Erstaunliches zur Leiharbeit aus Brüssel

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 20.08.2015

Mit der erstaunlichen Aussage "Die Richtlinie (scil: 2008/104/EG über Leiharbeit) sieht keine Beschränkung der Dauer der Arbeitnehmerüberlassung an die entleihenden Unternehmen vor" beabsichtigt die EU-Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzustellen.

Eine Arbeitnehmerin kämpft seit längerer Zeit intensiv für eine stärkere Regulierung der Leiharbeit und um eine Gleichstellung mit dem Stammkräften des Entleiherbetriebes. Sie hat deswegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem LG Berlin auf Schadensersatz verklagt, weil Deutschland ihrer Auffassung nach die EU-Leiharbeits-Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe. Dadurch werde sie seit Jahren als Leiharbeitnehmerin schlechter bezahlt als vergleichbare Stammkräfte, ihr Schaden belaufe sich auf rund 30.000 Euro (LG Berlin - 28 O 6/15). Außerdem hat sie bei der EU-Kommission die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens angeregt, weil Deutschland die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe.

Die Kommission hat nun ihre Vorprüfung abgeschlossen. Sie beabsichtigt, das Verfahren einzustellen. Zur Überzeugung der Kommission sieht die RL 2008/104/EG keine Beschränkung der Dauer der Überlassung von Leiharbeitnehmern an die entleihenden Unternehmen vor. Die Mitgliedstaaten seien daher nicht verpflichtet, eine Höchstdauer für die Überlassung von Leiharbeitnehmern festzulegen. Eine dauerhafte Überlassung sei nicht richtlinienwidrig, sodass die Mitgliedstaaten auch nicht verpflichtet seien, hierfür Sanktionen vorzusehen.

Einen ausführlichen Bericht finden Sie auf LegalTribuneOnline.

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4 Kommentare

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"Die Durchführung dieser Richtlinie ist unter keinen Um­
ständen ein hinreichender Grund zur Rechtfertigung einer Sen­
kung des allgemeinen Schutzniveaus für Arbeitnehmer in den
von dieser Richtlinie abgedeckten Bereichen."

Zum allgemeinen Schutzniveau gehört ausweislich der Richtlinie 1. ein unbefristetes Arbeitsverhältnis und 2. Equal Pay.

Führt die Umsetzung in einem Mitgliedsstaat eindeutig zum Unterlaufen dieses Schutzniveaus, so wie es in D unzweifelhaft der Fall ist, ist ein Vertragsverletzungsverfahren klar gerechtfertigt. Wenn die Tarifpartner nicht für ein angemessenes Schutzniveau sorgen können, muss es gemäß der Richtlinie der Mitgliedsstaat tun.

Hallo Mein Name,

 

auch wenn man die Zeitarbeit - mit guten Argumenten - kritisch sehen kann, wär eine Höchstüberlassungsdauer für den Schutz der Zeitarbeitnehmer nicht sinnvoll.

Diejenigen unter ihnen, die hochqualifiziert sind und die auch in solchen Jobs eingesetzt werden (Ingenieure, Rechtsanwälte, Meister, ....) oder in Mangelberufen (Schweißer), werden ohnehin zügig übernommen, da in diesen Bereichen eine Festanstellung nach kurzer Zeit günstiger ist, selbst unter Einrechnung etwaiger Kosten durch Trennung, Entgeltfortzahlungsrisiken etc. Da sind Höchstgrenzen einfach kein Thema.

Zeitarbeitnehmer im nicht- oder gerinqualifizierten Bereich würden kurz vor Erreichen der Höchstverleihdauer durch die Kundenbetriebe abgemeldet. Das hätte zur Folge, dass sie entweder kurzfristig irgendwo "geparkt" werden oder zwangsweise in den Urlaub oder zum Überstundenabbau nachhause geschickt werden. Wie legal diese Praxis ist, lasse ich mal dahingestellt. Sobald es dann wieder "safe" ist, die Leute wieder in die alten Jobs zu schicken, geht das Spiel von vorne los - nur dass dann u.U. der Anspruch auf die Branchenzuschläge weg ist und neu erarbeitet werden muss. Das sind Steine statt Brot.

