Unfall bei Ausfahrt aus der "Waschbox" in den vorbeifahrenden Verkehr: "Notfalls zentimeterweise rausfahren!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.07.2015
Rechtsgebiete: WaschboxVerkehrsrecht|2132 Aufrufe

Leider ist der Sachverhalt nicht dargestellt. Aus den Gründen kann man aber entnehmen: Die Parteien stritten um die Haftungsverteilung nach einem Unfall, der beim Ausfahren aus einer "Waschbox" stattgefunden hatte. Aus den Gründen:

Sachlich-rechtliche Mängel des Ersturteils sind nur in geringem Umfang festzustellen. Zu Recht hat der Kläger darauf hingewiesen, dass das Landgericht ohne Begründung die sich aus der Quote errechnende Kostenpauschale in Höhe von 7,50 € nebst Zinsen aberkannt hat. Im Übrigen lässt das Ersturteil Rechtsfehler jedoch nicht erkennen.

1. Die Haftungsverteilung gemäß § 17 StVG ist sachgerecht. Der Kläger übersieht, dass das Erstgericht zutreffend den vom Beklagten zu 2) benutzten Weg als durch bauliche Maßnahmen gekennzeichneten, für den fließenden Verkehr vorgesehenen Fahrweg klassifiziert hat. Da der Berufungskläger hiergegen keine Einwände vorgebracht hat, war der rechtliche Schluss des Erstgerichts (vgl. hierzu S. 6 des Ersturteils) zutreffend, dass der Beklagte zu 2) mit seinem Fahrzeug gegenüber dem von der Ehefrau des Klägers gesteuerten Fahrzeugs bevorrechtigt war. Die klägerische Fahrerin musste daher im Lichte des § 1 II StVO die besondere Vorsicht des § 10 StVO beachten. Allein dieser Verstoß rechtfertigt bereits die überwiegende Haftung des Klägers.

In der Berufungsbegründung wird verschwiegen, dass nicht nur der Beklagte zu 2), sondern auch die klägerische Fahrerin die Schrittgeschwindigkeit nicht eingehalten hat (vgl. S. 4 des Ersturteils: 13-15 km/h). Die Einwände des Klägers im Schriftsatz vom 13.04.2015 (Bl. 182/183 d. A.) überzeugen nicht. Bei Unterstellung des klägerischen Vortrags, dass die Sicht bei Ausfahrt aus einer Waschbox besonders schlecht war, muss derjenige, der eine schlechte Sicht hat, besondere Vorsicht walten lassen. Hier muss sich der Wartepflichtige „eintasten“, also sehr langsam („zentimeterweise“, „unter Schrittgeschwindigkeit“), stets bremsbereit einfahren und bei gegebenem Anlass sofort bremsen. Damit soll erreicht werden, dass einerseits der bevorrechtigte Verkehr genügend Zeit hat, sich auf dieses Eintasten einzurichten und andererseits, dass der Wartepflichtige nahezu ohne Anhalteweg anhalten kann, wenn er einen bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer wahrnimmt (Senat NZV 1989, 394; ebenso KG NZV 1998, 376; 2010, 511). Im Hinblick auf diese klarstellenden Ausführungen des Klägers hat die klägerische Fahrerin noch weitaus deutlicher als vom Landgericht angenommen die gebotene Geschwindigkeit überschritten, so dass es nicht ansatzweise eine Veranlassung gibt, den Verstoß der klägerischen Fahrerin im Verhältnis zum Verstoß des Beklagten zu 2) geringer zu gewichten.

Unzutreffend wirft der Kläger dem Beklagten zu 2) vor, das Rechtsfahrgebot nicht beachtet zu haben (§ 2 II StVO). Das Rechtsfahrgebot beinhaltet nicht, dass stets rechts zu fahren ist, sondern nur, dass entsprechend der Verkehrssituation angemessen rechts zu fahren ist (vgl. BGH NZV 1996, 444). Nach den in der Berufung nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen hat der Beklagte zu 2) im Hinblick auf andere Verkehrsteilnehmer einen Sicherheitsabstand eingehalten und da das Vorrecht des Beklagten zu 2) sich auf die gesamte Fahrbahn der bevorrechtigten Straße bezog, kann der Kläger aus diesem Fahrverhalten des Beklagten zu 2) zu seinen Gunsten nichts herleiten.
8Bei Heranziehung der überhöhten Geschwindigkeit und der Unachtsamkeit wegen des Angurtens ist in der Abwägung mit den schwerwiegenderen Verstößen der klägerischen Fahrerin eine Haftungsverteilung von 70 zu 30 zulasten des Klägers nicht zu beanstanden.

OLG München, Endurteil vom 03.07.2015 - 10 U 642/15

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