Polizisten stiften Bürger zum Rauschgiftschmuggel an - BGH ändert endlich seine ständige Rechtsprechung

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 10.06.2015

„Nachdem eine langfristige Observation sowie umfangreiche Überwachungsmaßnahmen diesen Verdacht nicht bestätigt hatten, setzte die Polizei mehrere verdeckte Ermittler aus Deutschland und den Niederlanden ein, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten versuchten, die Beschuldigten dazu zu bringen, ihnen große Mengen "Ecstacy"-Tabletten aus den Niederlanden zu besorgen. Die Beschuldigten weigerten sich, dies zu tun. Erst als einer der Verdeckten Ermittler drohend auftrat und ein anderer wahrheitswidrig behauptete, wenn er seinen Hinterleuten das Rauschgift nicht besorge, werde seine Familie mit dem Tod bedroht, halfen die Beschuldigten in zwei Fällen ohne jedes Entgelt bei der Beschaffung und Einfuhr von Ectacy aus den Niederlanden. Diese Feststellungen hat das Landgericht auf der Grundlage der Einlassungen der Angeklagten getroffen, weil die Polizei nicht bereit war, die Verdeckten Ermittler offen als Zeugen vernehmen zu lassen. “

So ein Auszug aus der Sachverhaltsschilderung in einer Pressemitteilung des BGH von heute. Hier werden nicht die Verfahrensweisen der Stasi oder eines notorischen Unrechtsstaats geschildert, sondern die der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat. Aber was ist das für ein „Rechts“-Staat, in dem es möglich ist, dass Polizeibeamte einen unverdächtigen Bürger, der sich zunächst sträubt, durch Lügen und Drohungen dazu bringen, eine Straftat zu begehen, für die er dann angeklagt und verurteilt wird? Die rechtswidrige Tatprovokation sei lediglich in der Strafzumessung zu berücksichtigen, so die bis jetzt ständige Rechtsprechung, ein Verfahrenshindernis sei sie jedenfalls nicht.  Trotz der Strafmilderungen wurden Betroffene allerdings wegen der im Betäubungsmittelstrafrecht üblicherweise sehr hohen Strafdrohungen immer noch zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Bislang wurde diese Rechtsprechung von sämtlichen Senaten des Bundesgerichtshofs als gerecht und vom BVerfG als noch verfassungsgemäß

angesehen. Das BVerfG argumentierte zuletzt (Dezember 2014) so (Auszug Pressemitteilung):

„In der bisherigen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde offen gelassen, ob die Mitwirkung eines polizeilichen Lockspitzels bei der Überführung eines Straftäters überhaupt geeignet sein kann, die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs gegen den Betroffenen zu hindern.(…) Selbst wenn man dies im Grundsatz für möglich erachten wollte, könnte ein derartiges Verbot der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs nur in extremen Ausnahmefällen aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werden, weil es nicht nur Belange des Beschuldigten, sondern auch das Interesse an einer der materiellen Gerechtigkeit dienenden Strafverfolgung schützt.“

In den Fällen, in denen der Staat durch seine Polizei rechtswidrig Straftaten provoziert, ist allerdings schon das Entstehen eines rechtmäßigen „staatlichen Strafanspruchs“ äußerst fraglich. Vom BVerfG wird nun gerade dieser vergiftete „Strafanspruch“ auf Grundrechtshöhe hochgeschraubt und die „der materiellen Gerechtigkeit dienende Strafverfolgung“ gegen das Schutzinteresse des vom Staat rechtswidrig Provozierten in Stellung gebracht. Eine m. E. kaum mehr mit Gerechtigkeitsvorstellungen in Einklang zu bringende Argumentationsweise.

Nun hat der 2. Senat des BGH diese Rechtsprechung zumindest teilweise korrigiert. Dies geschah nicht freiwillig, denn im Oktober 2014 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fall Furcht gegen Deutschland) moniert, dass um dem fair-trial-Prinzip zu genügen in Fällen der rechtswidrigen  Tatprovokation eine bloße Strafmilderung zur Kompensation nicht ausreiche.

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17 Kommentare

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Das klingt nicht nach Provokation, sondern nach §§ 34, 35 StGB (Notstand).

 

Aber Bravo an den "Rebellensenat", der wieder einmal eine überfällige Kurskorrektur versucht. Inwieweit diese Schule machen wird, muss sich aber noch zeigen..