 

Unternehmen brauchen flexible einsetzbare Personalreserven. Sicher kann man bei einem Einsatz von mehreren Jahren kaum noch vom Abdecken von Auftragsspitzen sprechen - aber eine Elternzeit kann schon mal mehrere Jahre dauern, wenn man dann - aus welchen Gründen auch immer - nicht auf das MIttel des befristeten Vertrages zurückgreifen will, braucht man eben die Flexibilität ohne Höchstgrenze. Abgesehen von der häufig geringeren Bezahlung der Zeitarbeitnehmer bietet eine unbefristete Anstellung bei einem Verleiher und ein langfristiger Einsatz in einem Kundenbetrieb auch Vorteile gegenüber einer befristeten Anstellung direkt im Kundenbetrieb - eben weil es kein befristeter Vertrag ist. Auch das ist ein Vorteil.

Viele Tarifpartner haben übrigens bereits Übernahmeverpflichtungen in den Tarifverträgen, zB im Berliner Metall- und Elektro-Tarif ist ausdrücklich geregelt, dass verpflichtend unbefristete Übernahmeangebote nach Ablauf einer definierten Frist zu machen sind.

Wird die Überlassungshöchstdauer begrenzt, senkt das auch die Motivaton der Verleihbetriebe, in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu investieren. Wer wird denn mehrere Hundert oder gar Tausend Euro in eine Meisterschule investieren, wenn innerhalb der Überlassungshöchstfrist diese Investition nicht amortisiert werden kann und danach völlig unklar ist, ob ein neuer, entsprechender Einsatz gefunden werden kann?

 

tl,dr: Höchstfristen helfen nicht weiter.

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Hallo Justiziabel,
ich stimme mit Ihnen überein, dass die geplante Maximalfrist ungeeignet ist, um die Ungleichbehandlung zu verringern. Aus gutem Grund habe ich darum - wie die Klägerin - auf Equal Pay abgestellt. Dann würden nämlich auch die von Ihnen genannten Marktmechanismen greifen.
Dass es in vielen Branchen - insbesondere in denen, die ohnehin durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse dominiert sind - üblich ist, AÜ nicht zum eigentlichen Zweck, sondern zur Substitution von regulären Arbeitsplätzen zu praktizieren, werden Sie nicht ernsthaft bestreiten wollen.
Auch Juristen sollten da an sich selbst denken: es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Kliniken mit (auch über eigene Tochterfirmen) outgesourctem Pflegepersonal regelmäßig durch Hygiene- und andere Skandale auf sich aufmerksam machen. Nicht nur um die eigene MRSA-Infektion bei der nächsten Behandlung zu vermeiden, sondern auch um die Kosten für die Solidargemeinschaft zu reduzieren, sollten die Richter bei ihren Entscheidungen Recht und Gesetz im Sinn der Allgemeinheit auslegen und nicht der 1% Finanzinvestoren.

André Zimmermann meint in der LTO, die Instanzgerichte würden infolge dieser Aussage wohl Vorlageverfahren einleiten, ob § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG als

Einschränkung der Leiharbeitsrichtlinie durch Allgemeininteressen gerechtfertigt sei.

Dazu müssen sie aber erst einmal Fälle unter den Hammer bekommen. Und ich sehe noch nicht so recht, woher die kommen sollen.

Denn das Wort "vorübergehend" ist in der Rechtswirklichkeit der BRD ja ohnehin außer Kraft, weil es keinerlei Sanktionen bei Verletzung gibt.

 

Daneben stellt sich mir die Frage, woraus sich eigentlich die Kompetenz der EU ergibt, Einschränkungen der Leiharbeit unter Bedingungen zu stellen.

 

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