NACHTWÖLFE - der Volltext der Entscheidung ist online...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.05.2015

Irgendwie sind die "Nachtwölfe" ja auch verkehrsrechtliches Thema. Sie planten ja - wie man aus der Tagespresse entnehmen konnte - eine Fahrt nach Berlin zum „Tag des Sieges“ und trafen dabei auf wenig Gegenliebe in Polen und Deutschland. Immerhin ist für das Blog eine OVG-Entscheidung dabei rausgekommen:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragsgegnerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragsgegnerin wendet sich dagegen, dass ihr mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt wird, dem Antragsteller, der russischer Staatsangehöriger ist, die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zur Teilnahme an der für den 9. Mai 2015 geplanten Veranstaltung aus Anlass des Sieges der Roten Armee zu verweigern. Zuvor hatte die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 30. April 2015 die Einreise auf dem Luftweg verweigert und dies in tatsächlicher Hinsicht insbesondere darauf gestützt, dass der Antragsteller in Verdacht stehe, Mitglied des russischen Motorradclubs „Nachtwölfe“ zu sein und mit weiteren Mitgliedern beabsichtige, an einer Gedenkveranstaltung zum 9. Mai 2015 in Form eines Motorradcorsos teilzunehmen.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet. Das insoweit allein maßgebliche Beschwerdevorbringen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat neben dem Anordnungsgrund einen Anordnungsanspruch als glaubhaft gemacht erachtet, weil die Voraussetzungen für eine Einreiseverweigerung nach Art. 13 Abs. 1 i. V. m. Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 562/2006 - Schengener Grenzkodex (SGK) - nicht gegeben seien. Soweit die Antragsgegnerin befürchte, die Einreise des Antragstellers könne die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland Polen belasten, sei diese Einschätzung zwar gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen und die Prognose einleuchtend begründet worden sei. Indes habe sich die Befürchtung erledigt, weil sich der Motorradcorso nach Medienberichten seit dem 4. Mai 2015 in Deutschland befinde. Der weitere Grund, die EU-Staaten seien übereingekommen, angesichts der Absicht, die russische Föderation politisch zu isolieren und keine Plattform für das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs zu bieten, sei nicht tragfähig. Denn die Bundesregierung wolle nach übereinstimmenden Medienberichten gegen die Gedenkveranstaltung, die offenbar in einem Motorradcorso mit einem überschaubaren Teilnehmerkreis bestehen solle, nicht vorgehen und sei bereit, sie hinzunehmen. Damit könne die Veranstaltung auch schwerlich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S. des Art. 5 Abs. 1 lit. e) SGK darstellen.

Die von der Antragsgegnerin dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.

In Bezug auf die ursprünglich angeführte Gefahr für die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland insbesondere zu Polen tritt die Beschwerde der zutreffenden Begründung des Verwaltungsgerichts nicht entgegen.

Soweit die Beschwerde sinngemäß auch in Bezug auf die Versagungsgründe der öffentlichen Ordnung i. S. v. Art. 5 Abs. 1 e) SGK hervorhebt, dass es für die Bundesrepublik von zentraler Bedeutung sei, den 70. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Würde zu begehen und jegliche Instrumentalisierung der Opfer und des Widerstandes gegen die Naziherrschaft zu vermeiden, indes anzunehmen sei, dass es der Gruppierung der „Nachtwölfe“, die bekanntermaßen extrem nationalistisch, oppositionsfeindlich und homophob eingestellt sei und martialisch auftrete, um eine Demonstration der Stärke und Macht und damit um eine Provokation des Staates gehe, dringt sie auch damit nicht durch. Zwar ist in Betracht zu ziehen, dass der im Lichte des Schengener Grenzkodex auszulegende und insoweit mit dem nationalen polizeirechtlichen nicht identische Begriff der öffentlichen Ordnung i. S. v. Art. 5 Abs. 1 e) SGK auch den Schutz der würdevollen und störungsfreien Durchführung wichtiger staatlicher Gedenkfeiern beinhalten kann. Es kann allerdings dahinstehen, ob und inwieweit dies der Fall ist. Im vorliegenden Fall könnte die vorgetragene Einschätzung der Sachlage und der befürchteten Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung durch die Antragsgegnerin eine Einreiseverweigerung mangels näher überprüfbarer Anhaltspunkte lediglich dann stützen, wenn der Antragsgegnerin insoweit ein Beurteilungsspielraum einzuräumen wäre.

Dies unterstellt, verstößt die Entscheidung über die Einreiseverweigerung indes gegen das auch insoweit geltende Willkürverbot auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 GG. Denn es ist kein sachlicher Grund erkennbar, der rechtfertigen könnte, dass seitens der Antragsgegnerin nach Aktenlage hinsichtlich der Einreise von Personen, die im Umfeld der „Nachtwölfe“ an den in Deutschland beabsichtigten Gedenkveranstaltungen insbesondere in Form von Motorradcorsos teilnehmen wollen, vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt und insoweit das Schutzgut der öffentlichen Ordnung oder die erheblichen Interessen der Bundesrepublik offenbar jeweils unterschiedlich bewertet wurden. Denn nach der Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf Medienberichte (insbesondere FAZ vom 4. Mai 2015), denen die Beschwerde inhaltlich nicht entgegentritt, wurde einer Reihe weiterer Personen aus dem Umfeld der Gruppierung die Einreise gestattet und wird ausweislich der dort wiedergegebenen Stellungnahme des Regierungssprechers die Bundesregierung nicht gegen die geplanten Veranstaltungen vorgehen. Soweit die Beschwerde anmerkt, ihre Maßnahmen richteten sich ausschließlich gegen erkannte Mitglieder der „Nachtwölfe“, ist nicht erkennbar, wie dadurch in Anbetracht der geschilderten Umstände den vorgetragenen Befürchtungen sinnvoll entgegengetreten werden soll, wenn die Veranstaltungen der Gruppierungen toleriert werden. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass ein Schutz der staatlichen Gedenkfeiern vor etwaigen Störmanövern oder auch die Durchsetzung der Straßenverkehrsordnung unabhängig von der Frage der Einreise durch die zuständigen Polizeibehörden wirksam gewährleistet werden kann.

Eine Zurückweisung des Antragstellers nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 i.V. m. § 55 Abs. 1 AufenthG kommt aus den zuvor genannten Gründen ebenfalls nicht in Betracht.

Schließlich war der angefochtene Beschluss auch nicht dahingehend zu beschränken, dass der Antragsgegnerin lediglich die Einreiseverweigerung aus den geprüften Gründen vorläufig untersagt wird. Denn dies ergibt sich hinreichend aus den bei der Auslegung heranzuziehenden Gründen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 08.05.2015 - OVG 6 S 16.15

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