Die "Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen" bei Verwaltungsgerichten und Strafgerichten

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.04.2015

Der Nichtjurist würde denken: Wenn der Strafrichter nach einer Straftat die Ungeeignetheit nicht mehr feststellen kann und dem Angeklagten die Fleppe lässt, dann wird das Verwaltungegericht das wohl auch akzeptieren müssen. Tatsächlich kommt es immer darauf an, wieviel der Strafrichter in sein Urteil zur Eignungsprüfung geschrieben hat:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 15. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung durch das Beschwerdegericht führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.
Der Antragsteller wendet ein, der Entziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2014 stehe die Bindungswirkung des Urteils des Amtsgerichts Aachen vom 18. Juli 2013 in der Fassung des Beschlusses vom 12. September 2013 entgegen. Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG dürfe die Fahrerlaubnisbehörde nicht zum Nachteil des Betroffenen vom Inhalt eines Strafurteils abweichen, soweit es sich (u. a.) auf die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beziehe. Solche bindungsfähigen Ausführungen enthalte das Urteil des Amtsgerichts B.
Mit diesem Vorbringen wird die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Antragsgegnerin habe dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen, nicht durchgreifend infrage gestellt. Die Antragsgegnerin war nicht wegen der Bindung an Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts B. vom 18. Juli 2013 gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gehindert, die Fahreignung des Antragstellers eigenständig zu prüfen.
Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung u. a. der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Dabei gilt die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren unter Einschluss der vorbereitenden Maßnahmen, so dass in derartigen Fällen die Behörde schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen darf. Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafrichter übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Allerdings ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat.
Vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1988 - 7 C 46.87 -, BVerwGE 80, 43 = juris, Rn. 10 bis 15; OVG NRW, Beschlüsse vom 25. Juni 2012 - 16 B 711/12 -, Blutalkohol 50 (2013), 40 = juris, Rn. 3, und vom 27. November 2013 - 16 B 1031/13 -, Blutalkohol 51 (2014), 127 = juris, Rn. 10, sowie vom 1. August 2014 - 16 A 2960/11 -, juris, Rn. 4.
Ausgehend von diesen Grundsätzen stand die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG der Beurteilung der Fahrungeeignetheit des Antragstellers nicht entgegen. Das Urteil des Amtsgerichts B. enthält keine ausdrücklichen Feststellungen zu seiner Fahreignung. Unter I. der gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründe heißt es, dass weder Drogen- noch Alkoholprobleme bei dem Antragsteller bestünden. Im Rahmen der Strafzumessung (IV. der Gründe) hat das Amtsgericht ausgeführt:
„Da der Angeklagte bisher verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und es sich um eine Ausnahmesituation gehandelt hat, hält das Gericht die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verhängung einer Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nicht für erforderlich. Vielmehr erscheint zur Einwirkung auf den Angeklagten, auch unter Berücksichtigung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, die Verhängung eines Fahrverbotes von 3 Monaten ausreichend, die sich im Hinblick auf die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis jedoch noch nicht erledigt hat.“
Dieser Begründung für das Absehen von Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB lässt sich nicht entnehmen, ob dieser Entscheidung eine eigenständige Eignungsbeurteilung in dem von § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG vorausgesetzten Sinn zugrunde lag. Vielmehr spricht die Erwägung, dass der Antragsteller bisher verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und es sich um eine Ausnahmesituation gehandelt habe, dafür, dass das Amtsgericht ausschließlich die Einwirkung auf den Antragsteller in den Blick nahm, nicht aber die Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen prüfte und positiv bewertete. Diese Annahme bestätigt die weitere Erwägung, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis es als ausreichend erscheinen lasse, ein Fahrverbot von drei Monaten zu verhängen. Dass das Amtsgericht in den Gründen seines Urteils davon ausgegangen ist, dass bei dem Antragsteller weder Drogen- noch Alkoholprobleme bestünden, steht dieser Wertung nicht entgegen. Denn diese Einschätzung