Manipulationen bei Organtransplantation - kein Totschlagsversuch

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 07.05.2015

Der in Göttingen wegen Versuchs des Totschlags in elf Fällen angeklagte Arzt, der seinen Patienten bei der Vergabe von gespendeten Organen einen Vorteil verschafft hatte, ist freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat Revision angekündigt. Soweit die Gründe in der Presse mitgeteilt wurden, hat das Gericht zwar in den Abweichungen von den Richtlinien moralisch verwerfliches Handeln gesehen, meinte aber, in der notwendigen Benachteiligung anderer Patienten auf der Organspendenwarteliste sei kein Totschlagsversuch festzustellen. Der bloße Verstoß gegen die Richtlinien der Ärztekammer sei nicht strafbar gewesen (jetzt gilt § 19 TPG). Hintergrund ist wohl, dass eine Kausalität der Bevorzugung des einen Patienten für den konkreten Todesfall eines anderen kaum nachweisbar ist, ja nicht einmal für eine das Leben gefährdende Verzögerung der Transplantation bei einem anderen genügen die Beweise. Und daher ist auch nicht ohne Weiteres von einem entsprechenden Tatentschluss auszugehen. Hier Auszüge aus der Berichterstattung der Süddeutschen:

Steht man auf der Rangliste der Patienten, die dringend eine neue Leber brauchen, nur weit genug oben, dann gibt es Lebern im Überfluss. "Die Angebote an Lebern kommen dann wie die Flugzeuge am Frankfurter Flughafen", sagt Aiman O. "Eine nach der anderen. Manchmal zehn am Tag. Der Operateur kann da ganz entspannt sein." Oft lehne ein Arzt 20, 30 Lebern ab, bevor er eine Leber für gut genug erachte für seinen Patienten. Bei einem Patienten seien sogar 99 Lebern abgelehnt worden.

(...)

"Bedeutet das, dass man, salopp gesagt, ein Organ einfach sausen lassen kann? Ist das Praxis in Deutschland?" "Das ist mehr als eine Praxis", sagt der Angeklagte O., "das wird überall in Deutschland so gehandhabt." Seit 2006 gebe es dieses Überangebot für Patienten, die sehr krank seien. Doch, das sagt der Angeklagte Doktor O. auch, diese Menschen seien schon so mitgenommen von ihrer Krankheit, dass sie oft mit ihrem neuen gesunden Organ schnell sterben, "das ist das eigentlich Tragische."

(...)

Die Kammer hat sich die Mühe gemacht, für jeden angeklagten Fall der Manipulation zu recherchieren, was aus denjenigen Kranken wurde, denen die Patienten von O. vorgezogen wurden. Einer dieser bevorzugten Patienten sprang durch die Manipulationen gleich von Rang 34 auf Rang 2 und erhielt binnen Tagen eine Leber. Der Richter fasst die Recherchen zusammen: Der Patient auf Rangnummer 3 bekam ein Organ und lebt. Nummer 4 bekam ein Organ und starb nach der Operation. Nummer 5 bekam ein Organ und lebt, Nummer 6 bekam ein Organ und ist gestorben. Nummer 7 bekam ein Organ, er hatte sogar sieben Angebote. Nummer 8 wurde von der Liste genommen, weil sich sein Zustand besserte. Nummer 9 bekam ein Organ und starb, Nummer 10 lebt. Es ist nicht einfach zu klären, ob die Verzögerung durch die Manipulationen schuld am Tod anderer Kranker war, weil die Ursache für deren Tod ja auch anderswo liegen kann.

Und aus der Badischen Zeitung:

Das Gericht ging jedoch davon aus, dass Aiman O. keinen Tötungsvorsatz hatte. Denn sobald ein Patient auf der Warteliste in Lebensgefahr geriet, bekam er stets sofort ein Organ zugeteilt. O. habe auf diesen Mechanismus vertraut, jedenfalls konnte ihm dies im Prozess nicht widerlegt werden, so die Richter.

Nach allem scheint der eigentliche Schaden, den der Angeklagte anrichtete, woanders zu liegen: Nach Bekanntwerden der Manipulationen hat die Spendebereitschaft  stark abgenommen und dies hat statistisch abstrakt sicherlich Menschenleben gekostet. Aber auch diese Folgen können wohl den konkreten Handlungen des Angeklagten nicht zugerechnet werden.


