Keine Einspruchsverwerfung nach Entbindung von der Erscheinenspflicht bei "Totalabwesenheit"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.08.2015

"Totalabwesenheit" ist eigentlich ein Unwort. Oft wird damit die Situation des verteidigten Betroffenen verstanden, der in der Hauptverhandlung nach Entbindung von der erscheinenspflicht nicht erscheint, für den aber auch kein Verteidiger auftritt. Im Eifer des Gefechts kann hier schon einmal eine falsche Einspruchsverwerfung stattfinden:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 29. April 2014 hat die Stadt F gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 60 km/h ein Bußgeld in Höhe von 240,- € verhängt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Dagegen hat der Betroffene Einspruch eingelegt. Aufgrund richterlicher Verfügung vom 18. Februar 2015 ist der Betroffene von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden. In der Hauptverhandlung am 2. März 2015 ist sein Verteidiger ebenfalls nicht erschienen. Hieraufhin hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen und zur Begründung ausgeführt, der Verteidiger des Betroffenen sei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen; auch die Anzeige einer Mandatsniederlegung sei nicht erfolgt.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen Rechts beanstandet wird. Im Wege der Verfahrensrüge macht der Betroffene eine Versagung rechtlichen Gehörs geltend und führt hierzu aus, die Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG hätten nicht vorgelegen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie beschlossen worden ist.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Betroffene rügt mit seiner Verfahrensrüge zu Recht, dass das Amtsgericht seinen Einspruch nicht gemäß § 74 Abs. 2 OWiG hätte verwerfen dürfen.

Die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG haben nicht vorgelegen. Nach § 74 Abs. 2 OWiG muss das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil (nur) dann verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben ist, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war. Vorliegend ist der Betroffene aber durch die Verfügung des Amtsgerichts vom 18. Februar 2015 gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden. Damit hätte das Amtsgericht, als der Betroffene nicht erschien, nach § 74 Abs. 1 S. 1 OWiG verfahren und die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen durchführen müssen. Dass auch der Verteidiger des Betroffenen, der ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladen war, in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, ist unerheblich. § 73 Abs. 3 OWiG verpflichtet den Betroffenen nicht, sich durch einen bevollmächtigten Verteidiger vertreten zu lassen. Der (bevollmächtigte) Verteidiger ist zudem auch nicht verpflichtet, im Fall des Nichterscheinens des von seiner Anwesenheitspflicht befreiten Betroffenen an der Hauptverhandlung teilzunehmen (vgl. OLG Hamm, NZV 2001, 491).

III.

Damit war das angefochtene Verwerfungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben wird, zurückzuverweisen.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 30.6.2015 - 5 RBs 84/15

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