hat das Amtsgericht in keiner Weise begründet und genügt den Anforderungen an die Feststellung der Fahreignung nicht, deren Fehlen sich im vorliegenden Fall aus der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ergab. Auch kann aus dem Umstand, dass Entziehung der Fahrerlaubnis und Fahrverbot sich grundsätzlich ausschließen, weil § 44 StGB voraussetzt, dass der Täter sich nicht als ungeeignet im Sinne von § 69 StGB erwiesen hat, nichts Abweichendes folgen. Hieraus ist nicht zu schließen, dass das Strafgericht in allen Fällen, in denen es von einer Fahrerlaubnisentziehung absieht und nur ein Fahrverbot ausspricht, zuvor auch in der gebotenen Weise die Eignungsfrage geprüft und bejaht hat. Im Hinblick auf die weit reichende Bindungswirkung ist dies nur dann anzunehmen, wenn das Strafurteil selbst in der erforderlichen Klarheit und Deutlichkeit (vgl. § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO) ausweist, dass bei dem Angeklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vorfalls ein Eignungsmangel nicht (mehr) bestand.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. November 2013 - 16 B 1031/13 -, a. a. O. = juris, Rn. 15.
Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen könnte, wenn eine entsprechende Bindungswirkung gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG bestünde, diese nicht die Berücksichtigung des Ergebnisses der Begutachtung des Antragstellers ausschließen. In dem die Fahreignung des Antragstellers verneinenden medizinisch-psychologischen Gutachten der p -mpu GmbH vom 16. Juli 2014 läge eine neue Tatsache mit selbstständiger Bedeutung vor, deren Verwertbarkeit nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung abhinge.
St. Rspr., BVerwG, Urteil vom 18. März 1982 - 7 C 69.81 -, BVerwGE 65, 157 = juris, Rn. 20, und Beschluss vom 19. März 1996 - 11 B 14.96 -, NZV 1996, 332 = juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Mai 2009 - 16 B 360/09 - und vom 30. Dezember 2010 - 16 B 1517/10 -.
Es ist nämlich im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs nicht hinzunehmen, klar zutage liegende Erkenntnisse über eine mangelnde Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers oder Fahrerlaubnisbewerbers nur deshalb auszublenden, weil sich möglicherweise zunächst der Gefahrenverdacht als weniger gravierend dargestellt hat oder gegen formale Erfordernisse der Begutachtungsanordnung verstoßen worden ist. Es kommt nicht auf die Freiwilligkeit der Begutachtung an, zumal sich Fahrerlaubnisinhaber oder -bewerber in aller Regel nicht aus freien Stücken, sondern nur unter dem Druck des drohenden Verlusts oder der Versagung der Fahrerlaubnis untersuchen lassen werden. Entscheidend für die Berücksichtigungsfähigkeit auch rechtswidrig angeordneter Fahreignungsgutachten ist nicht die Freiwilligkeit der Untersuchung, sondern das zwingende Erfordernis, im Interesse einer effektiven Gefahrenprävention aktuelle Erkenntnisse über die Fahreignung heranziehen zu können.
Hiervon ausgehend ist das medizinisch-psychologische Gutachten hinsichtlich der Klärung der Fahreignung des Antragstellers berücksichtigungsfähig. Es kommt zu dem Ergebnis, der Antragsteller werde künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen. Das Gutachten und die darin geäußerte negative Prognose beruht nicht allein auf der Trunkenheitsfahrt, mit der sich das Amtsgericht hinsichtlich der Eignungsfrage ausschließlich zu befassen hatte, sondern auch auf unrealistischen Angaben des Antragstellers zu seinen Trinkgewohnheiten, die auf eine weiterhin mangelnde Aufarbeitung der Alkoholproblematik hindeuten und mit erheblichem Gewicht in die Eignungsbeurteilung eingeflossen sind. Daher hat die Eignungsbeurteilung der Antragsgegnerin einen umfangreicheren Sachverhalt als denjenigen in den Blick genommen, der der (unterstellten) Eignungsbeurteilung des Strafgerichts zugrunde lag. Diese gutachterliche Aussage hat das Verwaltungsgericht als überzeugend beurteilt. Zur Vermeidung nicht notwendiger Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden erstinstanzlichen Ausführungen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), denen der Antragsteller mit der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten ist.

OVG Münster, Beschluss vom 19.03.2015 - 16 B 55/15

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Es verhält sich wohl so, dass das Verwaltungsgericht die Entscheidung des Amtsrichters nur als abschließend und bindende betrachtet hätte, wenn im Rahmen der amtsgerichtlichen Entscheidung eine MPU angordnet worden wäre (wozu es keine Rechtsgrundlage gibt) oder das Amtsgericht eine solche durchführt hätte (was ein noch größerer Unfug gewesen wäre).

https://twitter.com/RaPaulWegener

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