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14 Kommentare

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Der Freispruch erscheint mir logisch. Aber warum wurde denn nicht wegen Urkundenfälschung angeklagt? Immerhin wurden von diesem Arzt vorsätzlich falsche Dokumente erstellt, indem die tatsächlichen Werte aus der Krankenakte verändert wurden und dann diese veränderten Werte Eurotransplant gemeldet wurden.

Wenn ich Kontoauszüge meines Girokontos nehme und die Zahlen etwas schöne und damit meine Bonität für einen Kredit etwas aufbessere, werde ich vermutlich wegen Urkundenfälschung bestraft. Warum soll das bei Ärzten anders sein?

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@ Gast #1

Spekulation meinerseits, aber möglicherweise hat die StA nach § 154 StPO teilweise von der Verfolgung abgesehen.

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Sehr geehrter Gast,

zu Ihrer Frage: Eine Urkundenfälschung liegt nicht darin, dass mittels Urkunden "gelogen" wird, sondern allein in der Frage der Unechtheit, also der Täuschung über den Aussteller. Da der Angekl. ggf. die Urkunden/Krankenakteninhalte mit eigenem Namen gezeichnet hat, hat er nicht über den Aussteller getäuscht. Ob andere Normen, die die Datenmanipulation betreffen könnten (z.B. §§ 270, 271, 274, 277, 278) verwirklicht wurden, entzieht sich meiner Kenntnis.

Die Girokontenauszüge sind Urkunden, die die Bank ausgestellt hat; wenn Sie die verändern, dann täuschen Sie über den Aussteller, verfälschen also eine Urkunde (denn die veränderte Erklärung stammt nicht von der Bank, sondern von Ihnen). Wenn Sie sie vorlegen, um sich zu bereichern, ist es ggf. Betrug.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Gast,

zu Ihrer Frage: Eine Urkundenfälschung liegt nicht darin, dass mittels Urkunden "gelogen" wird, sondern allein in der Frage der Unechtheit, also der Täuschung über den Aussteller. Da der Angekl. ggf. die Urkunden/Krankenakteninhalte mit eigenem Namen gezeichnet hat, hat er nicht über den Aussteller getäuscht. Ob andere Normen, die die Datenmanipulation betreffen könnten (z.B. §§ 270, 271, 274, 277, 278) verwirklicht wurden, entzieht sich meiner Kenntnis.

Die genauen Abläufe im Krankenhaus bei einer Transplantation entziehen sich meiner Kenntnis. Dennoch weiß man, dass es im Krankenhaus nicht den "Arzt für Alles" gibt. Der angeklagte Arzt hat also auf jeden Fall Befunde gefälscht, die er nicht selbst erhoben hat und nicht selbst unterschrieben hat: Nämlich z.B. die Laborbefunde, für die ein Laborarzt verantwortlich zeichnet, und die Histologie-Befunde, für die ein Arzt für Pathologie verantwortlich zeichnet.

Mag sein, dass Eurotransplant sich mit Kopien begnügt oder gar mit der einfachen bloßen Mitteilung dieser Werte. Dann hätte der Arzt natürlich nur "gelogen" und falsche Werte mitgeteilt.

Ich kann mir das aber fast nicht vorstellen. Die Originalbefunde sind bei horizontaler Arbeitsteilung im Krankenhaus heutzutage fast unumgänglich. Das wäre ja fast so, als wenn ein Internist dem Chirurgen eine Operation nahelegt und die radiologischen und histologischen Befunde nicht im Original beilegt, sondern sich selbst was zusammendichtet. Und der Chirurg würde sich auf eine solche indirekte Befundmitteilung verlassen und würde auf die bloßen schönen Worte des Internisten hin zum Skalpell greifen. So geht das nicht.

Ich kann mir also fast nicht vorstellen, dass Eurotransplant auf die Originalbefunde und Dokumente verzichtet. Der angeklagte Chirurg muss also Befundberichte von Kollegen, insbesondere von Labormedizinern, Radiologen, Pathologen, gefälscht haben und Eurotransplant solche verfälschten Dokumente vorgelegt und untergejubelt haben. Óhne verfälschte Dokumente geht es nicht. Ich fürchte, die Juristen haben diese medizinischen Abläufe einfach nicht verstanden, weil der redegewandte Arzt das Gericht an der Nase herumgeführt hat und dort erklärt hat, er habe eben nur ein paar falsche Angaben gemacht.

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Der Freispruch ist auf jeden Fall gut vertretbar.

