Kein Kita-Platz - trotzdem kein Schadensersatz für die Eltern

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 27.08.2015
Rechtsgebiete: Familienrecht15|3286 Aufrufe

Der für Amtshaftungsansprüche zuständige 1. Zivilsenat des OLG Dresden hat mit seinem Urteil vom 26. August 2015 die Klage dreier Mütter gewiesen, die von der Stadt Leipzig Schadenersatz für Verdienstausfall begehren, weil ihre Kinder nicht mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung erhalten hatten.

Nach Ansicht des Senats hat die Stadt Leipzig zwar die ihr nach § 24 Abs.2 SGB VIII obliegende Amtspflicht, den Kindern der Klägerinnen einen Platz in einer Kindertagesstätte zu verschaffen, verletzt. Die Klägerinnen seien aber nicht geschützte Dritte dieser Amtspflicht (anders noch das LG Leipzig als Vorinstanz, Urteil v. 02.02.15 – 7 O 1455/14)

§ 24 (2) SGB VIII:  Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. 

Den Klägerinnen selbst stehe kein Anspruch auf einen Platz für ihr Kind in einer Kindertagestätte zu. Anspruchsinhaber sei alleine das Kind. Die Klägerinnen seien nicht in den Schutzbereich des § 24 Abs. 2 SGB VIII einbezogen. Ziel des Gesetzes sei die frühkindliche Förderung. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei lediglich die notwendige Folge der breiten Schaffung von Kindertagestätten.

Zudem sei der Verdienstausfallschaden der Klägerinnen auch nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Dies wären nur Schäden, die dem Kind wegen Verstoßes gegen seinen Anspruch auf frühkindliche Förderung zustünden. Mittelbare Schäden der Eltern, wie der Verdienstausfall, seien hier nicht inbegriffen.

Auf den Streit der Parteien, ob der Beklagten im Zusammenhang mit der Erarbeitung der Bedarfsplanung Fehler unterlaufen sind und ob dies vorwerfbar gewesen wäre, kam es daher bei der Entscheidung nicht an.

OLG Dresden Urteil vom 26. August 2015, Az.: 1 U 319/15 

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15 Kommentare

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Unverständliche Rabulistik. Im übrigen heißt es im Gesetz explizit:

 

Grundsätze der Förderung:

 

(2) Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen

1.
die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern,
2.
die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen,
3.
den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können.
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Ich frage mich schon sehr lange, welche Bildung ein einjähriger bekommen kann. Wird ihm das Alphabet beigebracht oder lernt er gar einige Gesetze auswendig? Was ist frühkindliche Bildung? Diese Frage ist ernst gemeint. Gibt es in der Literatur eine genaue Definition von frühkindlicher Bildung???

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Ein bestimmter Gast schrieb:

Ich frage mich schon sehr lange, welche Bildung ein einjähriger bekommen kann. Wird ihm das Alphabet beigebracht oder lernt er gar einige Gesetze auswendig? Was ist frühkindliche Bildung? Diese Frage ist ernst gemeint. Gibt es in der Literatur eine genaue Definition von frühkindlicher Bildung???

"Gesetze auswendig lernen" und "enst gemeint" in einem Abschnitt zu verwenden zeugt entweder von viel Humor oder...?

Wenn sie sich schon so lange fragen, dann frage ich mich, warum sie nicht schon selber recherchiert haben. Die große Online-Enzyklopädie hilft ihnen da sicherlich beim Einstieg.

Für's erste seien ihnen die Seiten "frühkindliche Bildung" (wer hätte da vermuet?) und "Frühpädagogik" empfohlen.

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Unverständliche Rabulistik.

Ich finde das Urteil auf den esten Blick nachvollziehbar. Es heisst im Gesetz ausdrücklich "Ein Kind ... hat ... Anspruch". Es heisst ausdrücklich nicht, dass die Eltern einen Anspruch haben. Die Eltern können also keine eigenen Ansprüche geltend machen, sondern nur Ansprüche des Kindes. Und ein Einkommensausfall der Eltern begründet eben ganz einfach keinen Anspruch des Kindes. Vorbehaltlich der schriftlichen Urteilsbegründunge verstehe ich das sehr gut. Das ist keine "Rabulistik", sondern klassische Auslegung.