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Als Laie stimme ich dem Experten zu.

Durch Drohungen und Lügen einen Bürger zu bewegen, eine Straftat zu begehen und das durch Polizisten...und wenn derjenige darauf noch eingeht und das auch noch "Unentgeltlich" (ohne Eigeninteressen)....sorry, da sagt mein Rechtsempfinden, dass auch die Polizei hier wegen Anstiftung einer Straftat ins Gefängnis gehen müsste...

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Man sollte vor allfälliger Erregung dabei nicht übersehen, dass die Feststellungen zu dem polizeilichen Vorgehen auf der Darstellung durch die Angeklagten beruhen, der das erstinstanzliche Gericht gefolgt ist, weil - wie aus Gründen des Schutzes für Leib und Leben einer- und Verwendungsfähigkeit andererseits üblich - die Verdeckten Ermittler nicht als Zeugen zur Verfügung standen (und, so muss man wohl ergänzen, dem Gericht die Vernehmung des Führungsbeamten nicht ausgereicht hat).

 

Dieser Darstellung des Geschehens kann man jetzt glauben - oder auch nicht.

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@-thh

 

Ein guter Hinweis. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, daß das Landgericht auf genau dieser Tatsachengrundlage die Angeklagten zu Freiheitsstrafen verurteilt hat. War das Ihrer Meinung nach in Ordnung?

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Vielen Dank für den Hinweis. M.E. eine überfällige Entscheidung! Ich habe noch nie nachvollziehen können, woher ein legitimes Verfolgungsbedürfnis rühren und warum es mit unserer Verfassung vereinbar sein soll, wenn der Staat Straftaten selbst erschafft, um sie anschließend zu verfolgen - abgesehen von bestimmten verdichteten Verdachtslagen. Dass es dann statt 7 dann eben „nur“ 5 Jahre Haft geben soll, ist für den Verurteilten ein schlechter Scherz, wenn er wie im zu entscheidenden Fall eine Tatbegehung wiederholt abgelehnt hat und erst dazu genötigt werden musste. Nicht ohne Grund findet dieses Vorgehen primär beim sog. „opferlosen“ Drogenstrafrecht statt (vgl. dazu die aktuelle rechtspolitische Diskussion). Kein Ermittler würde auf die Idee kommen, unbescholtene Bürger mit Geldversprechen zur Begehung eines Auftragsmordes zu überreden, um sie anschließend wegen „Verabredung zum Verbrechen“ (§ 30 StGB) anzuklagen.

@-thh

Nicht ganz so krass wie der vorliegende Fall, aber m.E. kaum weniger skandalös: http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/egmr-urteil-54648-09-recht-auf-fai...

Daran zeigt sich, dass dieses Vorgehen verdeckter Ermittler ("Sie hätten seine Zweifel hinsichtlich eines Drogendeals ausgeräumt und ihn dazu überredet, mit Drogen zu handeln.") nicht unüblich zu sein scheint.

Beim Fall "Furcht" vom  EGMR (und auch bei BGH 5 StR 240/13 - BVerfG 2 BvR 209/14) waren es aber V-Leute, keine verdeckten Ermittler. Ob das der Senat auch so sehen würde, bleibt abzuwarten.  

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Sind Sie sicher? Im Urteil "Furcht" heißt es unter 8.:

"From 16 November 2007 onwards, two undercover police officers, P. and D., established contacts with the applicant."

http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-147329#{%22itemid%22:[%22001-147329%22]}

Zuvor ist von "Article 110a § 1 no. 1 and Article 110b § 2 no. 1" der StPO die Rede - dort geht es um verdeckte Ermittler und nicht V-Leute.

@-thh
Nun ja, wenn man dann noch dem Angeklagten auch noch anlastet, dass nur seine Version dem Gericht zur Verfügung steht und die Ermittler als Zeugen nicht vernommen werden duerfen...aber diese Nichtaussagen schwerer belasten als die Angeklagtenaussage entlastet....sorry, dann braucht man eigentlich kein ordentliches Gerichtsverfahren mehr, dann koennen die Ermittler ja gleich selbst das Urteil schreiben.

Ich dachte immer, ein Gerichtsverfahren dient der Wahrheitsfindung und das Strafmass dient nicht zuletzt dem Schutz der Allgemeinheit und nicht der Arbeitsbeschaffung fuer Richter und Staatsanwaelte, weil gelangweilte Ermittler wegen fehlender "echter" Straftaeter, ihre Daseinsberechtigung beweisen muessen. Als BWLer koennte man doch hier Leute freisetzen, Steuergelder sparen und Existenzen schuetzen, anstatt sie zu kriminalisieren...auch gut fuer die Allgemeinheit.