Gut vertretbar ist aber auch die Entscheidung (oder Ankündigung) der Staatsanwaltschaft, gegen den Freispruch Rechtsmittel einzulegen.

Zur Klärung der Fragen eine Entscheidung des BGH herbeizuführen, wäre sicherlich wünschenswert. 

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Urkundenfälschung dürfte wohl (wie oben bereits sehr gut erläutert) ausscheiden (es sei denn der Angeklagte hätte Urkunden hergestellt oder verändert, deren Aussteller nicht er selber, sondern eine andere natürliche oder juristische Person war).

Je nachdem wie der Sachverhalt im einzelnen liegt könnte vielleicht auch ein Betrugstatbestand oder eine Untreuetatbestand verwirklicht worden sein, aber besonders naheliegend ist das nicht, und je nach Formulierung der Anklageschrift (wenn die entsprechenden Lebensachverhalte nicht mitangeklagt waren)wäre wahrscheinlich jedenfalls inzwischen Verjährung eingetreten.

Ob die neue gesetzliche Regelung ausreicht, um früher anscheinend existierende "Strafbarkeitslücken" effektiv und genralpräventiv zu schließen, vermag ich auch nicht zu beurteilen.

Außerdem bleibt wahrscheinlich doch trotz der gesetzlichen Neuregelung das "Problem" (wenn man es denn negativ wertend so bezeichnen will), daß (deutsche) Ärzte und (deutsche) Patienten Behandlungen ins Ausland (etwa z.B. in die Niederlande, Dänemark, Frankreich, Schweiz, Großbritannien, USA, Australien, Südafrika, Brasilien, Indien, China) verlagern, um unsere Rechtsvorschriften zu umgehen.

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... Natürlich stellt sich noch die Frage, wann es sich um eine Urkunde handelt und um eine Urkundenfälschung. Früher war das einfach: da gab es den Brief des Pathologen und des Labormediziners und des Radiologen als unterschriebenes Schriftstück bzw. Arztbrief. Bei Manipulationen mussten diese Schriftstücke verfälscht werden - klare Urkundenfälschung.

Heutzutage liegen die Befunde im Krankenhausinformationssystem digital vor und werden "digital signiert". Der Befund wird dann bei Meldung an Eurotransplant vermutlich nur per copy-and-paste aus der elektronischen Krankenhausakte herauskopiert.

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Urkundenfälschung hin oder her, kommen wir mal zu der interessanten Frage, ob aufgrund der oben genannten Begründung (sofern die Angaben nicht derart verkürzt sind, dass sie den Inhalt der Entscheidung verzerren) ein Tötungsvorsatz abzulehnen ist.  Ob tatsächlich Ursächlichkeit angenommen werden kann, hat ja allenfalls indizielle Bedeutung. Entscheidend ist meines Erachtens vielmehr Folgendes: dem Arzt war unzweifelhaft bewusst, dass es zu zeitlichen Verzögerungen kommt (bzw. kommen kann). Unzweifelhaft ist ebenso, dass der Krankheitsverlauf der einzelnen Patienten unvorhersehbar ist, allerdings im Falle längeren Zuwartens, sich der Krankheitszustand jederzeit akut verschlechtern kann und zum Tode führen kann. Zwar wird - laut obiger Angaben - in einem solchen Fall unmittelbar ein Organ zur Verfügung gestellt. Jedoch besteht weiterhin die Möglichkeit, dass durch die weitere eingetretene Destabilisierung der Gesundheit, die Transplantation zu spät kommt. D.h. jede noch so kurze Verzögerung kann "das Fass" unwiederbringlich zum Überlaufen bringen. Ob es aus anderen Gründen, namentlich der Ablehnung von Organen aus Gründen geringer Qualität, auch zu Verzögerungen kommen kann, ist hierbei letztlich ebenfalls ohne Bewandtnis. All dies ist kein Geheimnis, sondern war dem Arzt bewusst - er wusste das er das Zünglein an der Waage war und dies jederzeit hypothetisch den Tod eines Menschen verursachen könnte. 

 

Dementsprechend ist meines Erachtens der Tötungsvorsatz anzunehmen.

