimmt oder nicht doch, weil er psychisch krank war , seinen fatalen Selbstmordversuch gestartet hat?

Reden kann man ja viel, wenn der Tag lang ist, psychologische / psychiatrische Testverfahren sind sehr "übersichtlich" und standardisiert, ein intelligenter Mensch weiß problemlos, was er wem wie zu sagen hat, damit das gewünschte Ergebnis rauskommt. Jeder, der beruflich mit sowas befasst ist, weiß, dass das genau SO abläuft (zumindest problemlos so ablaufen kann!)

Und so könnte man das Ganze immer weiter und weiter aufästeln und , welch Wunder, ergebnislos im Kreis diskutieren

Geht man aber zum Kern der ganzen Angelegenheit zurück, dann kann ja nicht mal ein Arzt, (siehe Ausfürhungen von gast2), der qua professionem dazu noch am ehesten in der Lage sein sollte, mit Blick durch eine Klappe aus ein paar Metern Entfernung SICHER feststellen, ob einer lebt, tot ist, oder grade am Sterben, was man ja sogar in dem Moment sein könnte, wo man sichtbar schnauft, sich umdreht, den Arm hebt (schonmal daran gedacht?)

=> es existieren Vorschriften, die offensichtlich auch vielfach befolgt werden, die ihr vorgebliches Ziel per se NICHT erreichen können.

Und ABER bei der üblichen Durchführung definitiv mehr als geeignet sind, gesundheitlich massiv zu schaden.

Da sollte man vielleicht wirklich mal ne Runde dazu googeln, wie massiv und umfangreich sich gestörter Nachtschlaf auswirkt, wenn man auch nur EINMAL pro Nacht wach wird. Also richtig wach, so dass man es selber wahrnimmt. Und vielleicht auch nicht gleich wieder einschlafen kann.

Von x mal, alle 15 Minuten, über Wochen hinweg noch gar nicht gesprochen.

Also zurück zum Kernpunkt der ganzen Diskussion:

DARF es Gesetze geben, die ihr angebliches Ziel gar nicht erreichen KÖNNEN und aber zeitgleich mit signifikant hoher Wahrscheinlichkeit einem, der FÜRSORGE anvertrautem Menschen, gesundheitlich schaden?

Oder ist das gar nicht der Kernpunkt der Diskussion?

Geht es nur darum, ob es Juristen (Anwälte) geschafft haben, mit juristischen Tricks andere Juristen (Staatsanwälte, Richter) dazu zu bringen, dass Einer freigelassen werden musste, der eigentlich doch nicht freigelassen werden sollte?

Ic hoffe doch mal nicht!!!!!

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@ gast2: Abhilfe für Ihre Unkenntnis http://de.wikipedia.org/wiki/Linienlampe und http://www.gluehbirne.de/Energiesparlampen-Linienlampen-wie-Linestra

Abgesehen davon: wenn die Überwachungsmaßnahme tatsächlich so gesundheitsgefährdend war wie von den Anwälten behauptet - warum hat Middelhoff monatelang keine Beschwerde dagegen eingelegt? Ich halte das nach wie vor für reines PR-Getrommel der Anwälte und jeden, der das unkritisch übernimmt, für ziemlich naiv.

Wie man den Sinn einer Suizidprophylaxe bei U-Häftlingen bezweifeln oder gar bestreiten kann, ist mir schleierhaft. Und lieber eine zuviel als zuwenig, wenn es denn Anhaltspunkte dafür gibt. Das Geschrei danach, hätte sich Middelhoff trotz seiner von ihm geäußerten Bemerkungen etwas angetan, kann man sich ausmalen. Der Arzt, der "keine Anhaltspunkte" sah, ist fein raus: er trifft die Entscheidung ja nicht.

Mein Name schrieb:

@ gast2: Abhilfe für Ihre Unkenntnis http://de.wikipedia.org/wiki/Linienlampe und http://www.gluehbirne.de/Energiesparlampen-Linienlampen-wie-Linestra

Abgesehen davon: wenn die Überwachungsmaßnahme tatsächlich so gesundheitsgefährdend war wie von den Anwälten behauptet - warum hat Middelhoff monatelang keine Beschwerde dagegen eingelegt? Ich halte das nach wie vor für reines PR-Getrommel der Anwälte und jeden, der das unkritisch übernimmt, für ziemlich naiv.

Wie man den Sinn einer Suizidprophylaxe bei U-Häftlingen bezweifeln oder gar bestreiten kann, ist mir schleierhaft. Und lieber eine zuviel als zuwenig, wenn es denn Anhaltspunkte dafür gibt. Das Geschrei danach, hätte sich Middelhoff trotz seiner von ihm geäußerten Bemerkungen etwas angetan, kann man sich ausmalen. Der Arzt, der "keine Anhaltspunkte" sah, ist fein raus: er trifft die Entscheidung ja nicht.

Das ist aber genau das Problem dieser Argumentation. Ich meine damit nicht die Frage Neonröhre vs. Energiesparlampe. Da können ja die Middelhof-Anwälte zu Stellung nehmen und dann könnte man ggf. in der Haftanstalt die Tatsachen überprüfen und klarstellen.

Was ich meine, ist das Argument:

"Und lieber eine zuviel als zuwenig, wenn es denn Anhaltspunkte dafür gibt."

Also lieber zuviele ein- und wegsperren als zu wenige. Lieber zuviele Daten ausspähen als zu wenige. Lieber übermächtig herrschen als verhandeln und damit auch Risiken tragen müssen.

Geht es also doch nur um die absolutistische Absicherung von Entscheidungsträgern? Ziel sind also Entscheidungen ohne Unwägbarkeiten, ohne Risiko. Der unmittelbare Effekt der Fürsorge ist nachrangig bis egal. Hauptsache formal alles getan, damit Verantwortung für jedwedes Ereignis zurückgewiesen werden kann. "Fein raus sein"-Prophylaxe mit Schikane+ nenne ich das mal. Wie wäre es dagegen mit anständiger Behandlung als noch Unschuldigen und dem Verzicht auf Vorwegnahme der Schuldzuweisung. Denn die steht erst mit Rechtskraft fest. Jedenfalls im Rechtsstaat. Wäre das in den meisten Fällen nicht effektiver, als der Machtanspruch: "Wir verhindern es, in dem wir Dich dahin treiben und trotzdem daran hindern"?

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Lutz Lippke schrieb:

Der unmittelbare Effekt der Fürsorge ist nachrangig bis egal. Hauptsache formal alles getan, damit Verantwortung für jedwedes Ereignis zurückgewiesen werden kann. "Fein raus sein"-Prophylaxe mit Schikane+ nenne ich das mal. Wie wäre es dagegen mit anständiger Behandlung als noch Unschuldigen und dem Verzicht auf Vorwegnahme der Schuldzuweisung. Denn die steht erst mit Rechtskraft fest. Jedenfalls im Rechtsstaat. Wäre das in den meisten Fällen nicht effektiver, als der Machtanspruch: "Wir verhindern es, in dem wir Dich dahin treiben und trotzdem daran hindern"?

Das ist schön formuliert, dem schließe ich mich voll an. Allerdings wollen und können das manche Menschen nicht begreifen, nicht nur hier, sondern auch in der Justiz.

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