Zuschrift eines Bloglesers: RA Andreas Philipps zur Beharrlichkeit nach § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.04.2015

Ganz besonders freue ich mich immer über Zuschriften von Bloglesern. Hier eine solche von RA Philipps, der mit der Veröffentlichung einverstanden war (auch an alle anderen Blogleser: Nur Mut - schicken Sie mir was!). 

Sehr geehrter Herr Krumm,

betreffend die vorgenannte Vorschrift beschäftigt mich bereits seit Jahren die für den Betroffenen ungünstige Regelung, wonach die Jahresfrist erst ab der Rechtskraft der Erstentscheidung anlaufen soll.

In einem aktuell in Bearbeitung befindlichen Fall hängt hiervon Entscheidendes ab.

Die Ersttat war am 13.06.2013. Rechtskräftig wurde hierüber am 08.02.2014 befunden.

Die Zweittat war am 01.10.2014.

Die übrigen Voraussetzungen des § 4 Abs. 2, Satz 2 BKatV liegen vor. Es droht ein Regelfahrverbot.

Die Regelung in § 4 Abs. 2 BKatV erscheint mir im Hinblick auf Art. 3 GG bedenklich. Derjenige Verkehrsteilnehmer, der sich gegen den Bußgeldbescheid nicht zur Wehr setzt, kommt zeitlich früher in den Genuss des Anlaufs der Jahresfrist. Derjenige, der sich gegen den Bußgeldbescheid zur Wehr setzt und von seinem "guten Recht" Gebrauch macht, wird darauf verwiesen, dass für ihn die Jahresfrist später zu laufen beginnt.

Da Sanktionen tatbezogen und nicht vom Verlauf eines Rechtsmittelverfahrens abhängig sein sollen, sehe ich keine diese Ungleichbehandlung rechtfertigende Gründe. Gerade im Hinblick auf das rechtsstaatlich erforderliche Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) scheint mir diese Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen.

In allen mir zur Verfügung stehenden Entscheidungen und Literaturstellen finde ich hierzu nichts. Alle Ausführungen, die ich hierzu gefunden habe, auch die in Ihrem Werk, beschränken sich auf die mehr oder weniger wörtliche Wiedergabe des Textes des § 4 Abs. 4 BKatV.

Mir stellt sich die Frage, ob hier kein Problem besteht und ich nur ein Problem zu sehen glaube oder ob das Problem nur nicht gesehen wird.

Sollte § 4 Abs. 2 BKatV aus vorstehenden Gründen in der in der Verordnung niedergelegten Fassung wegen Grundgesetzwidrigkeit nicht anwendbar sein, würde nur der Regelfall wegfallen. Einzelfallbezogen könnte gleichwohl ein beharrlicher Pflichtenverstoß gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV gegeben sein. Dieser wäre jedoch dann positiv festzustellen.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Philipps
Rechtsanwalt

Zum Beharrlichkeitsfahrverbot empfehle ich natürlich:

Fahrverbot in Bußgeldsachen | Krumm | Buch (Cover)

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3 Kommentare

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Das Argument ist durchaus berechtigt, es mag da zu Ungleichheiten durch die Verfahrenslänge kommen, gleichwidrig scheint mir dennoch das Abstellen auf die Rechtskraft (und damit das Urteil) nicht zu sein, denn die Verurteilung mit all ihren belehrenden und vorhaltenden Aspekten als Zäsur zu nehmen, scheint mir richtig. Wer zB ein langes Verfahren hatte und direkt nach der Urteilsverkündung schon wieder auffällt, sollte aus dem Nichtlernen aus dem Urteil nicht noch gleich "belohnt" werden. Die Ahnung von Verkehrsowis hat ja nunmal vor allem den Sinn, weitere Verfehlungen im Verkehr zu vermeiden. Dieser Zweck kann natürlich nicht erreicht werden, wenn es nicht auf die Rechtskraft ankommt.

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Der Fall kann aber auch genauso gut andersherum eintreten: Wäre der Mandant nach dem ersten Verstoß, jedoch noch vor Rechtskraft dieser Entscheidung (also zwischen dem  13.06.2013 und dem 08.02.2014) mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Bereich des § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV aufgefallen, wäre regelmäßig kein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit zu verhängen, obgleich er zweimal innerhalb eines Jahres negativ aufgefallen ist.

Ebenfalls problematisch stellte sich der Fall da, wenn es gelänge, die Rechtskraft der zweiten Entscheidung so weit herauszuzögern, bis die erst bereits tilgungsreif ist. Denn auch in diesem Fall wäre gegen den Mandanten (unabhängig von der Frage, ob das Fahrverbot infolge Zeitablaufs überhaupt noch erforderlich ist) kein Fahrverbot mehr festzusetzen.

 

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Die Aknüpfung an den Zeitpunkt der Verurteilung, nicht der Tat, gibt es auch bei zahlreichen anderen Regelungen, bspw. im Beamtenrecht - wer früh gesteht, bekommt früh ein Urteil, bekommt früh seine Eintragung im BZR, bekommt früher die Löschung aus dem BZR.

Einerseits hat das etwas ungerechtes, weil die Dauer des Verfahrens hier zu Lasten des Betroffenen wirkt. Das führt dazu, dass aktive Verteidigung zu Rechtsfolgen führen kann, die unbillig erscheinen - wenn bspw. jemand früh wahrheitswidrig gesteht, kann das besser sein, als Monate später einen Freispruch zu bekommen.

Andererseits aber ist dieses Prozedere offenbar allgemein akzeptiert. Ob man daran etwas ändern kann... fraglich. Aussichtsreich könnte es sein, auf die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen und bspw. unbillige Verfahrensverzögerungen herauszuarbeiten oder die Aussagekraft der Tat wegen Zeitablaufs zu verneinen.

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