 

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M. Jaletzky schrieb:

Urkundenfälschung hin oder her, kommen wir mal zu der interessanten Frage, ob aufgrund der oben genannten Begründung (sofern die Angaben nicht derart verkürzt sind, dass sie den Inhalt der Entscheidung verzerren) ein Tötungsvorsatz abzulehnen ist.  Ob tatsächlich Ursächlichkeit angenommen werden kann, hat ja allenfalls indizielle Bedeutung. Entscheidend ist meines Erachtens vielmehr Folgendes: dem Arzt war unzweifelhaft bewusst, dass es zu zeitlichen Verzögerungen kommt (bzw. kommen kann). Unzweifelhaft ist ebenso, dass der Krankheitsverlauf der einzelnen Patienten unvorhersehbar ist, allerdings im Falle längeren Zuwartens, sich der Krankheitszustand jederzeit akut verschlechtern kann und zum Tode führen kann. Zwar wird - laut obiger Angaben - in einem solchen Fall unmittelbar ein Organ zur Verfügung gestellt. Jedoch besteht weiterhin die Möglichkeit, dass durch die weitere eingetretene Destabilisierung der Gesundheit, die Transplantation zu spät kommt. D.h. jede noch so kurze Verzögerung kann "das Fass" unwiederbringlich zum Überlaufen bringen. Ob es aus anderen Gründen, namentlich der Ablehnung von Organen aus Gründen geringer Qualität, auch zu Verzögerungen kommen kann, ist hierbei letztlich ebenfalls ohne Bewandtnis. All dies ist kein Geheimnis, sondern war dem Arzt bewusst - er wusste das er das Zünglein an der Waage war und dies jederzeit hypothetisch den Tod eines Menschen verursachen könnte.

 

Dementsprechend ist meines Erachtens der Tötungsvorsatz anzunehmen.

 

 

Was wollen Sie dem Arzt eigentlich unterstellen? Dass er Tötungsabsicht hatte und nur deshalb "seine" Patienten bevorzugte, um die anderen Patienten zu töten, glauben Sie doch selbst nicht. Genauso könnte man Eurotransplant Tötungsabsicht unterstellen, indem diese Organisation nach bestimmten - hochumstrittenen - Kriterien manche Patienten bevorzugt, manche aber hintenanstellt. Und diese Patienten, die man auf der Liste nach hinten setzt, will man töten?

Wenn es um Mangelverwaltung geht, dann kann man doch nicht Tötungsabsicht unterstellen, nur weil bestimmte Patienten früher behandelt werden als andere und denknotwendig dann andere Patienten später, möglicherweise auch zu spät.

Der angeklagte Arzt hat offenbar für das Gericht nachvollziehbar darlegen können, dass er der festen Überzeugung war, dass seine Patienten dringender der ärztlichen Hilfe bedürften. Er hat sich deshalb nicht an die allgemein anerkannten Spielregeln gehalten und dabei getrickst.

Tötungsabsicht ist dabei absolut fernliegend und kann nur von einem kranken Juristengehirn angenommen werden. Er wollte helfen, vielleicht auch sich profilieren. Er hat unärztlich gehandelt. Eine Approbationsentziehung steht da allemal im Raum. Aber Tötungsabsicht?

Glücklicherweise hat das Landgericht mit seinem Urteil die Kirche im Dorf gelassen.

 

 

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An dieser Stelle sollte man noch daruf hinweisen, dass die Kammer die jetzige 6-Monats Regel bei Alkoholkranken als verfassungswidrig verworfen hat. Die FAZ zitiert den Vorsitzenden:

„Die Richtlinie verstößt gegen das Recht auf Leben.“

Der Artikel ist hier: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/freispruch-fuer-go...

Diesen Teil des Urteils finde ich besonders interesant, denn für einen derzeit ausgeschlossenen stellt sich so die Frage, ob er den Ausschluss nicht angreift. Eine kurze Nachschau ergab, dass die Vermittlung in § 12 Abs. 1 Satz 1 TPG geregelt ist, wo es derzeit heißt:

Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln.

Dort hängt der Ausschluss wohl an dem Wort "Erfolgsaussicht". Ich verstehe Erfolgsaussicht aber danach, welche Erfolgsaussichten der konkrete Eingriff hat. Mal schauen ob es dazu eine Diskussion gibt.

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Die gerichtliche Würdigung, dass weder ein konkreter Todesfall noch ein Tötungsvorsatz nachweisbar gewesen ist, halte ich für völlig nachvollziehbar. Wer aufgrund eines plausiblen Rettungsmechanismus darauf vertraut, dass (trotz eintretender Lebensgefahr) "alles gut gehen" wird, bei dem liegt eben kein Tötungsvorsatz vor.