Fuer mich hoert sich das nach Amerikanisierung unserer Rechtssprechung an. Ich kann mich noch gut erinnern, wie es frueher (vor gut 2 Jahrzehnten) gar nicht moeglich war, verdeckte Ermittler einzusetzen....

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@-thh,

Ihr Hinweis auf die Geheimhaltung ist sehr wichtig, allerdings lenkt er meinen Blick auf einen anderen Zusammenhang als den, den Sie wohl meinen. Als der Einsatz von Verd. Ermittlern (VE) in der Strafverfolgung diskutiert wurde, ging es zunächst hauptsächlich um die Frage, wie deren belastendes Wissen in den Strafprozess eingeführt werden kann, ohne sie als Zeugen persönlich vernehmen zu müssen und sie dabei zu "verbrennen".

Im Sinne der "Funktionstüchtigkeit der Strafverfolgung" hat die höchstrichterliche Rechtsprechung gegen die Kritik aus dem Schrifttum praktisch zugelassen, dass man die V-Leute und VE als Beweismittel "sperren"  (und damit unerreichbar machen)  und ihr belastendes Wissen durch Vernehmung von Beweissurrogaten einführen durfte, durch insb. V-Mann-Führer und Vorgesetzte als Zeugen vom Hörensagen. Aber es ergab sich ein weiteres Problem, nämlich dass der Staat es mit seiner Geheimhaltung ggf. verhindert, dass ein entlastendes Vorbringen des Angeklagten in den Prozess eingeführt wird. Mit dem Problem habe ich mich in meiner Dissertation befasst ("Behördliche Geheimhaltung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten" 1992).

Die Lösung, die dafür jedenfalls in einem Teilbereich "erfunden" wurde, war die: Behauptet der Angeklagte und macht er einigermaßen plausibel, er sei vom VE zur Tat angestiftet worden und verlangt als Beweis den VE als Zeugen zu hören, kann man zwar dem Angeklagten nicht das Gegenteil beweisen, denn die Zeugen sollen ja geheim bleiben. Um der drohenden Folge Freispruch bzw. Verfahrenshindernis  zu entkommen und damit die regelmäßige und so "erfolgreiche" polizeiliche Praxis in der Rauschgiftfahndung faktisch zu legitimieren, geht man nun so vor: Die (behauptete) Tatprovokation sei eben nur in der Strafzumessung zu berücksichtigen. Man kann das im Urteil dokumentieren, indem man sehr hohe Eingangsstrafen annimmt, die dann wegen der Provokation um ca. 1/3 "gemildert" werden. Also z.B. wird gesagt, der Angeklagte müsse eigentlich mit 8 oder 10  Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden, diese Strafe werde jedoch um 3 oder 4  Jahre reduziert, weil er ja - nach dem unterstellten Sachverhalt - von VE dazu angestiftet worden sei. Alle BGH-Senate machen das Spiel mit und auch das BVerfG (s.o.) deckt das Ganze mit einer fadenscheinigen Argumentation, in der von "materieller Gerechtigkeit" und "staatlichem Strafanspruch" die Rede ist. M.E. ist das eine Perversion der Wahrheitsfindung und eines Rechtsstaats unwürdig.

 

Fischer sei Dank! Deutsche Gerichte brauchen viel mehr grosse und kleine Fischers. Dann könnte man unser Fach, die Jurisprudenz, wieder mit Herzblut betreiben und müßte sich nicht für jede zweite Entscheidung in Grund und Boden schämen. Fischer ist ein Glücksfall und sollte hundertfach vervielfältigt werden...

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Stimmt. Das hört sich schon wieder nach Fischer an, vgl.:

Der BGH gaben den Strafverteidigern recht, die die Richterin deswegen für befangen hielten. Dies Verhalten sei «auch im Zeitalter der unbegrenzten Handy-und Internetnutzung nicht zulässig», begründete der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Fischer sein Urteil. «Handys haben im Gerichtssaal nichts zu suchen, besonders nicht bei Richtern».

http://www.n-tv.de/ticker/Handy-Verbot-fuer-deutsche-Richter-article1532...

Ein Richter nach meinem Geschmack...

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