AGG-Hopping gelangt zum EuGH

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 22.06.2015

Der Achte Senat hat die rechtliche Beurteilung einer "Scheinbewerbung" dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Im nationalen Recht sind bislang unterschiedliche Ansätze verfolgt worden, um das sog. AGG-Hopping zu unterbinden. Teilweise wurde die Auffassung vertreten, "Bewerber" i.S. von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG sei nur, wer sich objektiv und subjektiv ernsthaft um die ausgeschriebene Stelle bemüht, im Falle des Erfolgs der Bewerbung also einen Vertragsabschluss ernsthaft in Betracht zieht. Nicht "Bewerber" sei demgegenüber derjenige, dem es nur darauf ankomme, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beanspruchen zu können (BeckOK/Roloff § 6 AGG Rn. 3). Das BAG, das diesen Ansatz früher auch bei § 611a BGB aF verfolgt hatte, argumentiert in jüngerer Zeit eher dahin, dass sich "Scheinbewerber" nicht in einer mit "echten" Bewerbern "vergleichbaren Situation" (§ 3 Abs. 1 AGG) befinden oder ihnen der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen zu halten sei (vgl. BAG, Urt. vom 16.2.2012 − 8 AZR 697/10, NZA 2012, 667, 669; Urt. vom 24.1.2013 – 8 AZR 429/11, NZA 2013, 498, 500; Urt. vom 14.11.2013 – 8 AZR 997/12, NZA 2014, 489, 490). Unionsrechtlich abgesichert ist dies bislang jedoch nicht. Dies holt das Gericht jetzt nach und fragt beim EuGH an:

Ist das Unionsrecht dahingehend auszulegen, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zur abhängigen Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können?

Im Streitfall steht zur Überzeugung des BAG fest, dass der Kläger sich nur deshalb auf die ausgeschriebene Stelle beworben hatte, um im Falle seiner Ablehnung eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG beanspruchen zu können. Aufgrund der gesamten Umstände des Falles geht das Gericht nicht davon aus, dass er ernsthaft am Abschluss eines Arbeitsvertrages interessiert war:

Der Kläger hat 2001 die Ausbildung zum Volljuristen abgeschlossen und ist seither überwiegend als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Die Beklagte, die zu einem großen Versicherungskonzern gehört, schrieb ein „Trainee-Programm 2009“ aus. Dabei stellte sie als Anforderung einen nicht länger als ein Jahr zurückliegenden oder demnächst erfolgenden sehr guten Hochschulabschluss und qualifizierte berufsorientierte Praxiserfahrung durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit. Bei der Fachrichtung Jura wurden zusätzlich eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse erwünscht. Der Kläger bewarb sich hierfür. Er betonte im Bewerbungsschreiben, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. Derzeit besuche er einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht. Weiter führte er aus, wegen des Todes seines Vaters ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat zu betreuen und daher im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont zu verfügen. Als ehemaliger leitender Angestellter und Rechtsanwalt sei er es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu arbeiten. Nach der Ablehnung seiner Bewerbung verlangte der Kläger eine Entschädigung iHv. 14.000,00 Euro. Die nachfolgende Einladung zum Gespräch mit dem Personalleiter der Beklagten lehnte er ab und schlug vor, nach Erfüllung seines Entschädigungsanspruchs sehr rasch über seine Zukunft bei der Beklagten zu sprechen.

Zur Überzeugung des BAG steht das Bewerbungsschreiben einer Einstellung als „Trainee“ entgegen. Selbst die Einladung zu einem Personalgespräch habe der Kläger ausgeschlagen. Damit sei er nach nationalem Recht nicht „Bewerber“ und „Beschäftigter“ iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG anzusehen. Das Unionsrecht kenne in der RL 2000/78/EG den Begriff des „Bewerbers“ jedoch nicht, sondern schütze den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“. Nicht geklärt sei, ob das Unionsrecht voraussetze, dass wirklich der Zugang zur Beschäftigung gesucht werde und eine Einstellung bei dem Arbeitgeber tatsächlich gewollt sei. Ob für das Eingreifen des unionsrechtlichen Schutzes das Vorliegen einer formalen Bewerbung genüge, sei eine allein dem EuGH überantwortete Auslegungsfrage.

Die Argumentation des BAG überrascht insofern ein wenig, als das Gericht zuletzt - wie eingangs erwähnt - selbst gar nicht mehr mit dem Begriff des "Bewerbers", sondern mit § 3 Abs. 1 AGG oder § 242 BGB argumentiert hatte. Dass ein Rechtsmissbrauch der Geltendmachung von Ansprüchen auch unionsrechtlich entgegenstehen kann, ist spätestens seit der Rechtssache "Paletta II" (EuGH, Urt. vom 2.5.1996 - C-206/94, NZA 1996, 635, 636 Rz. 24) für das Arbeitsrecht geklärt. Nachdem das BVerfG zuletzt allerdings dem BAG vorgehalten hatte, es habe mit der Nichtvorlage an den EuGH dem Kläger seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07, NZA 2015, 375), geht der Achte Senat jetzt den sichersten Weg und schickt die Akten nach Luxemburg. Damit dürften zugleich eine Reihe weiterer Revisionsverfahren, in denen ebenfalls erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung bestanden, für längere Zeit ausgesetzt werden (§ 148 ZPO).

BAG, Beschl. vom 18.6.2015 - 8 AZR 848/13 (A)

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

152 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Gast schrieb:

Der EuGH hat heute entschieden:

Quote:

[Das relevante Unionsrecht ist] dahin auszulegen, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmungen fällt und, wenn die nach Unionsrecht erforderlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen, als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.

0

Seiten

Kommentar hinzufügen