Allerdings wäre - dies war aber wohl nicht angeklagt - eine versuchte gefährliche Körperverletzuung nach § 224 Abs.1 Nr.5 zumindest denkbar, wenn der Angeklagte damit rechnete und es in Kauf nahm, dass aufgrund der Bevorzugung seiner Patienten und wegen der daraus notwendig folgenden Verzögerung einer Transplantation der Gesundheitszustand eines weiteren auf der Liste stehenden Patienten verschlechtert würde bis zu einem lebensgefährlichen Zustand.  Es erscheint mir jedoch fraglich, ob die Listenmanipulation als eine "das Leben gefährdende Behandlung" subsumiert werden kann.

 

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Allerdings wäre - dies war aber wohl nicht angeklagt - eine versuchte gefährliche Körperverletzuung nach § 224 Abs.1 Nr.5 zumindest denkbar, wenn der Angeklagte damit rechnete und es in Kauf nahm, dass aufgrund der Bevorzugung seiner Patienten und wegen der daraus notwendig folgenden Verzögerung einer Transplantation der Gesundheitszustand eines weiteren auf der Liste stehenden Patienten verschlechtert würde bis zu einem lebensgefährlichen Zustand.  Es erscheint mir jedoch fraglich, ob die Listenmanipulation als eine "das Leben gefährdende Behandlung" subsumiert werden kann.

 

Eine ähnlich gelagerte Konstellation aus dem täglichen Krankenhausbetrieb:

eine bestimmte aufwändige Untersuchungsmethode, wie beispielsweise eine Kernspintomographie-Untersuchung, steht nur eingeschränkt zur Verfügung. Es existieren Wartelisten für die stationären Patienten. Der zuständige Radiologe wählt nach bestimmten Dringlichkeitskriterien aus, welche Patienten bevorzugt am gleichen Tag untersucht werden müssen.

Gar nicht so selten rufen dann Stationsärzte an, um doch noch für "ihre" Patienten einen sofortigen Termin durchzudrücken, natürlich zu Lasten anderer Patienten. Dabei wird auch dramatisiert, geschummelt, manchmal auch gelogen das sich die Balken biegen. Man meint es ja gut und will sich für seine Patienten einsetzen.

Soll man ein solches Verhalten der Stationsärzte zukünftig als "das Leben gefährdende Behandlung" sanktionieren? Diesen schummelnden Stationsarzt gar wegen Totschlag anklagen, wenn ein anderer Patient dann wegen zu später Untersuchung stirbt?

Natürlich nicht. Das sind einfach Folgen einer Mangelsituation bzw. der Mangelverwaltung. Genauso könnte man die Klinikleitung wegen (versuchten oder tatsächlichen) Totschlags anklagen, weil sie nicht ausreichend Großgeräte zur Verfügung stellt. Oder im Fall der Organtransplantation die Spenderorganisationen, weil sie nicht für ausreichend Spenderorgane sorgen (man könnte ja beispielsweise die Widerspruchlösung einführen oder sogar eine Zwangsspende ohne Widerspruchslösung, das Unterlassen solcher Verbesserungen wäre dann auch versuchter Totschlag).

 

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Was ist eigentlich mit den Transplantierten gewesen? Wurden die auch bestraft?

Und wenn alle beteiligten Personen mit Strafen rechnen müssen, also PatientInnen, KollegInnen, Pflegepersonal u.s.w. gibt es schon besondere Barrikaden zu überwinden, um den Sachverhalt aufzuklären. Kann es sein, dass viele potentielle GehilfInnen Interesse an Straflosigkeit hatten?

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Kausalität kann wohl nur gelingen, wenn sicher festgestellt werden kann, dass (nach den Richtlinien) benachteiligte Patieten mit an Sicherheit reichender Wahrscheinlichkeit überlebt hätten, wenn sie entsprechend (der Richtlinien) rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten ätten.

Wohl sehr schwer nachzuweisen.

 

Zu überlegen wäre, ob es einen anderen Sanktionsmechanismus für die offene Missachtung der Richtlinien geben könne.

Etwa der, dass bestimmte Ärzte, die die Richtlinien missachten, für eine bestimmte Zeit von der Vergabe ausgenommen
werden; bzw., wenn dies untunlich ist, weil dadurch schlichtweg (dessen) Patienten ohne Rücksicht auf deren Zustand
benachteiligt werden, ob vielleicht die Ärztekammer eine Aufsicht über dessen Anordnungen führen kann.

(Alles nur Denkansätze, weiß auch nicht, wie man eine gerechte Regelung bewirken kann)

 

 

 

 

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