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Da könnte man aber über eine Drittschadensliquidation nachdenken.

Das glaube ich nicht. Eine Drittschadensliquidation kommt nur dann in Betracht, wenn sich ein Schaden von einem Anspruchinsinhaber, bei dem der Schaden typischerweise eintritt, zufällig auf einen Dritten verlagert. Beim Kind kann aber typischerweise kein Einkommenschaden eintreten, so dass sich weitere Ausführungen schon erübrigen. Die Drittschadensliquidation soll ja nur verhindern, dass der Schädiger einen Vorteil aus der Schadensverlagerung zieht. Die Drittschadensliquidation führt aber nicht zu einer Haftungserweiterung des Schädigers.

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Leser schrieb:

Beim Kind kann aber typischerweise kein Einkommenschaden eintreten, so dass sich weitere Ausführungen schon erübrigen..

 

Wenn in einer Familie der einzige Ernährer der Familie ausfällt, weil ein Fremder einen Unfall verursacht hat, so hat das Kind natürlich auch einen Einkommensschaden. Es bekommt keine Nahrung mehr. Insbesondere dann, wenn das Kind nicht beim Ernährer lebt, sondern bei der Mutter, und beide normalerweise Unterhalt vom Vater bekommen.

Der Ernährer fällt also wegen Unfall aus und kommt deshalb seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht mehr nach. Das Kind hat einen Einkommensschaden (fehlender Unterhalt) und wird sich natürlich beim (Unfall-) Verursacher schadlos halten.

Warum sollte diese Sichtweise nicht gegenüber dem Schadensverursacher "Stadt" funktionieren?

 

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Gast schrieb:

Leser schrieb:

Beim Kind kann aber typischerweise kein Einkommenschaden eintreten, so dass sich weitere Ausführungen schon erübrigen..

 

Wenn in einer Familie der einzige Ernährer der Familie ausfällt, weil ein Fremder einen Unfall verursacht hat, so hat das Kind natürlich auch einen Einkommensschaden. Es bekommt keine Nahrung mehr. Insbesondere dann, wenn das Kind nicht beim Ernährer lebt, sondern bei der Mutter, und beide normalerweise Unterhalt vom Vater bekommen.

Der Ernährer fällt also wegen Unfall aus und kommt deshalb seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht mehr nach. Das Kind hat einen Einkommensschaden (fehlender Unterhalt) und wird sich natürlich beim (Unfall-) Verursacher schadlos halten.

Warum sollte diese Sichtweise nicht gegenüber dem Schadensverursacher "Stadt" funktionieren?

 

 

Ihr Beispiel beinhaltet doch schon keinen Fall der Drittschadensliquidation... Der Ernährer hat doch einen eigenen Anspruch...

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Gast schrieb:

Leser schrieb:

Beim Kind kann aber typischerweise kein Einkommenschaden eintreten, so dass sich weitere Ausführungen schon erübrigen..

 

Wenn in einer Familie der einzige Ernährer der Familie ausfällt, weil ein Fremder einen Unfall verursacht hat, so hat das Kind natürlich auch einen Einkommensschaden. Es bekommt keine Nahrung mehr. Insbesondere dann, wenn das Kind nicht beim Ernährer lebt, sondern bei der Mutter, und beide normalerweise Unterhalt vom Vater bekommen.

Der Ernährer fällt also wegen Unfall aus und kommt deshalb seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht mehr nach. Das Kind hat einen Einkommensschaden (fehlender Unterhalt) und wird sich natürlich beim (Unfall-) Verursacher schadlos halten.

Warum sollte diese Sichtweise nicht gegenüber dem Schadensverursacher "Stadt" funktionieren?

 

 

Ihr Beispiel beinhaltet doch schon keinen Fall der Drittschadensliquidation... Der Ernährer hat doch einen eigenen Schadensersatzanspruch... Welche Anspruchsgrundlage hätte das Kind denn?

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R1einLebenLang schrieb:

Ihr Beispiel beinhaltet doch schon keinen Fall der Drittschadensliquidation... Der Ernährer hat doch einen eigenen Schadensersatzanspruch... Welche Anspruchsgrundlage hätte das Kind denn?

... dann lassen wir eben den Ernährer der Familie beim Unfall tödlich verunglücken. Einen eigenen Schadensersatz kann er als Toter wohl nicht geltend machen. Die Entschädigung für das hinterbliebene Kind, die der Verursacher an das Kind zu leisten hat, wird sich am "Einkommensverlust" orientieren, den das Kind durch den Tod des Ernährers erlitten hat (neben Schmerzensgeld u.a. Ansprüchen, die hier außen vor bleiben sollen, aktuelles Beispiel: Flugzeugabsturz).

Sofern er überlebt: natürlich hat er einen eigenen Anspruch. Er muss ihn aber nicht geltend machen. Wenn er deshalb keinen Unterhalt mehr zahlen kann, dann wird zunächst das Amt einspringen. Das wird anschließend versuchen, sich das Geld beim Vater zurückzuholen, und wenn dort nichts zu holen ist (sei es wegen Insolvenz o.ä.), dann eben beim Unfallverursacher. Sie werden sehen, wie gut dann diese Kette funktioniert ...

 

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Gast schrieb:

R1einLebenLang schrieb:

Ihr Beispiel beinhaltet doch schon keinen Fall der Drittschadensliquidation... Der Ernährer hat doch einen eigenen Schadensersatzanspruch... Welche Anspruchsgrundlage hätte das Kind denn?

... dann lassen wir eben den Ernährer der Familie beim Unfall tödlich verunglücken. Einen eigenen Schadensersatz kann er als Toter wohl nicht geltend machen. Die Entschädigung für das hinterbliebene Kind, die der Verursacher an das Kind zu leisten hat, wird sich am "Einkommensverlust" orientieren, den das Kind durch den Tod des Ernährers erlitten hat (neben Schmerzensgeld u.a. Ansprüchen, die hier außen vor bleiben sollen, aktuelles Beispiel: Flugzeugabsturz).

Sofern er überlebt: natürlich hat er einen eigenen Anspruch. Er muss ihn aber nicht geltend machen. Wenn er deshalb keinen Unterhalt mehr zahlen kann, dann wird zunächst das Amt einspringen. Das wird anschließend versuchen, sich das Geld beim Vater zurückzuholen, und wenn dort nichts zu holen ist (sei es wegen Insolvenz o.ä.), dann eben beim Unfallverursacher. Sie werden sehen, wie gut dann diese Kette funktioniert ...

 

 

Ich will ncit abschweifen, aber Ausgangspunkt war doch der Sonderfall der Drittschadensliquidation?

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Zum Thema Rabulistik:

Im veröffentlichten Urteil des OLG sind insbesondere Seite 13 unten / Seite 14 oben lesenswert.

Hier räumt das OLG ein, dass in § 22 Abs. 2 SGB VIII als grundsätzliches Ziel ("Förderungsgrundsatz") die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung genannt sei. Hieraus lasse sich aber kein Rechtsanspruch ableiten, da der Gesetzgeber es versäumt habe, diesen Förderungsgrundsatz in § 24 Abs. 2 zu wiederholen.

Das nenne ich Rabulistik. Und wird m.E. vom BGH kassiert. Das ist doch absurd!

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Also ich weiß nicht recht. Das Kind würde durch die Amtspflichtverletzung doch typischerweiser einen Unterhaltsschaden erleiden. Aufgrund der rechtlichen Sonderbeziehung bleibt die Mutter aber gleichwohl zum Unterhalt verpflichtet, wodurch sich der Schaden auf sie verlagert.

 

Darauf käme es allerdings ohnehin nur dann an, wenn die Kinder und nicht die Mütter geklagt hätten.

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Wie hätte den nun eine Klage aussehen müssen, die einen Anspruch gegen die Stadt begründet ? Die Kinder als Kläger ? Oder bessere Darstellung der Schäden ? Oder ist dies als Grundsatzurteil zu verstehen, welches den Anspruch auf einen KITA-Platz zu einem eher theoretischen degradiert mit der Folge, dass die Städte sich nun doch auf einen Mangel an Plätzen berufen können, da der Gesetzgeber eine Wiederholung (meiner Meinung nach tatsächlich absurde Begründung) des Fördergrundsatzes "versäumt" habe. Wobei das Wort "versäumt" ja schon dafür spricht, dass es kein bewusstes Weglassen war und daher eine falsche Auslegung stattgefunden hat.

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